Protokoll der Sitzung vom 24.04.2018

Das zweite Zitat aus Wallenstein lautet: „Spät kommt Ihr – Doch Ihr kommt! Der weite Weg, Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen.“

Wenn man natürlich da angefangen hat, wo Sie angefangen haben, dann ist es bis zu der Erkenntnis, dass Gebührenbefreiung tatsächlich etwas mit der Situation von Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zu tun hat, ein ziemlich weiter Weg – selbst dann, wenn man nur aus Frankfurt kommt. – Das war Punkt eins.

(Beifall bei der SPD)

Punkt zwei. Was mich übrigens interessieren würde, ist, was der Frankfurter Oberbürgermeister dazu sagt. Da hatten Sie gar nichts erwähnt. Ich sage es Ihnen aber. Es ist in Frankfurt und in Gießen so – ich habe in der ersten Lesung dieses Gesetzes darauf hingewiesen, und ich habe bei vielen Gelegenheiten darauf hingewiesen –, dass wir z. B. in Gießen in der Tat ein sehr auskömmliches Staffelgebührensystem haben. Das haben wir schon seit Jahrzehnten. Ich habe mehrmals an diesem Pult gesagt, dass, wenn es überall so wäre, wir die Debatten über Gebührenbefreiung ganz anders führen würden. Da habe ich aber von Ihnen auch nie etwas gehört, wenn es darum geht.

(Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)

Ja, meine Heimatstadt mit einer rot-schwarz-grünen Koalition und mit einer grünen Jugenddezernentin hat aus dem, was jetzt geschehen wird – ach, ehe ich es vergesse: ich soll die dritte Lesung beantragen –,

(Heiterkeit)

das Beste gemacht und ihr System noch einmal insbesondere zugunsten von Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen verbessert. Das hat die Stadt Frankfurt auch getan. Natürlich, die Kommunen, die bisher schon niedrige Beiträge hatten, weil sie dort einen Schwerpunkt gesetzt haben, kommen unter Umständen mit den 135,60 € pro Monat pro gemeldetem Kind hin. Das mag so sein. Das wird auch so sein.

Was Sie aber vergessen haben, ist, dass uns seit Wochen aus den Städten und insbesondere aus den kleineren Städten und Gemeinden Protestmeldungen en gros und en détail aus den Parlamenten, aus den Fraktionen, aus den Parteien – unter Einschluss ziemlich vieler Kollegen von Ihrer Feldpostnummer – erreichen, die genau darauf hinweisen, dass es bei ihnen nicht der Fall ist, sondern dass die 135,60 € eben nicht auskömmlich sind und dass sie dabei ein Draufleg-Geschäft machen, und zwar kein knappes – und unter Außerachtlassung der nicht ganz unmaßgeblichen Frage, dass von den 310 Millionen €, die das für ein volles Jahr kostet, die Kommunen 155 Millionen € durch Zweckbindung im Kommunalen Finanzausgleich selbst zahlen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Auch da können Ihnen ziemlich viele Kommunen vorrechnen, was das für sie an Geld bedeutet, das dann eben nicht für andere Zwecke benutzt werden kann, welche Zwecke auch immer das sein mögen. Das haben Sie vorsichtshalber nicht dazu gesagt.

Sie haben gesagt, fast alle Eltern würden davon profitieren. Da habe ich gedacht: Jetzt ist er wieder in der Welt von früher. – Herr Kollege, ich weiß gar nicht, in welcher Welt Sie leben. 35 % aller Eltern, die einen U-3-Platz in Anspruch nehmen, werden systematisch von der Beitragsbefreiung ausgeschlossen, obwohl dort die Beiträge am höchsten sind, obwohl dort die Anreizfunktion am größten wäre.

(Beifall bei der SPD)

Die sind ausgeschlossen, die haben wir schon einmal alle nicht. Ich weiß nicht, ob das bei „allen“ nicht mitzählt oder was Ihr Begriff von „alle“ ist.

