Protokoll der Sitzung vom 22.11.2017

Öffentliche Behörden und Einrichtungen haben inzwischen auch die rechtlichen Grundlagen, ökologische und soziale Kriterien im Beschaffungsprozess zu berücksichtigen. 2009 wurde das Vergaberecht geändert.

Lassen Sie mich ein Beispiel für das Potenzial nachhaltiger Beschaffung herausgreifen. Laut Umweltbundesamt ist das Treibhausgaspotenzial für das Drucken von 1.000 Seiten mit einem Multifunktionsgerät mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“ etwa um die Hälfte geringer als bei einem konventionellen Gerät. Geht man davon aus, dass ein Multifunktionsgerät etwa 50.000 Seiten pro Jahr druckt und eine Lebensdauer von fünf Jahren hat, spart ein Gerät mit dem „Blauen Engel“ im Vergleich zu einem anderen Gerät ca. 1.150 kg Kohlendioxidäquivalente. Das ist nur ein ganz kleines Beispiel.

Wie sieht es also unter Beachtung von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit mit der derzeitigen Beschaffungspraxis des Landes Hessen aus? – Dass es der Landesregierung ernst mit dem Thema ist, sieht man daran, dass sie die „Nachhaltigkeitsstrategie Hessen“ geschaffen hat. Dabei hat es sich um keinen leichten Prozess gehandelt. Das lässt sich an der Antwort der Landesregierung durchaus ablesen.

Dabei ist es klug, wenn man sich auf den Weg der nachhaltigen Beschaffung macht, auch Akteure von außerhalb einzubinden, um den Lerneffekt zu erhöhen. Gerade der Erfahrungsaustausch mit der freien Wirtschaft ist hier wichtig. Die Liste der eingebundenen Institutionen ist dann auch beeindruckend, wie wir gesehen haben. Entscheidend zum Erfolg tragen nicht zuletzt die Bedarfsstellen und die Beschaffungsstellen in der Landesverwaltung bei. Sie alle haben mit ihren Erfahrungen dazu beigetragen, die erarbeiteten Leitfäden praxisnah auszugestalten.

Aber mit der Erarbeitung und Anwendung der Leitfäden allein ist es nicht getan; denn technische Neuerungen und Weiterentwicklungen sowie eine sich immer wieder verändernde Rechtssituation machen eine permanente Anpassung in der Sache notwendig. Das öffentliche Beschaffungswesen wird durch ein eigenes Vergaberecht geregelt. Ich erwähne nur die Vergaberichtlinien der Europäischen Union, und mit dem Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz wurde auch in Hessen inzwischen ein entsprechender rechtlicher Rahmen geschaffen, der eine rechtssichere Umsetzung ökologischer, ökonomischer und sozialer Kriterien im Prozess der Beschaffung sicherstellt.

(Beifall der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Danke schön. – Im HVTG – so heißt es kurz – wird den Kommunen, von deren Wichtigkeit ich eingangs gesprochen hatte, als bedeutender Nachfrager nach Produkten und Dienstleistungen in der nachhaltigen Beschaffung unter bestimmten Voraussetzungen die rechtliche Möglichkeit gegeben.

Den in der Anlage zur Drucksache zu findenden „Leitfaden zur nachhaltigen Beschaffung von Bürobedarf“ kann übrigens auch jeder Abgeordnete nutzen, um persönlich einen Beitrag zu leisten. Ich habe reingeschaut und kann Ihnen versprechen, dass Sie staunen werden.

Ob wir uns dann bei der Beurteilung nachhaltiger Büromaterialien auf Gütezeichen oder Zertifizierungen verlassen, ist beim Büromaterial des Abgeordneten die Sache eines jeden Abgeordneten. Für die Landesverwaltung jedenfalls

stellen sie unter Beachtung wettbewerbsrechtlicher Aspekte ein hilfreiches Kriterium dar, um beworbene Nachhaltigkeitsmerkmale von Produkten überprüfen und angebotene Produkte letztlich auch vergleichen zu können.

Es überrascht nicht, dass etwa die Hälfte der öffentlichen Vergabestellen in Deutschland keine Berechnung der Lebenszykluskosten der anzuschaffenden Produkte vornimmt, da dies sehr komplex ist. Dabei ist dies eine entscheidende Stellschraube. Inzwischen erarbeitete ToolPicker-Software kann hier eine große Hilfe sein und wird hoffentlich verstärkt angenommen.

Zu einer vollständigen Betrachtung eines Produktes gehört eben nicht nur der Anschaffungspreis, sondern auch, mit welchem Aufwand es wie lange zu nutzen ist, und natürlich auch, wie es am Ende mit Entsorgung und Recycling aussieht. Also bringt Hessen bei seiner öffentlichen Beschaffung Wirtschaftlichkeitsgrundsätze und Wirtschaftlichkeitsberechnung auf den Lebenszyklus zusammen – ich denke, das ist einen Applaus wert.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Zur Nachhaltigkeit trägt auch das im Juni 2009 gestartete Projekt CO2-neutrale Landesverwaltung bei, welches in der Verantwortung des Finanzministeriums liegt, wobei Hessen – auch das möchte ich anmerken – bundesweit wieder einmal die Vorreiterrolle einnimmt.

