Protokoll der Sitzung vom 13.09.2018

Bevor ich Herrn Kollegen Boddenberg das Wort erteile, möchte ich jemanden auf der Besuchertribüne begrüßen. Ich begrüße ganz herzlich den rumänischen Minister für Geschäftsumfeld, Handel und Unternehmertum, S. E. Herrn Stefan-Radu Oprea, und seine Delegation sowie

S. E. Herrn Botschafter Emil Hurezeanu. Seien Sie herzlich willkommen bei uns im Hessischen Landtag.

(Beifall)

Herr Kollege Boddenberg, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte ja zunächst einmal sagen, Herr Kollege Rock, wenn die GRÜNEN heute dieses Thema nicht als Setzpunkt auf die Tagesordnung gesetzt hätten,

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hätten wir es gemacht!)

wäre das möglicherweise in dieser Plenarsitzungswoche gar nicht thematisiert worden. Geschenkt.

Außerdem möchte ich den beiden Antragstellern ein paar Fragen stellen.

Der Rechtsstaatspartei FDP stelle ich die Frage: Halten oder hielten Sie es wirklich für klug, dass man unmittelbar, nachdem man ein Urteil hat, dieses Urteil bisher zeitungsöffentlich ist, unverzüglich Rechtsmittel einlegt, ohne die Urteilsbegründung zu kennen?

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ja!)

Glauben Sie, dass das ein kluges Signal an mögliche Berufungsinstanzen ist? – Wir glauben das nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Halten Sie es wirklich für klug, heute einen Antrag einzureichen, der das verschriftlicht, was Kollege Rock vorhin in seiner Rede als Problembeschreibung vorgetragen hat? – Viele der von Herrn Rock angesprochenen Punkte sind tatsächlich so. Die Dimension dieses Urteils ist eine völlig andere als die Dimension bisheriger Urteile zu anderen Städten in der Bundesrepublik Deutschland. Halten Sie es wirklich für klug, dass man von der Landesregierung einfordert, Rechtsmittel einzulegen, ohne in diesem Antrag materiell auch nur einen Hinweis zu geben, wie sie das denn begründen soll?

(Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Hahn, wir haben vorhin über die Frage der Hardwarenachrüstung gesprochen. Nach unserer festen Überzeugung ist das, was wir bisher aus der Zeitung wissen, nämlich die Möglichkeit, über Nachrüstungen zu einer deutlichen Verbesserung der Ausstöße von Stickoxid zu kommen, nach Zeitungslektüre jedenfalls nicht ausreichend gewürdigt worden. Ich würde aber gern zunächst einmal lesen, wie das Gericht zu diesem Urteil gekommen ist. Dazu brauchen wir wichtige Hinweise. Diese liegen aber erst dann vor, wenn uns die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema der Nachrüstung erwähnen Sie mit keinem Wort in Ihrem Antrag. Dass Sie versuchen, dieses Thema irgendwie zu umgehen, spricht ja auch Bände. Es spricht dafür, dass Sie möglicherweise ein Problem haben, diese sehr glasklare Forderung an die deutsche Automobilindustrie zu stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das tut die CDU. Das tun GRÜNE. Das tun erfreulicherweise auch die Sozialdemokraten.

Schauen wir uns doch einmal an, wie die Situation zurzeit ist. Der Bundesverkehrsminister ist angesprochen worden. Der Bundesverkehrsminister erklärt – das sagt er seit Längerem –, er halte Nachrüstungen in Summe für weniger effizient, nachhaltig und auch volkswirtschaftlich für weniger sinnvoll, als das manche, die sie fordern, tun. Ich sage ausdrücklich: Wir haben eine andere Auffassung als der Bundesverkehrsminister, und das weiß er seit Längerem, weil wir es ihm mit Nachdruck klargemacht haben. Spätestens in den letzten Tagen ist denn auch dem Bundesverkehrsminister klar geworden, dass es hier nicht um ein Einfahrverbot in einzelne Straßenzüge geht, wie es in Hamburg der Fall ist, sondern dass sich ein Fahrverbot auf das gesamte Stadtgebiet Frankfurts beziehen würde, sodass jetzt unmittelbar und unverzüglich Handlungserfordernisse gegeben sind.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zur Thema Automobilindustrie sage ich nur so viel: Auch da sollten wir ein bisschen weiter denken. Wir reden natürlich über das Fehlverhalten von Managern – Herr Eckert hat sogar von Betrug gesprochen, und es ist unstreitig, dass wir das unzweideutig so nennen –, aber wir sollten hin und wieder daran erinnern, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Konzerne nach wie vor einen ordentlich Job machen und am Ende des Tages nicht die Leidtragenden von Fehlentscheidungen und von Fehlverhalten in der Vergangenheit sein dürfen. Das wiederum heißt jedoch nicht, dass wir die Automobilindustrie nicht weiterhin in die Pflicht nehmen, und zwar massiv. Frau Kollegin Dorn hat völlig zu Recht gesagt: Am Ende müssen diejenigen, die den Schaden verursacht haben, auch einen erheblichen und entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass dieser Schaden wiedergutgemacht wird.

