Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Flüchtlinge und deren Folgen für Europa, Deutschland und Hessen ist ein wichtiges Thema, das wir in den Ausschüssen noch einmal vertiefen werden. Aber heute möchte ich das eine oder andere sagen, was aus Sicht der FDP doch grundsätzlich ist. Das Thema wird sich verschärfen.
Die internationale Situation ist, dass eigentlich monatlich Krisenherde dazukommen. Man hat nicht den Eindruck, dass Krisen irgendwo auf der Welt entschärft würden, und jede Krise bedeutet menschliche Schicksale, Menschen, die vertrieben werden und Sicherheit suchen. Eine der wenigen Möglichkeiten zur Flucht sind natürlich auch in die Europäische Gemeinschaft, nach Deutschland und Hessen. Das ist für uns eine Herausforderung, bei der wir jetzt eigentlich am Anfang stehen.
Wir haben Instrumente zu Situationen geschaffen, die jetzt nicht mehr aktuell sind. Diese Instrumente müssen verändert werden – zwingend und schnell. Es ist nicht möglich, die Staaten Italien und Griechenland mit den Herausforderungen weiterhin allein zu lassen, sondern es ist zwingend notwendig, dass diese Herausforderungen auf alle Schultern in der Europäischen Union verteilt werden.
Nach Ansicht der Liberalen hat Deutschland, haben deutsche Schultern mehr zu tragen, und es muss eine Verteilung der Flüchtlinge in ganz Europa geben, die sich aus unserer Sicht an der Bevölkerungsstärke und an der Wirtschaftskraft der Staaten orientiert, damit sichergestellt ist, dass eine adäquate humanitäre Unterbringung und eine Betreuung der Flüchtlinge erfolgt.
Dazu haben wir heute drei Anträge, die in ihrer Grundtendenz alle in eine ähnliche Richtung gehen. Vielleicht ist es möglich, im Ausschuss etwas Gemeinsames zu formulieren und sich gemeinsam hinter einer Initiative zu versammeln. Ich muss sagen, der Antrag der Koalition beinhaltet dafür Möglichkeiten, aber er gibt auch Anlass zur Vorsicht.
In Nr. 2 den Schwerpunkt auf die Verantwortung der Staaten zu setzen, die schon jetzt die Hauptlast tragen, lässt die Vermutung zu, dass Sie auch weiterhin eine große Verantwortung dieser Staaten sehen. In Nr. 3 zu sagen: „Diesen Staaten können wir besonders mit Geld helfen“, lässt auch vermuten, dass Sie es vielleicht mit der Verteilung der Flüchtlinge in einem gerechten Verteilungssystem in Europa – das ist der Hoffnungsschimmer Ihres Antrags – nicht ganz so ernst meinen.
Aber das können Sie im Ausschuss widerlegen. Das können Sie dann im Ausschuss richtigstellen, indem Sie sich dafür einsetzen, dass wir eine gemeinsame Initiative des Hessischen Landtags auf die Beine stellen. Aus meiner Sicht gilt also: Vorsicht, aber Hoffnung.
Frau Öztürk, was ich allerdings nicht mit Vorsicht und Hoffnung verbinden kann, ist dieser Ausflug in die hessische Landespolitik.
Frau Öztürk, das war sehr dünnes Eis. Ähnliches gilt für den Kollegen Bocklet. Als ich dessen Pressemitteilung zum Bejubeln der zusätzlichen 60 Millionen € für den Asylbereich gelesen habe, habe ich gedacht: Kollege Bocklet, vielleicht schauen Sie einmal in den Haushaltsplan und stellen die Zunahme der Flüchtlingszahlen, die Erhöhung der Haushaltsmittel und die gesetzlichen Aufgaben des Landes Hessen in einen Zusammenhang.
Diese 60 Millionen € sind nichts anderes als eine Erfüllung der gesetzlichen Leistungen, und die gesetzlichen Leistungen – das sagt uns die kommunale Familie – sind nicht ausreichend, um eine adäquate Unterbringung der Flüchtlinge sicherzustellen.
Das ist ein Armutszeugnis dieser Landesregierung. Ich kann verstehen, dass man kurzfristig nicht den Handlungsrahmen hat, den man brauchte. Ich sehe aber keine Signale der Landesregierung, der kommunalen Familie entgegenzukommen und in Verhandlungen einzutreten, um endlich einmal abzubilden, welche Kosten vor Ort tatsächlich entstehen.
