Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das ist äußerst bedauerlich, Frau Präsidentin.

(Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Für Sie vielleicht! – Weitere Zurufe)

Über die Qualität wäre noch zu reden, auch über die Arbeitsbelastung.

Ich will noch feststellen, dass Bildung ein Menschenrecht ist, ebenso die Ausbildung. Wir sollten nicht zulassen, dass junge Menschen in Ausbildungen gezwungen werden, die sie eigentlich gar nicht machen wollen, weil sie kein anderes Angebot haben.

Wir haben gerade eine Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst, bei der die Auszubildenden zu Recht mehr Vergütung fordern oder teilweise, dass sie überhaupt Geld bekommen. Deshalb gilt: Wer will, dass mehr Fachkräfte ausgebildet werden, der muss Ausbildungsplätze schaffen und die Unternehmen endlich in die Verantwortung nehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Rock von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist manchmal etwas betrüblich für Abgeordnete im Landtag, die ein wichtiges Thema diskutieren wollen, wenn sie auf die Abgeordneten von CDU und GRÜNEN treffen, die die Regierung unterstützen, und wenn sie immer wieder das gleiche Vorgehen erleben, indem einfach gesagt wird: Es gibt kein Problem. Die ist ein Land, in dem man gut und gerne lebt, und es gibt kein Problem. – So können Sie keine Politik machen. Sie können sich doch nicht jeder Herausforderung verweigern.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN)

Den jungen Auszubildenden, den Unternehmen, den Wirtschaftsverbände, allen, die sagen, es gebe ein Problem, können Sie doch nicht sagen: Stimmt nicht, das interessiert uns nicht, es gibt kein Problem.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sie machen sich doch unglaubwürdig, und Sie verspielen die Zukunftschancen der jungen Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich bin der SPD sehr dankbar, dass sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat, weil es ein Querschnittsthema ist, das ganz viele Bereiche anspricht, die für unsere Wirtschaft und für den Wohlstand unseres Landes zentral sind.

Das zentrale Thema ist natürlich die Fachkräftegewinnung. Das hört sich so abstrakt an, so theoretisch und betriebswirtschaftlich. Was aber bedeutet das? Das bedeutet einfach, wenn Unternehmen, die Produkte herstellen, die innovativ sind, niemanden mehr finden, der auf dem Niveau, das sie nötig haben, bei ihnen arbeitet, dann können sie keine Produkte mehr produzieren, die sie verkaufen können. Dann entsteht kein Verdienst der Unternehmen, sie zahlen weniger Steuern, und das führt dazu, dass die wichtigen Bildungs- und Sozialsysteme in unserem Land nicht mehr finanziert werden können. – Das ist das abstrakte Thema „Fachkräftemangel“: Es geht um den Wohlstand unseres Landes.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie über die Zukunft der Ausbildung sprechen, muss ich Linkspartei und SPD einmal bitten, diese Feindbilder, die sich irgendwie festgesetzt haben – Unternehmen hätten kein Interesse daran, junge Menschen auszubilden, damit sie zum Erfolg des Unternehmens beitragen –, in ihren Köpfen aufzulösen.

(Beifall bei der FDP)

Sie alle würden doch sagen, dass das duale System in Deutschland ein Erfolgsmodell ist, um das uns die ganze Welt beneidet. Dem würde hier doch niemand widersprechen wollen. Der Grund, warum das ein solches Erfolgsmodell ist, liegt darin, dass die Unternehmen, die Handwerksbetriebe, die Mittelständler vor langer Zeit erkannt haben, dass das duale Ausbildungssystem ein riesiger Wettbewerbsvorteil und eine riesige Entwicklungschance für ihr Unternehmen ist. Darum sind sie auch sehr wohl bereit, junge Menschen auszubilden. Das sollten Sie einmal ganz klar zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Aber nicht alle!)

