Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Meine Damen und Herren, wir sind uns auch darüber einig, dass der Erwerb eines Schulabschlusses und eine solide Ausbildung im dualen System und/oder an der Hochschule die besten Voraussetzungen sind, die ein Bildungssystem seinen jungen Menschen mitgeben kann. Genau deswegen freue ich mich so und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben, in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gesunken ist und dass Hessen heute die niedrigste Schulabbrecherquote unter allen deutschen Flächenländern aufweist. Ich werde dafür kämpfen, dass das auch so bleibt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch und gerade für die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Deswegen bin ich dem Abg. Rock dankbar für seine Frage am Schluss. Wir wollen das Problem durchaus direkt benennen, es geht um die Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse.

Auch da hilft ein Blick zurück auf den Weg, den wir bereits zurückgelegt haben. Denn zur Jahrtausendwende lagen wir in dieser Förderung der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bzw. ohne ausreichende Deutschkenntnisse noch auf einem der letzten Plätze aller Bundesländer mit mehr als 20 % Abbrecherquote. Heute – wenn Sie sich den Bildungsmonitor 2017 anschauen – sind wir die Zweitbesten, fast 4 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt im positiven Sinn. Nicht, dass wir vorhätten, uns darauf auszuruhen. Jeder junge Schulabbrecher ist einer zu viel. Aber dass wir auf einem guten Weg sind, dass wir auch schon weit vorangekommen sind, das darf man vielleicht doch feststellen. Das bestätigt uns auch.

Herr Rock, weil Sie aus „Welt online“ zitiert haben – ich glaube, da ging es um die PISA-Sonderauswertung vonseiten der OECD –: Diese Auswertung, die in den letzten Tagen durch die Medien gegangen ist, belegt doch ganz klar: Es geht um Sprache, Sprache, Sprache. Das Beherrschen der Bildungssprache Deutsch ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir jungen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wirklich einen guten Weg durch die Schule ermöglichen können.

Deswegen liegt Hessen im Moment auf einem der vorderen Plätze: weil wir ein Gesamtsprachförderkonzept haben – das man später noch weiter ausbauen kann, das man noch weiter optimieren kann. Aber wenn ich an unsere Vorlaufkurse denke, in denen jetzt eine Rekordzahl von Kindern ist, wenn ich beispielsweise an unser Programm Deutsch & PC denke, das wir ausbauen, dann zeigt das: Wir haben die Instrumente; wir sind auf dem richtigen Weg.

Wenn Sie sich diese Auswertung vonseiten der OECD noch einmal anschauen, dann sehen Sie weiter – das ist übrigens auch das, was uns von Kanada oder anderen Ländern unterscheidet – den entscheidenden Faktor für diejenigen Kinder, die die meisten Probleme haben, wenn sie in das Bildungssystem kommen; das sind die, bei denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird. Deswegen müssen wir da auf ganz breiter Front ansetzen, was die Sprachförderung anbetrifft. Auf dem Weg sind wir, aber da ist auch noch viel zu tun. Das will ich gern zugestehen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem ersten Fragezeichen. Wir sollten vielleicht mit dem Begriff der Garantie etwas vorsichtiger umgehen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das schreiben Sie in Ihrem Antrag, also die Regierungsfraktionen: „Ausbildungsgarantie“! – Gegenruf des Abg. René Rock (FDP): Das war nicht abgestimmt!)

Wir reden hier doch über unterschiedliche Formen von Garantie.

(Lachen bei der SPD, der LINKEN und der FDP – Marius Weiß (SPD): Alternative Garantie! – Glockenzeichen der Präsidentin)

Ich will es doch gern erläutern. Aber lassen Sie uns erst einmal den entscheidenden Punkt feststellen: Eine gute Ausbildung verbessert die Chancen auf eine sichere Zukunft und ein selbstbestimmtes Leben ganz erheblich. Aber garantieren kann auch sie es nicht. Das steht daher auch in unserem Antrag nicht drin, aber es steht in dem Antrag der SPD. Deswegen sage ich, die Zukunft birgt immer eine gewisse Portion Unsicherheit, und wir sollten den Menschen nicht suggerieren, dass der Staat ihnen das alles abnehmen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen – das ist der zweite Punkt – sollten wir auch die Wirtschaft nicht aus der Verantwortung entlassen, indem wir einfach pauschal sagen – das unterscheidet uns von dem Ansatz der SPD und der Linkspartei –, der Staat hat das alles formal zu gewährleisten: eine Garantie auf die Ausbildung, vielleicht noch auf eine adäquate Anschlussbeschäftigung. Meine Damen und Herren, das kann er nicht. Deswegen sollten wir uns auch hüten, da falsche Erwartungen zu wecken. – Wenn Sie vor diesem Hinter

grund den Antrag der Regierungsfraktionen noch einmal lesen, dann werden Sie sehen, dass der Betriff der Garantie dort in einem anderen, in einem vernünftigen Sinn gebraucht ist, und so macht er dann auch Sinn.