Ich weiß auch nicht, ob wirklich die Rede davon sein kann, dass „alle“ die Eltern sind, die ihr Kind länger als bis zu

sechs Stunden – zu dieser Frage komme ich noch – betreut haben, und das sind ziemlich viele in diesem Land. Das macht in Städten wie Frankfurt, Hanau, Wiesbaden, Gießen, aber auch in vielen Fällen auf dem flachen Land oder im Bergland jenseits von 80 % und im Landesdurchschnitt mehr als 50 % aus, und ich wie auch andere haben schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die durchschnittliche Betreuungszeit in diesem Land bei 7,5 Stunden liegt. Das heißt, im Landesdurchschnitt müsste jeder, der sein Kind betreut hat, mindestens noch 1,5 Stunden dazuzahlen.

Jetzt schauen wir uns das noch einmal an. Ich habe hier vor mir einen Satzungsentwurf und einen Gebührensatzungsentwurf der Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg liegen.

(Der Redner hält ein Dokument hoch.)

Das sollte dort heute Abend im Sozialausschuss beraten werden. Dann hat die Kollegin von den Freien Wählern dort offensichtlich kalte Füße bekommen. Es muss einen ziemlichen Protest gegeben haben, es waren ziemlich viele Eltern da. Was ist passiert? Diese Gemeinde hatte bisher ein Sechs-Stunden-Modul. Das gibt es nach dieser Satzung jetzt nicht mehr, es gibt nur noch eines von fünf Stunden, nämlich von 6:55 Uhr bis 12 Uhr. Das ist gebührenfrei, weil Sie sagen „bis zu sechs Stunden“. Das steht in Ihrer Gesetzesbegründung – im Gesetzestext steht es anders.

(Günter Rudolph (SPD): Ich habe es gelesen, das stimmt!)

Wir haben Sie im Ausschuss darauf hingewiesen. Das ist offensichtlich ein materielles Problem, weil diese Gemeinde eine Stunde weggenommen hat. Um auf die Betreuungszeit bis 14 Uhr zu kommen, muss man nun zwei Stunden dazukaufen und dafür 135 € hinlegen – allerdings, das gebe ich zu, inklusive 100 € für das Mittagessen, das aber vorher nicht drin war. Es sind also 135 € mehr, und wenn ich Betreuung bis 15 Uhr möchte, dann muss ich noch einmal 35 € zuzahlen, und 38 € ab 2020. Ich weiß nicht, ob das jetzt nicht „alle“ Eltern sind und ob jetzt 70 € oder 75 € „nichts bezahlt“ ist – das alles weiß ich nicht.

Herr Minister, ich hatte Sie schon im Ausschuss gefragt. Dann haben Sie in Ihren Bart gemurmelt – na ja, wenn Sie unten einen hätten, hätten Sie dort hinein gemurmelt –: „nur bis zu“.

(Minister Stefan Grüttner: Sie kriegen es noch er- klärt!)

Das wäre schön, weil das eine Frage ist, die offensichtlich nicht nur bei uns zu Irritationen geführt hat, sondern in relativ vielen Kommunen, die derzeit solche Änderungen auf den Weg bringen. Wenn Sie es sich einmal anschauen, sehen Sie, es geht ununterbrochen durcheinander, ob es jetzt „bis zu“ sechs Stunden sind oder eben sechs Stunden.

Wenn es sechs Stunden sind, dann erklären Sie der Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg, dass sie den Satzungsentwurf dorthin schmeißen können, wo er sowieso hingehört, nämlich in den Mülleimer – weil er offensichtlich weder mit der Betreuungsrealität noch mit Ihrem Gesetz zu tun hat. Das alles aber weist darauf hin, wenn ich das sagen darf, dass Ihr Gesetz aus der Panik geboren worden ist. Deswegen kamen Sie ja so spät, weil Sie erst einmal merken mussten, dass hier eine nicht mehr aufzuhaltende Bewegung im Gang ist, im letzten August hoppla hopp mit einem Gesetzgebungsvorschlag um die Ecke, der dann ebenfalls hoppla hopp, weil Sie unseren heißen Atem im Nacken hatten – –

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der heiße Atem der SPD!)

