Protokoll der Sitzung vom 25.06.2014

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will gar keine Unterschiede machen, woher die Flüchtlinge kommen.

Ich muss sagen: Hier kann ich die Landesregierung nicht gänzlich aus der Verantwortung entlassen. Wenn Innenminister Beuth sagt, wir könnten keine weiteren Plätze zur Verfügung stellen, weil noch so viele Plätze frei und nicht belegt – sozusagen nicht nachgefragt – sind, man sich jedoch die realen Zahlen vor Augen führt und sieht, dass wir 76.000 Anträge für diese 20.000 Plätze haben und dass von diesen 76.000 Anträgen bisher 6.000 Zustimmung erhalten haben, dann kann man doch nicht sagen, das sind zu viele Plätze, und die werden nicht nachgefragt. Vielmehr liegt es klar auf der Hand: Es gibt 76.000 Anträge, 20.000 freie Plätze, 6.000 davon sind belegt – da besteht Handlungsbedarf in der Verwaltung, und zwar dringend, notwendig und schnell.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

14.000 Menschen sind auf der Flucht, die bei uns unterkommen könnten, womöglich die Hälfte Kinder. Und dann liegt es am Verwaltungshandeln. Womöglich sind viele Verwaltungsstellen nicht ausreichend besetzt. Ich mache keinem Mitarbeiter Vorwürfe. Ich sage: Das ist ein Strukturproblem. Das muss man dringend und schnell angehen. Man darf nicht sagen: 20.000 Plätze sind das Ende der Diskussion. Vielmehr müssen wir uns den Realitäten anpassen.

Dabei müssen wir uns immer vor Augen führen: Wir sprechen hier nicht von Asylbewerbern. Wir sprechen von

Menschen, die uns nur dann etwas kosten, wenn sie krank werden. Das sind Menschen, die hier Unterschlupf finden, die bei ihren Verwandten unterkommen. Das sind Menschen, die nur unsere Grenze überschreiten wollen, um hier Schutz zu finden vor Verfolgung, Vertreibung, Folterung und Tod.

Das ist etwas, was wir weiter ausbauen müssen und wo wir nicht zurückstehen dürfen. Herr Innenminister, bei großer Wertschätzung, die ich Ihnen gegenüber habe, über diese Aussage, es seien doch genug Plätze da und wir müssten uns nicht darum kümmern, sollten Sie dringend noch mal nachdenken.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Frau Wallmann, ich glaube, wir sind uns in vielem einig. Aber Folgendes muss ich Ihnen leider vorhalten. Herr Bocklet hat das auch schon einmal getan. Die 60 Millionen € mehr im Nachtragshaushalt als große Leistung hinzustellen ist schon Augenwischerei. Sie wissen genau: Es gibt ein Landesaufnahmegesetz, und dort gibt Pauschalen pro Asylbewerber, die Sie den Kommunen zahlen müssen.

Genau diese Summe – keinen Euro und keinen Cent mehr – haben Sie eingestellt. Das ist nur das gesetzlich notwendige Bereitstellen von Mitteln und sonst nichts. Es ist keine besondere Leistung in der Form, dass Sie das Problem in besonderer Weise weiter im Auge haben. Wenn Sie dann noch sagen, Sie wollen mit den Kommunen gemeinsam das Problem lösen, dann reden Sie einmal mit den kommunalen Vertretern und mit ihren Bürgermeistern und Landräten und mit ihren Beigeordneten. Reden Sie mit ihnen, hören Sie ihnen zu, und glauben Sie ihnen auch, was sie Ihnen sagen.

Herr Kollege Rock, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ein letzter Satz. Dann erkennen Sie, dass Sie im Nachtragshaushalt noch etwas tun müssen. Nehmen Sie die Menschen, die den Flüchtlingen helfen wollen, die Bürgerinnen und Bürger ernst. Helfen Sie ihnen. Versuchen Sie, dazu beizutragen, eine humanitäre Situation in Deutschland für die Flüchtlinge herzustellen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Danke schön. – Jetzt spricht Kollegin Öztürk für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte erst einmal ausdrücklich Herrn Roth dafür danken, dass er hier eine sehr ausgewogene und ruhige Rede gehalten hat.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Wie es seine Art ist!)

