Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sie haben vor zwei Jahren noch von der „demografischen Rendite“ gesprochen!)

Das ist schon ein bisschen länger her, aber dazu komme ich gleich noch.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, ich habe nachgeschaut!)

Ich wäre auch dankbar für irgendeine neue Idee. Ich maße mir nicht an, zu behaupten, wir wüssten schon alles und hätten schon alles ausprobiert. Aber, wenn ein Antrag so ohne jede Substanz daherkommt, dann spricht das doch dafür, dass es jenseits dessen, was wir sowieso schon tun, vielleicht keine weiterführenden Ideen mehr gibt oder dass jedenfalls die Opposition keine hat.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das können wir uns jetzt gern an einzelnen Punkten anschauen. Fangen wir bei der Herausforderung der Lehrkräftegewinnung an. Natürlich hat das bei uns, angesichts der gegebenen Situation, absolute Priorität. Wir machen dabei auch keine Abstriche an der Qualität – im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als massenhaft Quereinsteiger ohne jede pädagogische Ausbildung an die Schule zu holen. Ich nenne nur das Beispiel Berlin, was mittlerweile erstaunlicherweise sogar die Bundesvorsitzende der GEW akzeptiert.

Das machen wir in Hessen nicht. Wir arbeiten stattdessen mit umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen, und zwar für Menschen, die bereits eine Ausbildung als Pädagogen mitbringen, etwa für Gymnasiallehrer, die sich für den Einsatz in der Grundschule weiterqualifizieren, für Regelschullehrer, die eine zusätzliche Qualifikation als Sonderpädagogen erwerben, oder für Studienabsolventen anderer Lehrämter, die wir jetzt im Referendariat zu Grundschullehrern ausbilden. Wir haben auch eine langfristige Lösung; denn schon jetzt haben wir die Zahl der Studienplätze für das Grundund Förderschullehramt – darum geht es im Kern – an den hessischen Universitäten massiv erhöht. Mit dem gestern verabschiedeten Haushalt wird sie noch weiter steigen, wie auch die Kapazitäten im Referendariat für die Ausbildung von Lehrkräften im Haupt- und Realschulbereich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen wir beispielsweise die Bertelsmann Stiftung, das muss ich jetzt doch wegen der Aktualität erwähnen. Unter den üblichen Alarmrufen – wie man das PR-mäßig richtig inszeniert, das wissen sie ja – empfiehlt sie als bahnbrechende Idee zur kurzfristigen Gewinnung von Lehrkräften die Aufstockung der Arbeitszeit von Teilzeitkräften und die Reaktivierung von Pensionären. Da kann ich nur sagen: Schön, dass sie das auch schon gemerkt haben.

Die Prognosen der Bertelsmann Stiftung von vor fünf Jahren, als wir noch von der demografischen Rendite gesprochen haben, Frau Abg. Wissler, lagen genauso daneben wie alle anderen auch. Auf jeden Fall ist all das, was sie vorschlägt, bei uns schon seit Jahren gelebte Praxis.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Wir haben es richtig gesehen und schon damals gesagt!)

Zurück zum Antrag der FDP. Das Ziel ist klar. Die Herausforderung existiert. Diese Landesregierung handelt dazu schon lange. Weitere Ideen: Fehlanzeige.

Wir sind uns auch einig über die bedeutende Rolle der frühkindlichen Bildung. Deswegen unterstützen wir die Träger seit Jahren bei der Sicherung und Entwicklung der Qualität in den Kitas. Ich verweise auf unseren Bildungsund Erziehungsplan, ein absolutes Erfolgsmodell, für Kinder von 0 bis 10 Jahren und auf die Qualitätspauschale, mit der wir die Arbeit in den Kitas fördern. Deren Erhöhung steht gerade im Landtag zur Beratung an, auf der Basis eines Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen.

Natürlich geht es auch um die Beitragsfreistellung für die gesamte Kindergartenzeit, mit der wir den Zugang zu Angeboten der frühkindlichen Bildung erheblich verbessern. Auch hier gilt: Das Ziel ist klar. Die Herausforderung existiert. Diese Landesregierung handelt dazu schon lange. Weitere Ideen: Fehlanzeige.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Die Rahmenbedingungen für die Arbeit an unseren Schulen haben sich noch nie so sehr verbessert wie in dieser Legislaturperiode. Das haben wir schon im Zuge der Haushaltsberatungen festgestellt. 4.350 neue Lehrerstellen in fünf Jahren, das hat es so noch nie gegeben. Jetzt frage ich – weil Sie das einfordern –: Was sollte es denn Besseres an konkreten Unterstützungsmaßnahmen geben? Was sollte es Besseres geben, als den Personaleinsatz an unseren Schulen zu verstärken?