(Beifall der Abg. Holger Bellino und Judith Lannert (CDU))

Mit der schrittweisen Erfassung von CO2-Emissionen in CO2-Bilanzen und der Umsetzung in Energieeffizienzstandards bei staatlichen Neubaumaßnahmen und bei landeseigenen Bestandsgebäuden sowie der Einhaltung von CO2Standards bei der Beschaffung soll das Ziel einer CO2-neutralen Landesverwaltung im Jahr 2030 erreicht sein.

Die nachhaltige Beschaffung ist geboten, und sie liegt nicht nur bei privaten Verbrauchern im Trend. Sie ist längst keine schwarz-grüne Spielwiese, vielmehr ist sie nach meiner Auffassung eine Chance für mittelständische Betriebe, die mit dem Abgrenzungskriterium „Nachhaltigkeit“ bei öffentlichen Aufträgen zum Zuge kommen, weil es ihnen allein über den Preis oft genug nicht gelingt. Die nachhaltige Beschaffung schafft zudem Mengeneffekte, welche die Marktfähigkeit innovativer nachhaltiger Produkte stärkt.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich zum Schluss kommen und der Landesregierung für die aufschlussreiche Beantwortung unserer Großen Anfrage herzlich danken und ihr in dieser Sache einen nachhaltigen Erfolg wünschen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Landau. – Wenn Sie nicht möchten, dass wir mit der Debatte enden, bitte ich Sie um Wortmeldung. – Da kommt schon eine von der FDP-Fraktion.

(Zurufe)

Herr Landtagspräsident Kartmann sagte eben, hier sei im Grunde alles wie im Stadtparlament oder im Kreistag. Herr Rudolph fehlt, der ist sonst immer bei mir.

(Günter Rudolph (SPD): Ich bin hier! – Weitere Zurufe)

Das stimmt. Wir kennen uns schon sehr lange, und ich bin da einiges gewohnt. Es kann also nicht so schlimm werden.

(Heiterkeit)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind der schwarz-grünen Koalition ausdrücklich dankbar für diese Große Anfrage, weil sie eben gut aufzeigt, welche bürokratischen Hürden die Koalition nach der Regierungsübernahme im Jahr 2014 für kleine und mittelständische Unternehmen sowie für die Kommunen eingeführt hat.

(Zuruf)

Es geht weiter wie zu Hause. – Die Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. das Beschaffungswesen soll eigentlich dafür sorgen, dass mit Steuergeldern sparsam gewirtschaftet wird. Es ist eigentlich ein Steuerzahlerschutzgesetz, das Korruption verhindern und die Beschaffung der öffentlichen Hand transparent machen soll.

Mit dem hessischen Gesetz aber werden diese Grundsätze über den Haufen geworfen. Es verlangt Nachweise in Textform für alles Mögliche, auch für Dinge, die gerade Kleinunternehmen, die selbst Produkte zukaufen, gar nicht gewährleisten können, weil die Lieferketten für diese Unternehmen oft selbst nicht beeinflussbar sind.

Auch wenn ich damals noch nicht dem Hessischen Landtag angehört habe, darf ich daran erinnern, wie die Kommunen und Verbände in der Anhörung Sturm gegen das Gesetz gelaufen sind, bei dem die GRÜNEN ihre Vorstellungen 1 : 1 durchgesetzt haben.

(Beifall bei der FDP)

Die Stadt Wiesbaden sagte damals, hier würde eine Fülle neuer Anforderungen sowohl an die Unternehmen als auch an die öffentlichen Auftraggeber eingeführt, die für das Vergabeverfahren einen erheblichen zusätzlichen Aufwand verursachen. Der Hessische Landkreistag bemerkte, für die Auftraggeber würden unter anderem umfangreiche zusätzliche Prüfungs- und Nachprüfungspflichten geschaffen, die die kommunalen Vergabestellen in erheblichem Maße belasten könnten. Aber auch der Bund der Steuerzahler sah eine Behinderung der Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Wirtschaft und die IHKs befürchteten, dass sich viele kleine und mittelständische Unternehmen gar nicht mehr an Ausschreibungen beteiligen würden, was am Ende zu einer Verteuerung öffentlicher Aufträge insgesamt führen würde, weil der Wettbewerb ausbliebe.

Sie merken: Zusätzlicher Aufwand, Belastung der Kommunen, Verteuerungen – besten Dank, verehrte Landesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Nachdem das Gesetz von den GRÜNEN forciert wurde und die CDU nur um Schadensbegrenzung bemüht war, wundert man sich nun schon, dass eine Große Anfrage der Koalition vorliegt, die sich ausgiebig mit den vielen bürokratischen, vergabefremden Kriterien auseinandersetzt,

aber an keiner Stelle die Frage nach Kosten oder anderen Folgen dieser Änderung im Beschaffungswesen stellt.