Wenn Sie zu diesen Unternehmen gehen und fragen: „Warum bildet ihr nicht aus? Was ist das Problem?“, und wenn Sie zu kleinen Handwerksbetrieben gehen und fragen: „Warum bildest du nicht mehr aus?“, dann sagen die nicht: „Ich will nicht mehr, ich spar mir das“, sondern Sie bekommen andere Argumente. Dann bekommen Sie das Argument: „Ich finde keinen Jugendlichen, der auf die Herausforderungen und die Ansprüche, die ich in meiner Ausbildung stelle, tatsächlich passt. Ich finde keinen Jugendlichen, den ich zum Ende einer – sehr anspruchsvollen

Ausbildung führen kann.“ Diese Unternehmen würden sich nicht nur Zwangsmaßnahmen wünschen. Die sind auch gerne bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um Auszubildende zum Erfolg zu führen. Sie brauchen eher eine Unterstützung, dass sie jemanden, dem sie eine Chance für eine Ausbildung geben, auch über das normale Maß der Unterstützung hinaus zu diesem Ausbildungsziel führen können.

(Beifall bei der FDP)

Versuchen Sie nicht, die Probleme der Unternehmen gegen die Wirtschaft zu lösen. Die Unternehmen sind nämlich auch nicht abstrakt: Das ist ein Handwerksmeister, ein Geschäftsführer, der Interessen hat. Für ihn sind die Mitarbeiter nicht irgendwelche Zahlen in irgendwelchen Tabellen, sondern das sind seine Mitarbeiter, auf deren Zukunft er setzen muss. Versuchen Sie nicht, ein Bild zu stellen, bei dem es heißt: die einen gegen die anderen. – Die Frage lautet vielmehr, warum unser hervorragendes System anscheinend nicht mehr so optimal funktioniert, wie es einmal funktioniert hat.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich einmal auch Lösungswege beschreiben. Was kann uns auf diesem Weg helfen, dort wieder besser zu werden? Auf „Welt online“ war zu lesen, Deutschland habe ein neues großes Bildungsproblem. Wo macht sich das fest? – Es macht sich fest an der Frage der Chancen von Migranten in unserem Land.

(Beifall bei der FDP)

Der EU-Durchschnitt beim Bildungsabschluss von 15-jährigen Migranten liegt 22 % unter der etablierten Wohnbevölkerung. Es gibt Länder wie Kanada, da sind die Bildungsabschlüsse der Migranten sogar leicht besser als die der Wohnbevölkerung. Es muss nicht so sein, aber es gibt nun einmal die Bundesrepublik Deutschland, bei der sind es 36 %. Mehr als ein Drittel der Migranten in Deutschland hat im Schnitt schlechtere Bildungschancen als die etablierte Wohnbevölkerung. Das ist ein Skandal und ein Problem.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir in die Kindertagesstätten im Ballungsraum gehen und sehen, wie hoch der Migrantenanteil ist – und er wird in Bildungseinrichtungen immer größer –, dann werden wir wissen, was das in fünf, sechs, sieben oder acht Jahren für den Ausbildungsmarkt bedeutet. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen: Wir müssen die frühkindliche Bildung stärken. Wir müssen den Ganztag schon im Grundschulbereich qualitativ aufrüsten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen all diese bekannten Maßnahmen gegen das Erzeugen von Bildungsverlierern sofort und schnellstmöglich ergreifen; denn am langen Ende – und darüber haben Sie doch mit den Wirtschaftsverbänden und den Schulen überall gesprochen – sind diese Parksysteme im Schulsystem und bei den Berufsschulen gigantisch teuer, produzieren aber doch nicht das, was wir in der Wirtschaft brauchen. Darum müssen wir vorne ansetzen, und zwar sofort. Darum ist das, was die Landesregierung macht – im Bereich der Migranten sogar zweistellige Millionenbeträge aus dem Haushalt herauszunehmen, sodass weniger Geld zur Verfügung steht –, eine völlige Fehlentwicklung.

(Beifall bei der FDP)

Die Frage nach dem Schwerpunkt in der frühkindlichen Bildung – Kostenfreiheit oder Qualitätsgewinn – lässt sich natürlich mit dem Qualitätsgewinn beantworten. Natürlich geht es um Lebenschancen, die Menschen hier nicht gegeben werden, was am Ende auch für die Allgemeinheit ein Problem wird.

An der Stelle möchte ich noch einmal deutlich machen: miteinander, nicht gegeneinander. Zur Frage der Orientierungsphase in den Schulen: Ich finde das Thema Arbeitslehre, das Sie aufgegriffen haben, hervorragend. Ich finde die Berufsorientierung hervorragend. Da müssen wir besser werden. Natürlich ist OloV ein gutes Projekt. Aber jeder, der sich vor Ort damit beschäftigt hat, weiß, dass es noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Es ist ein guter Weg, aber wir müssen noch besser werden. Wir müssen besser arbeiten, wir müssen die Vernetzung stärken.

