Protokoll der Sitzung vom 24.04.2018

menwahl angeht. Schließlich ist die Bildungspolitik an sich ein sehr komplexes Feld.

Auch was die Frage der Sachverständigen angeht, haben wir es uns insofern nicht immer einfach gemacht, als es vorgekommen ist – das ist, glaube ich, auch sehr erfrischend –, dass Sachverständige, die von Fraktionen benannt wurden, Dinge geäußert haben, die sonst eher nicht zum Repertoire der jeweiligen Fraktion gehören, und damit die Enquetekommission durchaus manches überraschende Element hatte.

Es ist auch schon darauf eingegangen worden: Sogar der Sitzungsrhythmus war etwas ambitioniert, wenn man bedenkt, dass der Freitag nach dem Plenum vielleicht nicht der Zeitpunkt ist, wo der eine oder andere am energiegeladensten ist. Dennoch waren die meisten der 66 Anzuhörenden in den 16 Anhörungssitzungen sehr anregend und ihre Beiträge inhaltlich äußerst bereichernd. Feinschmeckern der Enquetekommission fällt vielleicht auf, dass das drei Anzuhörende und eine Anhörungssitzung mehr sind, als sie im Bericht finden. Aber darauf werde ich später noch eingehen.

Ich möchte mich zu Beginn meiner Ausführungen erst einmal ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken. Das sind einerseits die ständigen Vertreter der Stakeholder im Bildungsbereich, das sind die ständigen Sachverständigen, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, aber eben auch alle Mitglieder der Enquetekommission. Haben Sie vielen Dank für die sehr angenehme Zusammenarbeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kleine Hervorhebung. Kollege Merz hat das von seiner Warte aus gemacht. Ich möchte es auch machen, nämlich meine Mitarbeiterin und ständige Sachverständige, Katharina Gerarts, besonders loben, die mir immer wieder, vor allem im Bereich der kindlichen und frühkindlichen Bildung, besonders geholfen hat. Frau Gerarts hat während der Arbeit der Enquetekommission neben der Enquetekommission noch etwas Besonderes geschafft, dass sie einerseits promoviert wurde und dann auch noch den Ruf an eine Hochschule erhalten hat und nun Professorin an der Evangelischen Hochschule Darmstadt geworden ist. Das zeigt, dass diese Enquetekommission vielleicht nicht ursächlich für den Bildungserfolg ihrer Mitglieder ist, ihn aber auf jeden Fall nicht verhindert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dass sie nun auch noch als Beauftragte der Landesregierung für Kinderrechte zur Verfügung steht, finde ich ganz wunderbar.

Wie gesagt, die Vorträge der Anzuhörenden waren in der großen Mehrheit sehr anregend, manchmal gleichzeitig auch anstrengend, in jedem Fall sehr interessant. Ich möchte eine Sitzung besonders hervorheben. Im Juni 2015 – es war noch auf Anregung des ehemaligen Vorsitzenden Bocklet geschehen – hatten wir eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Albert-Schweitzer-Schule Langen in der Enquetekommission zu Gast, die aus ihrer Warte berichtet haben, wie Beteiligung von Schülerinnen und Schülern bei ihnen erfolgt und wie man Beteiligung von Schüle

rinnen und Schülern ausbauen sollte. Das war eines der Highlights, aber es gab noch einige mehr.

Die Anzuhörenden haben aus ihren jeweiligen Sichtweisen zumeist theoretische, etwas seltener, leider, empirische Belege für bildungspolitische Ansätze für die gängigen Konzepte der Bildungspolitik gegeben. Zum anderen haben sie an vielen Stellen neue Aspekte in die Bildungspolitik eingebracht, die vorher alle Fraktionen des Landtags nicht oder zumindest nicht so, wie von ihnen dargestellt, im Mittelpunkt ihrer Politik hatten.

