Protokoll der Sitzung vom 01.03.2018

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf den Kindergarten- oder Krippenplatz, aber auch die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt sind unabdingbare Forderungen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss selbstverständlich werden.

Zur Wahrheit gehört auch, das beklagen wir immer noch, dass Hessen mit 14,1 % durchschnittlichem Lohnunterschied noch nicht am Ziel, aber besser als der Bundesdurchschnitt ist. Doch was sagt uns ein Durchschnittswert? – Wir sind sehr dankbar, dass im Hessischen Lohnatlas eine gründliche Analyse aufzeigt, in welchen Branchen und in welchen Regionen noch Handlungsbedarf besteht. Hier sind wir in Hessen Vorreiter.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch eine wichtige Information für die Frauen in Verhandlungen mit ihren Arbeitgebern. Sie sollten selbst

bewusst darangehen, und sie sollten auch den Finger in die Wunde legen.

Meine Damen und Herren, mit Elan und Engagement sollten wir in diesem Jahr in Hessen auf 100 Jahre Frauenwahlrecht aufmerksam machen. Wir sollten die große Bedeutung der Hessischen Verfassung und der in ihr verankerten Rechte öffentlich machen und für die Verfassungsänderung werben.

Wir sollten alle daran arbeiten, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu informieren. Wir sollten ihnen sagen, dass Demokratie davon lebt, dass die Bürgerinnen und Bürger am 28. Oktober von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, nicht nur, um den Hessischen Landtag zu wählen, sondern auch, um über die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen abzustimmen, wie den Gleichheitsgrundsatz von Männern und Frauen.

Wenn das so wäre und wir eine große Beteiligung hätten, dann könnten wir alle im nächsten Jahr zufrieden sein. Gleichberechtigung von Frauen gehört zu einem wichtigen Grundrecht, worum wir alle gemeinsam kämpfen sollten. – Danke.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ravensburg. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Kollegin Gnadl von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! – Aus Anlass der heutigen Debatte wollte ich diese Anrede verwenden, die Marie Juchacz als erste Frau in der Nationalversammlung am 19.02.1919 ausgesprochen hat und die damals zu großer Heiterkeit geführt hat – zumindest wurde dies im Protokoll vermerkt.

Der Kampf der Frauen um das Frauenwahlrecht von damals ist und bleibt Verpflichtung für uns alle, in unserem Kampf nicht nachzulassen und weiter zu kämpfen, bis wir die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Das Frauenwahlrecht musste gegen harte Widerstände erkämpft werden. Die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges verfasste die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ und wurde für ihren Einsatz schließlich enthauptet.

Als Sozialdemokratin kann ich mit einem gewissen Stolz sagen: Dass es zur Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland gekommen ist, ist vor allem auch der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie zu verdanken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit der Jahrhundertwende trieb die SPD die Idee des Frauenwahlrechts maßgeblich mit voran. Während sich die bürgerliche Frauenbewegung auf die Forderung eines eingeschränkten Frauenwahlrechts beschränkte, kämpfte die SPD von Anfang an für die komplette Gleichstellung, allen voran die damalige Frauensekretärin Clara Zetkin.

Am 30. November 1918 trat das Reichswahlgesetz in Kraft. Dass das eigentlich nur die Umsetzung einer langen Selbstverständlichkeit war, darauf verwies auch Marie Juchacz in ihrer ersten Rede vor der Nationalversammlung. Ich zitiere:

Ich möchte hier feststellen, … dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Bei der Wahl im Januar 1919 gaben 82 % der wahlberechtigten Frauen ihre Stimme ab. 82 % Wahlbeteiligung der wahlberechtigten Frauen: Das wünsche ich mir auch für heute. Ich glaube, dann sähe in der Politik auch einiges anders aus.

Das gilt gerade in einer Zeit, in der wir auch wieder mit frauenpolitischen Rückschritten zu kämpfen haben. Denken wir z. B. an die rechtspopulistischen Parteien, die stärker werden und die ein Frauenbild aus der Nazizeit vertreten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Heute sieht der Frauenanteil in den deutschen Parlamenten besser aus, als es damals noch in der ersten Nationalversammlung der Fall war. Aber ein Drittel Frauenanteil unter den Abgeordneten in diesem Haus – das ist auch heute noch nicht die Hälfte der Macht. Der Frauenanteil in diesem Haus ist auch innerhalb der verschiedenen Fraktionen sehr unterschiedlich. Das ist aus meiner Sicht auch ein Ausdruck davon, wie intensiv die Bemühungen in den eigenen Reihen dafür sind, für einen größeren Frauenanteil zu sorgen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN – Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Im neu gewählten Deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil mit 31 % sogar noch etwas niedriger, und er ist zurückgegangen. Das liegt natürlich auch daran, dass mit der AfD eine Partei in den Bundestag eingezogen ist, die einen Frauenanteil von lediglich 11 % in ihren Reihen hat. Ich finde, das sagt sehr viel über das Gesellschafts- und Frauenbild der AfD aus.

