Protokoll der Sitzung vom 24.11.2017

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das passt thematisch ganz gut, denn ohne Schulabschluss ist es im Nachgang auch mit der Ausbildung schwierig. Deswegen freue ich mich darüber, hierzu reden zu dürfen. Ich will zwei Vorbemerkungen machen.

Herr Kollege Schwarz hatte vorhin, glaube ich, meine Kritik an der Landesregierung als Kritik an den Lehrkräften und Schulen missverstanden. Das war ausdrücklich nicht so gemeint, Herr Kollege Schwarz. Deswegen will ich zu diesem Punkt deutlich sagen, dass ich die Antwort des Ministers auf die Frage 23 ausdrücklich teile, nämlich den Satz:

Die beruflichen Schulen haben seit der Einführung der Intensivklassen an beruflichen Schulen Großartiges geleistet.

Das unterstreiche ich ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich ergänze das allerdings um den Nachsatz: im Rahmen ihrer Möglichkeiten und der zur Verfügung gestellten Ressourcen. Denn darum geht es in dieser Großen Anfrage.

Ich will eine zweite Vorbemerkung machen. Natürlich sind die Sprachförderung und gerade das Erlernen der deutschen Sprache ganz wesentlich für den weiteren Bildungserfolg und für die Integration überhaupt. Das ist gar keine Frage. Allerdings will ich auch deutlich machen, dass nicht nur die Sprachförderung wesentlich ist für die Integration; es ist genauso notwendig, dass die politische Bildung, das Zurechtfinden mit Alltagsregeln eine Rolle spielen, genauso wie der Schwimmunterricht, um es an einem praktischen Beispiel deutlich zu machen, der leider in der Antwort auf die Frage 30 in Bezug auf die beruflichen Schulen als „nicht gewährleistet“ beschrieben wird.

Ich sage aber noch einmal für alle, die sich mit InteA nicht so gut auskennen: Der Begriff ist meines Wissens erstmals 2015 geprägt worden und stand damals, wenn ich mir die Mitteilung des Kultusministeriums vom Mai 2015 richtig anschaue, für: „Mit Integration und Abschluss zum (beruf- lichen) Erfolg“. Das ist auch ganz richtig, weil es erst mit dem Abschluss auch späterhin klappt. Irgendwann gab es wohl – Herr Minister, vielleicht können Sie das noch einmal erläutern – eine Änderung, die nicht so öffentlichkeitswirksam inszeniert wurde wie der Start von InteA; inzwischen heißt das Ganze nicht mehr „Integration und Abschluss“, sondern: „Integration durch Anschluss und Abschluss“.

In der Antwort auf die Frage 65 erläutert der Minister auch deutlich, dass das ganze Programm jetzt viel mehr anschluss- als abschlussbezogen sei. Daher frage ich mich: Woher kommt das? – Ich habe eine Vermutung, und diese hat etwas mit der mündlichen Frage zu tun, die Kollege Frankenberger im September-Plenum gestellt hat. Damals ging es um die Frage: Wie viele der Schülerinnen und Schüler in InteA haben zum letzten Sommer einen Hauptschulabschluss erreicht? – Dazu lautete die Antwort, es seien 422. Herr Kollege Frankenberger hat aber auch – ihm wurde zugesichert, die Antwort werde nachgereicht, bisher ist sie aber nicht eingetroffen –

(Günter Rudolph (SPD): Was? Herr Lorz!)

nach der Durchfallquote gefragt, d. h., es wurde gefragt: Wie viele haben es denn nicht geschafft? – Das wäre ein ganz wichtiger Punkt, um zu bewerten, wie erfolgreich InteA ist.

Nun habe ich hierzu in der Antwort auf die Große Anfrage etwas gefunden. In der Antwort auf die Frage 79 schreibt der Minister, er habe zum Zeitpunkt der Beantwortung damit gerechnet, dass im Sommer 2017 2.200 Schülerinnen und Schüler InteA verlassen. Jetzt liegt meine Schulzeit ein bisschen zurück, aber die Rechnung 2.200 minus 422 bekomme ich noch hin; das sind 1.778. Herr Minister, ich bitte um Aufklärung, was aus diesen Schülerinnen und Schülern geworden ist. Welche Möglichkeiten erhalten diese, einen Schulabschluss zu machen? Welche Perspektiven haben diese jungen Leute für ihre Zukunft?

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beifall, SPD!)

Vielleicht springen die GRÜNEN ja ein.

(Günter Rudolph (SPD): Das glaube ich nicht! Einfach weitermachen; es war alles gut und richtig!)

