Protokoll der Sitzung vom 12.09.2018

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herzlichen Dank, lieber Walter. Ich möchte dir auch im Namen des gesamten Landtags ganz herzlich danken für deine Arbeit. Insgesamt waren es 20 Jahre, davon einige Jahre als Staatssekretär. Du warst immer sachkundig und immer bestens informiert. Gerade das, was du am Schluss gesagt hast, hat dich ausgezeichnet. Bei aller inhaltlichen Debatte, die auch einmal hart sein kann, hast du immer den persönlichen Umgang und das menschliche Miteinander

gepflegt. Wir sind froh, dass wir dich hier 20 Jahre lang haben durften. Wir wünschen dir für die Zukunft alles Gute. Bleibe uns gewogen, insbesondere mir. Alles Gute. Glück auf.

(Beifall)

Nächster Redner ist der Kollege Jan Schalauske, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat der Hessische Landtag den Landesschuldenbericht ohne Aussprache zur Kenntnis genommen. Der Bericht zählte wohl eher zum Pflichtprogramm als zum Gegenstand großer politischer Kontroversen. Viele von Ihnen sind Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte länger als ich im Hessischen Landtag und können das aus ihrer Sicht beurteilen.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Ich bin der Meinung, dass sich diese pflichtgemäße Kenntnisnahme ändern muss und dass wir auch hier im Hessischen Landtag darüber diskutieren müssen, ob Derivate ein angemessenes Instrument sind, ob die hier diskutierten Zinssicherungsstrategien sinnvolle Instrumente sind und ob es sinnvoll ist, Steuergeld dafür zu verwenden.

Unabhängig von medialer Berichterstattung gibt es gewichtige Stimmen aus der Wissenschaft und der Fachwelt, die die Sinnhaftigkeit des Einsatzes solcher Instrumente bezweifeln. Es ist also an der Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und für noch mehr Transparenz zu sorgen.

In Pressekonferenzen und auch in der vergangenen Sitzung des Haushaltsausschusses hat sich Finanzminister Dr. Schäfer in Reaktion auf die mediale Berichterstattung sehr ausführlich mit der Thematik auseinandergesetzt und auf Fragen geantwortet. Er hat sich zudem viel Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, dass mit der Schuldenverwaltung in Hessen alles in bester Ordnung sei.

Ein Teil dieses Bildes war die Darstellung: Es könnte sein, dass ein paar der Derivategeschäfte 2011 vielleicht nicht optimal gelaufen sind, aber eigentlich kann man jetzt noch nicht beurteilen, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. – Mit dieser Darstellung will ich mich schwerpunktmäßig auseinandersetzen.

Der hessische Finanzminister ist immer um ein gutes Bild bemüht. Wir denken an die Eier legende Wollmilchsau. Mit Kängurus hat er es nicht so, wie wir gestern gemerkt haben.

(Jürgen Lenders (FDP): Fleischfressende Kängurus! Das war das Problem!)

Nun hat er das Bild der Zinsversicherung entdeckt. Herr Finanzminister, Sie behaupten, das Land hätte unter Ihrer Verantwortung 2011 entschieden, historisch niedrige Zinsen für Jahre zu sichern, ja, die Landesschulden zu versichern. Sie hätten eine Art Versicherung abgeschlossen. Mit Verlaub, diese Darstellung halte ich für falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Forward Payer Swaps, die Sie abgeschlossen haben, sind keine Versicherung. Sie haben schlicht das Risiko steigender Zinsen gegen das Risiko sinkender Zinsen ge

tauscht. Das ist ungefähr so – ich möchte in den Bildern des Finanzministers bleiben, der immer das Bild eines Häuslebauers bemüht –, als hätten Sie mit ihrem Nachbarn eine Wette abgeschlossen. Er zahlt Ihren Schaden, wenn es brennt. Sie zahlen im Gegenzug seinen Schaden, wenn der Sturm sein Haus beschädigt.

Herr Dr. Schäfer, ich hoffe doch, dass Sie sich als Hausbesitzer auf ein solches Geschäft nicht eingelassen hätten; denn ein solches Geschäft ist eine Wette. Für uns bleibt es dabei, dass Zinsderivate keine Versicherung sind, sondern eine Wette.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist aber ein falsches Bild!)