Der Kampf um Gleichberechtigung war und ist mit der Einführung des Frauenwahlrechts nicht beendet. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Verankerung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz erkämpft werden. Auch hier war es mit Elisabeth Selbert wieder eine Sozialdemokratin – dazu noch eine hessische Sozialdemokratin –, die die Verankerung von Art. 3 im Grundgesetz erwirkt und erkämpft hat.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Erst 1994 findet sich in diesem Artikel auch der Auftrag, dass der Staat auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung und die Beseitigung weiterhin bestehender Benachteiligung hinwirken soll. Bis Ende der Fünfzigerjahre bestand das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns in Ehe- und Familienangelegenheiten. Es sollte bis

1977 dauern, bis unter der damaligen sozialliberalen Koalition durchgesetzt wurde, dass Frauen ihren Ehemann eben nicht mehr um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie berufstätig sein wollen. Was uns heute selbstverständlich erscheint, auch das musste erst hart von vielen Frauen erkämpft werden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich würde mir wünschen, dass in einigen Jahren in Sachen Gleichberechtigung weitere Dinge als selbstverständlich angesehen werden können, die eben heute noch im Argen liegen: dass etwa der Anteil der Frauen in Parlamenten paritätisch wird oder dass auch im Arbeitsalltag endlich der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ erreicht sein wird und die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern geschlossen werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil die Regierungsfraktionen in ihrem Antrag darauf hinweisen: Aus meiner Sicht reicht der Hessische Lohnatlas eben nicht aus, weil hier nur die Vollzeitstellen miteinander verglichen werden und das nicht ein Bild der tatsächlichen Wirklichkeit darstellt – vor allem aber, weil die Landesregierung bisher keine Konsequenzen aus den Daten des Hessischen Lohnatlas zieht.

(Beifall bei der SPD)

Ich würde mir auch wünschen, dass wir in einigen Jahren – oder kürzester Zeit – endlich tatsächlich gebührenfreie Kitas bekommen, und zwar ganztägig; denn nur sechs Stunden, das führt einfach völlig an der Lebensrealität vorbei. Hier setzt Schwarz-Grün auf ein überkommenes Familienbild.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Ich würde mir wünschen, dass wir Kampagnen wie #MeToo in Zukunft nicht mehr brauchen werden;

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

denn sie sind ein Ausdruck dafür, dass Männer – durch Vergewaltigung und sexuelle Belästigung – noch Macht über Frauen ausüben.

Ich würde mir wünschen, dass die Führungspositionen in unserer Gesellschaft und auch in der Wirtschaft gleich stark mit Frauen und Männern besetzt sind. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass es Manuela Schwesig war, die auch gegen erbitterten Widerstand darum gekämpft hat, dass eine 30-%-Quote für die Aufsichtsräte der DAX-Konzerne eingeführt wurde.

Ich würde mir wünschen, dass die paritätische Besetzung auch in der Politik durchgesetzt wird. Wenn man sich hier das Kabinett im Hessischen Landtag anschaut, sieht man, dass das noch lange nicht erreicht ist, wenn von elf Kabinettsmitgliedern nur drei weiblich sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das ist noch viel im Vergleich zum marginalen Frauenanteil beispielsweise auf der Ebene der Abteilungsleiterstellen in den hessischen Ministerien, wo es nach wie vor frauenfreie Zonen gibt, etwa im Finanzministerium, im Wirtschaftsministerium und im Innenministerium – und das, obwohl dort seit 2014 fünf neue Stellen besetzt wurden. Das ist aus unserer Sicht beschämend.

(Beifall bei der SPD)

Hessen braucht endlich eine Landesregierung, die den öffentlichen Dienst wieder zum Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung macht; denn die Gleichberechtigung der Geschlechter ist und bleibt eine Führungsaufgabe. Solange sie von der Spitze, dem Ministerpräsidenten und dem Kabinett, nicht vollständig gewollt und gelebt wird, so lange kann es in Hessen auch keinen echten frauenpolitischen Aufbruch geben. Dazu gehört, dass wir ein Hessisches Gleichberechtigungsgesetz bekommen, das diesen Namen auch verdient. Die bisherigen schwarz-grünen Veränderungen zeigen nämlich keine Wirkung in Hessen.

Es muss noch viel passieren. Nach 19 Jahren Stillstand und Rückschritt in Hessen brauchen wir in Sachen Gleichberechtigung endlich auch wieder Fortschritt und Aufbruch.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Ich komme zum Schluss. – Die SPD – ich habe heute eine Reihe von Beispielen aufgezählt – ist die Partei, die in den vergangenen 155 Jahren immer für Gleichberechtigung gekämpft hat. Das ist eine Tradition, auf die wir auch stolz sind und die uns gleichzeitig für die Zukunft verpflichtet. Dabei geht es eben nicht nur um feierliche Reden zum 100-jährigen Bestehen des Frauenwahlrechts, sondern es geht um einen engagierten Einsatz in Sachen Gleichberechtigung, 365 Tage im Jahr.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gnadl. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner. Bitte sehr, Sie haben das Wort.