Protokoll der Sitzung vom 13.12.2017

Ich finde, dass man durchaus einer Regierung angehören und trotzdem deutlich machen oder zumindest einräumen kann, dass in diesem Land nicht alles gut, schön und super ist. Vielmehr kann man doch auch einmal deutlich machen, dass es natürlich Probleme bei der Gerechtigkeit gibt.

Es ist interessant, welche Wirtschaftsdaten Sie genannt haben und welche Wirtschaftsdaten Sie nicht genannt haben. Sie haben beispielsweise kein Wort darüber verloren, dass es über 500.000 Niedriglöhner in Hessen gibt. Das habe ich mir nicht ausgedacht. Das steht im Sozialbericht des Sozialministers. Sie stellen sich jedoch hierhin und sagen: Hessen ist wirtschaftlich stark. Wir haben so viel sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wie noch nie zuvor. – Das haben Sie vorhin gesagt.

Ja, das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir über 500.000 Niedriglöhner haben und es sogar einige Leute gibt, die drei Jobs haben, weil einer nicht reicht.

(Michael Boddenberg (CDU): Das geht mir auch so! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich finde, das kann man als Wirtschaftsminister, der auch für das Thema Arbeitsplätze zuständig ist, auch einmal deutlich machen und sagen, dass es hier ein Problem gibt. Man kann sich doch nicht einfach nur darüber freuen, dass es mehr Arbeitsplätze gibt, sondern es geht doch auch um die Frage, welche Qualität diese Arbeitsplätze haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kann doch nicht wahr sein, dass Menschen den ganzen Tag lang arbeiten und am Ende des Monats nicht genug Geld haben, sodass sie zum Amt gehen und aufstockende Leistungen beantragen müssen. Kein Wort haben Sie darüber verloren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das meine ich mit dem Ausblenden der Realität.

Der Sozialbericht zeigt, dass jedes fünfte Kind in Hessen in Armut lebt. 40 % der Alleinerziehenden leben in Armut.

Natürlich wäre beim kostenfreien Schülerticket mehr möglich gewesen. Es ist doch nicht gerecht, dass diejenigen, die 2 oder 3 km von der Schule entfernt wohnen, ein kostenfreies, hessenweit gültiges Ticket bekommen, während die Schülerinnen und Schüler, die näher an der Schule wohnen, dieses Ticket nicht bekommen. Wenn an dieser Stelle keine soziale Komponente greift, ist das doch eine Ungerechtigkeit, insbesondere für Familien, die wenig Geld haben. Das wird man doch einmal ansprechen dürfen. Natürlich hätten Sie die Möglichkeit gehabt, das zu ändern, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch ein Allerletztes, weil man das so nicht stehen lassen kann. Herr Wagner hat es gestern auch gesagt. Herr Minister Al-Wazir, Sie haben es vorhin auch gesagt. Ihre Kenntnisse des Marxismus beschränken sich leider auf das Vortragen von Kalendersprüchen und reichen nicht darüber hinaus.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Manfred Pentz (CDU): Gott sei Dank!)

Für Sie gilt das Gleiche, Herr Pentz. Ihre Kenntnisse des Marxismus reichen wahrscheinlich noch nicht einmal dazu aus, um Kalendersprüche vortragen zu können.

Sie sprechen doch immer vom sinnerfassenden Lesen. Vielleicht sollten Sie sich einmal anschauen, was sonst noch in den Feuerbach-Thesen steht. Aber auch die Lektüre anderer Marxismus-Werke empfehle ich Ihnen. Jetzt ist ja Weihnachtspause. Da könnten Sie in sich gehen und ein bisschen Marx studieren.

(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD – Manfred Pentz (CDU): Oh Gott!)

Das würde einem Wirtschaftsminister auch einmal guttun. Da Sie die elfte Feuerbach-These zitiert haben, möchte ich Sie mit der dritten These konfrontieren:

Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefasst und rationell verstanden werden.

Wenn Sie sich also auf Marx beziehen und diesen auch noch gegen uns LINKE ins Feld führen, dann sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass Marx die Veränderung der Welt als eine revolutionäre kapitalismusüberwindende Sicht der Dinge angesehen hat. So sollte man laut Marx Gesellschaft verändern.

Herr Minister, daher sollten Sie sich über Weihnachten ein bisschen Zeit nehmen und Marx lesen, damit Sie hier nicht mit Kalendersprüchen kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das war die letzte Wortmeldung zum Einzelplan 07.

Bevor wir die Debatte fortsetzen, ziehe ich einmal kurz Zwischenbilanz der Redezeiten. Die CDU hat noch 30 Minuten und 34 Sekunden, die SPD 26 Minuten und 23 Sekunden, die GRÜNEN haben noch 28 Minuten und 35 Sekunden, DIE LINKE hat noch 21 Minuten und 52 Sekunden, die FDP hat noch 25 Minuten und 20 Sekunden, Frau Kollegin Öztürk hat noch 10 Minuten, und die Landesregierung hat noch 21 Minuten und 51 Sekunden. Es weiß also jeder Bescheid. Seht zu, dass ihr euch einig werdet.

