Protokoll der Sitzung vom 25.04.2018

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Allerdings fragen wir uns, was die CDU bewogen hat, diesen Entschließungsantrag heute zum Setzpunkt zu machen; denn der Neuigkeitswert strebt gegen null.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes wurde der Modellversuch für ein Studium ohne Abitur ermöglicht und zum Wintersemester 2016/17 gestartet.

In diesem Modellversuch haben Absolventen mit mittlerem Bildungsabschluss erstmals bereits nach einer dreijährigen anerkannten Berufsausbildung mindestens mit der Abschlussnote 2,5 einen prüfungsfreien Zugang zu allen gestuften Studiengängen an den Hochschulen des Landes.

Herr Kollege Hofmeister, ich habe mir genau wie Sie an dieser Stelle erlaubt, die Pressemitteilung des Wissenschaftsministeriums aus dem Jahr 2016 zu zitieren, um deutlich zu machen, um was es geht.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Über den Start des Modellversuchs haben wir in der Plenarsitzung am 26. Januar 2017 debattiert. Es ist für uns nicht ersichtlich, was sich bis zum heutigen Tag an neuen Erkenntnissen und Ideen zum Thema Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ergeben hat.

Die SPD-Fraktion begrüßt, dass sich nach drei Semestern Laufzeit des Modellversuchs die Zahl der Teilnehmer fast verdreifacht hat.

(Beifall des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Die Zahl von 235 Studierenden zeigt aber auch, dass noch große Anstrengungen unternommen werden müssen, um diesen alternativen Weg zum Studium regelhaft zu entwickeln.

(Beifall bei der SPD)

Wir begrüßen auch, dass die Hochschulen Maßnahmen und Instrumente entwickeln, die den Studierenden ein erfolgreiches Studium ermöglichen sollen. Beratung und Unterstützung, die auf die besondere Situation der Studierenden zugeschnitten sind, sind aus unserer Sicht absolut notwendig. Da der Modellversuch allerdings erst zum Sommersemester 2021 abgeschlossen und evaluiert werden soll, ist der Antrag zwar zustimmungsfähig, aber am heutigen Tag gleichzeitig überflüssig.

„Repetitio est mater studiorum“,

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

wobei die Betonung für die Koalition eindeutig auf „Wiederholung“ liegt und nicht auf dem „Studieren von neuen Erkenntnissen“. Die Koalition scheint zu befürchten, dass ihre Leistungen von der Öffentlichkeit nicht bemerkt werden. Das ist möglicherweise auch nicht ganz unbegründet.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gabriele Faul- haber (DIE LINKE) und Mürvet Öztürk (fraktions- los))

Ich will gerne noch zu einigen inhaltlichen Aspekten Stellung nehmen. Es ist längst nicht mehr allein meine individuelle Entscheidung, ob ich mich fort- und weiterbilde, sondern es ist eine Notwendigkeit geworden. Lebenslanges Lernen ist Bedingung für eine erfolgreiche berufliche Perspektive. Gleichzeitig sind Durchlässigkeit und der Abbau von Barrieren und roten Ampeln notwendig, um unser Bildungssystem fit für die ständig neuen und wechselnden Anforderungen im Beruf zu machen. Um die Anforderungen von Digitalisierung und Spezialisierung in immer neuen Ausbildungsberufen, Studiengängen und Berufsbildern zu bewältigen, brauchen wir ein flexibles und durchlässiges Bildungssystem.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen es – das füge ich ausdrücklich hinzu –, um Chancengleichheit beim Zugang zu diesen Bildungsangeboten zu gewähren. Ich glaube, da hat Hessen noch sehr viel Nachholbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Solange Eltern ihre Kinder deshalb aufs Gymnasium schicken, weil sie Angst haben, dass ihr Kind woanders in einer Bildungssackgasse landet, ist die Formel von der Gleichwertigkeit noch ungelöst.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Durchlässigkeit darf es nicht nur in der Anschlussfähigkeit nach einem Abschluss geben, sondern sie muss auch davor vorhanden sein. Wenn man den Hochschulzugang nach dem allgemeinen Schulabschluss – aus unserer Sicht zu Recht – auch für junge Menschen ohne Abitur und mit Berufserfahrung öffnet – darüber sind wir uns in diesem Hause alle einig –, muss man auch die Frage stellen, ob beispielsweise abschlussbezogene Bildungsstandards heute noch zeitgemäß sind oder ob es nicht vielmehr überfällig ist, bestehende Bildungsstandards und Kerncurricula daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Anspruch an Gleichwertigkeit von Bildungsgängen und Durchlässigkeit genügen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die Grenzen zwischen praxisbezogener und theoretischakademischer Ausbildung sind heute verschwommener geworden. Das Meisterstudium, steigende Studierendenzahlen an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften und im dualen Studium wie auch der Erfolg von Modellen zum Studieren ohne Abitur – all das zeigt, dass der Schulabschluss im allgemeinen Schulsystem längst nicht mehr den Berufsweg eines Menschen determinieren muss. Aber leider – das hat viel mit dem zu tun, was in der allgemeinbildenden Schule geschieht – tut dieser Schulabschluss das immer noch, nämlich das Schicksal von Menschen und ihre Berufswege vorzuentscheiden, und das oft nicht so, dass die Fähigkeiten des Einzelnen auch ausgenutzt werden können.

