Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

(Beifall bei der SPD)

die Anzahl der Wahlberechtigten zuletzt am 24. September 2017 bei der Bundestagswahl feststellen; denn da muss es ein Wählerverzeichnis geben, und für die Bundestagswahl gelten die gleichen rechtlichen Voraussetzungen wie für die Landtagswahl. Deswegen sollen wir über einen Gesetzentwurf entscheiden, der auf Basisdaten von 2015 fußt – zweieinhalb Jahre alte Daten machen Sie zum Maßstab für die Begründung einer Änderung der Wahlkreise. Dies halten wir in der Tat für rechtlich höchst problematisch, Herr Innenminister.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktions- los))

Herr Kollege Bauer, ich habe mich sehr intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das eine. In Hessen gibt es keine Normierung, wie die Abweichung bei Wahlkreisen gemacht wird. Das müssen wir dann sicherlich regeln. Aber Sie sollten sich auch einmal die Entscheidung des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen vom 14.06.2006 anschauen. Da wird gesagt, dass man in Hessen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht einfach übertragen kann, wo es um den Zuschnitt der Wahlkreise geht. Diese Entscheidung des hessischen Staatsgerichtshofs ist Ihnen augenscheinlich nicht bekannt. Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, sich darüber sachkundig zu machen.

(Norbert Schmitt (SPD): Noch nicht einmal zitiert!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, es soll möglichst nicht über Landkreisgrenzen gehen. Sie haben das Beispiel Groß-Rohrheim genannt. Ja. Wir könnten Ihnen als Alternative anbieten: Wir machen eine Veränderung im Landkreis Bergstraße. Da brauchen Sie nicht zu wechseln.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir könnten Ihnen für den Landkreis Waldeck-Frankenberg anbieten, nicht die Gemeinde Lichtenfels, sondern die Gemeinde Edertal zu nehmen; denn die machen eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit mit Wildungen und anderen Kommunen. Denn Sie schaffen Veränderungen, wo

Kommunen jetzt interkommunal zusammenarbeiten. Sie haben andere Zuständigkeiten.

Ich könnte die Gemeinde Eiterfeld nehmen. Da gibt es vielleicht den Grund, dass die CDU bessere Wahlergebnisse erzielt, damit der Wahlkreis dann direkt von der CDU gewonnen werden kann.

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU)

Sind das sachliche Argumente? Ich könnte das Beispiel der Gemeinde Nieste nehmen. In dem Entwurf, den wir bekommen haben, stand die Gemeinde Helsa drin, und jetzt haben Sie einen Entwurf vorgelegt, dass die Gemeinde Nieste in den Teil Eschwege wechseln soll. Jetzt könnte ich sagen: Möglicherweise hat das etwas damit zu tun, dass der Parteivorsitzende der CDU im Landkreis Kassel in Helsa wohnt und gerne seine Gemeinde im Wahlkreis hätte. Das könnte sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das kann aber keine Begründung für die Änderung der Wahlkreise in diesem Punkt sein.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Herr Innenminister, warum schreiben Sie am 25. April dieses Jahres die Fraktionen und die Landesverbände an und sagen,

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

wir machen das in einem geordneten Verfahren in der neuen Wahlperiode? Warum ändern Sie Ihre Position?

(Nancy Faeser (SPD): Sehr gute Frage!)

Wir haben nicht nur Handlungsbedarf in den von Ihnen genannten Bereichen. Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der Wahlkreise in der Stadt Frankfurt, in der Stadt Wiesbaden, im Main-Kinzig-Kreis und an der Bergstraße an. Ich könnte Ihnen anhand von Zahlen vortragen, was sich in den letzten zweieinhalb Jahren getan hat, zumindest für zwei Wahlkreise im Main-Kinzig-Kreis. Auch im Rheingau-Taunus-Kreis, in Ihrem Wahlkreis, gibt es Veränderungen seit der letzten Wahl, weil wir in der Tat im Ballungsraum andere Veränderungsströme als im ländlichen Raum haben. Deswegen muss man eine Wahlkreisreform sorgfältig angehen und kann sie nicht nach kleinem parteipolitischem Karo machen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist das schon mehr als bedenklich. Die Reaktionen aus den betroffenen Kommunen zeigen: Hier werden Verwaltungseinheiten auseinandergerissen. Zuständigkeiten gehen auf andere Landkreise oder Gebietskörperschaften über. Gerade auf Landesebene gibt es viele Berührungspunkte zwischen Kommunen, Städten, Landkreisen und Ansprechpartnern.

Um das sehr deutlich zu machen – das hat unser Fraktionsvorsitzender auch dem Ministerpräsidenten gesagt –: Wir sehen Handlungsbedarf aufgrund der Zahlen. Das ist so. Das war im Jahr 2005 übrigens auch der Fall. Damals gab es für Frankfurt einen Wahlkreis mehr. Wenn ich mir die Entwicklung der Zahlen anschaue, müsste Wiesbaden einen Wahlkreis wieder zurückbekommen und Frankfurt einen weniger bekommen. Das ist auch ein Punkt, über den man ernsthaft reden muss; denn die wahlberechtigte Bevölkerung ist etwas anderes als der Anteil der Gesamtbevölkerung. Dazu gibt es eine klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wer wahlberechtigt ist.