Ich rufe

Einzelplan 08 – Hessisches Ministerium für Soziales und Integration –

auf. Erster Redner ist Kollege Gerhard Merz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem Frau Kollegin Wissler die dritte Feuerbach-These zitiert hat, was ich auch tun wollte, bleibt mir noch, den Anfang des 18. Brumaire zu zitieren, der sinngemäß lautet: Alle großen weltgeschichtlichen Ereignisse und Personen ereignen sich zweimal. – So sagt es Hegel. Er hat vergessen hinzuzufügen: einmal als Tragödie und einmal als Farce. – So viel zur Frage der Marx-Lektüre.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Jetzt zwei Vorbemerkungen eher ernsthafter Art. Meine Damen und Herren, dieser Doppelhaushalt ist der erste seit einigen Jahren, der nicht mehr unter dem Vorzeichen der Folgen der humanitären Krise steht, auch wenn die humanitäre Krise in vielen Ländern der Welt nach wie vor anhält. Wir kehren sozusagen haushaltsmäßig allmählich zur Normalität zurück. Das bedeutet natürlich auch eine erhebliche Entlastung des öffentlichen Haushalts und insbesondere des Einzelplans 08. Zwischen 2016 und 2019 summieren sich diese Einsparungen bzw. Minderausgaben auf insgesamt 1 Milliarde €. Ich will daran erinnern, dass diese Normalität auch erkauft worden ist durch die Abriegelung Europas und der Bundesrepublik gegen das weltweite Flüchtlingselend.

Darüber hinaus möchte ich darauf aufmerksam machen – ohne dass ich daraus einen Vorhalt mache –, dass auf den Seiten 146 und 148 des Landessozialberichts einerseits ein Rückgang der ehrenamtlichen Tätigkeit in Vereinen, Verbänden oder sozialen Diensten und andererseits ein Rückgang des Anteils der Personen, die sich mindestens einmal monatlich in Parteien, in der Kommunalpolitik oder in Bürgerinitiativen beteiligen, konstatiert wird. Hierbei liegt Hessen jeweils deutlich unter dem Bundes- und auch dem westdeutschen Durchschnitt. Zudem verläuft der Rückgang gegen den Bundes- und den westdeutschen Trend.

Angesichts der Tatsache, dass wir mit dem Einzelplan 08 über ein Feld menschlicher Tätigkeit reden, das weitgehend von ehrenamtlicher Tätigkeit geprägt ist, für die ich an dieser Stelle ausdrücklich Dank sagen will,

(Beifall bei der SPD)

ist das eine ziemlich besorgniserregende Entwicklung, der bei der Auswertung und weiteren Diskussion des Landessozialberichts besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

Dies vorausgeschickt, komme ich jetzt zum Haushaltsplanentwurf. Es ist schon viel davon geredet worden, dass die Koalition einen Plan habe. Ich kann nur sagen: Sie haben vielleicht einen Haushaltsplan, aber einen Plan in dem Sinne haben Sie nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Das wird auch am Entwurf des Einzelplans 08 deutlich. Ich will das an einer Reihe von Feldern, die in diesem Einzelplan eine Rolle spielen, deutlich machen, und ich will auch deutlich machen, welches unsere Alternativen sind und was wir an Haushaltsanträgen dazu vorschlagen werden. Die kennen Sie aber im Grunde.

(Widerspruch des Ministers Stefan Grüttner)

Natürlich kennen Sie unsere Haushaltsvorschläge. Sie sind öffentlich vorgestellt worden.

(Widerspruch des Ministers Stefan Grüttner)

Selbstverständlich sind sie öffentlich vorgestellt worden. Sie hätten sie zur Kenntnis nehmen können, Herr Minister, wenn Sie denn überhaupt irgendeine Realität außer Ihrer eigenen zur Kenntnis nehmen würden.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Diesen Vorwurf gebe ich gerne zurück. Bei Ihnen ist er besser aufgehoben als bei uns. – Unsere konkreten Haushaltsanträge werden folgen.

Zur frühkindlichen Bildung. Meine Damen und Herren, wir haben heute schon viel von „historisch“, von „Rekorden“ und von „Weltniveau“ gehört. Man könnte sagen, weltweit und darüber hinaus

(Michael Boddenberg (CDU): So weit würde ich nicht gehen!)

das hat hier schon einmal einer gesagt – sind wir, wie auf allen Feldern, die Größten und die Schönsten. 500 Millionen €, so hat uns der Kollege Bellino, der offensichtlich auch das Amt des familienpolitischen Sprechers übernommen hat – herzlichen Glückwunsch dazu –, in einer Presseerklärung mitgeteilt, gibt das Land für die frühkindliche Bildung aus. Das sei so viel wie nie zuvor.

(Michael Boddenberg (CDU): Die Ausgaben waren ja auch noch nie so hoch!)

Selbstverständlich ist das so viel Geld wie nie zuvor; auch die Kosten sind ja so hoch wie nie zuvor. Deswegen ist der ewige Vergleich – auch das habe ich hier schon oft genug gesagt – mit den Zuständen im Jahre 1999 nicht nur irreführend, sondern er wird schlicht und ergreifend in nicht wahrheitsliebender Absicht getroffen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Boddenberg, schauen Sie mich nicht so treuherzig an. Die Gesamtkosten für die Veranstaltung frühkindliche Bildung waren 1999 ganz deutlich geringer als heute.

(Michael Boddenberg (CDU): Das war nicht treuherzig, sondern misstrauisch!)