Ich will noch einen letzten Punkt anfügen. Die SPD-Fraktion begrüßt selbstverständlich auch, dass Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen Unterstützung durch eine qualifizierte Berufsorientierung erhalten sollen. Herr Hofmeister hat in seinem Redebeitrag gesagt, dass die Koalition und die Landesregierung dies kontinuierlich verbessern würden. Davon aber habe ich bis jetzt leider noch nichts gemerkt, insbesondere wenn es um die Forderung geht, auch an den Gymnasien eine entsprechende Berufsorientierung zu etablieren. Da ist es mit Praktika nicht getan.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gabriele Faul- haber (DIE LINKE) und Mürvet Öztürk (fraktions- los))

Dankenswerterweise hat der Kultusminister gestern in der Debatte zur Enquetekommission „Bildung“ angekündigt, dass es in Arbeit sei, eine neue Verordnung auf den Weg zu bringen und dies entsprechend in den Schulen zu etablieren. Darauf warten wir und sind sehr gespannt, wie es in Hessen umgesetzt wird.

Lassen Sie mich zum Abschluss aus einem Zeitungsartikel zitieren. Er ist aus der „Hanauer Allgemeinen“ vom 2. Juli 1975. Die Überschrift lautet „Sie schafften es: Ohne Abitur Start frei für die Hochschule“. Der Artikel berichtet über einen Lehrgang an der Volkshochschule Hanau, die es den ersten 23 Absolventen ermöglicht hat, auch ohne Abitur anschließend ein Hochschulstudium aufzunehmen.

Deswegen lautet mein Fazit: Diese Landesregierung macht eben nichts Gutes, was einer sozialdemokratisch geführten Regierung nicht schon viel früher eingefallen wäre.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Widerspruch bei der CDU – Lachen des Ministers Boris Rhein)

Deshalb fällt uns die Zustimmung zu diesem Antrag trotz allem nicht schwer – verbunden mit der Ermunterung an die CDU, auch in anderen bildungspolitischen Bereichen etwas fortschrittlicher zu argumentieren und neueste Erkenntnisse auch aus der Enquetekommission „Bildung“ zur Kenntnis zu nehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Vielen Dank, Frau Kollegin Habermann. – Das Wort hat der Abg. Daniel May, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Modellversuch für den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte wird mittlerweile von 235 Studierenden genutzt. Das heißt, die Zahl derjenigen, die sich dafür eingeschrieben haben und diese Möglichkeit nutzen, steigt kontinuierlich. Das bedeutet, dass dieser Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte nichts ist, was nur auf dem Papier existiert – es ist kein theoretisches Konstrukt –, sondern er ist gelebte Realität. Das zeigt, dass hier eine Maßnahme ergriffen wurde, die von den Menschen angenommen wird. Ich denke, das ist Neuigkeit genug und ein Grund, dass wir uns freuen sollten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Gestatten Sie mir daher die Bemerkung, dass die Aussage, dass es nichts Neues gebe, an dieser Stelle danebengeht. Dass etwas funktioniert, ist doch mindestens genauso eine Neuigkeit wie die Nachricht, wenn es irgendwo Nachsteuerungsbedarf gäbe. Es freut mich, dass die SPD-Fraktion in ihrem Redebeitrag eingeräumt hat, dass sich die zu Beginn des Modellversuchs geäußerten Bedenken glücklicherweise nicht bewahrheitet haben,

(Heike Habermann (SPD): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

sondern dass wir uns gemeinsam darüber freuen können, dass dieser Modellversuch angenommen wird.

Herr Kollege May, Frau Kollegin Habermann will Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Was halten Sie davon? – Auf gehts.

Herr May, haben Sie noch meinen Debattenbeitrag von Januar letzten Jahres in Erinnerung, in dem ich genau diese Unterstützung für den Modellversuch bereits einmal vonseiten der SPD-Fraktion erklärt habe?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege May, Sie haben das Wort. Bitte, erinnern Sie sich.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich, dass wir so viel Zustimmung von der SPD-Fraktion erhalten und dass es Ihnen wichtig ist, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sie sich schon zu einem früheren Zeitpunkt positiv zur Regierung geäußert haben. Das würdige ich ausdrücklich, Frau Kollegin Habermann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Umso mehr freut es mich, dass Sie heute unserer Initiative zustimmen werden, indem wir sozusagen auch einen Überblick über andere Maßnahmen unserer Hochschulpolitik leisten, und damit auch deutlich machen, dass Sie unsere

Hochschulpolitik so stark unterstützen. Das freut uns, und ich finde, das ist eine weitere gute Nachricht am heutigen Vormittag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Die Zahl von 235 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigt also, dass der Modellversuch angenommen wird und dass eine Überlegung, die wir als Politik vor diesem Modellversuch angestellt haben, sinnvoll war – nämlich darauf reagieren zu wollen, dass zusehends mehr Schülerinnen und Schüler ein Gymnasium besuchen und sich nach der mittleren Reife zunehmend dafür entscheiden, die Fachoberschule oder ein berufliches Gymnasium zu besuchen, und dass sich der Anteil derjenigen, die direkt eine berufliche Bildung anstreben, verändert hat.

Darauf wollten wir reagieren, weil wir analysiert haben, was wohl die Überlegung dahinter ist. Nach unserer Analyse haben wir festgestellt, dass es dort das Gefühl gibt: Wenn ich den Weg einer vollschulischen Ausbildung weitergehe, lasse ich mir alle Wege offen, während das bei der beruflichen Bildung möglicherweise nicht so ist. – Daher macht der Modellversuch des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte etwas ganz deutlich: Nein, die berufliche Bildung ist der vollschulischen, der akademischen Bildung gleichwertig. Wenn du dich entscheidest, nach der mittleren Reife eine Berufsausbildung über drei Jahre zu absolvieren, und mindestens mit der Note 2,5 oder besser abschließt, dann hast du genauso Anspruch und Möglichkeit, eine hessische Hochschule zu besuchen, wie wenn du beispielsweise die Fachoberschule besucht hast.