Der Höhepunkt des Einzelplans 08 – Sozialpolitik – ist zweifelsohne die Finanzierung der Beitragsfreiheit des Kindergartenbesuchs ab dem vollendeten dritten Lebensjahr für sechs Stunden am Tag.
Wir werden heute und morgen inhaltlich über unseren Gesetzentwurf und über den Gesetzentwurf der SPD sprechen. Deshalb an dieser Stelle nur die haushaltspolitischen Gesichtspunkte: Wir stellen für die Finanzierung der Beitragsfreiheit für sechs Stunden am Tag im Doppelhaushalt 440 Millionen € ein – 130 Millionen € für das Jahr 2018 und 310 Millionen € für das Jahr 2019.
Zur Qualitätsverbesserung sind zusätzlich 50 Millionen € vorgesehen. Die Eltern sparen in den drei Jahren des Kindergartenbesuchs ihrer Kinder 5.000 €. Mehr als 90 % der Eltern schicken ihre Kinder in diesem Alter in den Kindergarten, d. h., diese sozialpolitische Maßnahme kommt sehr vielen Menschen zugute. 5.000 € sind für die meisten Menschen unseres Landes sehr viel Geld.
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Bereitstellung von Kindergartenplätzen eine kommunale Aufgabe ist. Wir unterstützen die Kommunen. Sie wird durch Verträge teilweise an frei-gemeinnützige Träger delegiert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der SPD kosten nach deren eigenen Berechnungen 720 Millionen € im Jahr. Ab 2022 kämen mindestens 1,3 Milliarden € hinzu, wenn nach deren Vorschlägen rund zwei Drittel der Betriebskosten und über 80 % der Personalkosten übernommen werden. Bislang hat die SPD-Fraktion hierzu keinen Etatantrag eingebracht. Herr Merz, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie jetzt Zahlen genannten haben, nämlich die 85 und 220 Millionen €.
Das war gerüchteweise schon verbreitet worden. – Wie Sie aber mit diesem Betrag mehr leisten können als mit den 440 Millionen €, die wir für unser Programm eingesetzt haben, ist zunächst einmal ein bisschen schwierig nachzuvollziehen.
Herr Kollege, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Haushaltsanträge der SPD natürlich auf den Haushaltsstand des Regierungsentwurfs beziehen?
Möglicherweise beziehen Sie das auf die 720 Millionen € und versuchen damit, eine Differenz herzustellen. Was Sie aber völlig negieren, ist die Finanzierung Ihrer Systemumstellung, die im Minimum 1,3 Milliarden € kosten wird. Das haben Sie in Ihrem Stufenplan hinsichtlich der Finanzierung nicht ausreichend berücksichtigt – um das einmal freundlich auszudrücken.
Es wird erklärt, die Einsparungen aus dem Länderfinanzausgleich von 550 Millionen € könnten dazu verwendet werden. Wenn man nun die finanziellen Auswirkungen der Vorschläge der SPD in letzter Zeit auf verschiedenen Politikfeldern zusammenrechnet, kommen wir auf 3 Milliarden €. Sie bestreiten das.
Vielleicht sind es ja auch nur 2 Milliarden €; da lassen wir uns gern korrigieren. Es bleibt aber schließlich dabei, dass Sie die Einsparungen in Höhe von 550 Millionen € mehrfach ausgeben wollen. Das ist halt nicht möglich.
Sie können vielleicht gegen die CDU und die GRÜNEN opponieren, aber nicht gegen grundlegende mathematische Regeln. Also gegen Adam Ries können Sie hier nicht opponieren. Das wird Ihnen nicht gelingen.
Ich bin gleich fertig, danke für den Hinweis. – Wir werden eine solide finanzierte Sozialpolitik machen. Wir halten unsere Versprechungen. Der Ministerpräsident versprach 2013: Wenn es eine Lösung im Länderfinanzausgleich gibt, werden die Eltern von Kindergartengebühren für die durchschnittliche Besuchsdauer freigestellt.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das hat er nicht gesagt! Ich kann Ihnen das Zitat gern vorlesen! Das war anders!)