Ich kenne Bildungsmessen. In meiner Nachbarschaft in Rodgau gibt es eine tolle Bildungsmesse. Vor zehn Jahren musste man sich darum bemühen, einmal einen Arbeitgeber zu finden, der dort ausstellt. Heute rennen die Arbeitgeber der Stadt Rodgau die Türen ein und sagen: Ich möchte mich präsentieren, weil ich auf der Suche nach jungen, gut ausbildbaren Menschen bin, denen ich eine Chance geben will.

Es ist doch klar, dass in der Wirtschaft ein Bedarf vorhanden ist. Wir müssen dafür sorgen – das ist die Aufgabe des Landes –, dass die jungen Menschen, die in unserem Bildungssystem sind, in der Zukunft eine gute Perspektive auf Ausbildung haben. Das ist die zentrale Frage, die wir lösen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Darum bin ich sehr froh, dass heute der Kultusminister zu dem Thema spricht, der uns vielleicht einmal erklären kann, was er dagegen tun will, dass die Bildungschancen von Migranten in unserem System überdurchschnittlich schlecht sind, was er tun will, damit sich das verbessert. Diese jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die in unseren Ballungszentren heute in die Kitas gehen, brauchen wir morgen als Akademiker und gute Fachkräfte in unserem System. Die können wir nicht aufgeben. Wer das heute tut, verspielt die Zukunft unseres Landes. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Staatsminister Lorz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss sagen, der Antrag der SPD, der die Grundlage ihres heutigen Setzpunktes bildet, hat mich in positivem Sinne in Erstaunen versetzt.

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Ja, ich habe mich geradezu gefreut. Da das bei Anträgen der Opposition eher ungewöhnlich ist, will ich das betonen.

Ich freue mich, weil diese Debatte mir zum einen die Gelegenheit gibt, noch einmal all das herauszustreichen, was die Landesregierung schon heute dafür tut, um jungen

Menschen eine Perspektive zu geben. Ich freue mich aber auch, weil sich in diesem Antrag, wenn man ihn all seiner Oppositionsrhetorik entkleidet – es ist ja klar, dass Sie sagen müssen, es ist alles noch zu wenig, es muss mehr geschehen; geschenkt –, erstaunlich viel Potenzial für gemeinsame Anstrengungen findet.

Ich möchte daher, vielleicht in Abweichung von dem normalen Gang der Debatten, durchaus herausarbeiten, wo wir in den Feststellungen übereinstimmen. Ich will Ihnen natürlich auch mit Vergnügen darlegen, dass die meisten Ihrer Forderungen längst erfüllt oder auf gutem Weg sind. Dann gibt es natürlich außerdem zwei, drei Punkte, an die ich ein Fragezeichen setzen will; aber das will ich ausnahmsweise nicht in den Vordergrund stellen.

Meine Damen und Herren, deshalb fange ich mit dem ersten Grundsatz an. Wenn Sie betonen, dass sich jeder junge Mensch für seinen persönlichen Bildungsweg entscheiden können soll und dass wir als Gesellschaft auf kein Talent verzichten dürfen, dann kann ich nur sagen: Ja, das ist richtig.

Genau deswegen vertritt diese Landesregierung als bildungspolitische Grundprinzipien die Chancengerechtigkeit, damit jeder junge Mensch entsprechend seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten den für ihn bestmöglichen Schulabschluss erreichen kann; die Bildungsvielfalt, also auch die Vielfalt der Angebote im Schulsystem, um jedem jungen Menschen einen individuell passenden Bildungsverlauf ermöglichen zu können; aber auch den Respekt vor der Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern bei allen Entscheidungen über ihren Bildungsweg.

Meine Damen und Herren, wir sind uns auch darüber einig, dass der Erwerb eines Schulabschlusses und eine solide Ausbildung im dualen System und/oder an der Hochschule die besten Voraussetzungen sind, die ein Bildungssystem seinen jungen Menschen mitgeben kann. Genau deswegen freue ich mich so und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben, in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gesunken ist und dass Hessen heute die niedrigste Schulabbrecherquote unter allen deutschen Flächenländern aufweist. Ich werde dafür kämpfen, dass das auch so bleibt.