Er hat das mit dem Anliegen getan, dass die Belange der Flüchtlinge, die in den nächsten Jahren vermehrt zu uns kommen werden, im Fokus stehen. Deswegen halte ich das für den angemessenen Ton, wenn man diese Thematik dis

kutiert. Es wäre nicht angemessen, eine Diskussion hervorzurufen, die versucht, ein Liesel-Peter-Spiel auf die eine oder andere Ebene zu werfen. Das wollen wir als GRÜNE nicht. Das will auch die Koalition nicht. Von daher vertraue ich darauf, dass wir auch in Zukunft ausgewogen über dieses Thema diskutieren werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir sind sehr froh, dass auf Bundesebene die Innenministerkonferenz die Aufnahme weiterer 10.000 Flüchtlinge aus Syrien beschlossen hat. Wir möchten auch ausdrücklich Innenminister Beuth dafür danken, dass er das Thema Kostenübernahme angesprochen und geklärt hat, wie das denn nun ist, wenn Länder eigene Aufnahmeprogramme haben, und wie die Kostenverteilung vonstatten gehen wird. Denn das ist auch ein notwendiger Punkt, dass man auf der Bundesebene, wenn man Beschlüsse fasst, deutlich klärt, nicht die Länder und die kommunalen Ebenen bei der Kostenübernahme allein zu lassen, sondern auch die eigene Verantwortung zu tragen.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Das ist nun klar. Deswegen glaube ich jetzt, dass wir uns durchaus in der Diskussion auf die Belange der Menschen in Hessen ausrichten sollten und unseren Fokus wirklich auf die humanitäre Frage richten sollten, wie wir mit Asylbewerbern und Flüchtlingen generell, aber auch mit Flüchtlingen speziell aus Syrien umgehen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die aktuellen Zahlen des UNHCR haben auch bei uns große Sorge hervorgerufen. Auch der aktuelle Vormarsch der radikal fundamentalistischen Terrorgruppe ISIS im Irak und auch in Syrien erzeugt bei uns sehr viel Sorge. Es ist klar, dass in den Anrainerstaaten Syriens in den letzten Jahren sehr große Verantwortung übernommen worden ist. Es ist auch klar, dass in den Ländern wie der Türkei, Jordanien und Libanon die Situation der Flüchtlinge in den Lagern sehr dramatisch ist und dass wir hier als Hessen unseren Beitrag bei der Hilfe, beim Schutz und bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte aber auch klarmachen, dass es auf Bundesebene bis vor kurzem einen Bundesaußenminister der FDP gab, Herrn Westerwelle, der auch auf dem Tahrirplatz war und sich dort hat feiern lassen – so sage ich das einmal –, und nachher, als es darum ging, die Aufnahmekontingente zu erfüllen, waren die Auslandsvertretungen im besonderen Maße gefragt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf des Abg. René Rock (FDP))

Jetzt hat diese Aufgabe die SPD. Es ist wichtig, dass Außenminister Steinmeier in dieser Frage nach den Besuchen, die er gemacht hat, in der Bundesregierung weiter engagiert dafür kämpft, so sage ich es einmal, dass in den Auslandsvertretungen die vorhandenen Hürden abgebaut werden. Wenn Menschen Anträge stellen wollen und wenn Menschen zu ihren Angehörigen nach Hessen kommen wollen, dann müssen sie erst es schaffen, aus Syrien herauszukommen, und sie müssen es erst schaffen, in den Auslandsvertretungen der Türkei, im Irak oder im Libanon einen Antrag stellen zu können.

(Zuruf von der SPD: So ist es! – Nancy Faeser (SPD): Macht er ja!)

Da brauchen wir also auf der Bundesebene die Unterstützung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Landesebene haben wir unsere Aufgaben und unsere Hausaufgaben durchaus im Blick. Wir arbeiten sie auch gemeinsam ab. Ich habe nicht den Eindruck, dass in dieser Landesregierung sowohl der Innenminister oder der Sozialminister oder andere Minister sich dieser Verantwortung entziehen. Das ist überhaupt nicht der Fall. Deswegen möchte ich auch bitten: Frau Cárdenas, Sie haben das Thema angesprochen. Ich fand es nicht sehr angemessen, wie Sie versucht haben, hier den Innenminister anzugreifen. Ich glaube, dass wir in Hessen in der neuen Koalition ganz bestimmt eine andere Flüchtlings- und Asylpolitik machen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Total anders! Da lachte sogar der Innenminister!)

Ja, davon bin ich überzeugt. Das werden wir auch umsetzen. – Ich will auch darauf hinweisen: Wenn wir ernsthaft wollen, dass die Menschen vor Ort hier in Hessen aufgenommen und untergebracht werden können, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken können, dass sie eigene Wohnungen und einen Arbeitsplatz finden, dann stehen wir alle gemeinsam in der Verantwortung, auch auf kommunaler Ebene, den ehrenamtlichen Helfern dabei zu helfen, die Ausländerbehörden fit zu machen, ebenso wie all die Sozialdezernenten, die wir haben, sodass sie in der Lage sind, neue Wege zu gehen.