Dies stellt nach meinem Dafürhalten auch die Stärke des Berichts und der Arbeit der Enquetekommission dar. Die große Masse an wissenschaftlichen Stellungnahmen zu einer ganzen Reihe von bildungspolitischen Fragestellungen ist für alle Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker eine lohnenswerte Lektüre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es wurde im Nachgang behauptet, dass der Bericht der Enquetekommission ein Drehbuch für die künftige Bildungspolitik darstellen könne, dass die Empfehlungen maßgeblich für schulpolitische Weichenstellungen wie Gesetzesnovellen – denken wir z. B. an das Schulgesetz – sein müssten. Dies wäre meines Erachtens dann der Fall, wenn die Fraktionen in den wesentlichen Punkten überwiegend zu gemeinsamen Handlungsempfehlungen gekommen wären.

Bei den Handlungsempfehlungen ist es aber so, dass der Anteil der gemeinsamen Empfehlungen gegenüber dem, was die Fraktionen als Sondervoten eingebracht haben, klar in der Minderheit ist. Wenn wir uns das vom Volumen her anschauen, ist es so, dass wir, in Seiten angegeben, rund 17 Seiten gemeinsame Empfehlungen finden, dagegen 37 Seiten Sondervoten. Wenn Sie sich anschauen, welchen Anteil die Sondervoten im Bericht der Enquetekommission zum demografischen Wandel haben, dann wird Ihnen deutlicher, dass hier etwas ganz anderes zusammengetragen wurde.

Dabei ist es zusätzlich so, dass in gemeinsamen Stellungnahmen nicht die großen Linien erarbeitet wurden. Die Flughöhe war doch sehr hoch, also die Betrachtungsweise sehr allgemein, was die gemeinsamen Fragen angeht, während in den Sondervoten sehr viel Konkretes und die großen Linien der Bildungspolitik dargestellt wurden.

Das hat der Kollege Merz in seinem Beitrag auch geschickt dargestellt, indem er eine ganze Reihe von Fragen genannt und gesagt hat: Diese wurden in der Enquetekommission nicht beantwortet. – Das stimmt. Das Trennende dominiert den Abschlussbericht, nicht das Gemeinsame.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Das heißt, die Kommission konnte sich in weiten Teilen der Bildungspolitik nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigen. Von daher ist er für ein Drehbuch im engeren Sinne für die Schulpolitik des Landes nicht geeignet.

Es ist auch so, dass Teile der Fragestellungen überhaupt nicht bearbeitet worden. Wenn gefordert wurde, dass „eine umfassende Bestandsaufnahme der Bildungschancen“ – so fordert es der Einsetzungsantrag – vorgenommen werden sollte, so konnte das im Bericht nicht erreicht werden.

Er ist auch kein Konsenspapier der Fraktionen, das einen Fahrplan für die zukünftige Bildungspolitik darstellen könnte.

Gleichwohl heißt das nicht, dass ich bestritte, dass die Kommission in vielen Sitzungen sehr konzentriert und sachbezogen zusammengearbeitet hat und in einigen Bereichen sehr interessante Ergebnisse geliefert hat, beispielsweise zu der Frage der Inklusion oder zu der Digitalisierung im Bildungswesen.

Es ist hervorhebenswert, dass die Enquetekommission über alle Fraktionen hinweg feststellt, dass man „Grenzen der Inklusion“ anerkenne.

Es ist weiterhin bemerkenswert, dass die Enquetekommission einem Aktionismus bei der Beschaffung von digitalen Endgeräten, wie er im Kontext des sogenannten Digitalpakts zutage tritt, eine klare Absage erteilt, wenn sie fordert: „Keine Anschaffung von Computern ohne Konzept“.

Ich habe diese beiden Stellen deswegen herausgegriffen, da sie beide in der Zeit, seitdem der Entwurf vorgelegt wurde, schon wieder von den mit beschließenden Fraktionen angegriffen wurden. Von daher möchte ich an dieser Stelle sagen: Die gemeinsamen Handlungsempfehlungen drohen wertlos zu werden, wenn sie gleich wieder angegriffen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Besonders hervorzuheben ist, dass die zentrale und vorderste Frage der Enquete überhaupt nicht beantwortet wurde, nämlich Punkt 1 des Einsetzungsauftrags. Dort heißt es unter anderem als Auftrag, „das vielfältige, differenzierte und gegliederte Schulsystem auf seine Überschaubarkeit und Effizienz“ zu bewerten. Ferner sollte „die hessische Schulpolitik auf ihre Wirkungen und Ergebnisse evaluiert“ werden.

