Protokoll der Sitzung vom 23.08.2018

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie haben nichts gelernt! Wie erbärmlich! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

solange Sie das unterlassen, haben Sie jedes Recht verwirkt, über die Pressefreiheit in diesem Land zu reden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, zu Ihren Ausführungen zwei Anmerkungen. Sie haben hier einen Vorgang in den Raum gestellt, über den wir gern miteinander reden können. Ich meine, mich gut daran erinnern zu können. Sie spielen auf eine Pressekonferenz an einer Schule in Frankfurt am Main an. Dort ist ein Schulleiter gefragt worden, ob der Sohn der damaligen Spitzenkandidatin der SPD auf seine Schule geht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ein ganz großer Zufall!)

Diese Frage hat der Schulleiter wahrheitsgemäß mit Ja beantwortet. Ich habe mit ihm Monate später darüber gesprochen. Er hat mir die Frage gestellt: Hätte ich Nein sagen sollen? – Das sei für diejenigen gesagt, die den Vorgang nicht kennen. Ich lade Sie gerne dazu ein, dass wir noch einmal darüber reden.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Ich will einen zweiten Punkt anführen. Herr Schäfer-Gümbel, nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, müssten Sie den Antrag eigentlich zurückziehen; denn Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine Privatsphäre von Politikerinnen und Politikern in diesem Land geben muss. Da bin ich sehr bei Ihnen, und darauf hat der Ministerpräsident in seinen Einlassungen hingewiesen. Wenn der Ministerpräsident den Vorgang so bewertet, wie er es tut – ich habe keinen Zweifel daran, dass das ein Vortrag war, der auf massiven Gründen beruht, die beschrieben worden sind –, dann gehört zur Pressefreiheit auch, dass der Ministerpräsident erklären kann, dass er der „Frankfurter Rundschau“ kein Interview gibt. Das ist ein logischer und konsequenter Folgeschluss.

Deshalb ist mein Vorschlag: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück. Wir reden hier nicht über die Pressefreiheit, sondern über einen Versuch – insbesondere der LINKEN –, ein Fass aufzumachen, was den LINKEN am allerwenigsten zusteht.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Kollege Boddenberg. – Das Wort hat der Abg. Wagner, Fraktionsvorsitzender vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin dem Ministerpräsidenten und Thorsten Schäfer-Gümbel außerordentlich dankbar; denn sie haben mit ihren Redebeiträgen einer Debatte, die auf einen kurzen tagespolitischen Geländegewinn abzielte, eine überraschende und notwendige Tiefe gegeben.

Wenn die Spitzenpolitiker von CDU und SPD hier sagen, dass es in der Art und Weise des Umgangs mit Spitzenpolitikern Grenzen gibt

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Mit den Kindern!)

des Umgangs mit den Kindern und mit den Familien von Spitzenpolitikern –, dann können auch die Spitzenpolitiker der anderen Fraktionen Beispiele nennen, bei denen man sich fragen kann, ob die Grenzen eingehalten oder überschritten wurden. Damit ist eine lohnende Debatte aufgemacht. Diese Debatte ist nicht innerhalb der fünf Minuten zu führen, die für eine Diskussion im Plenum zur Verfügung stehen.

Ich bin ausdrücklich dafür dankbar, dass wir diese Tiefe in der Debatte erreicht haben, weil es sich lohnt, darüber weiter zu diskutieren. Was nämlich in einem sehr entgrenzten politischen Diskurs, wie wir ihn gerade in der letzten Zeit teilweise bundesweit, aber auch international erleben, manchmal aus dem Blick gerät: Es sind Menschen, die Politik machen. Bloß deshalb, weil man Spitzenpolitiker ist, hat man keinen Panzer, und bloß deshalb, weil man Spitzenpolitiker ist, ist man kein Freiwild, für wen auch immer. Ich sage das frei von aktuellen Beispielen, damit wir nicht die Diskussion führen, ob es sich in einem bestimmten Fall um eine Grenzüberschreitung gehandelt hat oder nicht.

Politikerinnen und Politiker sind kein Freiwild. Sie haben Familie, und es gibt Menschen, die ihnen nahestehen, die schon genug durch die zeitlichen und sonstigen Belastungen des Berufspolitikerseins ertragen müssen und ein Anrecht darauf haben, ihr Leben nicht in die Öffentlichkeit gezerrt zu bekommen, die ein Anrecht darauf haben, nicht Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zu werden.

Es gibt in allen Parteien Beispiele dafür, dass diese Grenze verletzt wurde. Wir sollten weiter darüber diskutieren, wo das ist und wo wir uns als Politikerinnen und Politiker vielleicht gegenseitig solche Verletzungen zugefügt haben. Wir sollten auch mit den Medienvertretern das Gespräch darüber suchen, wo diese Grenzen manchmal vielleicht nicht respektiert wurden.

