Protokoll der Sitzung vom 12.12.2017

Die Caritas hat bemängelt, dass der Sozialbericht zwar mehr als 300 Seiten über Armut enthalte, aber nur drei Seiten über Reichtum, auch weil es kaum Daten dazu gibt. Ich finde, alleine das wäre schon ein guter Grund für die Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Wir schlagen ein hessisches Programm gegen Kinderarmut vor und als erste Maßnahme die vollständige Abschaffung der Kitagebühren.

(Beifall bei der LINKEN)

Und Gebührenfreiheit heißt für uns Gebührenfreiheit: Wer sein Kind in einer Kita betreuen lässt, muss dafür nichts zahlen. Die Landesregierung hat die Eltern bei den Gebühren entlastet, abgeschafft hat sie sie aber nicht. Denn gebührenfrei ist nur die Betreuung der über Dreijährigen, und das auch nur sechs Stunden am Tag. Wer sein Kind länger betreuen lassen will, muss selbst bezahlen, wenn die Kommunen nicht noch Geld drauflegen. Für die unter Dreijährigen bleiben die Gebühren – in einigen Städten bis zu 700 € monatlich. Wir hingegen wollen Gebührenfreiheit für alle Kinder, und zwar finanziert vom Land und nicht abgewälzt auf die Kommunen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Schülerbeförderung muss natürlich für jedes Kind kostenfrei sein. Die Landesregierung hat das 365€-Ticket für Schülerinnen und Schüler eingeführt. Das ist für viele ein Fortschritt, aber es ist immer noch zu teuer. Vor allem schafft es neue Ungerechtigkeiten. Denn nur wer weiter als 2 bzw. 3 km von seiner Schule entfernt wohnt, bekommt die Kosten für das Ticket erstattet und kann damit dann auch in seiner Freizeit durch ganz Hessen fahren. Wer näher an der Schule wohnt, muss es selber bezahlen oder eben darauf verzichten. – Das ist ungerecht, Herr Minister. Ich finde, das muss geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Arme Kinder sind die Kinder armer Eltern. Deshalb müssen Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung bekämpft werden. Hessen könnte bei der Vergabe einen Landesmindestlohn einführen. Hessen könnte sich für gute Arbeit einsetzen, z. B. in der Pflege Personalmindeststandards einführen und bei Busfahrern auf die Einhaltung von Pausenzeiten drängen, statt den Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten weiter anzuheizen.

All das könnte man tun. Wir erwarten, dass sich die Landesregierung vor die Beschäftigten stellt und deutlich macht: Wir wollen gute Löhne und gute Arbeit in Hessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch das Sozialbudget bleibt weit hinter dem zurück, was nötig wäre. Weniger als 3 % der Mehreinnahmen im Haushalt wollen Sie für Soziales ausgeben. Hier bräuchte es ganz andere Größenordnungen.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt – darüber ist schon gesprochen worden – ist vielerorts dramatisch, besonders für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, für Familien, für Studierende. Sie werden zunehmend aus den Innenstädten verdrängt, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, die oft über die Hälfte des Monats

einkommens ausmachen. Auch dagegen muss dringend etwas getan werden.

Ich möchte Ihnen die Dimension des Problems noch einmal vor Augen führen: Seit 1991 hat sich der Bestand von Sozialwohnungen in Hessen mehr als halbiert. Von 205.000 Sozialwohnungen Anfang der Neunzigerjahre sind heute gerade einmal 93.000 übrig. Jahr für Jahr fallen mehr Sozialwohnungen aus der Bindung, als neue geschaffen werden. Allein in den Jahren 2015 und 2016 waren es fast 20.000.

Für 45.000 registrierte Familien in Hessen fehlt eine Sozialwohnung. Die Zahl der Anspruchsberechtigten liegt allerdings um einiges höher.

Die bisherigen Förderprogramme haben aber noch nicht einmal ausgereicht, um die Sozialwohnungen auszugleichen, die aktuell aus der Sozialbindung fallen. Die Wohnraumbedarfsanalyse hat einen zusätzlichen Wohnungsbedarf von 517.000 Wohnungen bis zum Jahr 2040 ergeben. Das heißt, dass jedes Jahr 20.000 neue Wohneinheiten entstehen müssten.

Die Wohnungsnot ist also schon lange Realität an vielen Orten, nicht weil die Zahl der Flüchtlinge gestiegen ist, sondern weil Bund und Länder den sozialen Wohnungsbau faktisch ad acta gelegt haben und stattdessen den Erwerb von Eigentumswohnungen gefördert haben, den sich ein Großteil der Mieter aber überhaupt nicht leisten kann.