Die Enquetekommission hat sich folgendes Vorgehen gegeben. Sie hat zu jedem Punkt eine eigene Anhörung durchgeführt. Wir haben im Laufe der Zeit noch drei Punkte hinzugefügt, das waren sexueller Missbrauch, Digitalisierung und Flüchtlinge. Das waren übrigens die drei Themen, wo es die größte Übereinstimmung gab. Zu all diesen Punkten wurden Anhörungen durchgeführt, so auch zu diesem ersten Punkt. Wir hatten beispielsweise Prof. Perels von der Universität des Saarlands als Sachverständige eingeladen.

Aber es war so, dass dieser Punkt nicht Teil des Abschlussberichts wurde, dass es von der Enquetekommission als unmöglich bewertet wurde, darauf eine Antwort zu geben. Es wurde zunächst gesagt, wahrscheinlich ist es ein Punkt, der für sich genommen nicht beantwortet werden kann. Aber er wurde auch am Schluss nicht wieder aufgegriffen, und zwar nicht, weil er vergessen wurde, sondern ganz einfach, weil die Kommission die Frage nicht beantworten wollte oder konnte.

Das führt dazu, dass der erste Themenkomplex nur im Beratungsverlauf vorkommt, sonst aber überhaupt nicht im Abschlussbericht auftaucht. Wenn man bedenkt, dass dies der vorderste zu klärende Punkt der Enquetekommission war, so muss man feststellen, dass die Kommission zumindest an dieser Stelle gescheitert ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn man ferner bedenkt, dass die Enquetekommission den von allen Mitgliedern und Sachverständigen getragenen Wunsch hatte, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Antworten auf drängende Fragen für unser Bildungssystem zu finden, muss man zudem ins Nachdenken kommen, wie die Bildungsforschung aufgestellt ist.

Ich finde es mehr als bemerkenswert, dass wir in der Physik den Anfang allen Seins, den Urknall, schlüssig berechnen können, dass Gravitationswellen zunächst berechnet und dann nachgewiesen werden konnten, dass wir das Wissen der Welt in Geräten speichern können, die so groß sind wie eine Zigarettenschachtel, aber dass es den Bildungsforschern nicht möglich ist, beispielsweise die Frage zu beantworten: Was ist besser, ein gegliedertes Schulsystem oder ein Schulsystem, das auf äußere Differenzierung komplett verzichtet?

Das war beispielsweise der Hintergrund des Punktes 1. So war es an vielen Punkten der Enquetekommission, dass die Mitglieder der Enquetekommission durch die wissenschaftliche Beratung nicht dazu gebracht wurden, eine einheitliche Antwort zu geben. Deswegen habe ich vorhin am Rande gesagt, es ist schade, dass vergleichsweise wenig Empirie zum Tragen kam. Das ist jetzt keine Schuldzuweisung – an niemanden. Ich selbst bin mitverantwortlich für diesen Abschlussbericht und stehe zu meiner Verantwortung. Aber es ist eine Bestandsaufnahme der nackten Fakten, dass es uns trotz der intensiven wissenschaftlichen Begleitung nicht möglich ist, einen breiten Konsens in zentralen Fragen der Bildungspolitik zu erreichen.

Wie Sie wissen, ist dieses Anliegen, einen möglichst breiten Konsens in der Bildungspolitik zu erreichen, ein Anliegen von uns GRÜNEN. Aber dieses Anliegen wird nicht dadurch zu verwirklichen sein, dass uns Wissenschaftler sagen, wie wir zu handeln haben, sondern dadurch, dass wir bereit sind, die Position von anderen anzuerkennen, dass wir bereit sind, einen Konsens zu erreichen, dass wir bereit sind, Kompromisse einzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns GRÜNE ist es weiterhin wünschenswert, in einer der wichtigsten landespolitischen Aufgabenstellungen – das ist definitiv die Bildungspolitik – einen möglichst großen Konsens zu erreichen. Wir haben das auf dem Bildungsgipfel versucht. Leider hat die Enquetekommission wie auch der Bildungsgipfel gezeigt, dass es noch zu wenig Kompromissbereitschaft im Hessischen Landtag gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke sehr, Herr May. – Für die Fraktion Die LINKE hat sich Frau Faulhaber zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach dem gescheiterten Bildungsgipfel ist es immerhin erfreulich, dass die Enquetekommission „Bildung“ einen Abschlussbericht vorgelegt hat und dass die Fraktionen in 14 Themenfeldern zu einer bemerkenswerten Schnittmenge an gemeinsamen Handlungsempfehlungen gekommen sind.