Das alles sollten wir nicht nur heute, in den paar Minuten dieser Landtagsdebatte, machen, sondern wir sollten in Ruhe, auch außerhalb des Plenarsaals, darüber sprechen. Deshalb wäre es vielleicht klug, wenn wir die Tiefe, die die Debatte durch den Beitrag des Herrn Ministerpräsidenten und den Beitrag von Thorsten Schäfer-Gümbel erreicht hat, nicht dadurch kaputt machten, dass wir jetzt weiter über einen Antrag debattieren und dann darüber abstimmen, der auf einen kleinen tagespolitischen Geländegewinn abgezielt hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Kollege Wagner. – Das Wort hat der Abg. Dr. Jörg-Uwe Hahn, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine besondere Debatte. Herr Ministerpräsident und auch Herr Schäfer-Gümbel, vielen Dank für Ihre klaren Worte. Ich habe jetzt nur ein kleines Problem damit, diese Diskussion zu strukturieren. Auch bei Herrn Wagner eben war das erkennbar.

Es bestand die Absicht – abgesehen davon, dass wir gerade eine Privatdebatte für den einen oder anderen Journalisten in diesem Haus führen –, das Thema Pressefreiheit auf die Tagesordnung zu setzen. Darüber braucht man einen Liberalen nicht zu belehren. Ich kann mich daran erinnern, dass ich die LINKEN, als sie zum ersten Mal in dieses Haus eingezogen sind, als Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion mit den Worten von Voltaire begrüßt habe. Ich habe gesagt: Ich habe zu 100 % eine andere Auffassung als Sie, aber ich werde dafür kämpfen, dass Sie das Wort ergreifen dürfen. – Nachher habe ich gelernt, es war eine Zuarbeiterin von Voltaire, die das gesagt hat. Aber der Inhalt bleibt derselbe, und auch meine Aussage von damals bleibt dieselbe.

Das gilt natürlich auch für die Presse. Wir streiten miteinander, und ich glaube, es ist auch richtig, zu sagen: Pressefreiheit ist keine Einbahnstraße.

(Beifall bei der FDP)

Pressefreiheit bedeutet nicht, dass man sich „bedingungslos“ – das Wort ist nicht ganz richtig; das Wort „vorbehaltlos“ ist vielleicht besser; nein, das ist ebenfalls nicht ganz richtig – den Wünschen der Presse ausliefert, sondern es muss, weil es sich eben um eine Freiheit handelt, genauso die Freiheit des Andersdenkenden und Andershandelnden geben, und das bedeutet, dass man auch einmal Nein sagt.

Ein ehemaliger parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion in diesem Hause hat, wenn sich die damalige Fraktionsvorsitzende Ruth Wagner wieder einmal über etwas geärgert hat, in der Fraktionssitzung immer gesagt: Ruth, du hättest auf diese Frage nicht zu antworten brauchen. – Ja, Hans-Jürgen Hielscher hatte recht. Man muss nicht auf jedes Stöckchen treten, das einem hingelegt wird, und darüberspringen muss man schon gar nicht. Das können wir gern ausführen. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir das nicht hintenherum machten, sondern so, dass die Journalisten, die das ausgelöst haben, dabei sind.

Die zweite Ebene sind die persönlichen Verletzungen. Ich glaube, es ist ganz egal, ob man ein Jahr, zehn Jahre oder 30 Jahre hier ist: Persönlich verletzt fühlt man sich relativ schnell. Nach 31 Jahren habe ich, glaube ich, schon eine Kladde voll davon gesammelt. Ich kann nachvollziehen, dass das eine mehr und das andere weniger wehtut.

Ich weiß von mir, dass es besonders wehtut, wenn es um die Familie geht. Die kann nichts dafür. Deshalb habe ich mich schon ein paarmal geärgert. Insbesondere war das der Fall – das wissen auch die Kollegen von den GRÜNEN –, als die Behinderung eines Kollegen gegen die Behinderung meines Sohnes ausgespielt werden sollte. Das war in der Zeit, als wir im Wiesbadener Rathaus im Stadtverordneten

saal agiert haben. So etwas tut weh, und das bleibt auch. Trotzdem muss man darüberstehen.

Ich will jetzt nicht aufzählen, an welchen Stellen sich die Mitglieder der FDP-Fraktion verletzt gefühlt haben. Nur, lieber Kollege Al-Wazir, was mir immer und ewig im Kopf bleiben wird, ist Ihre Bemerkung im Frühjahr 2000, als man der damaligen stellvertretenden Ministerpräsidentin einen schwarzen Koffer an den Tisch gebracht hat. Sie können sich an das erinnern – offensichtlich wollen Sie es jetzt nicht –, was Sie damals gesagt haben. Auch das bleibt im Kopf.

