Protokoll der Sitzung vom 21.11.2017

(Zurufe, u. a. des Abg. Holger Bellino (CDU): Tagesordnungspunkt 71! – Zuruf von der CDU: Sie sind, wie immer, Ihrer Zeit voraus! – Dr. h.c. JörgUwe Hahn (FDP): Der Hauptausschuss! – Unruhe)

Es fehlt noch etwas. Entschuldigung. – So, ich habe geblättert und es auch gefunden. Danke für den Hinweis.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP – Günter Rudolph (SPD): Prima!)

Also rufe ich Tagesordnungspunkt 71 auf:

Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds im Hauptausschuss

Mit Ablauf des 31. Oktober 2017 hat Herr Hans-Jürgen Irmer auf sein Mandat als Abgeordneter des Hessischen Landtags verzichtet. Somit scheidet er als stellvertretendes Mitglied aus dem Hauptausschuss aus. Nach § 6 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung werden die ordentlichen sowie alle stellvertretenden Mitglieder des Hauptausschusses durch den Hessischen Landtag gewählt.

Nachdem die Fraktion der CDU den Wahlvorschlag Drucks. 19/5375 zurückgezogen hat, schlägt sie nun mit Drucks. 19/5422 Herrn Abg. Heiko Kasseckert als stellvertretendes Mitglied vor. – Erneut widerspricht niemand der Wahl durch Handzeichen.

Deswegen bitte ich jene, die dem Wahlvorschlag zustimmen, um das Handzeichen. – Das ist das gesamte Haus. Damit stelle ich fest, dass Herr Abg. Heiko Kasseckert als stellvertretendes Mitglied in den Hauptausschuss gewählt wurde.

Ich entschuldige mich noch einmal dafür, dass ich Tagesordnungspunkt 71 zunächst übersehen habe.

Aber nun folgt Tagesordnungspunkt 11:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Neufassung der Hessischen Bauordnung und zur Änderung landesplanungs- und straßenrechtlicher Vorschriften – Drucks. 19/5379 –

Zur Einbringung erteile ich Herrn Staatsminister Al-Wazir das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind bei der Bauordnung, ja? – Gut, vielen Dank. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf novelliert die Hessische Bauordnung und sieht entsprechende Änderungen im Landesplanungsgesetz und Straßengesetz vor.

Zur Bauordnung will ich anführen, dass die Wohnungssituation in den Städten und gerade im Rhein-Main-Gebiet seit Jahren angespannt ist. Deshalb hat die Landesregierung in Verantwortung der Kollegin Hinz die Fördermittel für den Wohnungsbau massiv aufgestockt – um es genau zu sagen: vervierfacht. Deshalb machen wir mit dem Gesetzentwurf zur Änderung der Bauordnung das Bauen in Hessen schneller und einfacher.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es soll einfacher werden, ein Bauprojekt in Angriff zu nehmen. Es soll einfacher werden, Gebäude aufzustocken und zu erweitern – und damit zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.

Zentral ist aus meiner Sicht, dass wir in Hessen erstmals die Einführung ganzheitlicher elektronischer Verfahren ermöglichen. Wir stärken die Barrierefreiheit und den Radverkehr und reagieren damit auf aktuelle Entwicklungen in unserer Gesellschaft.

Zu den einzelnen Punkten: Das elektronische Verfahren ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Bauordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir ebnen erstmals in Hessen den Weg in die ganzheitliche Digitalisierung. Künftig wird es den Baugenehmigungsbehörden in Hessen möglich sein, elektronische Verfahren von der Antragstellung bis hin zur endgültigen Entscheidung anbieten zu können. Wir wollen natürlich auch durch nachfolgende Änderungen von Form- und Verfahrensvorschriften die bisher bestehenden Hürden für die Einführung elektronischer Verfahren so weit wie möglich beseitigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich füge hinzu: Das muss vor Ort dann natürlich umgesetzt werden. Natürlich werden wir die Bauämter vor Ort bei dieser Frage begleiten.

Zweiter Punkt: Barrierefreiheit. Zu einer nachhaltigen Wohnungsbaupolitik gehört auch Barrierefreiheit, denn unsere Gesellschaft wird immer älter. Die Folge davon sind häufig Einschränkungen in der Mobilität. Wir haben die Barrierefreiheit an vielen Stellen der Bauordnung gestärkt.