Frau Öztürk, ich sehe, dass Sie dabei sind, einen Graben auszuheben. Sie können sich nicht darüber beschweren, dass die Opposition Dinge benennt, sondern Sie müssen sich auch als Brückenbauerin erweisen. Dann müssen Sie auch sehen, dass Sie die Union, oder wer auch immer das Problem ist, entsprechend in Bewegung setzen. Die erste Bewegung wäre ein klares Bekenntnis zur Änderung des Landesaufnahmegesetzes und ein klares Bekenntnis zur gemeinsamen Aufgabe, die Kommunen ausreichend in die Situation zu versetzen, die Aufnahme der Flüchtlinge auch ordentlich zu gestalten. Das vermisse ich.
Frau Öztürk, es gibt einen Punkt, den Sie schon angesprochen haben, die Erstaufnahme durch das Land Hessen. Wir haben uns als Fraktion erkundigt und uns das in Gießen einmal angesehen.
Wir haben uns erläutern lassen, dass mittlerweile Flüchtlinge bereits nach zwei Wochen zugewiesen werden. Ein Großteil des Asylverfahrens, das früher dort stattfand, wird jetzt vor Ort abgewickelt. Vor Ort stehen keinerlei Beratungs- oder Unterstützungspotenziale zur Verfügung, um eine angemessene Begleitung durchzuführen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie gerade hier ausgeführt haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind in großer Verantwortung, gerade als GRÜNE. Sie haben immer den Finger erhoben und haben sich auch hier wieder an dieser Stelle
sehr stark positioniert. Sie haben gesagt, Sie wollten an der Stelle etwas für Hessen bewegen. Sie wollten etwas für die Flüchtlinge bewegen und auch etwas für die Kommunen. Momentan haben wir Stillstand und Rückschritt. Das vergrößert den Weg, den Sie gehen müssen, nach dem, was Sie hier gesagt haben.
Sie können sicher sein, dass die Opposition gerade Sie persönlich, aber auch Ihre Fraktion, an dem messen wird, was Sie noch vor Kurzem hier an dieser Stelle gesagt haben. Das bedeutet nämlich ganz konkret, dass das Landesaufnahmegesetz geändert werden und dass in den Lesungen des Haushalts eigentlich noch eine Nachmeldung kommen müsste. Das bedeutet ganz konkret Aufnahme von Verhandlungen der Landesregierung mit den kommunalen Trägern, Eingestehen der Verantwortung, Anerkennen der gesetzlichen Aufgaben für diese Aufgabe. Genau diese Punkte müssen Sie umsetzen, ansonsten ist all das, was Sie hier gesagt haben, nichts wert.
An der Stelle möchte ich noch einmal einen versöhnlichen Ausblick wagen. Wenn Sie sich nicht selbst bewegen, wenn Sie nicht die Erkenntnis haben, dass das ein Thema ist, das der Hessische Landtag und die Hessische Landesregierung offensiv gestaltend angehen müssen, dann wird Sie die Realität einholen. Die Realität wird dann gestalten, und die Landesregierung wird hinterherlaufen. Dann wird alles viel schwieriger, viel teurer und für uns als Gesellschaft einen noch deutlich größere Herausforderung.
Das wollen wir vermeiden, indem wir den Finger in die Wunde legen und Sie auffordern, das, was Sie gesagt haben und unsere Vorschläge gemeinsam mit uns umzusetzen. Damit geben wir den Flüchtlingen in Hessen eine gute Möglichkeit der Entwicklung und, wenn das nötig und möglich ist, eine zweite Heimat. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als Nächster hat sich Herr Kollege Roth von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden Gott sei Dank nicht das erste Mal in diesem Landtag über Asylund Flüchtlingspolitik. Aber es fällt auf, dass bei der Debatte heute, in der Mittagszeit, Anträge vorliegen, die deutlich machen, dass wir – das ist ein gutes Zeichen – dichter zusammengerückt sind. Das will ich eingangs feststellen.
Ich habe die große Hoffnung, dass wir aufgrund der vorliegenden Anträge, egal aus welcher Ecke sie kommen, in der Ausschussberatung zu einem Ergebnis kommen, das der Problematik, um die es geht, wirklich ein ganzes Stück entgegenkommt.
Über was reden wir? Ein paar grundsätzliche Bemerkungen angesichts der Flüchtlingssituation hat Herr Kollege Rock schon gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass nicht weniger, sondern künftig mehr Flüchtlinge auf Europa zukommen. Das ist keine große Weisheit.
