Protokoll der Sitzung vom 25.06.2014

Herr Wilken, ganz ehrlich, was Sie hier über die hessische Polizei gesagt haben, dass es entweder Deeskalieren oder Draufknüppeln gibt, finde ich eine Unverschämtheit, und das weise ich weit zurück.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Pentz (CDU): Das ist armselig!)

Ich will das aufgreifen, was Herr Frömmrich zu Beginn seiner Rede gesagt hat. Es ist wichtig, sich in dieser Debatte auf die Grundsätze zu einigen, dass nämlich die Demonstrationsfreiheit eines der höchsten Güter der Verfassung, nicht nur der Hessischen Verfassung, sondern auch des Grundgesetzes der Bundesrepublik, ist, als eine Form der Meinungsfreiheit. Es ist wichtig, dass wir uns in diesem Haus auch zur Gewaltfreiheit bekennen. Diese Grundsätze sollten für uns alle gelten.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Nichts anderes tun wir!)

Meine Damen und Herren, wir haben vor einem Jahr an gleicher Stelle und fast zum gleichen Zeitpunkt über die Blockupy-Demonstration am 1. Juni 2013 in Frankfurt diskutieren müssen, so sage ich es einmal. Es war ein denkwürdiger Tag, denn der Einsatz anlässlich der Demonstration in Frankfurt ist, das sage ich jetzt sehr freundlich, mehr als unglücklich gewesen.

Herr Kollege Frömmrich hat es übrigens auch gesagt, dass dort große Fehler passiert sind. Das Anhalten des Demonstrationszugs über neun Stunden, der Polizeieinsatz und der anschließende Umgang damit haben dem Ansehen der weltoffenen Stadt Frankfurt und dem weltoffenen Land Hessen sehr geschadet. Meine Damen und Herren, das sollten wir auch zur Kenntnis nehmen.

Es gab verletzte Polizeibeamte, und es gab verletzte Demonstranten. Ich rufe noch einmal die Kommentierung der „FAZ“ von damals in Erinnerung vom 3. Juni 2013:

Und doch hat die Polizei am Samstag übertrieben, selbst wenn sie es für geboten halten musste, die Versammlung vorzeitig aufzulösen, und selbst wenn sie geltend machen konnte, dass von einzelnen Chaoten Straftaten verübt worden waren, rechtfertigt das nicht das gezeigte Maß an körperlicher Gewalt.

Dazu der Hinweis der OSZE an Hessen, man möge mit Journalisten freundlicher umgehen. Das ist in diesem Bundesland ein denkwürdiges Ereignis gewesen. Hinzu kam, das will ich noch einmal in Erinnerung rufen, ein extrem

schlechtes Krisenmanagement und eine Fehlerkultur des damaligen Innenministers Boris Rhein.

Deshalb erfolgte kaum eine Aufarbeitung. Im Gegensatz zu den damals regierenden Fraktionen hat die SPD nach den schlimmen Ereignissen Demonstrationsteilnehmer, Polizei und auch einen der Organisatoren an den Tisch gebracht.

Auch wir haben im Plenum mehrfach über diese Ereignisse diskutiert. Herr Frömmrich hat es gesagt, es habe damals viele große Fehler gegeben. Er hat damals gesagt, er halte den Einsatz nicht für verhältnismäßig. Herr Frömmrich, Sie haben auch erklärt, dass es von den Äußerungen der letzten Jahre nichts zurückzunehmen gelte. – Das haben Sie auch heute noch einmal hier getan.

Die Gerichte beraten nach wie vor über diese Demonstrationen. Wir werden uns auch noch eine ganze Zeit damit beschäftigen müssen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in seiner Entscheidung vom Montag festgestellt, dass der Polizeikessel rechtmäßig gewesen sei. Der Kläger hat aber angekündigt, Rechtsmittel einzulegen, eine rechtskräftige Entscheidung bleibt abzuwarten.

Herr Wilken hat nur die Überschrift zitiert. Ich will Ihnen etwas aus dem Kommentar der „FAZ“ vom Dienstag zitieren:

Das Urteil wird jedoch das Kernproblem nicht lösen, das sich die Polizei mit ihrem präventiven Vorgehen selbst eingebrockt hat: Der Verlust an Vertrauen wiegt ungleich schwerer als die richterliche Bestätigung der Polizeiführung in ihrem Handeln.