Das zweite Argument, mit dem Sie das Parlament – ich will es parlamentarisch ausdrücken – zu überzeugen versuchen, ist, dass niemand in die Zukunft schauen könne und man sich schließlich nur daran gehalten habe, was damals alle so gedacht und geglaubt hätten, nämlich dass die Zinsen historisch niedrig seien.

An dieser Stelle ein Einschub: Wenn Sie behaupten, Sie wollten sich das vermeintlich historisch niedrige Zinstief und das niedrige Zinsniveau sichern, warum gibt es dann ein einseitiges Kündigungsrecht für die Banken? Das ist doch eine einseitige Verlagerung des Risikos auf das Land. Das ist doch vor allem für die Banken ein gutes Geschäft.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Optionsscheine sind keine Derivate!)

Zum Thema „historisches Zinstief“ haben die Berichte des Landesrechnungshofes – – An dieser Stelle gilt mein Dank natürlich dem Präsidenten sowie den Kolleginnen und Kollegen des Landesrechnungshofes. Ich glaube übrigens, der beste Dank wäre, sich intensiver mit dem zu beschäftigen, was sie analysieren. Sie haben nämlich einen Bericht geschrieben, den 60. Landesschuldenbericht, der viel mehr Aufmerksamkeit des gesamten Parlaments verdient hätte. Im Ausblick auf das Jahr 2011 heißt es:

Die letzten Jahre erreichten immer ein „historisch niedriges Zinsniveau“. Somit bleibt auch ein Forward Payer Swap bei einem zum Abschlusszeitpunkt günstigen Zinsniveau spekulativ – tatsächlich sind die Zinsen in den letzten Jahren tendenziell weiter gesunken.

Das ist nicht die Analyse der LINKEN, sondern des Rechnungshofs: „spekulativ“. Auf die Möglichkeit weiter sinkender Zinsen wurde also explizit hingewiesen.

Noch deutlicher wird der Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, der in seinem Jahresbericht 2016 schreibt:

Wie schon im Vorjahr weist der Rechnungshof darauf hin, dass sich durch Derivategeschäfte nur Geld sparen lässt, wenn man dauerhaft „schlauer ist als der (Finanz-)Markt“. Der Rechnungshof geht davon aus, dass dies weder gelingen kann noch eine „Wette“ darauf sinnvoll ist.

Das heißt also, nicht nur DIE LINKE, sondern auch der Rechnungshof Hamburg halten Derivategeschäfte für eine Wette und eben nicht für eine Versicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Geld lässt sich damit langfristig überhaupt nicht sparen. Im Gegenteil, die Gefahr ist groß, dass das Land hier viel Geld

verliert. Nun sind wir beim dritten Punkt Ihrer Argumentation, beim wirtschaftlichen Ergebnis ihrer Geschäfte.

Im Landesschuldenausschuss, im Haushaltsausschuss und auch auf den Pressekonferenzen sind immer wieder Grafiken gezeigt worden, anhand derer Sie sagen, dass sich der Einsatz von Derivaten für das Land in der Vergangenheit wirtschaftlich gut entwickelt und gerechnet hätte. Wie Sie aber auf diese Zahlen kommen, welche Zinssätze hier galten, welche Zinssätze als Vergleich angenommen wurden, weisen Sie nicht aus. Das finde ich a) nicht nachvollziehbar und b) auch wenig transparent.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Sagen Sie doch einmal etwas zu steigenden Zinsen, Herr Kollege!)

Ich sage meinetwegen gleich auch noch etwas dazu. – Erst einmal will ich aber ein bisschen etwas zu dem erläutern, mit dem ich mich hier schwerpunktmäßig auseinandersetzen möchte, nämlich dazu, wo der Schaden durch die Derivategeschäfte bereits jetzt dem Land Hessen entstanden ist. Hier verweise ich auf den 63. Bericht des Landesschuldenausschusses. Demnach hat eine Reihe von sogenannten Forward-Geschäften über Kredite im Volumen von über 1 Milliarde € Mehrkosten von 375 Millionen € verursacht. Diese Rechnung scheint ja unstrittig zu sein. So habe ich auch die Darstellung des Finanzministers verstanden. Es geht nur um Details.

375 Millionen € sind schon eine ziemlich hohe Versicherungsprämie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die entscheidende Frage ist: Kann man diese denn über die Laufzeit der Geschäfte kompensieren? Ist das nur eine Momentaufnahme? – Ich glaube das nicht; denn es geht hier um ein Geschäft mit Festzinsen. Bei einem Forward – der Kollege Schmitt hat auch schon darauf hingewiesen – gehen Sie einen Vertrag mit einer Bank ein, der einen Zinssatz in der Zukunft garantiert.