Herr Ministerpräsident, Sie schmücken sich mit Programmen, die größtenteils vom Bund und von den Kommunen finanziert werden und nur zu einem geringeren Teil vom Land. Dann loben Sie sich dafür, dass mehr gebaut wird.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Ja, Sie bauen mehr, aber bei Weitem nicht so viel, wie es notwendig ist. Das ist so, als würden Sie einem Ertrinkenden, der mit dem Kopf unter Wasser ist, erklären, dass sich über ihm nur noch 4 statt 5 m Wasser befinden. Dann hat er deshalb immer noch keine Luft zum Atmen. Herr Ministerpräsident, deshalb reicht nicht aus, was die Landesregierung hier tut. Wir brauchen ein ambitioniertes Bauprogramm. Dafür muss das Land auch mehr finanzielle Mittel in die Hand nehmen.

(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Und seine Grundstücke zur Verfügung stellen! – Ministerpräsident Volker Bouffier: Sie wollen sie enteignen!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben „enteignen“ dazwischengerufen. Ich wäre schon froh, wenn Sie die landeseigenen Grundstücke nutzen würden, um damit sinnvolle Dinge zu tun. Diese Grundstücke sollten zur Verfügung gestellt werden, damit endlich mehr Wohnungen gebaut werden. Fangen Sie doch bei sich selbst an, bevor Sie „enteignen“ dazwischenrufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine vernünftige Wohnungspolitik braucht eine langfristige und nachhaltige Finanzierung statt kurzfristig und viel zu niedrig angesetzter Programme. Wir haben in den Haushaltsberatungen immer wieder beantragt, jährlich 10.000 neue Wohnungen zu schaffen; denn Wohnen ist ein Menschenrecht. Die Versorgung der Menschen mit Wohnraum ist zu wichtig, um sie dem Markt zu überlassen. In Städten wie Frankfurt sehen wir doch, wohin das führt.

Es entsteht immer mehr hochpreisiger Wohnraum. Es entstehen immer neue Büroräume. Gleichzeitig gibt es einen Leerstand von 1,5 Millionen m2 Bürofläche. Trotzdem werden weitere Türme gebaut.

Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim, also in dem Stadtteil von Frankfurt, in dem ich lebe, wird gerade ein Denkmal errichtet, nämlich ein 140 m hohes Denkmal für das Versagen hessischer und Frankfurter Wohnungspolitik. Wo bis vor Kurzem der AfE-Turm der Frankfurter Universität stand, entsteht ein Hochhausungetüm namens „One Forty West“.

Frau Wissler, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ich möchte zunächst einmal ausführen. Vielleicht im Anschluss.

Da entsteht ein Hochhausungetüm namens „One Forty West“. In den unteren Etagen des neuen Turms entsteht ein 4-Sterne-Hotel, obendrüber Mietwohnungen mit einem Mietpreis von bis zu 32 € pro Quadratmeter, in den oberen Etagen Eigentumswohnungen. Im gesamten Areal entsteht keine einzige öffentlich geförderte Wohnung, aber das eine oder andere Bürogebäude.

Ich will Ihnen einmal einen Vergleich sagen. Im Jahr 2016 plante die Stadt Frankfurt gerade einmal 88 neue Sozialwohnungen. Allein in diesem Turm entstehen 187 Luxuswohnungen, die sich kein normaler Mensch leisten kann. Aber für diejenigen, die es sich leisten können, gibt es dort einen Weinkeller, einen 24-Stunden-Concierge-Service und einen Hundewaschplatz, damit die Hunde nach dem Spaziergang sauber gemacht werden können und nicht das teure Appartement verschmutzen. Wo jahrelang Marx und Adorno gelehrt wurden, entsteht jetzt also ein Hundewaschplatz für Reiche und ihre Vierbeiner. Auch das halte ich persönlich für schwer aushaltbar.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Ministerpräsi- denten Volker Bouffier)

Das Schlimmste daran ist, dass das Grundstücke waren, die zuvor in öffentlicher Hand waren. Das ehemalige Universitätsgelände hat nämlich bis vor einigen Jahren dem Land Hessen gehört. Damals waren wir die einzige Fraktion im Landtag, die gegen den Verkauf gestimmt hat, weil wir uns schon dachten, dass nichts Gutes dabei herauskommt. Warum haben Sie denn nicht die Grundstücke genutzt, um dort Platz für sozialen Wohnungsbau zu schaffen? Das haben Sie nicht gemacht.

Ich sage Ihnen: Es ist falsch, die Schaffung von Wohnraum dem Markt zu überlassen, weil es der Markt eben nicht so regelt, dass am Ende alle eine bezahlbare Wohnung haben. Ganz im Gegenteil. Diese Luxuswohnungen sind zum Teil gar keine Wohnungen im Sinne von Unterkünften, sondern sie werden als Kapitalanlage angesehen. Sie stehen oft leer.

