Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Zum Schluss möchte ich noch einen Satz zitieren, den niemand anders als Kofi Annan vor zehn Jahren gesagt hat. Ich sage ihn mit Blick auf den kommenden Sonntag bewusst zum Schluss:

Einwanderer brauchen Europa,

das erleben wir jeden Tag, klar –

aber Europa braucht auch Einwanderer.

Und dann führt er folgenden Satz an:

Diese stille Krise der Menschenrechte beschämt unsere Welt.

Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Stachel im Fleisch für all diejenigen, die sich um eine gerechte Politik in Europa bemühen. Deshalb steht Europa nach wie vor bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik vor großen Herausforderungen. Wir, die Sozialdemokratie, wollen ganz bewusst legale Zuwanderung erhalten und weiterentwickeln, unabhängig von einer wirtschaftlichen Nützlichkeitslogik. Wir wollen die Fluchtursachen in den Ländern selbst bekämpfen. Das beinhaltet aber auch eine Angleichung der Lebensstandards in Europa sowie europaweit funktionierende Sozialstrukturen; auch darüber werden wir dann reden müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Roth. – Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Wallmann, CDU-Fraktion. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Beginnend mit der Katastrophe im Oktober 2013, als Hunderte Flüchtlinge vor der Küste Italiens in Lampedusa ertranken, lebte eine Diskussion über die Frage

auf, ob Italien und Malta überfordert seien, und auch über die Frage, wie man diesem Problem abhelfen könnte.

Parlamentspräsident Martin Schulz hat im selben Monat einen Verteilungsschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen gefordert. Drei Wochen später fand ein EU-Gipfel statt, auf dem Italien die Solidarität der anderen EU-Staaten einforderte. Ein solcher Kurswechsel fand allerdings keine Mehrheit in der EU. Im Ergebnis wurde entschieden, dass die Verteilung der Einwanderer nicht neu geregelt wird.

Es gilt weiterhin das Dublin-Verfahren, nach dem Asylanträge in der Regel in dem Land bzw. in dem Schengenraum zu bearbeiten sind, in dem die Flüchtlinge zuerst angekommen sind. Die Dublin-III-Verordnung, mit der ein gemeinsames Asylsystem eingeführt wurde, war ein Fortschritt; denn Asylsuchende haben einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, und vor allem wurde auch die Antragsverfahrensdauer auf sechs Monate verkürzt, was sicher richtig und wichtig war. Die Dublin-III-Verordnung, so könnte man es dem Antrag der FDP entnehmen, war also kein Fehler, den man berichtigen müsste.

Die Fernsehbilder legen nahe, dass die meisten Flüchtlinge in Italien, Spanien oder Griechenland anlanden würden. Fakt aber ist – und ich beziehe mich hier auf Zahlen der Asylstatistik des 2. Quartals 2013 –, dass die meisten Anträge in Deutschland, Frankreich, Ungarn und Schweden gestellt werden. Bezogen auf die Einwohnerzahlen werden die meisten Anträge in Schweden, Ungarn, Malta, Österreich und Luxemburg gestellt. Das heißt also, von einer quantitativen Überforderung speziell Italiens und Spaniens, was ebenfalls immer wieder im Gespräch ist, kann eben nicht die Rede sein – aber von einer Überforderung Maltas und Zyperns; dazu werde ich noch Zahlen nennen.

Einige Länder haben offensichtlich leider Schwierigkeiten, entsprechende Standards einzuhalten. Es fehlt offenbar an der Bereitschaft und auch an dem Willen, ein den üblichen Maßstäben entsprechendes Asylsystem aufzubauen. Das sind die eigentlichen Probleme dieser Länder. Im Vergleich zu anderen Ländern ist z. B. in Italien nicht ein Zuviel an Flüchtlingen das Problem, sondern ein Zuwenig der Umsetzung bestehender Regelungen. Wichtig zu wissen ist, die Mindeststandards für Aufnahmebedingungen, gegen die hier in einzelnen Ländern verstoßen wird, ist Teil der Dublin-III-Verordnung. Insofern hat sie auf diesem Feld einen Fortschritt gebracht.

Und jetzt soll nach Ansicht der FDP ein Verteilungsschlüssel – Sie nennen das Stichwort Königsteiner Schlüssel – Abhilfe schaffen? Wohl kaum; denn das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Vielmehr würden doch Länder dafür, dass sie berechtigte Anforderungen nicht einhalten, durch Entlastung belohnt, und es würde das Motto gelten: Machen wir es den Flüchtlingen nur ungemütlich genug, müssen eben andere eine Lösung finden. – Es kann doch nicht sein, dass ein Land die zu ihm kommenden Flüchtlinge nur schlecht genug behandeln muss, um von seinen Verpflichtungen entbunden zu werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir sollten die Partner dazu anhalten, die Verordnungen – schließlich sind es Gesetze – einzuhalten. Das ist wichtig.

