Protokoll der Sitzung vom 15.12.2017

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP für ein Gesetz zur Ergänzung der Verfassung des Landes Hessen (Artikel 26g Staatsziel zum Schutz und zur Förderung des Sports) – Drucks. 19/5718 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der

FDP für ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Artikels 64 der Verfassung des Landes Hessen (Be- kenntnis zur europäischen Integration) – Drucks. 19/ 5719 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 75 der Verfassung des Landes Hessen (Herabsetzung des Wählbarkeitsalters) – Drucks. 19/5720 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 120 und zur Änderung des Artikels 121 der Verfassung des Landes Hessen (Elektronische Verkündung von Ge- setzen) – Drucks. 19/5721 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 124 der Verfassung des Landes Hessen (Stärkung der Volksge- setzgebung) – Drucks. 19/5722 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 144 der Verfassung des Landes Hessen (Stärkung der Unab- hängigkeit des Rechnungshofs) – Drucks. 19/5723 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 101 der Verfassung des Landes Hessen (Amtszeitbegrenzung des Ministerpräsidenten) – Drucks. 19/5729 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP für ein Gesetz zur Ergänzung der Verfassung des Landes Hessen (Artikel 77a Stärkung der parlamentari- schen Opposition) – Drucks. 19/5732 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE für ein Gesetz zur Ergänzung des Artikels 8 der Verfassung des Landes Hessen (Recht auf Wohnen) – Drucks. 19/5734 –

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Änderung des Artikels 59 der Verfassung des Landes Hessen (verfassungsrechtliche Ver- ankerung der „Bildung von Anfang an“, Verbot von Studiengebühren) – Drucks. 19/5737 –

Als Erster hat der Vorsitzende der Enquetekommission, Jürgen Banzer, das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor ungefähr zwei Jahren, als ich im Krankenhaus lag, habe ich die Nachricht bekommen, dass die Einsetzung einer Enquetekommission zur Überarbeitung und Änderung der Hessischen Verfassung beschlossen worden war und dass meine Fraktion mich für den Vorsitz dieser Kommission vorsah. Ich gebe zu, dass ich mich darüber ehrlich gefreut habe. Ich habe mir zwar überlegt, wie ich das schaffen soll – ich konnte zum damaligen Zeitpunkt keinen Schritt gehen –, aber es war ein Stück zusätzlicher Motivation, und

ich bedanke mich bei meiner Fraktion dafür, dass sie mir diese Chance gegeben hat.

(Allgemeiner Beifall)

Ich bedanke mich außerdem bei den Mitgliedern der Enquetekommission, bei den 14 Abgeordnetenkollegen und den 31 Vertretern der Zivilgesellschaft, die vor allem in der Anfangsphase Nachsicht mit mir geübt haben – nachher weniger, wie ich zugebe.

(Heiterkeit – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Dem Gesundheitszustand entsprechend!)

Es wurde adäquat reagiert. So habe ich mir das gedacht.

(Heiterkeit)

Es war ein, insgesamt gesehen, wirklich spannender Prozess. Wenn man Zweifel an unserer Demokratie hatte, dann konnte man diesen Zweifel in der Arbeit dieser Enquetekommission verlieren.

(Allgemeiner Beifall)

Von allen Seiten wurde engagiert darüber diskutiert. Es gab mehr als 240 Änderungsvorschläge aus den Reihen der Enquetekommission. Es kamen über 400 Änderungsvorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere über das Internet, aber auch schriftlich. Das war ein großer Prozess.

Aber natürlich darf man ihn auch nicht überhöhen. Die Bedeutung der Landesverfassung ist angesichts der Bedeutung des Grundgesetzes mit einem gewissen Vorbehalt zu versehen. Trotzdem ist es gelungen, die Menschen in Hessen etwas für diese Verfassungsänderung zu interessieren. Ich glaube, es war ein klug gewähltes Verfahren.

Was die Beteiligung an den drei Bürgerforen betrifft: Die Bürgerforen waren erfolgreich und spannend. Aber wenn man bedenkt, dass wir in Hessen 6 Millionen Menschen sind, muss man sagen, dass der Anteil derer, die daran teilgenommen haben, deutlich unterproportional war. Allerdings waren es lebhafte Diskussionen.