Für die steigende Heterogenität der Schülerschaft haben wir die sozial indizierte Lehrerzuweisung geschaffen. Das sind bis jetzt 540 Stellen. Nachdem der Haushalt gestern dankenswerterweise verabschiedet worden ist, bringen wir in diesem Jahr erstmals 700 sozialpädagogische Fachkräfte an die Schulen. Für die Ganztagsangebote, für die Integration von Seiteneinsteigern, für die Inklusion setzen wir jeweils ca. 2.500 Stellen ein, jenseits der Grundunterrichtsversorgung und über die 105 % hinaus. Ich frage Sie: Welche konkrete Unterstützung – mal von dem berühmten, hier schon oft zitierten Metzgerspruch abgesehen, nach dem es natürlich immer noch etwas mehr sein dürfte – sollen wir sonst überhaupt noch gewähren? – Auch hier erkennt man: Das Ziel ist klar. Die Herausforderung existiert. Die Landesregierung handelt dazu schon lange. Weitere Ideen haben Sie nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Weiterbildung der Lehrkräfte haben wir unter dem Dach der Lehrkräfteakademie – das ist eine der wesentlichen Funktionen der Gründung dieser Institution – gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode auf neue Füße gestellt und gezielt – zuzüglich Sprachförderung und Lesen, Schreiben, Rechnen – auf die Themen fokussiert, die Sie in Ihrem Antrag benennen.

Ja, natürlich werden wir auch über eine Reform der Lehrerausbildung in der ersten Phase reden, wenn das Praxissemester evaluiert ist. Das machen wir aber auch erst dann, damit wir eine vernünftige Entscheidungsgrundlage haben.

Zum Bürokratieabbau will ich nur darauf verweisen, dass so manche Anfrage aus diesem Haus den Schulen mehr Verwaltungsaufwand abverlangt als viele Erlasse des Kultusministeriums. Das Beispiel mit den Statistiken hat der Abg. Wagner schon angedeutet.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, man kann es so zusammenfassen: Die Ziele sind klar, darüber sind wir uns weitgehend einig. Die Herausforderungen existieren, das wird auch niemand bestreiten wollen. Wir sind schon ganz lange handelnd unterwegs. Weitere Ideen bringen Sie dafür leider nicht mit. Also lassen Sie uns doch einfach weiterarbeiten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Staatsminister. – Wir sind am Ende der Debatte angelangt.

Nach meinen Informationen sollen beide Anträge zur weiteren Beratung an den Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden. – Dann machen wir das so.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Große Anfrage der Abg. Degen, Geis, Hartmann, Hofmeyer, Merz, Quanz, Yüksel (SPD) und Fraktion betreffend Umsetzungsstand inklusiver Beschulung – Drucks. 19/5106 zu Drucks. 19/4446 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als Erstem erteile ich Herrn Kollegen Degen von der SPD-Fraktion das Wort.

(Turgut Yüksel (SPD): Kritisier die Landesregierung nicht, die macht doch alles so toll! – Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hör auf deine Fraktion!)

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich bei Großen Anfragen die Redezeit nach der Anzahl der Fragen bemessen würde. Das waren in dem Fall 231 Fragen. Ich will aber deswegen schon um Entschuldigung bitten, dass ich nicht auf alle 231 Fragen eingehen werde, sondern mir einige besonders exemplarische Punkte aussuchen werde.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wäre ein falscher Anreiz! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du kannst ja eine zweite Runde machen!)

Es ist ganz passend, dass wir diese Debatte im Anschluss an die vorherige führen, weil man doch den einen oder anderen Punkt, der eben etwas zu kurz gekommen ist, konkretisieren kann.

Ich will mich zunächst bei der Verwaltung im Ministerium für die ausführliche Beantwortung bedanken. Es ist sicherlich eine ganze Menge gewesen. Ich will auch schon einmal um Entschuldigung dafür bitten, wenn ich gleich das eine oder andere kritische Wort finden werde. Manches liegt eher am Geschwurbel der politischen Führung. Die Mitarbeiter haben mit Sicherheit die Fragen gut beantworten wollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will, weil es auch hier vorkam, darauf hinweisen, dass der erste Schulversuch zum gemeinsamen Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen schon 1983 in Rüsselsheim-Königstädten stattfand, also vor 35 Jahren.

(Zuruf von der SPD: Da warst du aber noch nicht hier!)