(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Zurufe von der FDP: Ah!)

Aber ich will mich nicht in diesen Begrifflichkeiten verlieren.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dringende Empfehlung: immer die Anträge lesen, zu denen man redet!)

Mir geht es noch um einen ganz anderen Punkt. Die Hessische Landesregierung arbeitet schon seit Jahren daran, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung nicht nur zu propagieren, sondern auch mit Leben zu füllen. Wir haben lange darauf gewartet, dass sich die SPD mit gleicher Deutlichkeit zu diesem Ziel bekennt. Ich finde es gut, dass Sie es jetzt tun. Das ist eine Übereinstimmung, die ich sehr gern feststelle.

Meine Damen und Herren, dazu gibt es ein paar Dinge, auf die ich verweisen möchte, etwa auf die Schaffung von Transparenz über die Vielfalt der Bildungswege bereits beim Übergang von Klasse 4 nach Klasse 5, den wir grundlegend neu organisiert und auf neue Füße gestellt haben, wo wir jetzt die beruflichen Schulen beteiligen, damit die Gleichwertigkeit der Möglichkeiten im beruflichen und allgemeinbildenden System schon bei der Beratung der Eltern im Übergang von Klasse 4 nach Klasse 5 zum Ausdruck kommt.

Ich verweise auf die hohe Durchlässigkeit unseres Systems: dass man beispielsweise im Rahmen der dualen Ausbildung zugleich die Zuerkennung des Haupt- und auch des Realschulabschlusses erreichen kann, dass man nach dem Abschluss einer Ausbildung beispielsweise an Fachschulen die Fachhochschulreife erwerben kann. Ich nenne den mit der letzten Hochschulgesetznovelle eingeführten Modellversuch, nach dem Realschulabsolventen mit einer entsprechend qualifizierten Berufsausbildung freien Zugang zu gestuften Studiengängen erhalten. Meine Damen und Herren, eine derart weitgehende Durchlässigkeit bietet kein anderes Bundesland der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verweise auf die brandneue Meisterprämie – auch ein erster Schritt in Richtung Gebührenfreiheit im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Ich verweise natürlich auf die verbindliche Berufsorientierung, die mittlerweile für alle Schulformen normiert ist und die demnächst in einer Verordnung konkretisiert werden wird.

Frau Gnadl, gestatten Sie mir noch ein zweites Fragezeichen. Ich weiß, dass Sie sich von dem, was wir ohnedies schon tun, in irgendeiner Form absetzen müssen. Deswegen kommen Sie bei der Berufsorientierung darauf, wir müssten in Klasse 5 beginnen. – Ich erlaube mir, leichte Zweifel daran zu äußern, ob es uns wirklich entscheidend weiterbringen wird, wenn wir Berufsorientierung jetzt schon an die Zehnjährigen herantragen. Aber ich mache auch daraus keinen ideologischen Punkt. Auch da sollen uns die Fachleute beraten. Wenn sie sagen, sie können mit den Fünftklässlern, mit den Zehnjährigen schon etwas anfangen in Sachen Berufsorientierung, bin ich auch für solche Dinge offen. Aber ich glaube nicht, dass das der Punkt ist, an dem sich letzten Endes das Schicksal der Ausbil

dungsperspektiven unserer jungen Menschen entscheiden wird.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über die Rolle des Fachs Arbeitslehre haben wir erst kürzlich ausführlich diskutiert.

Meine Damen und Herren, wir haben eine integrierte Ausbildungsberichterstattung. Es gibt in Hessen bereits eine umfassende Erfassung aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger. Wir haben eine Vereinbarung mit der Bundesagentur für Arbeit, dass die Berufsberatung der Bundesagentur in die Schulen kommt und nicht darauf wartet, dass die jungen Menschen zu ihr kommen. Wir haben ein Programm namens QuABB, das sehr erfolgreich dabei ist, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Wir haben den Schulversuch der zweistufigen Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung, die explizit das Ziel verfolgt, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf den Übergang in eine duale Ausbildung vorzubereiten. Nicht zuletzt deswegen ist die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in dem sogenannten Übergangssystem in den letzten Jahren um über 10 % zurückgegangen. Auch das darf man einfach einmal feststellen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wie bitte? Was?)

Das kann ich Ihnen sagen, sicher. Wir hatten im Schuljahr 2013/2014 noch 20.800 Schülerinnen und Schüler im Übergangssystem. Im Schuljahr 2017/2018 waren es 18.599. – Jetzt kann man sagen, es sind immer noch zu viele. Aber man kann feststellen: Wir sind hier offensichtlich auf dem richtigen Weg unterwegs.