Wir haben uns bei unseren Medienpartnern zu bedanken. Es ist schließlich nicht ganz selbstverständlich, dass der hr, FFH und die Zeitungsverleger mitgeholfen und immer wieder berichtet haben. Sie haben auch die Moderation der drei Bürgerforen übernommen und insofern dafür gesorgt, dass der Diskussionsprozess, der stattgefunden hat, wahrgenommen wurde. Das habe ich auch daran gemerkt, dass ich, wenn ich im Land unterwegs war, immer wieder angesprochen wurde, am meisten mit der Frage verbunden: Wann habt ihr denn die Todesstrafe abgeschafft? – Aber es wurden auch ein paar andere Fragen aufgeworfen und Überlegungen angestellt, die zeigten, dass die Menschen daran Anteil genommen haben, wie wir uns dazu stellen.

Eine Verfassung ist die Grundlage unseres Zusammenlebens – die Normierung des Zusammenlebens in Hessen. Ich glaube, dass das eine ganz spannende und wichtige Aufgabe war und dass in der Enquetekommission ein schöner Konsens darüber bestand, nicht den Versuch zu machen, die älteste Landesverfassung Deutschlands durch die Einführung neuer Begriffe und in der aktuellen politischen Diskussion behandelter Fragestellungen zu modernisieren. Vielmehr hat man Punkte darin belassen, von denen zwar klar war, dass sie wegen der Bedeutung des Grundgesetzes keine juristische Bedeutung mehr entfalten, die aber das Verständnis dafür wecken, wie damals, als diese Verfas

sung geschaffen wurde – nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft –, das Denken war. Es war wirklich ein aufregender Versuch, die entsprechenden Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und die richtigen Voraussetzungen zu schaffen. Es war ein wichtiges Ziel, dass man das beim Durchlesen unserer Verfassung weiterhin nachvollziehen kann. Ich freue mich, dass das gelungen ist.

Allerdings ist „gelungen“ ein etwas großspuriger Begriff; denn wir wissen noch nicht, wie dieser Gesetzentwurf den Landtag verlassen wird und wie die Bürgerinnen und Bürger in der Verfassungsabstimmung darüber entscheiden werden. Es gehört zu den spannenden Strukturen unserer Verfassung, dass wir dieses Zweistromsystem haben: Da ist auf der einen Seite der Landtag, der die Verfassung aber nicht ändern kann. Wir haben auch nicht vorgeschlagen, dieses Verfahren zu ändern, sondern wir wollen es aufrechterhalten. Auf der anderen Seite haben wir das Volk, das Ja oder Nein zu den Vorschlägen sagen kann.

Wir alle dürfen nicht vergessen, dass da eine gewisse demokratische Demut angebracht ist: Es gab einen Beschluss des Landtags, der, wenn ich mich recht erinnere, einstimmig gefasst worden ist: der Beschluss, das passive Wahlalter für Landtagsabgeordnete auf 18 Jahre abzusenken. Das Volk hat das schlichtweg abgelehnt, obwohl die Absenkung des Wahlalters vom Landtag einstimmig beschlossen worden war. Sicher ist da also gar nichts.

Es kommt schon darauf an, dass richtig dafür geworben wird. Ich hoffe, dass uns das gelingt. Ich glaube, wir haben versucht, diesen Prozess breit anzulegen.

Ich habe mich in dem Zusammenhang bei der Landeszentrale für politische Bildung zu bedanken, die natürlich nicht alle Schülerinnen und Schüler an der Änderung der Verfassung beteiligen konnte, deren Mitarbeiter aber, wie ich finde, in Workshops sehr sensibel mit der Thematik umgegangen sind und auch dafür gesorgt haben, dass wir einen ganz aufregenden Tag mit den jungen Leuten verbringen konnten. Diese konnten uns ihre Vorschläge unterbreiten. Manche Vorschläge haben uns wirklich verblüfft, überrascht und auch nachdenklich gemacht. Naturgemäß haben wir nicht alle übernommen, aber es war schon spannend.