Von daher lassen Sie uns bitte diesen Weg gemeinsam gehen. Lassen Sie uns Vorschläge gemeinsam erarbeiten. Aber spielen Sie nicht das Spiel, die Bundesregierung oder die Hessische Landesregierung würde ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Das ist mitnichten so. Wenn die FDP jetzt ihr humanitäres Herz entdeckt hat, sei es so. Aber ich kann Sie auch nicht aus der Verantwortung entlassen. In der Vergangenheit haben Sie sehr geschlampt. Sie haben hier kein Geld zur Verfügung gestellt, damit die Unterbringung der Flüchtlinge an die kommunalen Träger weitergegeben worden ist. Auch der Integrationsminister hat sich um dieses Thema – –

Kollegin Öztürk, kommen Sie bitte zum Schluss.

Von daher will ich versuchen, trotzdem positiv abzuschließen. Für uns steht die humanitäre Situation der Menschen im Mittelpunkt. Wir wollen den Menschen in Hessen eine Lebensperspektive eröffnen. Wir wollen ihnen Schutz geben. Das wird diese neue Koalition gemeinsam erfolgreich machen. Wenn jetzt die Oppositionsparteien dabei helfen wollen, finde ich das sehr gut. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Das war nicht die letzte Diskussion über die Flüchtlinge.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Ich fürchte es!)

Ich fürchte es. – Aber ich bin sicher, dass das konstruktiv sein wird. So habe ich Sie verstanden, Herr Roth. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön. – Als Nächster spricht Staatsminister Beuth.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Roth, ich bin Ihnen, um im Bild zu bleiben, für den Anstoß sehr dankbar, den Sie eben hier in die Diskussion eingebracht haben. Sie haben gesagt: Wir wollen die Situation angemessen meistern und einen Konsens suchen. – Ich finde das ausdrücklich richtig und bin auch der Auffassung, dass wir uns sehr darum bemühen, über die Landesgrenzen hinaus mit den Kollegen aus den anderen Bundesländern und mit dem Bund, sodass wir eine gute und angemessene Lösung insgesamt für die Situation finden. Deswegen will ich mich auch den angemessenen Beiträgen in dieser Debatte zuwenden. Herr Roth, Frau Wallmann und Frau Kollegin Öztürk, herzlichen Dank.

Hessen und Deutschland werden das Leid, das hier zu Recht beschrieben worden ist, das es in Syrien und im Irak gibt, auch überall auf unserem Planeten, aber nicht allein lösen können. Aber wir werden unseren humanitären Beitrag leisten. Wir leisten ihn auch in einem sehr großen Umfang bereits heute. Wir können die Themen Flüchtlinge und Asyl nicht völlig voneinander trennen. Denn es ist natürlich so, dass zwar die Rechtsgrundlage, auf der die Menschen in unser Land kommen, eine andere ist, aber am Ende sind die Menschen hier, um die wir uns bemühen und um die wir uns kümmern müssen.

Ich finde es dann schon angemessen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Deutschland insgesamt allein ein Drittel der Asylbewerber in Europa aufnimmt. Ein Drittel der Asylbewerber in ganz Europa nimmt allein die Bundesrepublik Deutschland auf. Ich finde, das ist ein Ausdruck von besonderer Humanität. Die Deutschen leisten einen wesentlichen humanitären Beitrag in dieser Welt. Ich finde, das sollte man in so einer Debatte auch einmal deutlich machen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Situation, die sich uns darstellt, ist nicht einfacher geworden. In den letzten fünf Monaten hat sich die Zahl der Asylerstanträge um 60 % erhöht. Wir haben knapp 55.000 Asylbewerber, die in unser Land kommen wollen. Darüber hinaus wollen wir Flüchtlinge aufnehmen. Deren Elend ist hier zu Recht beschrieben worden. Wir sehen es jeden Abend, z. B. im Fernsehen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür erhalten, dass wir auch zukünftig Flüchtlinge, Menschen in Not in unserem Land aufnehmen. Deswegen müssen wir einen Ausgleich schaffen. Ich bin der Auffassung, dass wir das im Moment sehr gut hinbekommen.

Wenn wir hier über die Aufgaben der Kommunen diskutieren, will ich sagen: Die Frage, aufgrund welcher rechtlicher Regeln die Menschen zu uns kommen, ist an der Stelle völlig egal. Es sind die Kommunen, die diese Menschen

aufnehmen müssen. Sie müssen sie nicht nur unterbringen, sondern auch in die Gemeinschaft integrieren, ob das die Kinder sind, die in Kindergärten und Schulen gehen, ob es um Vereine oder um Sprachangebote und Ähnliches geht. Es sind die Kommunen, die sich am Ende darum kümmern müssen. Deswegen finde ich es nur recht und billig, dass wir als Land darauf achten, dass wir die Kommunen auch finanziell an dieser Stelle nicht überfordern.

(Nancy Faeser (SPD): Das ist unstreitig!)

Das ist zwischen uns unstreitig. Ich rede im Moment ja mit denen, die in dieser Debatte angemessene Beiträge geleistet haben.