Jetzt glaubt die FDP, mit einem Verteilungsschlüssel auch noch eine faire Verteilung hinzubekommen. Zum Glück liegen aber Zahlen dazu vor, wir können uns das also ein

mal konkret anschauen. Der Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht, Daniel Thym von der Universität Konstanz, hat dies im vergangenen Oktober auch aufgrund der aktuellen Diskussion einmal durchgerechnet. Das Ergebnis ist durchaus spannend; denn es zeigt, dass die Grenzstaaten im Süden und auch im Osten der EU nicht die Hauptlasten tragen und auch grundsätzlich nicht überfordert sind.

Kommen wir zu den konkreten Zahlen: Auf Italien entfielen 2012 rund 15.000 Asylanträge. Nach dem Königsteiner Schlüssel hätten es aber 35.000 sein müssen, also mehr als das Doppelte. Auf Spanien entfielen tatsächlich nur 2.300 Anträge, es hätten über 24.000 sein müssen. Portugal hätte statt 290 Asylanten über 4.500 aufnehmen müssen. Dieselben Zahlen gelten für Ungarn, die Tschechische Republik und auch die baltischen Staaten.

Aber, ich erwähnte es bereits, Malta und Zypern stellen dabei eine Ausnahme dar: Diese kleinen Inselstaaten haben tatsächlich eine zahlenmäßige Überlastung zu verzeichnen, und sie würden von einer Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel profitieren. Profitieren würden aber auch die Nationen Deutschland, Luxemburg, Österreich und Belgien. Es bleibt aber dabei, dass alle Länder die Standards einhalten müssten. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung.

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abg. Merz?

Nein, das können wir alles im Ausschuss besprechen. – Das Königsteiner Modell ist zur Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland sinnvoll, und deswegen wenden wir es an. Unstrittig ist auch, und Herr Roth hat es eben schon erwähnt, dass wir in Europa in Sachen Flüchtlingsschutz – das fängt bei den Fluchtursachen an – nur gemeinsam stark sein und nur gemeinsam erfolgreich handeln können.

Wir bekennen uns – das gilt für Deutschland und für Hessen gleichermaßen – zu unseren humanitären Verpflichtungen. Das ist doch völlig klar.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir bekennen uns nicht nur dazu, sondern wir kommen ihnen auch nach. Ich denke, das ist hier parteiübergreifend deutlich geworden, als wir gemeinsam den Familiennachzug der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge im letzten Jahr beschlossen haben.

Wir bekennen uns auch zu den bestehenden rechtlichen Verfahren, deren Einhaltung allen zugutekommt. Europäische Solidarität ist für uns selbstverständlich. Deswegen wollen wir selbstverständlich auch eine Entlastung der Länder, die tatsächlich überproportional belastet sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun noch ein Wort zum Antrag der LINKEN. Er ist maßlos in der Sprache. Er ist auch maßlos im Inhalt. Ich darf ein paar Sätze aus Ihrem Antrag zitieren. Sie reden von einem „Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik“, von „brutalen und menschenrechtswidrigen … Aktionen“. Sie

reden von „Abschottungsdruck“ und der „Festung Europa“. Sie reden von einem „sogenannten Asylkompromiss“. Sie reden von einer „Atmosphäre des Antiziganismus“ und von einer „Aushöhlung des Asylgrundrechts“ in Deutschland.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Es gibt viele Organisationen, die genau das teilen!)

Wenn Sie von einer Aushöhlung des Asylgrundrechts in Deutschland sprechen, frage ich mich, warum wir dann im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission immer wieder darüber diskutieren, dass Flüchtlinge in Deutschland bleiben sollen, wenn hier doch alles so furchtbar ist. Das verstehe ich nicht ganz. Das ergibt sich für mich nicht. Ich glaube auch, dass Sie mit Ihrer Borniertheit die Situation völlig verzeichnen.

(Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Es ist nur die Frage, wer borniert ist, Frau Kollegin!)

Wer von uns beiden borniert ist, ich glaube, das ergibt sich. Aber das ist in Ordnung.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das sehe ich auch so! – Michael Boddenberg (CDU): Wir haben da eine klare Auffassung!)

