Protokoll der Sitzung vom 28.02.2018

Kommunale Selbstverwaltung, so wie Sie sie in den letzten 19 Jahren an ganz vielen Stellen verantwortet haben – wir wissen, dass das in der jeweiligen Koalition auch immer umstritten war, was Sie hier veranstalten –, heißt am Ende, dass die Kommunen letztlich darüber zu entscheiden haben und entscheiden können, ob sie ihr Schwimmbad schließen oder Vereinsförderung streichen. Das bleibt nach wie vor das Kernproblem.

Jetzt will ich gerne einmal die Bemerkungen des Ministerpräsidenten zu unserem gemeinsamen Wahlkreis im Landkreis Gießen, in dem ich wohne, aufnehmen. Es ist schlicht und einfach so, dass in Wiesbaden oft genug Äpfel mit Birnen verglichen werden, weil die Herausforderungen für die Infrastruktur im ländlichen Raum deutlich andere sind. In einer Flächengemeinde wie Schotten ist das Thema Abwasser und Wasser eine deutlich größere Herausforderung als in Darmstadt. Schotten ist die viertgrößte Flächengemeinde unseres Bundeslandes mit einer Kanallänge von über 200 km. Jeder, der schon einmal in einem Kommunalparlament gesessen hat, weiß, was das für das Thema Gebührenhaushalt und die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger heißt.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Wenn wir solche strukturellen Unterschiede in der Landesinfrastruktur und Strukturpolitik nicht anerkennen, dann haben wir dauerhaft eine Benachteiligung des ländlichen Raums.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Herr Bouffier, das gilt im Übrigen auch für das Thema Mobilität. Sie wissen, dass ich zwölf Jahre in Birklar gelebt habe. Den Ort kennt fast kein Mensch, außer in unserer Region. Birklar ist ein kleiner Ort; es ist ein Ortsteil von Lich mit 750 Einwohnern. Es ist dort natürlich so, dass sie da – anders als in Frankfurt – nicht über den Nachttakt in der U-Bahn diskutieren, sondern darüber reden, ob sie am Wochenende ein, zwei oder drei Busse in die Kernge

meinde haben. Wenn Sie sich andere Regionen anschauen, wird das Thema immer größer. Deswegen bin ich sehr dafür, über alle möglichen Modelle nachzudenken. Aber wenn sich jemand nach 19 Jahren Regierungsverantwortung hierhin stellt und erklärt, man müsse jetzt einmal neue Ideen entwickeln, dann kann ich nur sagen: Was haben Sie die letzten 19 Jahre gemacht?

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Über den Investitionsstau bei Straßen und Schiene haben wir ja mehrfach geredet. Ich habe heute Morgen getwittert, aus aktuellem Anlass hätte ich mir fast gewünscht, wir hätten heute einmal wieder über staufreies Hessen geredet.

(René Rock (FDP): Sehr gut!)

Das ist eine meiner Lieblingsbaustellen. Aber das ist jenseits des Running Gag, den wir in der nächsten Zeit sicherlich noch häufiger hören werden.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich habe Sie in der letzten Debatte darauf hingewiesen, dass wir beispielsweise mit Blick auf die Anbindung des Odenwaldkreises

(René Rock (FDP): Ja, sehr gut!)

oder des Marburger Hinterlandes, worum die Kolleginnen und Kollegen parteiübergreifend bitten, wenigstens einmal eine Perspektive bekommen. Man bekommt da von Ihnen überhaupt nichts.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jan Schalauske (DIE LINKE))

Die Frage des angemessenen und bezahlbaren Wohnraums ist nicht nur in den Ballungsräumen ein Thema. Die Verringerung von bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum ist auch in Regionen wie dem Vogelsberg oder WaldeckFrankenberg inzwischen ein Thema.

(Holger Bellino (CDU): Mein Gott!)

Dazu gibt es einerseits keine Bemerkung, aber es gibt auch nicht den Hauch einer Idee.

Zum Stadt-Land-Gefälle beim Breitbandausbau: Ja, Sie haben recht, im Vergleich zu anderen Bundesländern ist Hessen in der Tat ein Stück nach vorne gerückt. Das ist auch gut so. Aber der entscheidende Punkt ist: Sie tun hier regelmäßig so, als wäre es Ihr Werk.

(Zurufe von der CDU)

Es war aber der Landkreis Odenwald, es war der Landkreis Main-Kinzig, es waren die nordhessischen Landkreise

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Wir arbeiten daran!)

Herr Pentz –, die teilweise gegen den erbitterten Widerstand

(Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen der Präsi- dentin)

von Kommunalaufsicht und Land – –

(Manfred Pentz (CDU): Ich habe noch nie von Ihnen eine Antwort gehört!)