Mit Ihnen rede ich doch gar nicht, Herr Kaufmann. Außerdem haben Sie sich vorsichtshalber so weit nach hinten gesetzt, dass ich Ihnen gar nicht in den Nacken atmen könnte, selbst wenn ich auf den Gedanken käme – aber lassen wir das.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie hatten solche Eile mit dem Gesetzentwurf, dass lauter solche Dinge darin stehen.

Ich sage Ihnen jetzt noch einmal: Erstens kann keine Rede davon sein. Ja, es ist ein Schritt in die richtige Richtung – „Spät kommt Ihr – Doch Ihr kommt!“ „Wir kommen auch mit leeren Händen nicht“, sagt Graf Isolani dann im „Wallenstein“. Ja, richtig – aber Ihre Hände sind auch nicht richtig voll.

(Heiterkeit bei der SPD)

Noch einmal: Es kann keine Rede davon sein, dass alle Eltern davon profitieren würden – nichts dergleichen ist der Fall. Ich wiederhole: U 3 – gar nichts, Ü 3 – alles, was Ganztag beansprucht, und das ist die Lebensrealität in diesem Land, muss zuzahlen.

Die Sicherung, die Sie eingebaut haben, wird Ihnen im Übrigen noch viel Freude machen. Vielleicht erklären Sie es uns einmal, weil Sie das auf die Frage des Kollegen Weiß seinerzeit auch nicht richtig erklären konnten, was eigentlich die Bezugsgröße ist. Sind die Bezugsgröße für diese Bremse diese 135,60 €, oder sind das die bisherigen Gebühren? Das ist nicht klar gewesen, darauf wurde keine klare Antwort gegeben. Das fragen andere auch, und ich frage es erneut.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Drittens. Ich wiederhole: Viele Gemeinden werden bei dieser Geschichte kein Geschäft machen.

(Zuruf)

Das ist in Frankfurt der Fall, richtig. Das ist auch in Gießen der Fall und wird dort auch zweckentsprechend angewendet. Das Geld, das dadurch frei wird, wird in beiden Städten, wie es sich gehört, zu weiteren Verbesserungen eingesetzt. Das ist zu loben, aber das ist nicht Ihr Verdienst,

(Lachen des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

sondern das ist das Verdienst der Leute, die dort dafür gesorgt haben – z. B. Rot-Grün in Gießen über viele Jahrzehnte –, dass die Gebühren so niedrig waren, dass dabei ein Geschäft zu machen ist.

Schließlich und endlich werden eine Menge Leute die Zeche zu bezahlen haben, und es werden nicht zuletzt die Kommunen sein, die sowieso mit 155 Millionen € bei dieser Chose mit dabei sind. – Bereiten Sie sich in Gedanken auf eine zweite Runde vor.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Kollege Rock für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von CDU und GRÜNEN, Ihr Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben,

(Minister Stefan Grüttner: Ist gut!)

ist alles andere als gut.

Wie Sie den Gesetzentwurf öffentlich begleiten, ist sogar extrem ärgerlich, weil Sie den Menschen in unserem Land etwas vormachen. Sie machen ihnen etwas vor, und zwar vorsätzlich.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Sie wissen ganz genau, das dritte Kindergartenjahr war beitragsfrei. Trotzdem erzählen Sie den Menschen, Sie würden jetzt drei Kindergartenjahre beitragsfrei stellen. Sie wissen, dass das dritte Kindergartenjahr fünf Stunden beitragsfrei war, jetzt kommt die sechste Stunde obendrauf – Sie erzählen den Leuten nicht, wie es wirklich ist.

(Günter Rudolph (SPD): Sie erzählen nicht die Wahrheit, genau!)

Bei 180.000 Kindern in Kitas, von denen 15 % die FünfStunden-Regelung haben, die natürlich nach dem jetzigen Anreizsystem aus dem KiföG die Betreuungszeit ist, die die Kommunen anwenden – fünf Stunden, Ihr Gesetzentwurf geht auch noch an der Struktur des KiföG vorbei –, werden 27.000 Kinder in unserem Land beitragsfrei gestellt, nicht aber 180.000 Kinder. Nicht mehr und nicht weniger. Alle anderen werden auch weiter bezahlen, mehr oder weniger.

(Zuruf von der CDU)