Ich will einmal zu den Lernbedingungen kommen und mich weiterhin auf die Große Anfrage beziehen. Ich komme zur Frage 6. Auch dort geht es um Lernbedingungen. – Herr Kollege May ist auch wieder im Saal; das freut mich, lieber Daniel

(Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin nur wegen dir gekommen!)

das ist gut –, weil Sie, Herr Kollege May, vorhin in Bezug auf die Belastungen sehr deutlich hervorgehoben haben, wie sich in den letzten Jahren die Klassengrößen verbessert hätten. Das ist im Schnitt so; das will ich insgesamt gar nicht infrage stellen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Herr Kollege May, aber was sagen Sie denn dazu – es ist ja nur wieder ein statistisches Mittel, das Sie genannt haben –, dass sich die Klassengröße bei InteA vom September 2015 von 11,5 bis April 2017 auf 17,4 erhöht hat? Das ist ein deutlicher Zuwachs; und das sind sicherlich keine besseren Lernbedingungen.

(Beifall bei der SPD)

Dort geht es wirklich um Integration. Wir wissen alle, es sind nicht nur Lehrkräfte gefragt, dazu braucht es auch Sozialpädagogen. In Hessen ist es so, dass es gerade mal – – Aber vielleicht weiß das jemand: Wie viele Sozialpädagogen gibt es denn pro Klasse? Weiß das jemand?

(Günter Rudolph (SPD): Mit den Zahlen hat es die Landesregierung nicht so!)

Es gibt ganze 0,2 Stellen pro InteA-Klasse, aber nur theoretisch, wenn man die Leute hat. Auch das ist recht dürftig. In Hamburg sind es übrigens 0,5. Jetzt kann ich mir vorstellen, wenn ich sage, ich forderte mehr Sozialpädagogen und überhaupt kleinere Klassengrößen, dann werden Sie, Herr Kollege Wagner, wieder sagen, die SPD müsse auch erklären, woher sie das nehmen will. Sie haben sicherlich auch den Haushaltsplan gelesen oder sich informieren lassen, was dazu in der kursorischen Lesung diskutiert wurde. Wir haben gerade im Produkt der Migrantenförderung Hunderte Stellen, die in diesem Jahr gar nicht in Anspruch genommen wurden. Das heißt, Stellen bzw. Personal sind ausreichend da; das hätte man nutzen können, um die Lernbedingungen deutlich zu verbessern, damit mehr junge Leute einen Abschluss machen können.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ich fand in Bezug auf die Klassengröße Ihren Hinweis auf die Hattie-Studie nicht wirklich angemessen. Die Hattie-Studie ist eine statistische Studie, die Umfragen ausgewertet hat, und hat sich in ihrer Bewertung sicherlich nicht auf Flüchtlingsklassen bezogen. Wenn Sie sagen – und das steht so in der Antwort drin –, dass die Klassengröße einen relativ geringen Einfluss auf die Lernleistung hätte, dann wage ich das in diesem Falle wirklich zu bezweifeln; und dies ist eine Antwort, die mich eher traurig stimmt. Wir reden hier von jungen Geflüchteten, die oftmals traumatisiert sind, die unter dem Verlust oder der Trennung von Eltern und Familienangehörigen leiden, die kaum ein Wort Deutsch sprechen und dazu noch unterschiedliche Muttersprachen sprechen. Wir haben sehr heterogene Lernvoraussetzungen, daher glaube ich schon, dass die Klassengröße ein wesentlicher Schlüssel dafür ist, um gute Lernvoraussetzungen zu schaffen.

Ich will, wenn ich über die Belastungen rede, ohnehin gar nicht von der Gefahr der drohenden Abschiebung in Krisen- und Kriegsregionen sprechen. Ich habe mich selbst mit solchen InteA-Schülerinnen und -schülern unterhalten. Das ist für die schon ziemlich schwierig, wenn sie sich zum einen auf das Lernen konzentrieren sollen und zum anderen solch einen Brief bekommen. Damit kann man das Lernen von jungen Leuten auch torpedieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ein anderes Problem ist natürlich der Lehrermangel. Auch diesen gibt es nicht nur an Grund- und Förderschulen, den gibt es genauso in InteA-Klassen und überhaupt an beruflichen Schulen. Eine Schule in Wiesbaden hat hierzu gesagt, die Stundenplangestaltung für das aktuelle Schuljahr sei