Deshalb ist es gut, dass wir so dicht zusammen sind, um hier vor Ort in unserem Bundesland, aber auch in der Bundesrepublik und, darauf komme ich gleich zu sprechen, erst recht in Europa einen Weg wählen, der diesem Anliegen gerecht wird.
Ich will zu einzelnen Anträgen nichts sagen, das tun wir im Ausschuss. Ich will aber ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen, die allen Anträgen gemeinsam sind, und dann zum Schluss auch etwas zu dem sehr ausführlichen Antrag der Fraktion DIE LINKE sagen.
Es ist richtig, und das ist in allen Reden deutlich geworden, dass wir, wenn wir über europäische Flüchtlingspolitik reden, zuerst über Menschen reden, die bei uns Schutz suchen vor Verfolgung, vor Krieg und vor Diskriminierung, und über sonst nichts.
Niemand verlässt sein Zuhause freiwillig. Niemand lässt Freunde und Familie unter Gefährdung des eigenen Lebens zurück. Dieser Zungenschlag ist aus der Debatte ein Stück verbannt. Gott sei Dank.
Diejenigen, die zu uns kommen, sind zunächst weder eine Last noch ein Kostenfaktor. Es sind Menschen, die bei uns Schutz suchen und deshalb unseren Respekt verdienen.
Verantwortung können wir aber nur dann ernsthaft übernehmen, wenn wir in Europa eine Flüchtlingspolitik gestalten, die Solidarität auch wirklich ernst meint, die Probleme nicht auf den Schultern der Länder ablagert, die geografisch zufällig günstiger oder – je nachdem, von wo aus man es betrachtet – ungünstiger gelegen sind, sondern die ein echtes Interesse an einer gemeinsamen europäischen Lösung hat.
Deshalb sind alle Vorschläge, die zum großen Teil in die richtige Richtung gehen – auch in dem Antrag der LINKEN –, zu begrüßen. Es ist aber all das auf den Prüfstand zu stellen, was eine europäische Lösung der Flüchtlingssituation infrage stellt. In der Debatte im Deutschen Bundestag – da lag der Antrag der LINKEN etwas ausführlicher vor – hat nicht ohne Zufall am Ende der Abg. Gauweiler dazu gesprochen. Er hat in dieser Debatte weniger europäische, weniger zentrale Zuständigkeit und dafür mehr nationale Zuständigkeit gefordert.
Ehrlicherweise muss man sagen, wenn es um Flüchtlingspolitik geht, müssen wir gemeinsam bestrebt sein, gerade an der Stelle mehr Europa zu wagen als an vielen anderen.
Deshalb ist eine solche Forderung wie in dem Antrag der LINKEN falsch, Frontex einfach abzuschaffen. Natürlich gibt es sehr viele Probleme damit. Das haben alle, die sich dazu im Bundestag und heute hier geäußert haben, mehr als deutlich gemacht. Aber wenn jedes Land das für sich regelt, wird die Flüchtlingsfrage in Europa zu einer Katastrophe. Dann werden diejenigen, die jetzt schon zuhauf belastet sind, noch stärker belastet werden, während sich andere immer weiter zurücklehnen können. Vielmehr muss das ein gemeinsames Projekt sein, und dafür werden wir auf jeden Fall eintreten.
Ich will noch ein paar Gedanken zum Antrag der FDPFraktion äußern. Sie haben einen konkreten Vorschlag gemacht, der im Januar auch im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist, z. B. das, was wir in unserer Republik in Form des Königsteiner Schlüssels haben, in ähnlicher Weise auf europäischer Ebene anzuwenden. Das ist richtig; denn es trägt unbestritten zur Verteilungsgerechtigkeit der Lasten bei. Aber wir sollten uns davor hüten, zu glauben, dass sich damit die Zahlen in unserem Land wesentlich verändern würden.
Die Rechenbeispiele sind unbestritten: Wenn man das in Anlehnung an den Königsteiner Schlüssel umsetzen würde, ergäbe das eine Zahl an Flüchtlingen, die wir schon jetzt real in der Republik aufnehmen. Die kommt bei Anwendung dieses Schlüssels heraus. Aber bei einem Land wie Schweden nähme die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge um 365 % zu, wenn man den Schlüssel darauf anwenden würde. Daher Vorsicht; denn es löst nicht die Probleme, es trägt allerdings zur Verteilungsgerechtigkeit in Europa bei.
Zum Schluss möchte ich noch einen Satz zitieren, den niemand anders als Kofi Annan vor zehn Jahren gesagt hat. Ich sage ihn mit Blick auf den kommenden Sonntag bewusst zum Schluss: