Nachdem die sogenannte Offensive für den ländlichen Raum der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wird nun keine Gelegenheit ausgelassen, jede noch so kleine Maßnahme unter die Förderung des ländlichen Raums zu subsumieren. Die Verlagerung von 20 Dienststellen ins Finanzamt Michelstadt wird genauso öffentlichkeitswirksam gefeiert wie diese umfangreiche Beantwortung der Große Anfrage der Koalitionsfraktionen, die nur eineinhalb Monate nach der Anfrage der SPD eingereicht wurde.
Immerhin hat es die Landesregierung geschafft, die Große Anfrage der Koalition in gut sechs Monaten zu beantworten. Das ist auch nicht immer der Fall.
Aber schauen wir uns diese angebliche Offensive der Landesregierung doch einmal etwas genauer an. 1,8 Milliarden € werden in den laufenden zwei Jahren des Haushalts konkret in den ländlichen Raum investiert – behauptet jedenfalls die Landesregierung. Man kann Herrn Boddenberg auch fast glauben, wenn er die ganzen Zahlen und Projekte aufzählt. Aber nur fast, denn von diesen 1,8 Milliarden € sind allein 1,3 Milliarden € Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich.
Diese Mittel gibt es seit 2016. Diese Mittel aber als Neuheit zu verkaufen grenzt zumindest an eine Trickrechnung.
Dann auch noch die Landesstraßenbaumittel und die europäischen Fördertöpfe für den ländlichen Raum inklusive Agrarförderung einzuberechnen, ist schon legaler Trickbetrug.
Meine Damen und Herren, die angebliche Offensive der Landesregierung für den ländlichen Raum knapp acht Monate vor der Landtagswahl ist eine Werbekampagne auf Steuerzahlerkosten.
Dabei werden bestehende Maßnahmen als neu verkauft und die Zahlen je nach Gusto völlig willkürlich addiert. Warum die Landesregierung das macht, hat sie in der Pressekonferenz selbst beantwortet: Man braucht ein Marketingkonzept, um die 50 % Wähler im ländlichen Raum gewinnen zu können.
Der ländliche Raum braucht aber statt schöner Slogans und Politikmarketing mehr Infrastruktur und Bildung. Wir brauchen Digitalisierung und Mobilität.
Für die GRÜNEN ist der ländliche Raum einzig und allein die Fläche, auf der sie für ihre städtische Klientel romantische Agrarstrukturen und Urwälder vergangener Zeiten herstellen wollen.
Ja, es ist so. Anders lässt sich nämlich die Verweigerungshaltung bei der Entwicklung des ländlichen Raums nicht mehr deuten.
Wenn wir den ländlichen Raum als eigenen Wirtschaftsund Lebensraum für die Menschen attraktiv gestalten wollen, brauchen wir eben auch Straßen- und Mobilitätsangebote. Wenn Ihre Große Anfrage eines belegt, dann ist es die Geh-zu-Fuß- und Fahr-Rad-Politik, die der grüne Verkehrsminister seit vier Jahren betreibt.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Armin Schwarz (CDU): Haben Sie einmal in den Haushaltsplan geschaut?)
Ja. – Schauen Sie sich doch die in den Antworten aufgezählten verwirklichten Straßenprojekte an. Wenn Sie die von Posch und Rentsch durchgesetzten Projekte herausnehmen, bleibt nicht mehr viel übrig.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung des ländlichen Raums wird von Schwarz-Grün seit Jahren völlig vernachlässigt. Anstatt Ortsumgehungen für mehr Lebensqualität zu bauen, baut Al-Wazir Radwege und versucht, so wenig Geld wie möglich in den Straßenbau zu investieren.
Jetzt aber die Mittel des Landesstraßenbaus als Mittel für den ländlichen Raum umzudeuten, spottet jeder Beschreibung.
Wenn wir wollen, dass der ländliche Raum attraktiv und Teil einer Lösung, auch für die Wohnungsprobleme der Ballungsräume, wird, brauchen wir eine Anbindung an die Wirtschaftsräume. Die Leute sind bereit, Wegstrecken auf sich zu nehmen. Aber das hat auch Grenzen. Wenn man dann lesen muss, was die Vorstellungen des Wirtschaftsministers zur Mobilität der Menschen auf dem Land sind, kann man sich ärgern oder bestenfalls den Kopf schütteln.
Am 27. Januar gab es in der „HNA“ ein Interview mit Tarek Al-Wazir. Dort steht, ein Ziel der hessischen GRÜNEN sei es, die Mobilität im ländlichen Raum zu verbessern. Der Minister sagt dann, wir müssten kreativer werden. Er setze unter anderem auf Bürgerbusse, Rufbusse, Mitfahrerbänke und Vereine, die privat Carsharing organisieren. Während also die Städter von Investitionen in Infrastruktur profitieren, sollen die Dörfler schön auf den Bänkchen sitzen, bis sie ein Nachbar mitnimmt.
Sorry, Herr Minister, aber das sind keine Lösungsansätze. Das ist für uns am Thema vorbei. Wir brauchen auch im ländlichen Raum einen attraktiven ÖPNV und eine vernünftige Straßenanbindung. Mindestens genauso wichtig ist eine Breitbandanbindung, die es ermöglicht, dass Menschen von zu Hause aus arbeiten können,
auch wenn sie große Datenvolumen verarbeiten müssen. Wer heute noch die Geschwindigkeit von 50 MBit/s als angestrebten Standard propagiert oder gar behauptet, dass das die Zukunft sei, wird die ländlichen Räume langfristig abhängen.
Sprechen Sie doch bitte einmal mit Menschen aus kleinen Orten, beispielsweise in Nordhessen. Ich biete mich dafür an. Falls Sie solche Menschen nicht kennen sollten, bin ich gern behilflich.
Ich wohne in Nausis. Das ist ein Stadtteil von Neukirchen im Schwalm-Eder-Kreis. Wir haben 287 Einwohner und ein Internet wie im Mittelalter. Erst am Wochenende hat mir jemand aus meinem Dorf berichtet, dass er von seinem Arbeitgeber das Angebot bekommen habe, Homeoffice zu machen. Er kann dieses Angebot aber nicht annehmen, weil die Datengeschwindigkeit nicht ausreicht, damit er vernünftig arbeiten kann.
So muss er weiterhin jeden Tag nach Frankfurt fahren. Ihm nützt auch das Jobticket nichts, auch wenn er ein hessischer Landesbeamter ist, weil es vor Ort eben keinen vernünftigen ÖPNV gibt.
Es nützt nichts, wenn Sie sich feiern, dass der Hochtaunuskreis auf Platz 1 der bestversorgten Landkreise – –
Es nützt nichts, wenn Sie sich feiern, dass der Hochtaunuskreis auf Platz 1 der bestversorgten Landkreise Deutschlands liegt, wenn es viele Orte gibt, in denen man nicht einmal an einer Skype-Konferenz teilnehmen kann. Wir verschlafen hier gerade die Chance schlechthin. Wir brauchen auch im ländlichen Raum Glasfaser; nur dann kommen wir wirklich voran.
Dazu gibt es auf Bundes- und Landesebene nichts als Leere. Diese Landesregierung ist nur groß darin, wenn es darum geht, Geldsummen großzurechnen, wie das in diesem Projekt gemacht wird. Wenn es aber um mögliche Lösungskonzepte geht, dann steht sie da wie der nackte Mann, dem man nicht in die Tasche greifen kann.