sehr schwierig, Lehrerinnen und Lehrer fehlten, von DaZLehrkräften ganz zu schweigen. Das sind die Rahmenbedingungen an den Schulen. Ich muss an dieser Stelle kurz darauf hinweisen – denn es wird immer gefragt, welche Konzepte die SPD hat –: Wir haben hier schon vor drei Jahren einen Antrag eingebracht, um das Modul Deutsch als Zweitsprache für die Lehrerausbildung verpflichtend zu machen. Das wurde damals als unnötig abgelehnt. Meine Damen und Herren, wären Sie damals unserem Vorschlag gefolgt, stünden wir heute besser da.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich schon bei Konzepten bin, will ich auch darauf hinweisen, dass wir in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, um das Schulbesuchsrecht für Geflüchtete, für Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger, die oftmals gebrochene Bildungsbiografien haben, auf 27 Jahre zu erhöhen, damit sie eben die schulischen Bildungschancen erhalten, die ihnen versagt werden. Meine Damen und Herren, wir haben Konzepte vorgelegt, aber die Mehrheit in diesem Haus hat sie abgelehnt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir bleiben bei unserer Forderung nach einer Erhöhung der Schulbesuchsdauer für die Seiteneinsteigerinnen und einsteiger. Ich will das noch ergänzen: Junge Menschen benötigen zum Lernen einen gesicherten Status und vor allem eine realistische Perspektive in unserem Land. Wir müssen diese jungen Leute fördern, in der Sprache, aber eben nicht nur, und das muss über die Dauer von zwei Jahren hinausgehen. Mit einer erweiterten sozialpädagogischen und schulpsychologischen Begleitung müssen diese Maßnahmen verknüpft sein; auf die Stellen hierfür bin ich schon eingegangen. Wir müssen endlich die Lehrerausbildung anpassen. Neben Deutsch als Zweitsprache betrifft das genauso den sprachsensiblen Fachunterricht; denn das ist kein Phänomen, das wir nur an den beruflichen Schulen in InteA haben, das wird uns angesichts der hohen Mobilität der Menschen zukünftig noch viel mehr beschäftigen. Es ist egal, ob Schüler bei uns sind, die aus fernen Ländern oder aus dem EU-Ausland kommen und daher andere Sprachen sprechen. Sie müssen die Lehrerausbildung endlich anpassen und dafür sorgen, dass die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Ausbildung hierfür mehr Zeit haben.

(Beifall bei der SPD)

Zwei Punkte noch. Wir müssen die Frage des externen Hauptschulabschlusses überprüfen. Auch das macht Hamburg anders. Man sollte nach dem Besuch von InteA an der beruflichen Schule nicht extern, unter gesonderten Bedingungen einen Abschluss ablegen müssen, sondern dies sollte im Rahmen der Prüfungen an der beruflichen Schule möglich sein.

Allerletzter Punkt. Es ist notwendig, dass InteA auch einmal ordentlich evaluiert wird. Auf unsere Fragen wird nur auf Deutsche Sprachdiplome verwiesen. Das halte ich für etwas dürftig. Ich fordere eine echte Evaluation dieses Programms. So können wir zu „Integration und Abschluss“ zurückkommen und nicht nur zum Anschluss.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Greilich für die FDPFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vorbemerkung des Kultusministers zu der Beantwortung der Großen Anfrage ist davon die Rede, dass die Hessische Landesregierung das schulische Gesamtsprachförderkonzept zur durchgängigen Sprachförderung um InteA vorausschauend erweitert hat. Dann heißt es weiter:

Dabei gewährt die Landesregierung den … beruflichen Schulen … in der Umsetzung von InteA einen höchstmöglichen Grad an Flexibilität und bietet gleichzeitig zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten an.

Meine Damen und Herren, schön wärs. Das ist in der Tat Selbstbeweihräucherung. Nichts davon ist zutreffend.

(Beifall bei der FDP)

Von vorausschauendem Handeln konnte bei der Beschulung von Seiteneinsteigern kaum die Rede sein. Vor zweieinhalb Jahren – ich habe das einmal herausgesucht – haben wir in unserer Pressemitteilung vom 19. Mai 2015 zutreffend darauf hingewiesen:

InteA bringt nichts Neues und vor allem nicht die dringend notwendige Förderung von jungen Flüchtlingen bis 21 Jahre.

Herr Kollege Degen hat die Forderung nach 27 Jahren aufgegriffen. Wir hätten uns da sicherlich verständigen können. Dass mit 18 Jahren nicht Schluss sein darf, das ist eindeutig.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es heißt dann in unserer Pressemitteilung weiter:

Sämtliche Maßnahmen, die jetzt vollmundig als neues Programm verkauft werden, wurden schon von Kultusministerin … Beer entwickelt und mit ihrem Staatssekretär Lorz als Modellversuch an drei Schulen gestartet. Das einzig Bemerkenswerte daran ist, dass die Landesregierung, wie vorgesehen, diese Modellversuche nach einem Jahr jetzt auf ganz Hessen ausdehnt.

Das war im Mai 2015. Das ist InteA.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist vielerorts, Herr Kollege Degen hat auch schon zutreffend darauf hingewiesen, allein den handelnden Lehrkräften und Schulleitungen zu verdanken, dass die Kinder und Jugendlichen schnellstmöglich in den Schulen aufgenommen wurden und man nicht an kreativen Ideen sparte. Bedauerlicherweise – das ist die Rückmeldung, die man aus den Schulen bekommt – vermisst man diesen Ideenreichtum und diesen Tatendrang beim Kultusministerium.