Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, diese Debatte wäre unvollständig, wenn ich nicht noch unterstreichen würde, dass wir dabei sind, einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Transparenz des Umgangs mit Problemen der Verkehrsinfrastruktur zu vollziehen. Klarheit statt nebulöser Versprechen soll in Hessen – und hoffentlich auch bald auf Bundesebene – die Richtschnur sein.

Deshalb gilt unser Dank, von den GRÜNEN, Herrn Verkehrsminister Al-Wazir. Er hat bei den Investitionen im Landesstraßenbau jetzt alle Karten auf den Tisch gelegt

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

und nicht, wie bisher, die besonders dort übliche Politik des Füllhorns ungewisser Versprechen fortsetzt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir wollen keine potemkinschen Straßenbauprojekte, sondern realisierbare und zugleich finanzierbare Lösungen, die wirkliche Lösungen für die Menschen vor Ort sind. Das wollen wir mit einer soliden Finanzpolitik verbinden. Genau so steht es im gemeinsamen Antrag der Koalition. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Danke, Herr Kaufmann. – Für DIE LINKE hat sich die Fraktionsvorsitzende, Janine Wissler, gemeldet.

(Abg. René Rock (FDP) übergibt eine Wortmeldung.)

Ich sehe, es kommt noch eine Wortmeldung. Entschuldigung, Janine. – Ganz knapp noch eine Kurzintervention. Herr Rock von der FDP, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kaufmann, wenn Sie sich hierhin stellen, über politischen Anstand reden und sich über die Hälfte ihrer Redezeit nur an einer Person abarbeiten, ohne einen Ton zum Thema zu sagen, dann spricht das für sich selbst, hat aber nichts mit politischem Anstand zu tun. Das muss ich Ihnen an dieser Stelle zurückgeben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es wäre angemessen, wenn Sie hier nochmals ein Wort dazu sagten.

Herr Kaufmann, was ich aber an Ihrer Rede nicht verstanden habe: Heißt das, was Sie gesagt haben – denn so kann man es verstehen, aber Sie sollen es einmal konkret sagen –: Die GRÜNEN werden jeglichen Neubau von Straßen in Hessen verhindern? Das ist das, was ich verstanden habe. Heißt das, was Sie hier eben vorgetragen haben: In Hessen wird keine neue Straße mehr gebaut?

Außerdem stelle ich fest; wenn Sie tatsächlich sagen, Sie wollen den Erhalt nach oben schrauben – Sie sagen, wir brauchen mehr als 100 Millionen € –: Werden Sie dann mehr als 100 Millionen € für den Erhalt beantragen? Sagen Sie doch einmal, welches die Linie der GRÜNEN, der Koalition, des Ministers sein wird.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Gibt es in Hessen noch neue Straßen? Wird an dieser Stelle überhaupt noch ein Antrag für Straßenbaumittel von Ihnen eingebracht werden?

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Oder ist das jetzt die Baustelle, der Sparhaushalt, der Steinbruch Ihrer Koalition? – Danke.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Rock. – Herr Kaufmann, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung und dafür zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Rock, in der Politik gibt es den Standardspruch: „Wer lesen kann, ist im Vorteil.“ Wer lesen kann, der erspart sich nämlich auch jede Menge Fragen, die man „dumm“ zu nennen geneigt ist, weil sie überflüssig sind.

Zu den Fragen, die Sie gestellt haben, verweise ich freundlich, aber mit Nachdruck auf den zwischen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschlossenen Koalitionsvertrag. Da können Sie ganz exakt nachlesen, was über den Straßenbau zu sagen ist. Ihr Vorsitzender hat auf einiges daraus Bezug genommen. Insofern brauchen Sie diese Fragen nicht zu stellen.

(Zurufe von der SPD und der FDP)

Ansonsten können Sie das, was im Haushalt geschieht, am Haushalt ablesen. Ich habe sehr deutlich gesagt, es wäre schön, wenn der Bund die Kosten, die wir für die Umsetzung von Maßnahmen des Bundes insbesondere im Bereich der technischen Planung haben, zuständigkeitshalber zahlen und auf diese Weise unsere eigenen Möglichkeiten vergrößern würde. Wenn alle Kräfte hier im Hause mithelfen und nicht in unterschiedliche Richtungen zerren würden, wenn wir da an einem Strick ziehen würden, kämen wir weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Kaufmann. – Zweiter Versuch für die Fraktion DIE LINKE, Fraktionsvorsitzende Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! FDP und GRÜNE streiten darüber, wer dafür verantwortlich ist, dass weniger Mittel für den Straßenbau bereitstehen, als ursprünglich vorgesehen waren. Wirtschaftsminister Al-Wazir wirft seinem Vorgänger, Herrn Rentsch, vor, er habe mehr zuge

sagt, als finanzierbar gewesen sei. Der behauptet das Gegenteil und gibt seinem Nachfolger die Schuld.

Meine Damen und Herren, um was geht es hier? Es geht hier primär um Instandhaltungsmaßnahmen und den Ausbau der Landesstraßen. 63 Projekte sollen aus Einspargründen erst später umgesetzt werden.

