Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Schon allein deswegen muss die Tarifbindung weiter gestärkt werden, notfalls auch gesetzlich. Auf Initiative der SPD ist immerhin erreicht worden, dass Tarifverträge jetzt leichter für allgemein verbindlich erklärt werden können. Das ist schon einmal ein wesentlicher Fortschritt gewesen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Die Tarifverträge gelten dann auch für Beschäftigte und Arbeitgeber der jeweiligen Branchen, die nicht Mitglied der Gewerkschaften oder der Arbeitgeberverbände sind. Diesen Weg müssen wir mit der gesetzlichen Privilegierung von Tarifpartnerschaften eindeutig und klar fortsetzen; denn die Voraussetzungen für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen in allen Branchen sind eine hohe Tarifbindung und starke Gewerkschaften.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, all dies ist und bleibt das Markenzeichen der sozialen Marktwirtschaft. Es braucht im Übrigen auch mehr Gestaltungsmöglichkeit für tarifgebundene Unternehmen. Die Möglichkeiten der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen müssen weiter verbessert und die Voraussetzungen präzisiert werden. Dabei geht es auch um die rückwirkende Gewährleistung der Allgemeinverbindlichkeit oder auch die kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen im Falle von Auslagerungen

von Betrieben oder Betriebsteilen, was inzwischen auch stark in Mode gekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Das muss so lange gewährleistet sein, bis ein neuer Tarifvertrag geschlossen ist.

An dieser Stelle – wie auch schon heute Morgen bei der Debatte in der Aktuellen Stunde – sei ein kleiner Blick auf die Vergabe öffentlicher Aufträge erlaubt. Auch wenn die Fraktionen von CDU und GRÜNEN sowie die Landesregierung das anders sehen: Hier muss noch einiges nachgeschärft werden. Aber das bekommen wir demnächst mit einem gesonderten Antrag im Zuge der Evaluierung des dazugehörigen Gesetzes hin.

Meine Damen und Herren, ich ziehe das Fazit: Es fehlt der Landesregierung am Willen des Mitgestaltens. Auch dann, wenn nicht die unmittelbare Zuständigkeit gegeben ist, ist es Ihre politische Pflicht, daran mitzuwirken, dass die Lage in Hessen verbessert wird. Aber da fehlt es Ihnen im Moment leider am Willen. Das muss sich ändern.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen hier zum Schluss ein Versprechen abgeben, nämlich das Versprechen meiner Fraktion, dass wir das Thema Arbeitsmarktreform und in Sonderheit auch die Tarifbindung und viele andere Themen immer wieder auf die Tagesordnung bringen werden, ob Sie das wollen oder nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, was wir wollen. Wir wollen die Lebens- und die Lohnsituation der Beschäftigten verbessern. Das ist klar und deutlich. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Das Wort hat Abg. Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde sicher nicht zehn Minuten reden; denn so viel geben die dünnen Antworten auf diese Große Anfrage nicht her. Herr Minister, als ich die Antworten auf die Große Anfrage gelesen habe, ist mir sofort der Spruch von Sokrates eingefallen,

(Zurufe: Oh, oh, oh!)

der vor mehr als 2.000 Jahren schon gesagt hat: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Ich würde dann hinzufügen: Dass ich nichts weiß, liegt an der Tarifautonomie und der sich daraus abgeleiteten Neutralitätspflicht des Staates. Denn das ist die Zusammenfassung dessen, was hier an Antworten gegeben bzw. nicht gegeben wurde.

Herr Minister, deshalb erlaube ich mir, einmal zu zitieren. Auf die Frage 9: „Wie bewertet die Landesregierung die Entwicklung der Tarifbindung?“, antworten Sie:

Die Tarifautonomie, die ohne Beeinflussung durch den Staat in Art. 9 des Grundgesetzes geregelt ist, wird auch von der Hessischen Landesregierung beachtet. Insofern bewertet die Hessische Landesregierung nicht die Entwicklung der Tarifbindung.

Mit anderen Worten könnte man auch sagen – das ist eben noch einmal aus der CDU-Fraktion bestätigt worden –, dass die Landesregierung die Entwicklung der Tarifbindung nicht bewertet. Das heißt: Wie viele Beschäftigte in Hessen tarifgebunden sind oder nicht, ist der Hessischen Landesregierung schlicht egal. Das ist das Ergebnis. Anders kann ich das nicht bewerten.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei Ihren Antworten sind Sie dann doch nicht konsequent. Wenn ich mir die Antwort auf die Frage 10 anschaue – die Frage lautet: „Wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeiten, die die Öffnungsklauseln der einzelnen Flächentarifverträge bieten?“ –, lese ich Folgendes:

Flexible Tarifverträge erhöhen die Tarifbindung in Deutschland.

Meine Damen und Herren, wenn es um Flexibilität geht, dann hat die Landesregierung eine Position, und dann interessiert sie natürlich auch die Entwicklung der Tarifverträge. Ich will die Antwort an dieser Stelle, die sie dann sehr ausführlich gegeben hat, noch einmal darlegen. Sie schreiben:

Um den unterschiedlichen Unternehmen und deren Bedingungen Rechnung tragen zu können, ist ein flexibler und individuell auf unterschiedliche Betriebe angepasster Tarifvertrag mit den notwendigen Öffnungsklauseln zur Gestaltung der einzelnen Verhältnisse in Unternehmen zielführend.