Genau das ist der Kernpunkt, worüber wir uns heute unterhalten sollen, dass solche Ereignisse wie letztes Jahr nie wieder passieren dürfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um die Gewährleistung eines sehr wichtigen Freiheitsrechts, der Versammlungsfreiheit und damit auch der Gewährleistung der freien Meinungsäußerung.

Das Recht des Bürgers durch Ausübung der Versammlungsfreiheit, aktiv an Meinungsbildungs- und Willensbildungsprozessen teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.

So das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu Brokdorf vom 14.05.1985.

Es geht also in der Debatte um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger aus Art. 8 Grundgesetz. Dieses Grundrecht hat – ich habe es eingangs gesagt – dort seine Schranken, wo Gewalt im Spiel ist. Es ist aber wichtig, deswegen ist die Debatte im Vorfeld auch gut: Das Land muss sich zunächst dafür einsetzen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Bürgerrecht wahrnehmen und friedlich ausüben können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotz der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom Montag haben wir neun Stunden Einkesselung gehabt. Das sollten Sie nicht einfach wegwischen. Ich finde, dass so etwas in diesem weltoffenen Bundesland nicht mehr passieren darf, dass die Bundesrepublik so auf Hessen blicken muss.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen aus ganz Europa, die an der Demonstration im Herbst teilnehmen werden – Herr Frömmrich hat es auch angesprochen –, haben ein berechtigtes Anliegen, das sie in der Öffentlichkeit kundtun möchten. Sie empfinden angesichts der europäischen Krise, dem Umgang mit den Banken während der Wirtschaftskrise und der Globalisierung insgesamt, ein sehr starkes Unbehagen, das sich unterschiedlich stark ausdrückt und mit vielen Ängsten verbunden ist.

Diese Unzufriedenheit – und darum werden wir uns kümmern müssen – ist bei der Europawahl sehr deutlich zutage getreten: zum einen durch eine sehr schlechte Wahlbeteiligung und zum anderen auch durch das leider sehr gute Abschneiden rechtsextremer Parteien in ganz Europa. Das sind Tatsachen, die wir nicht ignorieren dürfen. Hier muss es auch darum gehen, was wir tun können, damit die Menschen nicht mehr rechtsextreme Parteien wählen. Dazu gehört der dringende Abbau hoher Jugendarbeitslosigkeit in Europa und die Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen in Europa.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, das ist ein zentraler Punkt. Wir haben es bei den Diskussionen im letzten Jahr immer wieder angesprochen, dass es eigentlich gar nicht mehr um die von den Menschen auf der Straße vertretenen Inhalte ging, sondern nur noch um den Einsatz der Polizei und darum, ob Menschen friedlich diskutieren könnten.

Deswegen finde ich es auch wichtig, heute den inhaltlichen Aspekt in den Vordergrund zu stellen. Ich bin dem Kollegen Frömmrich dankbar, dass er das getan hat; denn in Ihrem gemeinsamen Antrag kommt dieser Aspekt zu kurz. In diesem gemeinsamen Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, geht es eben vorrangig um die Frage des Polizeieinsatzes und wie im Vorfeld damit umzugehen ist. Deswegen finde ich es, ehrlich gesagt, wichtig, da nochmal einen Schwerpunkt zu setzen, weswegen wir uns bei der Abstimmung enthalten werden.

Es geht nämlich vielmehr darum, dass wir Demokraten viel dafür tun müssen, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das Problem darf nicht einfach verschwiegen werden, und das gilt im Übrigen auch im Hinblick auf die gestrige Debatte über den Umgang mit der AfD in Deutschland, die ebenfalls Ängste und Sorgen mit üblem Rechtspopulismus beantwortet hat.

(Manfred Pentz (CDU): Diese Debatte haben Sie ins Plenum gebracht! Fangen Sie doch nicht schon wieder damit an, gestern war es schon peinlich genug! – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ich sage es Ihnen gern noch einmal, Herr Pentz: Sie haben gestern dazu geredet und keinerlei deutliche Aussage dazu getroffen, wie die hessische CDU zur AfD steht. Da sollten Sie sich also lieber zurückhalten.