Danke, das beruhigt mich. – Grundsätzlich gilt: Dieses Europa und dieses Deutschland sind human in einem Ausmaß, wie es dieser Kontinent lange nicht erfahren hat. Insbesondere Deutschland genießt einen hervorragenden Ruf in der Welt. Wir können stolz auf das sein, was wir erreicht haben. Wir behandeln Flüchtlinge sehr viel menschenwürdiger und angemessener als viele andere Regionen in der Welt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch ein Satz zu der Forderung der LINKEN, dass man Ungleichgewichte, die bei der Aufnahme von Geflüchteten entstehen können, auf finanzieller Ebene ausgleicht. Ich habe Ihnen vorhin die Zahlen genannt. Das würde bedeuten, dass krisengeplagte Länder wie Spanien oder Portugal Geld überweisen sollen an die Länder, die mehr Flüchtlinge aufnehmen. Ich weiß nicht, was der Finanzminister dazu sagt, bin mir aber relativ sicher, was die betroffenen Länder dazu sagen. Ich glaube, das ist keine Art und Weise, wie man mit dem Thema umgehen kann.

Im Übrigen verlieren Sie in Ihrem sehr ausführlichen Antrag nicht ein Wort zu den unmenschlichen Schlepperbanden, weil für Sie Inhumanität offensichtlich ausschließlich von Europa und Deutschland ausgeht.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Vom Kapitalismus! Das ist etwas anderes!)

Insofern zeigen Sie mit Ihrem Antrag wieder einmal den Umgang gegenüber dem, was wir in Europa und in Deutschland erreicht haben. Sie haben das schon bei der Regierungserklärung der Staatsministerin Puttrich sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie werden uns in dieser Frage aber nicht entzweien. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und werden gemeinsam an einem guten Weg arbeiten, der für viele zu einer Lösung führt, für das, was wir in Deutschland und in Hessen leisten können. Aber Ihre Maximalforderungen gehen, wie immer, einfach zu weit. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wallmann. – Ich nehme an, für die Landesregierung spricht Herr Minister Beuth. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde sehr angemessen, wie wir über die menschlichen Tragödien, die der Flüchtlingsproblematik zugrunde liegen, dieses unendliche Leid, das wir auch über das Fernsehen gesehen haben, hier diskutieren. Europa, Deutschland und am Ende auch Hessen haben natürlich eine Verpflichtung für humanitäre Hilfe. Aber ich will deutlich sagen: Gerade wir in Hessen leisten diese humanitäre Hilfe an vielen Stellen. Dafür sollten wir insgesamt dankbar sein.

Die Problematik der gerechten Verteilung von Asylsuchenden und Flüchtlingen wurde in den letzten Jahren intensiv auf der europäischen Ebene im Rahmen der Überarbeitung verschiedener Verordnungen und Richtlinien betreffend das Asylsystem beraten. Die Integrationsphase des EUAsylsystems ist in den vergangenen 15 Jahren abgeschlossen worden, und es ist dabei auch schon viel erreicht worden.

Zunächst wurden europaweit die asylrechtlichen Zuständigkeiten geregelt – die sogenannte Dublin-II-Verordnung – und Mindeststandards für die Anerkennung, Aufnahmebedingungen und Asylverfahren eingeführt. Ergänzt durch den Europäischen Flüchtlingsfonds ist auf diese Weise ein gemeinsamer Sockel von Mindestvorschriften im europäischen Asyl- und Flüchtlingsrecht in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention entstanden. Die Defizite, die Frau Kollegin Wallmann eben angesprochen hat, werden wir in Zukunft weiter aufbereiten müssen.

Im Jahr 2011 hat das Europäische Asylunterstützungsbüro in Malta seine Arbeit vollständig aufgenommen, um die Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer asylrechtlichen Aufgaben zu unterstützen. Dadurch ist ein umfassendes Paket an Regelungen geschaffen worden, die nunmehr überarbeitet, angepasst und zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem ausgebaut werden.

Es geht darum, dieses Erreichte zu konsolidieren und eine vergleichbare Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu erhalten. Die europäische Asylpolitik ist nicht gescheitert, bedarf aber einer weiteren Überarbeitung und Bemühungen, um den Problemen gerecht werden zu können. Der Schutz der Asylsuchenden steht nach Auffassung der Landesregierung dabei im Mittelpunkt.

Durch das gemeinsame europäische Asylsystem wird es zu einer Rechtsharmonisierung in den Mitgliedstaaten kommen. Die Konsolidierung und gleichmäßige Anwendung des nunmehr erreichten Rechtsstandards sollte im Vordergrund der zukünftigen europäischen Flüchtlingspolitik stehen. Dies wird auch in der Stellungnahme der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren zum PostStockholm-Programm deutlich gemacht.

Mit dem gemeinsamen europäischen Asylsystem werden einheitliche hohe Rechtsstandards gewährleistet. Durch die Evaluierung desselben wird nachkontrolliert, dass Flücht