Während Eigentümer Gebäude leer stehen und verfallen lassen können, werden Hartz-IV-Bezieher zum Umzug gezwungen, weil ihre Wohnung ein paar Quadratmeter zu groß ist. Es kann doch nicht sein, dass man an dieser Stelle wegschaut, während sich Leerstand immer weiter vergrö

ßert. Deswegen müssen wir Möglichkeiten schaffen, damit die Kommunen angemessen gegen Leerstand vorgehen können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es darf doch nicht sein, dass die einen mit Wohnraum spekulieren, während andere die Miete kaum noch zahlen können oder überhaupt kein Dach über dem Kopf haben. Deshalb unterstützen wir Initiativen wie „Stadt für alle“ oder „Project Shelter“. Die Frage ist doch, wem die Stadt gehört. Es ist höchste Zeit, die derzeitigen Eigentumsverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt zu hinterfragen und zu verändern. Hessen braucht eine Wohnungsbauoffensive, die einen solchen Namen verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem reichen Land wie Hessen darf man eine Schule nicht daran erkennen, dass sie das marodeste Gebäude des ganzen Stadtteils ist. Gestern haben in Kassel 1.000 Schülerinnen und Schüler gegen den schlechten Zustand vieler Schulgebäude und gegen Lehrermangel demonstriert. Aufgerufen zu diesem Schulstreik haben das Bündnis „Unsere Zukunft erkämpfen“, der Stadtschülerrat und die GEW. Im Aufruf heißt es: „Es fehlen für Sanierung und Modernisierung ca. 144 Millionen €, wir müssen immer mehr Materialien selbst bezahlen, und viele … Unterrichtsmaterialien fehlen.“ Viele Kasseler Schulen seien marode, einige Klassenzimmer seien verschimmelt, in andere regne es rein.

Diese Probleme haben wir nicht nur in Kassel, sondern an vielen Orten in Hessen. Vor einigen Jahren wurden in Mittelhessen zwei Schulen wegen akuter Einsturzgefahr geschlossen. In Fechenheim wurde eine Turnhalle zeitweise wegen Einsturzgefahr geschlossen, nämlich immer dann, wenn es stark regnete oder schneite.

Herr Ministerpräsident, schauen Sie sich doch einmal die Holzhausenschule in Frankfurt an, eine Grundschule. Dort wurden Toilettencontainer aufgestellt, weil die Toiletten quasi nicht benutzbar sind. Die ganze Schule ist marode. Risse bilden sich in den Wänden. Ein Statiker kam zu dem Ergebnis, dass das Schulhaus Statikprobleme habe und dringend saniert werden müsse.

Die Turnhalle ist bereits gesperrt, weil Schimmel die Gesundheit der Kinder gefährdet. Die Schulleiterin sagt: Schimmelsporen fliegen durch die Luft. In der Halle wachsen richtige Pilze.

Meine Damen und Herren, in dieser Sporthalle kann man vielleicht praktischen Biologieunterricht machen zur Erforschung von Feuchtbiotopen, aber Sport findet nun im Park, im Musikraum oder auf dem Schulhof statt. Auf dem Schulhof ist aber kaum Platz, da dort die Container stehen. Im Winter müssen die Grundschülerinnen und -schüler mit Bussen quer durch die Stadt zum Sportunterricht transportiert werden, damit sie überhaupt Sport machen können. Hier muss endlich gehandelt werden, statt die Probleme systematisch kleinzureden.

(Beifall bei der LINKEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: Frau Wissler, wir sind uns doch einig, dass das nichts mit dem Land zu tun hat! Schulträger ist die Stadt Frankfurt! Die können das doch machen!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben gerade dazwischengerufen, dass das Land gar nicht dafür verantwortlich sei.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Die Stadt Frank- furt! Das ist unbestritten!)

Erstens ist das Land seiner Aufgabe, die Kommunen bedarfsgerecht auszustatten, überhaupt nicht nachgekommen. Sie haben Mittel der Kommunen gekürzt. Da können Sie doch jetzt nicht sagen, dass das die Stadt Frankfurt selbst machen soll.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Ministerpräsi- denten Volker Bouffier)

Ich gebe Ihnen an einer Stelle recht, Herr Ministerpräsident. Nicht nur Hessen wird schlecht regiert. Frankfurt wird auch schlecht regiert. Da haben Sie vollkommen recht.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Sie wollen doch OB werden!)

Natürlich ist es möglich, dass das Land die Kommunen bei der Sanierung von Schulen unterstützt. Selbstverständlich ist das möglich. Angesichts der Finanzausstattung vieler Kommunen ist das auch dringend notwendig.