Dabei wäre es doch nach knapp drei Jahren Gültigkeit langsam an der Zeit, sich einmal mit den Wirkungen des Vergabegesetzes und des Projekts „Nachhaltige Beschaffung“ zu beschäftigen. Man muss doch auch einmal fragen, welche Auswirkungen auf die Kosten von Beschaffungen entstanden sind, wie hoch die zusätzlichen Kosten für Bürokratie in den Kommunen sind und wie sich die Beteiligung von kleinen und mittelständischen Unternehmen entwickelt hat. Wir vermuten, dass die Hürden sehr leicht von großen Unternehmen gemeistert werden, die sich um Aufträge bemühen, aber eben nicht von den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Deshalb halten wir die hier beschrittene Entwicklung auch für mittelstandsfeindlich.

Wenn man sich einmal den „Leitfaden zur nachhaltigen Beschaffung von Bürobedarf“ anschaut – ich habe das getan –, der als Anlage 2 der Antwort auf die Große Anfrage beigefügt wurde, dann fühlt man sich auch in dieser Kritik bestätigt. Ich nenne ein paar Beispiele, die mich durchaus haben staunen lassen: Unter Punkt 3.2.2 geht es um die speziellen Anforderungen für den Kauf von Ordnern. Dort gibt es z. B. die Anforderung einer Metallkantenverstärkung; das gilt nicht für Standardordner. Bei breiten Ordnern sind sogenannte Raumsparschlitze notwendig, der Kunststoffanteil von Registratursystemen darf nicht über 1 % liegen, und es muss natürlich 100 % Altpapier verwendet werden, aber da gibt es eine 7-prozentige Toleranz. – Das alles klingt verrückt, aber es ist anscheinend ernst gemeint. Und das waren nur drei von sechs Kriterien, die erfüllt werden müssen.

Ein weiteres Beispiel. Ein Marker oder ein Filzstift muss insgesamt acht Kriterien erfüllen. Vor allem muss er einen Austrocknungsschutz nach ISO 554 oder vergleichbar haben.

Meine Damen und Herren, wir finden, in der Regel sollte solch ein Stift vor allem einen Deckel haben. Wenn man den draufmacht, trocknet der Stift nicht aus.

(Beifall bei der FDP)

Das hat aber nichts mit Nachhaltigkeitsleitlinien zu tun, sondern in dem Fall nur mit gesundem Menschenverstand.

Über eine weitere Tatsache in dem Leitfaden war ich schon erstaunt, und zwar gab es bei der Gesetzgebung zum Vergabegesetz eine intensive Debatte über die Anwendung der sogenannten ILO-Kernarbeitsnormen. Am Ende war die Mehrheit überzeugt, dass dies im hessischen Vergabegesetz keine Anwendung findet, weil es Unternehmen und Kommunen schwerfallen dürfte, die komplette Lieferkette bis in Entwicklungsländer zu verfolgen und dafür geradezustehen.

Über den Leitfaden für nachhaltige Beschaffung werden aber genau diese ILO-Kernarbeitsnormen durch die Hintertür wieder eingeführt. Die Zulieferer müssen nun schriftlich bestätigen, dass bei der Herstellung ihrer Waren keine Zwangsarbeit zur Anwendung kam, dass die Arbeitnehmer dem Recht unterlagen, sich Gewerkschaften anzuschließen, dass keinerlei Diskriminierung und keine Kinderarbeit vorlagen. – Das alles sind Anliegen, die nachvollziehbar sind, und in Europa gibt es dazu zum Glück auch Konsens. Aber deswegen muss ich trotzdem feststellen, dass es für ein mittelständisches und kleines Unternehmen, das als Zwi

schenhändler auftritt und in der Regel die Dinge nicht selbst importiert, schwierig ist, das alles zu überprüfen.

(Beifall bei der FDP)

Wie soll ein Kleinunternehmer eine solche Erklärung guten Gewissens unterzeichnen? Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Er unterzeichnet, ohne zu wissen, was in der Lieferkette seiner Produkte bis ins hinterletzte chinesische Dorf los war, oder er unterzeichnet es ehrlicherweise nicht und ist damit aus den öffentlichen Vergaben heraus.

Das ist kein absurdes Beispiel, sondern in jedem Handy, in jedem Tablet, in jedem Elektroauto sind heute Materialien wie seltene Erden verbaut, die unter schlimmen Bedingungen in Ländern wie dem Kongo oder China abgebaut werden. Aber das kann kein Händler unterschreiben.

(Beifall bei der FDP)

Nachhaltigkeit heißt aus unserer Sicht auch immer finanzielle Nachhaltigkeit. Es ist zu einseitig, immer nur das ökologische Gewissen beruhigen zu wollen und dabei die Ziele Mittelstandsförderung und Kostenersparnis aus den Augen zu verlieren. In unseren Behörden sitzen zum Großteil erfahrene Mitarbeiter, die in der Lage sind, ohne die 40 Seiten Belehrung der Landesregierung nachhaltig zu handeln, die mit gesundem Menschenverstand ökologisch und ökonomisch sinnvolle Entscheidungen treffen können. Das Misstrauen, das aus solchen grünen Projekten sprießt, ist in jedem Fall eher kontraproduktiv als hilfreich.

(Beifall bei der FDP)