So gäbe es noch viel mehr aufzuzählen, als die zehn Minuten hergeben, von denen ich sehe, dass sie auch schon abgelaufen sind. Deswegen gestatten Sie mir nur eine zusammenfassende Feststellung:

Der Antrag der SPD enthält viel Gutes, allerdings nicht viel Neues. Neu ist dagegen – das habe ich der Presse der letzten Tage entnehmen können – Ihr Wahlslogan. Der inspiriert mich zu der Feststellung: Wir machen Zukunft nicht nur jetzt, sondern wir sind schon ganz lange auf diesem Weg unterwegs. – Trotzdem ist es für die Sache gut, wenn wir in vielen Punkten an einem Strang ziehen, wie wir es heute in der Debatte vielleicht miteinander haben feststellen können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Gnadl, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne noch einmal auf die Fakten zurückkommen, die ich schon zu Beginn meiner heutigen Rede deutlich gemacht habe, weil es mir so erscheint, dass insbesondere die Regierungsfraktionen und die Regierung hier versuchen, ein Problem kleinzureden, das es gibt.

(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich noch einmal die Zahlen der Statistik an, die die Bundesagentur für Arbeit im September 2017 herausgegeben hat. Da steht nun einmal Hessen mit der Zahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen je Bewerberin oder Bewerber mit 0,86 im Bundesländervergleich besonders schlecht da. Nur NRW ist an dieser Stelle noch schlechter als Hessen. Daran sieht man doch, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, weil wir schlechter dastehen als andere Bundesländer.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Herr Bocklet darauf eingeht, dass 2.675 freie, unbesetzte Stellen da sind und 1.865 unversorgte Ausbildungssuchende, dann ist das zwar richtig. Aber dann ignorieren Sie, dass natürlich schon ein Teil der genannten jungen Menschen in das Übergangssystem und nicht in eine Ausbildung übergegangen ist und deswegen nicht mehr bei der Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber vorkommt.

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einen dritten Punkt deutlich machen. Sie können im „Ländermonitor berufliche Bildung“ der Bertelsmann Stiftung genau sehen, dass in keinem anderen Bundesland so große Übergangsschwierigkeiten gerade für junge Menschen mit Migrationshintergrund bestehen. Das ist doch ein Problem. Deswegen haben wir schon vor Jahren deutlich gemacht, auch mit einem eigenen Gesetzentwurf, dass das Schulbesuchsrecht für junge Menschen bis auf 27 Lebensjahre hochgesetzt werden muss, damit eine Chance besteht, einen Abschluss zu bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Landesregierung hat sich von dem Ziel eines Schulabschlusses längst verabschiedet. Sie gewährleistet mit InteA das Ziel eines Abschlusses nicht mehr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen gibt es hier sehr wohl erheblichen Nachholbedarf, auch im Bereich junger Menschen mit Behinderungen. In Hessen gibt es die schlechteste Angebots-Nachfrage-Relation im Vergleich der Flächenländer für Jugendliche mit Behinderungen. Auch das ist ein Problemfeld, das Sie noch nicht ausreichend angehen.

Wenn man sich die Zahl derjenigen in den Übergangssystemen anschaut, dann muss ich sagen: Ich bin verwundert über das, was Sie in Ihrem eigenen Antrag schreiben. Sie schreiben, dass erklärtes Ziel des Bündnisses Ausbildung Hessen ist, „möglichst viele Jugendliche in eine Ausbildung zu bringen und die Zahl derer in Übergangssystemen zu senken“. – Ja, aber dann tun Sie das endlich auch.

(Beifall bei der SPD)

Aber die Zahlen zeigen etwas anderes. Sie widersprechen sich doch mit Ihren eigenen Fakten. Denn wenn man sich die Zahlen im Übergangssystem anschaut, dann sieht man: Es sind mittlerweile 22.800 junge Menschen im Übergangsbereich. Das sind 5.000 junge Menschen mehr als noch im Vorjahr.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Zuruf des Ministers Tarek Al-Wazir)

Jetzt ruft der Minister zu, das seien nur die Flüchtlinge. Das ist eben nicht so; denn in Ihrem eigenen Berufsausbil

dungsbericht sagen Sie, Herr Al-Wazir, auf Seite 45, dass das zwar ein „wesentlicher Grund“ ist, aber dass es noch andere Gründe gibt. Die benennen Sie zwar nicht, aber Sie selbst sagen, dass ein Teil in diesem Übergangsbereich, der größer geworden ist, eben nicht nur Flüchtlinge sind. Also schauen Sie sich Ihren eigenen Bericht an, reden Sie die Probleme nicht klein, und packen Sie die Herausforderungen endlich an.