Ich denke, dass die Verschiebung dieser Projekte eigentlich nur ein Symptom für sehr viel grundlegendere Probleme in der Verkehrspolitik ist, die wir vor allem bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben und öffentlicher Infrastruktur im Allgemeinen haben. Im Bauherrenkostenbericht, den das Verkehrsministerium im letzten Jahr vorgelegt hat, kann man das ganz gut nachlesen. Danach decken die bereitgestellten Mittel den Bedarf für die Straßenerhaltung bei Weitem nicht. Das galt also schon, als Straßenfreund Rentsch noch Verkehrsminister war.

(Beifall bei der LINKEN)

In dem Bericht, den das Ministerium vorgelegt hat, als Sie, Herr Rentsch, noch Wirtschafts- und Verkehrsminister waren, heißt es wörtlich:

Vor dem Hintergrund der Konsolidierung des Landeshaushalts und der Schuldenbremse ist weiterhin von einer entsprechenden Diskrepanz über die nächsten Jahre und der weitergehenden Substanzverschlechterung im Landesstraßennetz auszugehen.

(Florian Rentsch (FDP): Ja, wir brauchen mehr Geld!)

Ich fasse das, was das Ministerium da schreibt, in kurzen Worten zusammen: Schuldenbremse macht Straßen kaputt. – Das ist genau die Konsequenz, die in diesem Bericht dargestellt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb vermittle ich gerne im Streit zwischen der FDP und den GRÜNEN und baue eine Brücke.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Ohje!)

Sie brauchen sich gar nicht zu streiten, wer dafür verantwortlich ist, denn letztlich sind Sie beide dafür verantwortlich. Sie haben nämlich hier im Landtag gemeinsam die Schuldenbremse beschlossen, nachdem man die Handlungsspielräume der öffentlichen Hand durch Steuersenkungen für Reiche, für Vermögende, für Unternehmen auf der Bundesebene immer weiter verkleinert hatte. Das hat zu einer Erosion bei den Einnahmen geführt, der jetzt in verschiedenen Bereichen hinterhergespart wird, ob es die Straßen sind, ob es die Finanzierung kommunaler Leistungen ist oder ob es um Bildungseinrichtungen geht. Diese Finanzierungslücken sind also auch eine Folge ungerechter Steuerpolitik.

Genau davor haben wir, haben die Gewerkschaften und haben die Sozialverbände gewarnt, als es um die Schuldenbremse ging. Es ist nämlich ein Irrsinn, dass man für Investitionen keine Kredite mehr aufnehmen darf. Und im Übrigen sind wir der Meinung: Wer mit den dicksten Autos auf öffentlichen Straßen fährt, der sollte auch einen angemessenen Beitrag zu ihrer Finanzierung leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, viele Pendler, viele Menschen im ländlichen Raum haben gar keine Alternative zum Auto

mehr. In den letzten 20 Jahren sind die Preise für Benzin und Diesel drastisch gestiegen. Das bekommen gerade Menschen mit kleinen Einkommen zu spüren. Gleichzeitig sind leider auch die Preise für den öffentlichen Verkehr stärker als die Lebenshaltungskosten insgesamt gestiegen.

Zu einer solchen Entwicklung trägt natürlich das Ziel bei, den Kostendeckungsgrad aus Fahrkarten möglichst hochzuschrauben, wie die Vorgabe der Landesregierung für die hessischen Verkehrsverbünde lautet. Daher müssen die Verkehrsverbünde dafür sorgen, dass sie möglichst hohe Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf erzielen. Das heißt, die Kosten steigen für die Pendlerinnen und Pendler immer weiter.

Der öffentliche Verkehr muss in Zukunft eine zentralere Rolle spielen, weil er zum einen in der Gesamtrechnung viel billiger ist als der motorisierte Individualverkehr und weil er zum anderen die Straßen und die Infrastruktur weit weniger belastet. Das ist ja auch vollkommen einleuchtend, weil in einem Bus 60 Leute mitfahren können, die sich sonst auf 15 Pkw aufteilen müssten.

Die Einsparungen kämen der öffentliche Hand zugute. Sie müsste weniger in den Erhalt und in den Ausbau des Straßennetzes investieren. Auch der Energieverbrauch pro Fahrgast ist im ÖPNV entsprechend geringer als im Individualverkehr.

Gerade im ländlichen Raum geschieht aber das Gegenteil. Buslinien werden ausgedünnt und durch Ruftaxis ersetzt. Wer die grundlegende Infrastruktur ausdünnt, der darf sich am Ende über die Landflucht nicht wundern. In den letzten Jahren wurde eine Politik gemacht, die die stärkeren Regionen noch weiter gestärkt und den ländlichen Raum abgehängt hat.

Das hat natürlich Folgen. Es hat die Folge, dass sich die Arbeitsplätze immer mehr in den Zentren konzentrieren, es hat die Folge, dass dort eine immer größere Nachfrage nach Wohnraum entsteht, und es hat natürlich die Folge, dass der Pendlerverkehr zunimmt.

Deswegen sagen wir: Man muss attraktive Alternativen zum Auto schaffen. Man muss den ÖPNV ausbauen. Immer mehr Straßen zu bauen löst die Probleme nicht. Das verlagert den Verkehr nur, während das ÖPNV-Angebot vielerorts verschlechtert wird. Ich sage ganz ehrlich: Wir brauchen über die Ziele des Energiegipfels und auch über die Klimaschutzziele überhaupt nicht zu diskutieren, wenn wir nicht endlich zu einer Verkehrswende und zu einer ökologischeren Art der Fortbewegung kommen.