Wir schaffen dafür jetzt die haushaltspolitischen Voraussetzungen. Wir halten unsere Versprechungen und bauen keine Luftschlösser. – Besten Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister Grüttner, es ist schade, dass Sie so lange gebraucht haben, um einen Sozialbericht vorzulegen. Sie hatten die ganze
Legislaturperiode lang Zeit; und jetzt, kurz vor Toresschluss, kommt er. Wenn wir Zeit gehabt hätten, ihn intensiver zu diskutieren, dann wäre am Sozialhaushalt vielleicht doch noch die eine oder andere Änderung vorgenommen worden.
Allerdings glaube ich dies nicht wirklich, wenn ich mir anschaue, welche Konsequenzen Sie hieraus gezogen haben. Wir müssen über Armut von Familien sprechen. Wer Kinder hat, hat ein höheres Risiko, arm zu sein. Ganz besonders gilt dies natürlich für Alleinerziehende. Bei drei und mehr Kindern haben sie kaum mehr die Hälfte des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens. Besonders Haushalte mit Kindern zwischen 14 und 18 Jahren sind arm. Das ist kein statistischer Trick; das weiß jeder, der mit solchen Kindern lebt oder gelebt hat. Man sieht das deutlich bei den Grundsicherungsleistungen, die für Jugendliche nie ausreichen. Wie wollen Sie mit 35 € im Jahr ein paar Schuhe für einen jungen Mann kaufen? Kaufen Sie dann Stiefel oder Sandalen? Wie wollen Sie einen Heranwachsenden mit 140 € im Monat mit Essen und Getränken versorgen? – Das funktioniert doch nicht. Kinder und Jugendliche kosten Geld, und das wirkt sich auf das nicht üppige Familieneinkommen aus. Finden wir dazu Maßnahmen im Haushalt? – Fehlanzeige.
Familien mit Migrationshintergrund sind eher arm. Warum wohl? – Weil die Eltern oft genug schlecht bezahlte Jobs übernehmen oder arbeitslos sind. Arbeit schützt vor Armut nicht. Auch wenn der Jobboom beschworen wird, verbleiben viele Menschen trotzdem im SGB-II-Bezug, da das Familieneinkommen nicht zum Überleben reicht. Hier sind allerdings mehr Maßnahmen erforderlich, als wir in einen Haushaltsantrag schreiben könnten. Wir fordern, es den Bundesländern Thüringen, Baden-Württemberg und NRW nachzumachen und die passiven Leistungen der Grundsicherung zu nutzen, um Arbeitsplätze im Gemeinwohlsektor zu schaffen. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass dies nicht gehe; denn die machen es ja.
So könnte ein öffentlicher Beschäftigungssektor geschaffen werden, der die notwendigen Tätigkeiten – diese gibt es vor Ort en masse – mit existenzsicherndem Einkommen verbindet. Sinnvoll wäre es gewesen, wenn Sie unseren Antrag für einen Landesaktionsplan gegen Kinderarmut aufgegriffen hätten. Zentraler Bestandteil ist die Einführung einer Kindergrundsicherung. Wir müssen garantieren, dass kein Kind und kein Jugendlicher in Hessen unter dem Existenzminimum leben muss.
Dies müssen wir über familienergänzende Leistungen garantieren; und dazu gehört natürlich noch eine ganze Menge mehr. Das können Sie in unseren Haushaltsanträgen nachlesen. Wir beginnen bei der Geburt oder eigentlich schon vorher. Die Landesregierung muss für den Ausbau Früher Hilfen sorgen. In jeder Stadt, in jeder Gemeinde sollen Eltern frühzeitig Unterstützung und Beratung angeboten bekommen, wenn sie Kinder bekommen oder neu zuziehen. Das geht bei den Kindertagesstätten weiter. Sie müssen beitragsfrei sein, und die Zuwendungen an die Kommunen müssen erhöht werden, ohne dass das Geld wieder beim KFA abgezogen wird. Natürlich geht das bei den Ganztagsschulen und der kostenlosen Schülerbeförderung weiter. Auf der kommunalen Ebene, sowohl im Land
als auch in den Schulen, ist es notwendig, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auszubauen. Die Landesregierung weigert sich aber noch immer, die Ombudsstellen für Kinderrechte mitzufinanzieren. Dabei brauchen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich bei Problemen und in Krisensituationen an eine dritte Person zu wenden. Sie brauchen dafür eine starke Unterstützung. Bringen Sie das endlich auf einen guten Weg.