So sieht der Entwurf für Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen vor, dass eine bestimmte Anzahl der Wohnungen barrierefrei erreichbar und zugänglich ist. Damit wird nun ausdrücklich klargestellt, dass die Anforderung „barriere

frei“ auch den Wohnungseingang erfasst. Darüber hinaus sollen nunmehr bestimmte Räume in diesen Wohnungen so herzustellen und vorzubereiten sein, dass eine barrierefreie Nutzung leicht möglich ist.

Gleichzeitig soll vermieden werden, dass geringgeschossige Einzelobjekte im Verhältnis zu vielgeschossigem Wohnungsbau mehr belastet werden. Deshalb ersetzen wir die bisherige Berechnungsmethode für Barrierefreiheit durch eine prozentuale Regelung.

Das Errichten von Aufzügen in bestehenden Gebäuden – der Großteil aller Gebäude besteht schon – wird zugunsten der Barrierefreiheit erleichtert. In Zukunft soll auch bei bestehenden Gebäuden in der Abstandsfläche ein Aufzug errichtet werden können; denn – das darf man nie vergessen – die barrierefreie Umrüstung der eigenen vier Wände ermöglicht in vielen Fällen erst, dass ältere Menschen oder Menschen, die nach einem Unfall oder einem anderen Vorfall auf Barrierefreiheit angewiesen sind, in ihrer vertrauten Umgebung verbleiben können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir wollen das Bauen leichter und schneller machen. Das gelingt uns auf zwei Wegen: erstens durch Vereinfachung des Rechts und zweitens durch Übernahme von Regelungen aus der Musterbauordnung. Damit kommen wir einer Forderung nach, die uns in vielerlei Hinsicht aus der Praxis erreichte, und stärken so auch die Rechtseinheitlichkeit des Bauordnungsrechts. Gleichzeitig werden die Aspekte Sicherheit und Nachhaltigkeit nicht vernachlässigt.

Ich kann nicht auf alles eingehen, aber ein paar Punkte will ich besonders hervorheben. Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie lebenswichtig das Thema Brandschutz ist und wie schnell Forderungen nach Deregulierung umspringen in Forderungen nach einer Verschärfung von Vorschriften. Natürlich muss beim Thema Brandschutz die Sicherheit an erster Stelle stehen. Es ist aber auch nötig, dass wir sichere und einheitliche Standards bei den Brandschutzvorschriften schaffen. Wir übernehmen die Vorschriften aus der Musterbauordnung und gewährleisten damit genau dies.

Zugleich ist die Übernahme der Brandschutzanforderungen der Musterbauordnung die Basis für die Umsetzung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen und der technischen Holzbaurichtlinie. Das hört sich sehr technisch an – ist es auch –, aber es kommt unserem Ziel am Ende näher, Holz vermehrt als Baustoff einsetzen zu können. Das ist aus guten Gründen eine gute Idee, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir gehen noch an einem anderen Punkt das Thema Wohnraumschaffung an. So wird beispielsweise die Umnutzung von Büroräumen in Wohnraum gefördert, indem die Rückkehr zu genehmigter Büroraumnutzung innerhalb von zehn Jahren erleichtert wird. Wir wollen die bestehenden Hemmungen zur Nutzung als Wohnraum beseitigen. Das gilt gerade, wenn ich mir die Stadt Frankfurt anschaue und sehe, wie viele leer stehende veraltete Bürogebäude es dort gibt. Ich glaube, dass wir da durchaus Potenzial zur schnellen Schaffung zusätzlichen Wohnraums haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir wollen den Katalog der baugenehmigungsfreien Vorhaben erweitern. Ladestationen zur Elektromobilität innerhalb und außerhalb von Gebäuden sollen ausdrücklich in den Katalog der baugenehmigungsfreien Bauvorhaben aufgenommen werden.