Leider ist Frau Kollegin Ypsilanti jetzt nicht mehr im Raum. Ich möchte nämlich mit einer sehr persönlichen Bemerkung schließen. Ich war nicht dabei, und ich war auch nicht verantwortlich dafür, dass an der Anna-SchmidtSchule recherchiert worden ist. Aber ich war dabei – viele von Ihnen konnten es hören –, als nachher von Radio FFH eine Elefantenrunde veranstaltet wurde. Sie merken, ich habe es parat. Der Moderator – „Focus“-Herausgeber und zugleich mein Parteifreund – hat dieses Thema noch einmal ein bisschen sehr prononciert auf den Punkt gebracht, damit jeder weiß, worum es geht. Es ging um den Vorwurf, dass eine Sozialdemokratin vom linken Flügel ihrer Partei ihr Kind auf eine Privatschule schickt. Das sollte damals die Botschaft sein.

Manche schauen mich jetzt an, als ob sie gar nicht wüssten, was die Anna-Schmidt-Schule ist. Ich gebe gerade Geschichtsunterricht. Herr Präsident, ich bin aber fertig. In dieser Diskussion habe ich auch ganz schön gehuft. Ich entschuldige mich dafür. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank, Jörg-Uwe Hahn. – Das Wort hat der Kollege Schäfer-Gümbel.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich für die Mehrzahl der Beiträge bedanken. Im Lichte dieser Beiträge, insbesondere derjenigen der Kollegen Wagner und Hahn, mache ich den Vorschlag, dass dieser Antrag am heutigen Tag nicht zur Abstimmung gestellt, sondern an den Hauptausschuss des Hessischen Landtags überwiesen wird – da müssen wir uns einig sein, denn es ist ein anderes Antragsformat –, um ihn zum Anlass zu nehmen, die von mehreren Rednerinnen und Rednern in Gang gesetzte Debatte zu vertiefen.

Das gilt für den Umgang zwischen erster und zweiter Gewalt und dem Medienbetrieb, aber auch für die Art und Weise, wie wir in solchen Situationen miteinander umgehen. Das ermöglicht es uns heute, diesen Vorgang so zu behandeln, wie es die Debatte am Ende nahegelegt hat. Das ist der Vorschlag, der zwischen den Fraktionsführungen von SPD und Linkspartei abgestimmt ist. Damit sind wir heute nicht in einer Abstimmungssituation. Darüber, was am Ende mit diesem Antrag passiert, beraten wir dann in aller Ruhe im Hauptausschuss, wenn wir über die Konsequenzen geredet haben.

Ich will mich herzlich bei Herrn Hahn bedanken. Das ist einer der Punkte, die den Unterschied zwischen politischer Kultur und Nicht-Kultur ausmachen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Es gibt auf den verschiedenen Seiten viele Bespiele; wir reden gelegentlich darüber. Herr Boddenberg, das war der Unterschied zu Ihrer Rede: Herr Hahn hat es, im Unterschied zu anderen, offensichtlich verstanden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Sie unterstellen mir das seit Jahren!)

Vielen Dank. – Kollege Bellino, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fand es bemerkenswert, wie Thorsten Schäfer-Gümbel in seinem zweiten Redebeitrag geantwortet hat. Ich hätte es nur gut gefunden, wenn Sie sich den letzten Satz verkniffen hätten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich hätte es gut gefunden, wenn sich Herr Boddenberg die Rede verkniffen hätte! – Zurufe von der CDU)

Ich nehme es vorweg: Wir werden uns nicht gegen dieses Ansinnen wehren. Aber, so glaubwürdig für mich der Beginn Ihres zweiten Beitrags war, so sehr zweifle ich jetzt daran, dass es Ihnen darum wirklich geht; denn dann hätten Sie sich diese Attacke verkniffen. Für mich ist deutlich geworden,

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

und, ich glaube, das gilt für den überwiegenden Teil dieses Hauses, dass die Pressefreiheit in unserem Lande, und damit meine ich nicht nur Hessen, sondern die Bundesrepublik Deutschland, nicht in Gefahr ist.

(Beifall bei der CDU)

Für mich ist auch deutlich geworden, und so habe ich viele Beiträge der Opposition, zumindest von Teilen der Opposition, verstanden, dass wir sagen: Eine harte politische Auseinandersetzung ist nicht nur möglich, sondern diese muss auch sein, aber sie hat Grenzen. Sie hat dort ihre Grenzen – ich erinnere auch an das, was Herr Kollege Hahn, der Ministerpräsident sowie andere gesagt haben –, wo es in den familiären Bereich hineingeht.

Wenn diese hoffentlich sehr sachliche Diskussion im Hauptausschuss dazu führt, dass wir im bevorstehenden Wahlkampf auf diese persönlichen Attacken verzichten, dann könnte das Ganze doch noch etwas bewirkt haben. Dem werden wir uns nicht entgegenstellen.

(Beifall bei der CDU)