Ein Umsteuern im Sozialhaushalt ist auch beim Umgang mit den Flüchtlingen notwendig. Mit den Asylverschärfungen in den vergangenen Monaten wurden drakonische Sanktionsmechanismen eingeführt und Rechtsmittelfristen drastisch verkürzt. Das deutsche Asylrecht mit seinen aufenthaltsrechtlichen Bezügen ist inzwischen selbst für Fachleute schwer durchschaubar. Mit dieser Rechtsmaterie müssen Geflüchtete also zurechtkommen, selbst dann, wenn sie erst seit wenigen Tagen in Deutschland sind. Dabei hat das Asylverfahren für diese Menschen existenzielle Bedeutung. Erhalten sie keinen Schutzstatus, riskieren sie die Abschiebung in Kriegsgebiete und Folterstaaten. Leider sind die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht selten fehlerhaft und müssen deshalb angefochten werden.
Daher denken wir, dass alle Geflüchteten, die nach Hessen kommen, Zugang zu einer gebührenfreien juristischen Beratung haben sollten. Bislang wird diese enorm wichtige Arbeit etwa von Mitarbeitern des Diakonischen Werks, des Deutschen Roten Kreuzes oder von studentischen Initiativen geleistet, ohne dass sich das Land in irgendeiner Form an den Kosten beteiligt. Herr Minister, das können wir uns nicht länger leisten.
Wir sehen hier das Land in der Pflicht. Es sind Mittel erforderlich für eine unabhängige Asylverfahrensberatung in den hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen und den ihnen zugeordneten Außenstellen, insbesondere für die Vermittlung von Informationen zum Asylverfahren, für Hilfestellungen bei der Asylantragstellung und Informationen zu Verfahren gemäß der Dublin-III-Verordnung. Das wäre wichtiger, als den Leuten ganz schnell zu sagen, was sie bekommen, wenn sie sofort wieder ausreisen.
Wir denken, dass diese Beratungstätigkeit durch einen Rechtshilfefonds unterstützt werden sollte, damit Asylsuchende bei Bedarf auch gerichtliche Hilfen in Anspruch nehmen können. In vielen hessischen Kommunen sind Flüchtlinge gezwungen, jahrelang in überfüllten Gemeinschaftsunterkünften zu leben, die oftmals abseits der Wohngebiete liegen.
Bedürfnisse von Einzelpersonen oder Familien nach Wohnraum, Privatsphäre und Gemeinschaftsräumen werden kaum berücksichtigt. In diesen engen Verhältnissen sind Konflikte wegen Lärms sowie Streit um Koch- und Waschgelegenheiten vorprogrammiert. Besonders Kinder leiden darunter. Wenn es für eine Familie nicht möglich ist, aus einer Unterkunft zu gehen, in der sie mit ihren beiden Kindern über Monate in einem Raum leben muss, dann ist das symptomatisch für das, was in Hessen an vielen Stellen passiert.
Für die Landesregierung ist das Thema Unterbringung ein reiner Kostenfaktor, der als Pro-Kopf-Pauschale mit den
Gebietskörperschaften ausgehandelt wird. Obwohl die Flüchtlingsunterbringung in die Zuständigkeit des Landes fällt, ist die Verantwortung hierfür an die Kreise und Städte ausgelagert.
Eine Bedarfsanalyse, welche Mittel für eine an menschenrechtlichen Standards orientierte Unterbringung erforderlich ist, fehlt komplett. Die Landesregierung muss endlich umdenken, wenn mit der Massenunterbringung von Flüchtlingen integrationspolitische Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholt werden sollen. Deswegen fordern wir verbindliche Mindeststandards für menschenwürdige Aufnahme und eine an diesen Standards orientierte Vollfinanzierung. Herr Minister, ich verstehe nicht, warum das so schwierig ist und warum Sie sich so beharrlich weigern, den Kommunen zu sagen: Das und das sind die Standards, die zu erfüllen sind.
Dann hat nicht der eine Flüchtling, der in die eine Kommune kommt, eine gute Unterbringung, und der nächste, der in einer finanziell schwächeren Kommune landet, eine viel schlechtere Unterbringung. Es muss doch möglich sein, in diesem Land eine Einheitlichkeit herzustellen.