Wir haben übrigens in Reaktion auf Einwände der Landwirtschaft etwas aufgenommen. Ich sage das, damit Sie einmal sehen, um was wir uns alles gekümmert haben. An dieser Stelle möchte ich übrigens den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium und den Vertreterinnen und Vertretern aller Verbände vielen Dank sagen, die sich auch im Vorfeld schon bei der Erstellung des Entwurfs und bei der Regierungsanhörung beteiligt haben. Wir haben uns beispielsweise dazu entschieden, die Nutzung sogenannter mobiler Hühnerställe als neuen Freistellungstatbestand aufzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir wollen den Radverkehr stärken. Deshalb werden wir die Bedingungen für den Radverkehr verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Alle baulichen Anlagen werden künftig eine bestimmte Anzahl an Abstellplätzen für Fahrräder haben müssen, sofern es die Kommunen in ihren Satzungen nicht anders regeln. Außerdem wird die Pflicht zur Schaffung der Abstellplätze nach dem Entwurf für alle Gebäudearten gelten.

Gleichzeitig werden wir aber auch ermöglichen, dass bis zu einem Viertel der Stellplätze, die für Autos vorgeschrieben sind, durch Abstellplätze für Fahrräder ersetzt werden können. Dadurch werden künftig mehr Abstellplätze für Fahrräder zur Verfügung stehen. Ich bin mir übrigens sicher, dass das auch dazu führen kann, dass das Bauen günstiger wird. Denn die Autostellplätze sind ein wesentlicher Teil der Gesamtbaukosten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Minister, ich erinnere an die Redezeit.

Herr Präsident, ich bin gleich am Schluss meiner Rede. – Ich will noch zwei Themen ansprechen. Wir werden zwei europarechtliche Themen umsetzen. Das betrifft die Bauprodukte. Dort orientieren wir uns an der Musterbauordnung. Das ist vor allem für diejenigen wichtig, die alltäglich im Bereich des Bauens unterwegs sind.

Eines ist auch ganz wichtig – das wurde kontrovers diskutiert –: Große Bedeutung hat die Umsetzung der SevesoIII-Richtlinie in die Hessische Bauordnung. Wir glauben, dass wir damit einen Weg gefunden haben, um das europäische Recht umzusetzen, um dafür zu sorgen, dass schwere Folgen von Unfällen vermieden werden. Gleichzeitig wollen wir nicht dafür sorgen, dass im Umfeld der sofortige Stillstand eintreten wird. Denn das ist auch nicht in unserem Interesse.

Unterm Strich kann man sagen: Wir werden meiner Ansicht nach die Positionen aus dem Koalitionsvertrag und die Anregungen aus der Praxis ausgewogen umsetzen. Wir sind mit diesem Gesetzentwurf dabei, einen bedeutsamen Beitrag dazu zu leisten, dass Bauvorhaben künftig schneller und einfacher realisiert werden können. Es soll mehr Wohnraum geschaffen werden, ohne dabei wichtige Aspekte wie den Radverkehr oder die Barrierefreiheit zu verdrängen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit den Regelungen zum elektronischen Verfahren eine Vorreiterrolle in Deutschland übernehmen werden. Ich appelliere von dieser Stelle aus schon jetzt an die kommunale Familie, diese Spielräume auch zu nutzen.

Es wird, garantiert, eine umfängliche Anhörung im Ausschuss geben. Ich meine das sehr ernst: Ich freue mich darauf. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Minister, danke für die Einbringung. – Ich eröffne die Aussprache. Die vereinbarte Redezeit beträgt 7,5 Minuten. Als Erste hat sich Frau Barth für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der Novelle der Hessischen Bauordnung soll Bauen einfacher, schneller und kostengünstiger werden. Sie sollte entrümpelt werden. Das waren und sind auch heute wieder Ihre Ankündigungen gewesen. Entsprechend hoch sind jetzt natürlich auch unsere Erwartungen.

Die angekündigte Entrümpelung hat mit dem uns vorgelegten Entwurf allerdings dazu geführt, dass aus bisher 82 Paragrafen auf 57 Seiten 93 Paragrafen auf etwa 67 Seiten werden sollen. Es soll also elf Paragrafen mehr geben. Herr Minister, rein quantitativ werden Sie dieses Ziel schon einmal nicht erreichen. Im Einzelnen mag es Gründe geben. Generell ist das aber schon eine kleine Enttäuschung. Wie es qualitativ umgesetzt werden soll, werden wir in der Anhörung und auch im weiteren Prozess sehen.

(Beifall bei der SPD)