Ich sage etwas noch Weitergehendes. Ich hatte am Wochenende Gelegenheit, mit maßgeblichen Politikern in Berlin zu reden. Ich darf sagen: Ich habe mit der Bundeskanzlerin über diese Frage gesprochen. Auch bei ihr und bei anderen Volksvertretern in Berlin gibt es Fragezeichen, wie es um Rechtsansprüche gegenüber der Automobilindustrie bestellt ist. Da muss man wahrscheinlich unterscheiden, Herr Kollege Rock. Das sieht dann bei VW anders aus als bei vielen anderen Herstellern.

Ich habe dieser Argumentation entgegnet: Im Moment ist das für mich nicht die entscheidende Frage. Meine Frage an die Automobilindustrie lautet: Was folgt der seit Jahren zu hörenden Ankündigung, man müsse Vertrauen zurückgewinnen? Welche konkreten Taten folgen diesen Worten? – Deswegen muss auch die Automobilindustrie wissen: Es geht hier um sehr viel mehr als um die große Herausforderung, vor der wir stehen. Es geht darum, dass in dieser Gesellschaft Menschen schon seit vielen Jahren das Gefühl haben – das begann mit der Finanzkrise, mit den Bankern, insbesondere den Investmentbankern, die „Zocker“ genannt wurden –: „Die da oben“ machen, was sie wollen, und wir müssen es bezahlen.

Völlig losgelöst davon, ob und wie viel an dieser Behauptung bzw. an diesem Empfinden dran ist: Viele Menschen empfinden das so. Wir hatten in den letzten zehn Jahren

weitere ähnliche Ereignisse – ich will sie nicht alle nennen –, und jetzt stehen wir wieder vor gravierenden Problemen. Ich kann verstehen, dass viele Menschen genau das, was ich dargestellt habe, gerade jetzt wieder empfinden. Deswegen geht es nicht nur um technische Probleme und um die dringende Notwendigkeit, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um erfolgreich Rechtsmittel einlegen zu können, sondern schlichtweg auch um die moralische Verpflichtung der Automobilindustrie, dafür zu sorgen, dass Vertrauen wiedergewonnen wird. Damit bin ich wieder bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Konzern und sage: Nur so werden die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie in Zukunft gesichert – durch eine vertrauenswürdige Politik der Unternehmen, aber auch durch eine zukunftsgerichtete Politik, was technische Neuerungen und Weiterentwicklungen anbelangt. Das müssen wir von der Automobilindustrie einfordern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zu anderen Argumenten, die in dem Zusammenhang ausgetauscht werden. Es sind die Kosten angesprochen worden. Ich zitiere den Präsidenten des Zentralverbands Deutsches Kfz-Gewerbe, Karpinski, der sagt: Herr Boddenberg, es ist wie immer im Leben, wir haben gute Argumente, sagen zu können, dass wir Hundertausende, wenn nicht Millionen Fahrzeuge relativ einfach nachrüsten können. – Er macht das am Beispiel eines zwei oder drei Jahre alten Passats fest, bei dem der Erwerber beim Kauf des Fahrzeugs modernere Technologie ordern konnte – oder es auch lassen konnte –: Der, der es gelassen hat, hat heute nicht die Form der Abgasreinigung, die nach einer Nachrüstung möglich wäre. Karpinski sagt: Für Hunderttausende, vielleicht Millionen Fahrzeuge liegen die Ersatzteile bei der Automobilindustrie auf Lager, und es ist relativ unproblematisch, diese Dinger einzubauen, das dauert zwei, drei Stunden, dann ist das Auto fertig. – Vor diesem Hintergrund kann die Automobilindustrie doch nicht sagen, die Nachrüstung sei unbezahlbar und nicht möglich, wenn sie andererseits, im Katalog nachlesbar, den Beweis dafür liefert, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt Unternehmen – die haben wir noch gar nicht erwähnt –, die haben 300.000 oder 400.000 Fahrzeuge auf dem Hof stehen, die sie nicht mehr veräußern können. Auch das gehört zu der Gesamtthematik. Als Argument dienen der Automobilindustrie häufig irgendwelche Exotenfahrzeuge, die zehn Jahre alt oder älter sind und die tatsächlich sehr aufwendig nachzurüsten wären. Wenn aber 80 bis 90 % der Fahrzeuge nachrüstbar sind, dann kann man doch nicht ständig auf die Fahrzeuge verweisen, bei denen das nicht geht, statt endlich dahin zu kommen, zu sagen: Wir machen das jetzt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Bundesverkehrsminister Scheuer will ich noch so viel sagen. Herr Scheuer hat eine Expertenkommission berufen. Auch die ist zu dem von ihm vertretenen Schluss gekommen. Insofern bin ich sehr gespannt, wie viele gute oder auch nicht so gute Argumente weiterhin vorgetragen werden, um sich dem zu verweigern, was ich gerade dargestellt habe.

