Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Ich sage Ihnen: Das ist ein Hohn gegenüber den Tausenden Bewerberinnen und Bewerbern, die unversorgt bleiben, gegenüber den Tausenden in den Übergangssystemen und gegenüber den Tausenden sogenannten Altbewerbern.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Nun ist es ja so, dass Sie mir meistens nicht glauben, nicht wahr, Frau Lannert. Deswegen empfehle ich Ihnen wärmstens und lege es Ihnen ans Herz, den Bericht „Berufsausbildung in Hessen 2017“ zu lesen. Diesen Bericht gibt das Wirtschaftsministerium alljährlich heraus. Ich kann sagen, es ist ein sehr lesenswerter und faktenreicher Bericht. Diesen Bericht empfehle ich Ihnen. Frau Kollegin, nicht wir

erzählen Schauergeschichten. Die Zahlen sind eine Schauergeschichte. Die sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

In diesem Bericht steht, weil es nach wie vor einen erheblichen Mangel an Ausbildungsplätzen gibt – Herr Boddenberg, das können Sie auf Seite 4 nachlesen –, „haben sich die Ausbildungsmarktchancen der Jugendlichen rechnerisch verschlechtert“.

(Norbert Schmitt (SPD): Wo steht das?)

Das ist ein flächendeckendes Problem über alle Regionen und Kreise.

(Norbert Schmitt (SPD): Der Kollege Bocklet hat etwas ganz anderes gesagt!)

Ich zitiere einen weiteren Satz aus diesem Bericht:

Zwar gibt es auch auf Bundesebene ein Defizit an Ausbildungsplätzen. Allerdings fällt dieses in Hessen rechnerisch weiterhin größer aus.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hört, hört!)

Auch das steht in Ihrem Bericht. Wenn man sich die Angebots-Nachfrage-Relation anschaut, die sich auf Bundesebene übrigens verbessert hat, stellt man fest, dass sie in Hessen schlechter geworden ist. Hessen steht ganz weit hinten unter den Bundesländern, schlechter ist nur noch Nordrhein-Westfalen. Da frage ich: Sind das die „guten Bedingungen für Auszubildende“, die Sie in Ihrem Antrag allen Ernstes meinen? – Lesen Sie sich Ihre eigenen Zahlen durch, und dann überlegen Sie, ob Sie diesen Antrag nicht lieber zurückziehen sollten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ja, es ist richtig, dass auch Stellen unbesetzt bleiben. Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist aber immer noch größer. Es gibt eine große rechnerische Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. Natürlich sollen auch die Beratungs- und Vermittlungsangebote verbessert werden. Eine rechnerische Lücke kann man aber nicht wegberaten oder -vermitteln. Dafür müssen die Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen und mehr Ausbildungsplätze schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ausbildungsbereitschaft der hessischen Betriebe ist weiter zurückgegangen, und die Anzahl der Ausbildungsbetriebe sinkt. Nur ein Fünftel der Betriebe bildet überhaupt aus, fast die Hälfte der hessischen Betriebe hat nicht einmal eine Ausbildungsberechtigung. Seit 2008 haben sich 14,5 % der Betriebe aus der Berufsausbildung zurückgezogen. Wir haben die Situation, dass die Zahl der Beschäftigten ansteigt, aber die Zahl der Auszubildenden sinkt.

Die Ausbildungsquote liegt in Hessen bei 4,5 %, das liegt unter dem westdeutschen Durchschnitt. Das Minus von 9 % bei den Ausbildungszahlen seit dem Jahr 2009 sei, laut Ihrem Bericht, „beachtlich“. Das können Sie auf Seite 36 nachlesen.

Umso wichtiger ist es, dass die Ausbildung endlich auch zu einem verbindlichen Kriterium im Vergabegesetz gemacht wird, damit Betriebe, die nicht ausbilden, nicht auch noch durch öffentliche Aufträge belohnt werden.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Klein- und Kleinstbetriebe bilden weiterhin überproportional aus, während sich viele große Unternehmen aus der Verantwortung stehlen. Deswegen fordern wir seit Langem gemeinsam mit den Gewerkschaften die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage. Wenn die großen Unternehmen schon unzureichend ausbilden, dann sollen sie sich wenigstens an der Finanzierung beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Landesregierung setzt aber mit ihrem Bündnis Ausbildung Hessen wieder darauf, dass sich die Wirtschaft selbst verpflichten soll, weitere Ausbildungsplätze zu schaffen. Wie weit wir mit all diesen Selbstverpflichtungen, Apellen und Absichtserklärungen gekommen sind, zeigen die Zahlen in Ihrem eigenen Bericht eindrucksvoll.

(Michael Boddenberg (CDU): Wollen Sie, dass das Handwerk dafür auch noch zahlen muss? – Gegenruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE): Hören Sie doch erst einmal zu!)

Nein, die genau nicht. – Wir brauchen eine Ausbildungsumlage, wir brauchen eine stärkere Förderung von Ausbildungsverbünden, und wir brauchen eine überbetriebliche Ausbildung durch das Land. Das würde insbesondere die kleinen Betriebe unterstützen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, weil Sie das eingeworfen haben: Sie müssten sich mit der Materie einmal insoweit befassen, dann würden Sie feststellen, dass die Handwerksbetriebe überproportional ausbilden. Sie würden dann keine Umlage bezahlen.