Noch einmal, Herr Innenminister: Warum legen Sie keine Zahlen etwa zum 30.06.2017 vor? Sie brauchen nur die Zahlen aus dem Wahlverzeichnis zur Bundestagswahl zu addieren und sie in die Landtagswahlkreise einzubringen. Dann haben wir ein verlässliches Datenmaterial zum heutigen Zeitpunkt und nicht aus dem Jahr 2015. Dies halten wir für äußerst problematisch, um es ganz vorsichtig zu formulieren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Trotz der vielen handwerklichen und auch inhaltlichen Fehler sind wir bereit zum Dialog. Wir werden das im Innenausschuss zu beraten haben. Wir werden auch eine Anhörung dazu verlangen. Wir bieten ausdrücklich an, dass wir das gemeinsam in diesem Hause machen. Aber für eine umfassende Wahlkreisreform brauchen Sie auch einen entsprechenden Vorlauf; denn die Parteien haben partiell schon Kandidaten nominiert. Das macht man nicht so kurz vor einem Wahltermin. Sie brauchen längere Zeit dafür.

Ich will aber auch sehr deutlich sagen: Wenn Sie schon Angst haben, dass die FDP sagt, das ist verfassungsrechtlich problematisch, und Sie es daher rechtssicher machen wollen, dann darf ich Ihnen auch für die SPD-Fraktion sagen: Ja, wir werden das rechtlich überprüfen. Wir werden uns auch nicht scheuen, möglicherweise vor das Verfassungsgericht zu gehen. Denn das lassen wir Ihnen an der Stelle nicht durchgehen: kurzfristige Dinge zu entscheiden, wo ein größerer Handlungsbedarf besteht. Das Angebot, gemeinsam in diesem Landtag etwas zu machen, was tragfähig über eine Wahlperiode hinausgeht, steht. Es liegt an Ihnen, dieses Angebot anzunehmen. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das Wort hat Frau Abg. Dorn für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Rudolph, wenn Sie ein Angebot machen möchten, dann hätte ich mir gewünscht, dass wir hier ein bisschen ruhiger und sachlicher debattieren. Denn ein Angebot zu machen und gleichzeitig andere zu beschimpfen, ist ein wenig schwierig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Gehen wir den Prozess durch. Sie haben es selbst gerade angesprochen, Herr Kollege Rudolph. Es gab einen Brief vom Innenminister an alle Fraktionen. Es gab den löblichen Versuch, gemeinsam

(Günter Rudolph (SPD): Habe ich gesagt!)

ja, aber so, wie Sie es darstellen, wirkt es anders – zu überlegen, wie man am besten vorgeht. Das ist sozusagen die erste Grundlage gewesen.

Wir haben akzeptiert, dass dort gesagt worden ist: Die Wahlrechtsreform wird nicht als zwingend angesehen, aber es gibt Gründe, die dafür sprechen. Es gibt auch welche, die dagegen sprechen. Es wurde umfassend geprüft. –

Dann hat die FDP-Fraktion Bedenken angemeldet. Die FDP-Fraktion hat die Bedenken angemeldet.

Wir sind uns, glaube ich, einig, dass eine Wahlanfechtung in diesem Fall problematisch wäre. Deswegen haben wir als Koalition gesagt: Dann müssen wir verantwortlich damit umgehen, wenn es Bedenken von der Opposition gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Lachen bei der SPD)

Da lachen Sie. Sie lachen tatsächlich, wenn wir versuchen, einen gemeinsamen Weg zu gehen, und die Opposition Bedenken anmeldet?

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Es ist schon traurig, wie Sie hier vorgehen.

Der nächste Punkt. Jetzt haben wir einen Vorschlag gemacht, lieber Herr Kollege Rudolph, wie man diesen Bedenken entgegenkommen könnte, die die FDP aufgebracht hat. Es liegt jetzt ein Vorschlag vor in einer ersten Lesung. Dieser Vorschlag ist nach sachlichen Kriterien gemacht.

(Norbert Schmitt (SPD): Nein, eben nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ist ja gut. Ich versuche, das hier ganz ruhig vorzutragen, damit alle wissen, worum es geht,

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und um zu zeigen, Herr Kollege Schmitt, dass es hier dauernd den Versuch gab, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen.

Frau Kollegin, gestatten Sie Zwischenfragen?

Ich habe kaum die Möglichkeit, auszureden. Ich möchte gerne meinen Gedanken ausführen können. Im Moment nicht.

Dann gab es unseren ersten Entwurf. Den haben wir jetzt vorgelegt. Das ist ein Vorschlag, wie man den Problemen begegnen kann, die die FDP gesehen hat. Wir haben einen Vorschlag gemacht.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Gibt es die Probleme auch, oder gibt es sie nicht? – Nancy Faeser (SPD): Das ist eine gute Frage!)

Das ist genau der Punkt, dass wir gesagt haben, das ist eine schwierige rechtliche Situation. Es ist nicht zwingend. Sie sind selbst Jurist, Herr Kollege Hahn. Die Frage ist doch: Sie haben Bedenken dagegen, und wir gehen auf Ihre Bedenken ein. Denn wir wollen nicht, dass es am Ende eine Wahlanfechtung gibt.

Daraufhin haben wir einen Vorschlag gemacht. Liebe Kollegen von der SPD, Sie können gerne einen Gegenvorschlag machen. Wir sind mitten im Gesetzgebungsverfahren. Es liegt jetzt ein Vorschlag auf dem Tisch. Dann verhalten Sie sich dazu. Aber Sie müssen Ihren Vorschlag anhand von sachlichen Kriterien vorlegen, wie wir es auch getan haben. Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, dann bringen Sie den besseren Vorschlag. Aber sich hier

hin zu stellen, wo es ein Bemühen gab, alle mitzunehmen, und uns zu beschimpfen, das geht überhaupt nicht.