Wir haben die glasklare Forderung an die Bundesregierung, auch an den Parteibruder in der Schwesterpartei, den Bundesverkehrsminister, dass man sich in dieser Frage bewegt. Es ist schon gesagt worden: Wir sehen eine Bewegung in der Sache, und ich gehe davon aus, dass wir sehr gute Argumente haben, um am Ende Dieselfahrverbote verhindern zu können – aber nicht durch Anträge im Hessischen Landtag, sondern durch konkrete Taten. Ich habe Ihnen eben darüber berichtet, was wir zurzeit alles unternehmen.

Zum Antrag der SPD-Fraktion will ich nur noch so viel sagen. Herr Eckert, Sie sagen, die Landesregierung sei schuld, sei verantwortlich – völlig d‘accord. Ich bin froh, dass die von CDU und GRÜNEN getragene Landesregierung für dieses Land verantwortlich ist. Deshalb sind wir natürlich auch für dieses Problem verantwortlich. Formal waren wir ja auch die Beklagten.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Frau Kollegin Faeser, ich bin Frankfurter. Es wäre sehr hilfreich, wenn der Frankfurter Verkehrsdezernent – er gehört der SPD an – konkrete Vorschläge machen würde. Es wäre sehr hilfreich, wenn Oberbürgermeister Feldmann – ebenfalls SPD – auch nur einen Tag lang keine Fotos schießen lassen würde, auf denen er bei irgendwelchen Empfängen seine Amtskette trägt, sondern konkret ein paar Dinge vorschlagen würde, die wir brauchen, um am Ende erfolgreich zu sein. Es bedarf nämlich eines Gesamtkonzepts und damit auch der konkreten Mitwirkung der Stadt Frankfurt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Boddenberg, Sie müssen zum Schluss kommen.

So wird ein Schuh daraus. Herr Eckert, hier in Klein-Klein zu machen und mit dem Finger auf die Landesregierung zu zeigen, war zwar ein Stück ziemlich preiswerter Wahlkampf – das kennen wir von Ihnen –, wir haben aber andere Vorstellungen davon, seriöse Politik zu machen. Wir sind sicher, die Menschen werden uns bei dieser Politik folgen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Für eine Kurzintervention hat sich Kollege Hahn von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Kollege, Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der Zeitung liest und der Menschen aus Frankfurt kennt, weiß, dass das Klima in der Koalition im Römer nicht gut ist. Sehr geehrter Herr Kollege Boddenberg, die Menschen, die von dem Urteil des Verwaltungsgerichts

Wiesbaden betroffen sind – René Rock hat darauf hingewiesen: ungefähr 100.000 Fahrzeughalter allein in Frankfurt, zum Teil mit Familien –, interessiert es einen feuchten Kehricht, ob sich die Koalition einig ist oder nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ein klassisches Beispiel dafür, wie man Politikverdrossenheit produzieren kann, ist, wenn man, wie Sie es getan haben, in so kleinem Karo antwortet.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, als Sie nicht anwesend waren, haben wir herausgearbeitet, dass mindestens 1,5 Millionen Hessen direkt oder indirekt von der Entscheidung des Gerichts betroffen sind. Wir erwarten heute, hier und jetzt die verbindliche Erklärung, dass die Landesregierung – natürlich erst dann, wenn die Frist beginnt – Rechtsmittel gegen dieses Urteil einlegt.

(Beifall bei der FDP)

Ich kann Ihnen schon jetzt die Begründung nennen: Das Urteil ist erkennbar unverhältnismäßig – einer der zentralen Sätze der Juristerei. Es ist schlicht unverhältnismäßig, was dort gemacht wird. Herr Ministerpräsident, egal was für eine Unruhe in Ihrer Koalition herrscht: Sie sind für diese 1,5 Millionen Hessinnen und Hessen zuständig. Die haben Angst.

Wir sind gestern auf Einladung von René Rock mit Vertretern der VhU, mit Vertretern des Taxigewerbes, mit Vertretern des Busgewerbes, mit Vertretern des Entsorgungsgewerbes und mit den Handwerkern zusammengekommen: Alle haben Angst vor dem, was passiert. Alle sagen, es muss einen Plan B geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Jurist weiß, es gibt keinen Plan B, wenn das Urteil Rechtskraft hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)