Spannend war es z. B., zu erfahren, dass nicht alle jungen Leute gesagt haben, sie wollten mit 16 Jahren wählen können, was naheliegend gewesen wäre, sondern dass es da auch ganz nachdenkliche Stimmen gab. Einige haben gesagt: Nein, lasst uns mit dieser Wählerei in Ruhe und in Frieden, wir haben zunächst andere Aufgaben und wollen uns zu einem späteren Zeitpunkt um solche Fragestellungen kümmern. – Ich habe mich bei der Landtagsverwaltung zu bedanken, die dies zusätzlich unterstützt hat.

(Allgemeiner Beifall)

Wir haben die Sitzungen der Enquetekommission in der Regel im Plenarsaal durchgeführt. Ich finde, das war dem Thema angemessen. Es war aber auch den technischen Notwendigkeiten geschuldet.

Ich habe mich für die Unterstützung zu bedanken, die ich vom Landgericht Frankfurt bekommen habe. Herr Dr. Andreas Stomps, herzlichen Dank dafür, das war seriös und zurückhaltend.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann als ehemaliger Justizminister sagen: ein guter Richter. Das kann ich nach wie vor bestätigen.

Am meisten hat mir aber gefallen, wie im Ringen um die im Ergebnis 15 Änderungsvorschläge die Obleute miteinander umgegangen sind: wie sie um jedes Wort gekämpft haben – sogar um jedes Wort der Begründung –, nachdem klar war, dass das, was zulässig wäre, nämlich dass eine Mehrheit im Landtag eine Verfassungsänderung beschließt und die Vorschläge dem Volk vorlegt, nicht gewollt ist.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir wollten vielmehr einen breiteren Konsens herstellen. Ich glaube, das hat der Arbeit auch gutgetan. Wir schlagen 15 spannende Änderungen vor. Das wird das Bundesland Hessen nicht völlig auf den Kopf stellen. Aber ich glaube, es ist durch ein sensibles Verfahren gelungen, die Hessische Verfassung in ihrem Grundsatz zu erhalten, sie aber behutsam an moderne Zeiten anzupassen. Ich hoffe, dass uns das Werk am Schluss gelingt. Ich bedanke mich bei all denen, die mitgeholfen haben, dass wir so weit gekommen sind.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Herzlichen Dank, lieber Jürgen Banzer. Ich möchte dir auch im Namen des ganzen Hauses für deine Arbeit an der Spitze der Enquetekommission recht herzlich danken. Das war großartig. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir beginnen mit der Aussprache. Zunächst hat sich Kollege Heinz von der CDU-Fraktion gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an die Gedanken unseres Vorsitzenden Jürgen Banzer anknüpfen und beginne mit einem Zitat von Carlo Schmid, der gesagt hat:

Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz.

Das sagte er 1948 im Parlamentarischen Rat, der damals das Grundgesetz erarbeitet hat; und zutreffend ist diese Aussage noch heute. Die Verfassung sollte ein Konstrukt sein, das über Parteien, Wahlen und Machtkämpfe hinaus das Fundament unseres Zusammenlebens ist und auf Dauer Bestand haben kann. Ein derartiges Verständnis von der integrierenden und verbindenden Bedeutung einer Verfassung lag von Anfang an der Arbeit unserer Enquetekommission zugrunde.

Wir haben in diesem Geiste gemeinsam beraten und in 19 Sitzungen mit hervorragender Unterstützung des Gremiums zivilgesellschaftlicher Gruppen, denen ich heute allesamt danken möchte, mit Einzelpersonen der Landtagsverwaltung und vielen anderen am Ende 15 Gesetzentwürfe gemeinsam erarbeitet, auf die wir uns verständigen konnten und die heute von den Fraktionen der CDU, der SPD,

den GRÜNEN und der FDP in den Landtag eingebracht werden.

Wir sind von Anfang an – ich glaube, das kann man sagen – bereit gewesen, aufeinander zuzugehen, angesichts der besonderen Bedeutung dieses Verfassungstextes; und wir sind immer von dem Gedanken geleitet gewesen, dass es am Schluss für jeden der Änderungsvorschläge eine breite Zustimmung geben soll. Das wäre ohne eine gute Moderation nicht möglich gewesen. Deswegen möchte ich dem Vorsitzenden Jürgen Banzer ganz besonders für seine konstruktive und zielführende Sitzungsleitung danken. Diese hat einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass es am Ende so ausgegangen ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)