(Zuruf des Michael Boddenberg (CDU) – Glockenzeichen der Präsidentin)

Ich sage aber auch, dass eine Landesregierung nicht glaubwürdig ist, wenn sie an die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen appelliert und sich das Land selbst aus der Ausbildung zurückzieht und Ausbildungsplätze streicht. Auch hier lese ich Ihnen aus Ihrem eigenen Bericht vor, Seite 25, wenn Sie mitlesen wollen:

Die Bedeutung des Zuständigkeitsbereichs öffentlicher Dienst auf dem dualen Ausbildungsmarkt nimmt bundesweit ab. Mit einem Minus von 26 % gegenüber dem Jahr 2000 übertrifft der Rückgang in Hessen aber den in Westdeutschland deutlich (minus 7 %).

Auf Seite 78 des Berichts befindet sich eine sehr interessante Tabelle.

(Norbert Schmitt (SPD): Du liest zu viel!)

Ich lese das, was die Landesregierung schreibt. Das sollte die Landesregierung auch einmal tun. – Auf Seite 78 befindet sich eine Tabelle, in der die Entwicklung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge nach Wirtschaftsbereichen aufgeführt ist. Der mit Abstand größte Rückgang von Ausbildungsplätzen ist im öffentlichen Dienst zu verzeichnen. Das Land muss seiner Verantwortung nachkommen und endlich wieder mehr ausbilden. Wenn der öffentliche Dienst nicht ausbildet, kann man auch nicht glaubwürdig an die Unternehmen appellieren.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Kommen wir zum Übergangsbereich. In Hessen befinden sich besonders viele Jugendliche im Übergangsbereich in berufsvorbereitenden Maßnahmen, den sogenannten Warteschleifen. Die Arbeitsmarktchancen der jungen Menschen in diesen Maßnahmen sind schlecht, auch das stellt das Wirtschaftsministerium selbst in seinem Bericht fest.

Dass diese Zahl stark angestiegen ist, liegt in der Tat auch an InteA und an der Zahl der Geflüchteten und Zuwanderer. InteA macht aber nicht einmal ein Viertel der insgesamt 29.000 Jungendlichen im Übergangssystem aus.

Das Problem des Übergangssystems ist, dass die allermeisten dieser Maßnahmen keinerlei Anrechenbarkeit haben. Sie bringen nichts für die spätere Berufsausbildung. Ein Großteil der Menschen, die diese Maßnahmen durchlaufen, findet danach auch keinen Ausbildungsplatz. Fast 20.000 sogenannte Altbewerber gibt es in Hessen, viele von ihnen bleiben dauerhaft unversorgt. Von einer De-facto-Ausbildungsgarantie, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, kann also überhaupt keine Rede sein.

Weil die Unternehmen ihrer Verantwortung, Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht nachgekommen sind, ist ein Wirrwarr an Ersatzangeboten entstanden. Herr Bocklet, es ist nicht das Problem, dass zu wenig Geld darin steckt. Das ist auch gar nicht die Kritik gewesen.

(Zurufe der Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) und Judith Lannert (CDU))

Diese Maßnahmen sind einfach schlecht strukturiert und müssen verändert werden. Sie müssen dazu führen, dass Menschen Abschlüsse bekommen, die anerkannt werden. Sonst empfinden Jugendliche das zu Recht als verlorene Jahre.

Dann müssen wir über die vielen Menschen reden, die unbemerkt aus dem Bildungssystem und aus der Statistik fallen. Von 42.000 Bewerberinnen und Bewerbern begann 2016 nur knapp die Hälfte eine Berufsausbildung. Andere gehen direkt in die Erwerbstätigkeit, sie bleiben in der Schule, sie machen Praktika, oder sie landen im Übergangssystem. Dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in diesem Bereich besonders benachteiligt sind, auch das kann man in dem Bericht nachlesen.

Bei 22 % der Bewerber ist der Verbleib nicht bekannt. Man weiß einfach nicht, was aus diesen jungen Menschen geworden ist und wo sie untergekommen sind. In dem Bericht kann man nachlesen, das fand ich beeindruckend, dass davon auszugehen ist, dass sie sich „faktisch in einer eher schwierigeren Lage“ befinden. – So viel zu den guten Bedingungen. Da würden Sie sagen: kein Alarmismus. – Alarmierend finde ich es aber schon, was hier steht und was die Perspektiven dieser jungen Menschen sind, Herr Bocklet.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb ist die Forderung im SPD-Antrag richtig, dass wir eine umfassende Erfassung aller Schulabgänger brauchen, damit Jugendliche nicht einfach unbemerkt aus dem Bildungssystem herausfallen und ihnen droht, ohne Ausbildung dauerhaft im Niedriglohnbereich zu arbeiten oder in der Erwerbslosigkeit zu landen.

(Beifall des Abg. Stephan Grüger (SPD))

Deshalb müssen Sie aufpassen, dass hier nicht einfach mit Zahlen getrickst wird, weil natürlich die Jugendlichen, die in das Übergangssystem wandern, einfach aus der Statistik

herausfallen. Das bedeutet aber nicht, dass sie versorgt sind oder einen Ausbildungsplatz haben. Deshalb sollte man sich die Zahlen nicht schönreden, sondern die Sorgen der Menschen ernst nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Auch über die Qualität der Ausbildung ist zu reden. Der DGB beklagt in seinem „Ausbildungsreport“ regelmäßig, dass die Qualität der Ausbildung deutlich zu wünschen übrig lasse. Wir müssen über die Berufsschulen reden, ich sage mal: das Stiefkind der hessischen Bildungspolitik. Herr Minister, zwei Drittel aller Berufsschüler sagen, die Berufsschulen seien zu schlecht ausgestattet und hätten keine zeitgemäßen Unterrichtsmaterialien.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.