Aha, das ist zielführend.

Insbesondere kann eine Flexibilisierung bei den Themen Arbeitszeiten und Entgelten sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Öffnungsklauseln erzielt werden. Die Hessische Landesregierung ist der Ansicht,

aha, sie hat eine Ansicht –

dass eine flexible Gestaltung die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärkt.

Siehe da, sie hat doch eine Meinung. Sie hat keine Meinung, wenn es darum geht, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Tarifverträge geschützt werden.

(Zurufe der Abg. Ismail Tipi und Klaus Peter Möller (CDU))

Diese Landesregierung hat aber sehr wohl eine Meinung, wenn es um Flexibilisierung im Interesse der Unternehmen geht. Das ist die Antwort, die Sie hier geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, insofern sage ich Ihnen: Branchen- oder Flächentarifverträge – –

(Zurufe: Lauter!)

Gerne noch lauter, wenn Sie mich nicht verstehen. Es sollen mich ja alle verstehen. – Branchen- oder Flächentarifverträge wurden eingeführt, um die Konkurrenz, den Wettbewerb unter den Unternehmen um ihre Arbeitnehmer nicht über Löhne und Gehälter voranzutreiben, sondern über die Leistungsfähigkeit, über Angebote – wie auch immer –, damit keine Konkurrenz unter den Arbeitgebern besteht und es keine Abwerbungen zwischen den Unternehmen gibt. Das ist die Grundlage von Tarifverträgen. Insofern hatten und haben sie einen Vorteil sowohl für die Ar

beitgeber als auch für die Arbeitnehmer. Deshalb finde ich, dass es der Landesregierung sehr gut ansteht, dies zu fördern, und zwar sowohl im Interesse des Wettbewerbs und der Arbeitgeber als auch zum Schutze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ich erwarte von einer Landesregierung, dass sie eine Große Anfrage nicht mit Desinteresse beantwortet – man fühlt es praktisch beim Lesen, wie groß das Desinteresse der Landesregierung an diesem Thema ist –, sondern dass sie sich klar und eindeutig dazu bekennt, dass Tarifverträge Vorteile sowohl für die Wirtschaft als auch für die Arbeitnehmer haben, und dass es ihre Aufgabe ist und sie es zur ihrer Verpflichtung macht, dafür zu werben, dass dem Rückgang an Tarifbindung etwas entgegengesetzt wird. Zumindest sollte sie werbend dafür eintreten, dass Tarifverträge abgeschlossen werden. Das verletzt nicht die Tarifautonomie. Das ist keine Verletzung des Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, sondern das ist eine bürger- und arbeitnehmerfreundliche Politik, die ich von einer Landesregierung erwarte.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern ist Ihre Nichtaussage oder Ihr Desinteresse an der Beantwortung dieser Fragen nichts anderes als ein Offenbarungseid gegenüber den vielen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Hessen mit den Worten: Das, was ihr macht und was eure Arbeitsbedingungen sind, interessiert uns nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns interessieren die Arbeitsplätze, aber nicht die Arbeitsbedingungen. – Das ist die Botschaft, die Sie, Herr Minister, ausgesandt haben und die ich an dieser Stelle verurteile.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Frau Abg. Bächle-Scholz für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es hat sich gezeigt, dass die Fragen zur Tarifbindung im Wesentlichen nicht durch die Landesregierung zu beantworten sind, sondern – Sie haben es auch schon festgestellt – zuständigkeitshalber durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Sie tragen das heute schon fast wie ein Mantra vor sich her. Sie haben selbst gesagt, dass sich das wie ein roter Faden durchzieht. Fragen der Tarifbindung und zur Allgemeinverbindlichkeit gehören zum Bundesrecht. Wenn dies so ist, dann muss dies auch immer wieder so gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich denke, inhaltlich dürften wir uns in diesem Haus, ohne auf das Einzelne einzugehen, einig sein, dass die Tarifbindung grundsätzlich eine positive und erstrebenswerte Situation ist. Soweit eine Tarifbindung besteht, hat diese Vorteile sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber. Ein Tarifvertrag verhindert, dass der Erfolg eines Unternehmens davon abhängig ist, wie gut ein Arbeitgeber seine Lohnkosten dadurch drückt, dass er seine Arbeitnehmer möglichst niedrig entlohnt.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Grundsätzlich ist allerdings zu beachten, dass der gesamte Bereich der Tarifverträge der Tarifautonomie unterfällt. Sie haben auch darauf hingewiesen, Herr Schaus. Die Tarifautonomie ist durch Art. 9 des Grundgesetzes geschützt. Die Tarifpartner entscheiden also, ob überhaupt ein Tarifvertrag geschlossen wird bzw. welchen Inhalt dieser hat. Ebenso sind sie es, die es in der Hand haben, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu beantragen.

Den Antworten ist die positive Aussage zu entnehmen, dass es in den vergangenen fünf Jahren keine Tarifverträge gab, bei denen die Allgemeinverbindlichkeit in Hessen endete.