Herr May, auch wenn wesentliche Punkte unterschiedlich gesehen werden, sollte man gemeinsame Erkenntnisse auf keinen Fall gering schätzen. Gemeinsame Positionen sollten unbedingt zur Entwicklung der Bildungspolitik genutzt und nicht abgewürgt werden. Es gibt ja Übereinstimmungen. Natürlich sollte Bildungspolitik auch ab und zu auf die Wissenschaft hören, damit es weitergeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dem Kultusministerium steht mit diesen Handlungsempfehlungen – ich habe sie einmal zusammengeschrieben, um zu sehen, wie viele es überhaupt sind; es sind immerhin acht Seiten, eng beschrieben – ein Reservoir zur Verfügung, aus dem es schöpfen kann. Würden die gemeinsamen Vorschläge der Fraktionen so umgesetzt, wie sie da stehen, dann würde sich die Bildungslandschaft in Hessen deutlich verbessern.

Normalerweise ist im parlamentarischen Alltag nicht so viel Zeit, um sich gründlich mit Themen zu befassen. In die Enquetekommission brachten Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis ausführlich ihre Standpunkte ein. Die Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen diskutierten sachbezogen und bemühten sich um gemeinsame Positionen. Das ist nicht selbstverständlich, und das fand ich sehr bereichernd.

Die in den ergänzenden Handlungsempfehlungen dargestellten Differenzen zeigen, dass es noch ausreichend Stoff für bildungspolitische Debatten gibt. Aber ich finde es produktiv, wenn unterschiedliche Perspektiven zur Kenntnis genommen werden und wenn inhaltlich gestritten wird – inhaltlich und nicht einfach nur öffentlichkeitswirksam.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Bis fast zuletzt fand ich das Klima der Enquetekommission sehr konstruktiv. Ich bedanke mich bei den Sachverständigen – für unsere Fraktion war das Herr Prof. Radtke –, bei Herrn Honselmann und Herrn Welteke von der Landtagskanzlei, die mit viel Geduld zum Gelingen des Berichts der Enquetekommission beigetragen haben. Ich bedanke mich auch bei allen anderen Fraktionen für die gute Arbeitsatmosphäre.

Meine Damen und Herren, „Kein Kind zurücklassen“, das ist eine gute Losung. Im Titel der Enquetekommission „Bildung“ wird damit ein humaner und demokratischer Anspruch formuliert. Dieser Anspruch „Kein Kind zurücklassen“ ist erst einmal positiv zu bewerten; denn bisher wird ein solcher Anspruch in Hessen nicht wirklich eingelöst. Es bleiben Kinder zurück – aus ganz unterschiedlichen Gründen, z. B. weil die soziale Herkunft noch immer wesentlich über den Bildungserfolg entscheidet. Das hat auch die Enquetekommission festgestellt.

Auch in Hessen gibt es wachsende Armut. Derzeit sind rund 15 % der Bevölkerung von Armut betroffen. Mitte 2017 waren 155.000 Kinder und Jugendliche auf Hartz-IVLeistungen angewiesen; das waren 7,1 % mehr als im Jahr 2016. Besonders von Armut betroffen sind Alleinerziehende und kinderreiche Familien.

Sachverständige der Enquetekommission haben darauf hingewiesen, dass Kinder aus Elternhäusern mit einem hohen sozioökonomischen Status zweieinhalbmal mehr Chancen haben, eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten als Kinder aus mittleren Schichten. Kinder aus unteren Schichten und bildungsfernen Familien scheitern oft schon

an der Sprache und wegen ihrer ungenügenden Vorbildung.