Ich war damals noch im Kindergarten. – Ich sage das deshalb, weil Hessen mit diesem gemeinsamen Unterricht unheimlich viel Erfahrung hat. Heute nennt man das Inklusion. Ich fand den Begriff „gemeinsamer Unterricht“ besser, weil er das Gemeinsame deutlich macht, dass von dieser Art des Unterrichts beide profitieren, nämlich die Schülerinnen und Schüler mit und die ohne Behinderungen. Das wird mit diesem Begriff deutlich gemacht. Ich finde das schade.

Ich habe auch noch einmal in meinem Archiv geschaut. Vielleicht kennt noch jemand die Geschichte von Tim und Katharina aus Bad Sooden-Allendorf. Das war eine interessante Geschichte. 1988 wollte man das Ganze unter der CDU-Regierung einstampfen und nicht mehr genehmigen. Über die Geschichte reden die Leute heute noch. Am Ende konnten sich damals zum Glück SPD und GRÜNE wieder durchsetzen.

Ich sage das deshalb, weil hier viele Berichte – auch über die Wirkungsmechanismen des gemeinsamen Unterrichts, und was daran positiv ist – enthalten sind. Ein Beispiel ist

das Buch „Spuren: Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung in Hessens Grundschulen. Ein Lesebuch zu 10 Jahren Integrative Schule Frankfurt“. Darin sind viele Interviews früherer Kolleginnen und Kollegen enthalten. Beispielsweise hat Kollege Hertle vieles dazu gesagt, was man unterschreiben kann.

Ich sage das deshalb, weil in einigen Antworten auf die Fragen – Fragen zu wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen zu den positiven Effekten des gemeinsamen Unterrichts, der Inklusion – die Landesregierung leider sagt: „Der Landesregierung sind zu diesen Fragen keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt.“ Das finde ich traurig; denn eigentlich sollten Sie in eigenen Archiven viel besseres Material dazu haben.

(Beifall bei der SPD)

Inklusion, d. h. der gemeinsame Unterricht, ist eine sinnvolle Sache, weil junge Leute, Schülerinnen und Schüler, möglichst dort zur Schule gehen sollten, wo sie aufwachsen, wo sie nachmittags im Verein sein können, wo sie Schulkameradinnen und Schulkameraden nachmittags auf dem Spielplatz treffen. Das halten wir für überaus sinnvoll, zumal alle von der sozialen Kompetenz profitieren und zusätzliche Kräfte am Ende zu einem Mehrwert für alle Schülerinnen und Schüler beitragen.

Meine Damen und Herren, Hessen war einmal Vorreiter der inklusiven Beschulung, auch bei den Standards. Leider wurden diese in den letzten Jahren immer weiter abgebaut. Die Inklusion ist deshalb ein schönes Beispiel, an dem man sieht, dass Schwarz und Grün doch nicht so gut zusammenpassen, wie sie immer tun. Ein Beispiel, das habe ich schon öfter angeführt: Es ist ganz schön, dass neue Stellen geschaffen werden, dass die GRÜNEN auch sagen können, das hätten sie durchgesetzt. Sie werden aber doch im Grunde vorgeführt, weil diese Stellen am Ende nicht besetzt werden können, weil keine Lehrkräfte dazu da sind. Das haben wir eben schon diskutiert.

Ich möchte das noch einmal am Punkt Förderpädagogik deutlich machen. Es steht in der Antwort auf diese Anfrage: Nur 78 % der Lehrer an Förderschulen haben ein Lehramt dafür. 22 % sind fachfremd, sie haben keine Ausbildung.

(Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben schon eine Ausbildung!)

Diese Zahlen sind nicht neu, die kennen wir schon seit Jahren. Die Landesregierung hat es versäumt, rechtzeitig auszubilden.

Übrigens, Herr Kollege May: Auch das hat Ihr Vorgänger als bildungspolitischer Sprecher, der das hier einmal vertreten hat, in einem Interview so gesagt.

Der Ressourcenvorbehalt, so sagen Sie, sei abgeschafft. Am Ende aber steht im Schulgesetz, dass nach wie vor doch das Schulamt entscheidet.

Auch auf die Zahlen will ich zu sprechen kommen. Die Förderquote, d. h. die Quote von Schülerinnen und Schülern in Hessen, die einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben, ist gestiegen, und zwar von 4,38 % auf 5,65 %. Das finde ich schon erstaunlich, dass hier immer mehr Kinder so etikettiert werden. Das ist sicherlich keine erfolgreiche Schulpolitik in Hessen.