Die Wette war hier also nicht, dass feste Zinsen günstiger als variable seien, sondern die Wette war, dass feste Zinsen 2013 höher sein würden als 2011. Mit anderen Worten: 2013 hätten Sie für 40 Jahre niedrigere Zinsen bekommen. Dieser Schaden ist schon eingetreten. Diese 375 Millionen € sind futsch.

Aber damit nicht genug: Wie ich bereits sagte, war das nur ein Beispiel, das der Hessische Rechnungshof dankenswerterweise errechnet hat. Von diesen Geschäften sind ja noch viel mehr gemacht worden. Und dabei haben Sie nicht nur auf die Zinsentwicklung in ein, zwei Jahren spekuliert. Nein, ein Teil der Geschäfte aus dem Jahr 2011 wird erst nächstes Jahr überhaupt anlaufen. Und damit sind wir dann noch gut dran; denn ursprünglich wollten Sie auf die Zinsen bis 2021 spekulieren. Wir reden von Laufzeiten von 40 Jahren.

Da Sie, Herr Dr. Schäfer, uns die Zahlen über die 2011 abgeschlossenen Forwards nicht im Einzelnen zur Verfügung gestellt haben, haben wir noch einmal in die alten Schuldenberichte geschaut. Dort findet sich z. B. im Bericht von 2011 auf Seite 64 eine repräsentative Auswahl der Forward-Geschäfte. Wenn man sich diese Zinssätze anschaut und sie mit den Zinssätzen zum Zeitpunkt des Anlaufens der Kredite vergleicht, kommen wir schon jetzt auf einen Schaden von weiteren 400 Millionen €. Da sind wir bereits bei über 700 Millionen €. Rechnet man das auf die gesamte

sogenannte Versicherungs- und Sicherungsstrategie hoch, ist man nicht mehr nur bei 375 Millionen €, sondern bei Hunderten von Millionen, vielleicht sogar im Milliardenbereich.

Deswegen fordere ich hier, weil ich es im Ausschuss verzweifelt getan habe, noch einmal: Herr Finanzminister Schäfer, legen Sie die Geschäfte offen. Und wenn Sie unseren Zahlen nicht glauben, dann sollte es für Sie ja kein Problem sein, selbst Zahlen vorzulegen. Die Öffentlichkeit hat das Recht darauf, diese Geschäfte zu kennen. Wir wollen sie kennen, damit wir wissen, was für ein Verlust dem Lande Hessen durch die Zinsderivate entstanden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Schalauske, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Es bleibt dabei: Sie haben gewettet, und Sie haben leider schon beim Start zum Teil verloren. Möglicherweise sind durch einen Teil dieser Geschäfte bereits jetzt Milliarden in den Sand gesetzt worden. Ich finde, dass mit diesen Geschäften Schluss sein muss. Wir brauchen vollstmögliche Transparenz. Für die dringend notwendige Aufklärung sollte der Landtag alle Mittel, die er zur Verfügung hat, in Erwägung ziehen. DIE LINKE wird das tun – in dieser oder dann in der nächsten Legislaturperiode.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollege Dr. h.c. Hahn.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vor der Klammer sagen: Die Aufklärungsarbeit ist so, wie sie in den letzten 18 Tagen durchgeführt worden ist, zu loben. Wir haben sehr viele Fragen gestellt. Ich gebe zu: Intelligenterweise hätte man die Fragenkataloge vorher noch ein bisschen abstimmen können, lieber Kollege Norbert Schmitt. Aber es war alles so knapp, auch von der Zeit her. Das hat uns dann selbst Mühe gemacht. Aber so ist es halt: Wenn man fleißig ist, hat man manchmal noch mehr Arbeit damit.

Das ist alles unstreitig okay. Wir als FDP fühlen uns zum jetzigen Zeitpunkt so informiert, wie man uns offensichtlich informieren kann. Unser Dank geht an alle diejenigen Frauen und Männer, die seit diesem „Welt am Sonntag“Sonntag mit dem Thema beschäftigt waren und sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Jetzt komme ich zu dem zweiten Punkt. Da will ich Sie ein bisschen in meine eigene Verwirrung mitnehmen.