Herr Pentz, jetzt rede ich. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann kommen Sie bitte nach vorne. Das ist selten genug der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Der entscheidende Punkt ist – –

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kollege Frömmrich, Sie können auch nach vorne kommen. Ich freue mich jedes Mal auf eine Intervention von Ihnen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Noch einmal: Der entscheidende Punkt ist, dass es Widerstand von der Kommunalaufsicht gab, bis Sie sich dann irgendwann entschieden haben, sodass durch Bürgschaftsprogramme und weitere Unterstützung in der Tat etwas passiert ist. Sie maßen sich aber immer wieder an und tun so, als wären Sie es gewesen. Sie waren es aber nicht. Es waren die Kommunalen, die das organisiert haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Der Ministerpräsident ruft dazwischen. Volker, der „Bestimmer“. Ohne den würde in Hessen gar nichts laufen. Das haben wir im Odenwald und anderswo gesehen. – Herr Ministerpräsident, nehmen Sie sich einfach einmal zurück. Es gibt noch andere im Land, die etwas leisten. Das sind nicht immer nur Sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, statt echter Lösungen bieten Sie nun 1,8 Milliarden € an, von denen 1,3 Milliarden € unmittelbar Geld der Kommunen sind. In der Glosse der Woche im „Wiesbadener Kurier“ hat Herr Cuntz das mit den „hessischen Bitcoins“ wirklich gut auf den Punkt gebracht. Er schreibt wörtlich:

Niemand beherrscht die Kunst, Geld zweimal auszugeben, so gut wie die schwarz-grüne Landesregierung.

(Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Dazu hat sie eine Art virtuellen Landeshaushalt kreiert. Hessische Bitcoins.

Weiter heißt es:

Geld zweimal ausgeben: Ministerpräsident Volker Bouffier hat die Idee gefallen. Bei ihm sind es jetzt 1,8 Milliarden €, die er in zwei Jahren, versehen mit dem Etikett „Heimat Hessen“, ein zweites Mal investiert. Auch dieses Geld war bereits fest verplant – etwa für Breitbandausbau und bessere medizinische Versorgung auf dem Land. Besonders pfiffig: Auch Geld, das Verkehrsminister Tarek Al-Wazir für seine „Sanierungsoffensive“ für Landesstraßen eingeplant hat, wird als „Heimat Hessen“ vermarktet. Der hessische Bitcoin ist ein wahrer Renner. Zumindest marketingtechnisch gesehen.

Ich sage Ihnen, Herr Cuntz hat recht. Damit komme ich auch schon zum Schluss. Vorhin haben Sie sich darüber beklagt, dass wir manche Ihrer Maßnahmen als Wahlkampfmaßnahmen stigmatisieren, formulieren bzw. bemerken, dass das Wahlkampf ist. Ich kann Ihnen das nicht ersparen: Einen Teil dessen, was Sie hier als möglichen Problemlösungsansatz anführen, würde es ohne Sie als Problem nicht geben. Was Sie hier machen, ist und bleibt nichts anderes als der zweite Teil der Story, die uns in die

sem Jahr noch häufiger begegnen wird. Am Abend werden die Faulen fleißig. Das hat nur einen einzigen Grund, und zwar den 28. Oktober und sonst gar nichts. – Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster hat Kollege Rock für die FDP-Fraktion das Wort. Fünf Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie sprachen von einem Land, in dem man gut und gerne lebt, in dem alles gut ist und in dem Sie Dankbarkeit erwarten für das, was die Regierung getan hat. Sie müssen sich einmal darüber im Klaren sein, was Sie eigentlich wollen. Glauben Sie, in Hessen sei alles gut, und es könne alles so bleiben, wie es ist, oder glauben Sie, dass wir in diesem Land etwas verändern müssen, dass wir dieses Land voranbringen müssen, weil eben nicht alles gut ist? Dazu müssen Sie einmal eine klare Aussage treffen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Der ländliche Raum rückt nun plötzlich in den Fokus. Sie regieren seit über vier Jahren. Seit über vier Jahren hätten Sie die Möglichkeit gehabt, etwas für den ländlichen Raum umzusetzen. Eigentlich hätten Sie die Chance gehabt, eine Leistungsbilanz über das vorzulegen, was Sie erreicht haben, um zu zeigen, wie es im ländlichen Raum vorangegangen ist. Sie können sich doch nicht hierhin stellen, die Aufgabe der Opposition übernehmen und sagen, was verbessert werden muss. Sie müssen doch die Aufgabe der Regierung übernehmen und erklären, was Sie getan haben und was alles im ländlichen Raum signifikant besser geworden ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)