(Beifall bei der SPD – Zurufe)

Dazu gehört sicher auch, dass der Spitzenkandidat der EVP, Jean-Claude Juncker, auch zum Kommissionspräsidenten gewählt und nicht ein Dritter, vorbei am Europäischen Parlament, von den Regierungschefs bestimmt wird.

Auch das gehört dazu, wenn das Vertrauen der Menschen in Europa zurückgewonnen werden soll.

(Beifall bei der SPD)

Meines Erachtens müssen wir auch viel Transparenz und Aufklärung über europäische Politik schaffen. Das sage ich auch sehr selbstkritisch; denn das gilt für alle von uns hier vertretenen Fraktionen von Parteien. Es reicht eben nicht aus, nur wenige Wochen vor der Wahl Wahlkampf zu betreiben, sondern wir müssen die Menschen bei Europa ganz anders mitnehmen und informieren.

Die Hintergründe, Ursachen und inhaltliche Aspekte der bevorstehenden Großdemonstration gehören zu den wichtigen Punkten. Und es reicht nicht aus, darauf zu verweisen, dass die EZB in Frankfurt verbleibt und gestärkt wird, wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Das ist ohne Zweifel gut, berührt aber die notwendige gesellschaftliche Debatte überhaupt gar nicht.

Dennoch will ich auch ausdrücklich sagen, dass viel Richtiges in dem von Ihnen heute vorgelegten Antrag steht. Auch wir begrüßen es, dass sich die hessische Polizei im Vorfeld der anstehenden Großdemonstration auf eine dialogorientierte und deeskalierende Strategie konzentriert. Und, Herr Wilken, das will ich Ihnen sagen: Es ist übliches Geschäft der Polizei vor Großeinsätzen. Da gab es keinen Punkt, um an dieser Stelle zu sagen, das sei kein richtiger Ansatz. – Natürlich ist es ein richtiger Ansatz, bei bevorstehenden Großeinsätzen auf Dialog und Deeskalation zu setzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wichtig ist in der Tat auch, wie es ebenfalls in Ihrem Antrag steht, der Dialog mit den Organisatoren der Proteste im Vorfeld; denn das dient in erster Linie auch der Vermeidung von Missverständnissen und Konfliktpotenzialen.

Übrigens sind dieser Dialog und vor allem die Transparenz der Entscheidungen in den stattfindenden Demonstration ebenso entscheidend, also auch während der Ereignisse vor Ort. Das sollte auch mit den gut ausgebildeten Kommunikatoren der Polizei persönlich stattfinden und nicht nur, wie es im Antrag steht, via Twitter. Ich glaube, Twitter ist ein gutes Mittel und ein zusätzlicher Einsatz, aber nicht das erste Mittel der Wahl, weil es sicher darum gehen wird, vor Ort miteinander zu reden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wohl wahr!)

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen.

Frau Präsidentin, das tue ich gern. – Ich möchte es noch einmal sagen: Es sind sehr viele Selbstverständlichkeiten in Ihrem Antrag enthalten. Natürlich lehnen auch wir Gewalt bei Demonstrationen ab, auch verbotene Gegenstände gehören nicht dorthin, und selbstverständlich ist die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Worum es in der heutigen Debatte aber vor allen Dingen geht, ist die Einräumung eines friedlichen Demonstrationsrechts. Im Vorfeld geht es vor allem darum, dass so schlimme Ereignisse wie im letzten Jahr nie wieder in diesem Bundesland vorkommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vielen Dank, Frau Kollegin Faeser. – Als nächster Redner spricht Kollege Bauer von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon irgendwie seltsam, dass man in diesem Hohen Haus für unparlamentarische Ausdrücke eine Rüge erhält, aber für eine unparlamentarische Grundeinstellung nicht gerügt wird.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das deutlich machen: Hier spricht Kollege Dr. Wilken – der nicht nur irgendein normaler Abgeordneter ist, sondern dazu noch Vizepräsident des Hessischen Landtags –

(Zuruf von der CDU: Ei, ei, ei! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Ihr habt ihn doch gewählt!)