Der europäische Stabilitätspakt ist die Grundlage dafür – er war die Geschäftsgrundlage für die Staaten in Europa –, dass wir überhaupt eine Europäische Union schaffen, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik betreiben und vor allen Dingen jetzt, in der Conclusio, in eine gemeinsame Finanzpolitik eintreten können.
Frau Kollegin Wissler, eine gemeinsame Währung ist eben nicht nur eine Chance, sondern sie bedeutet auch viel Verantwortung für die Länder, wenn sie mit diesem Thema umgehen.
Wir diskutieren jetzt in diesem Land über die Situation, dass der deutsche Vizekanzler gegenüber anderen Sozialisten in Europa sagt – anscheinend aus parteipolitischen Gründen –: Liebe Freunde, weicht doch die Kriterien weiter auf. – Diese Kriterien sind zuletzt von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder gerissen worden, übrigens in demselben Jahr, in dem auch die Franzosen die Kriterien gerissen haben.
Die damalige Situation hat nicht nur dazu geführt, dass Deutschland einen blauen Brief aus Brüssel bekommen musste, sondern wir haben auch lange Zeit gebraucht, um überhaupt wieder aus diesem Dilemma herauszukommen; denn es ist eben eine Finanzpolitik gemacht worden, die sich nicht an den Kriterien des Stabilitätspakts orientiert hat.
Die Realität ist, dass die Reformen im Sozialbereich weiter verschleppt werden, wenn wir eine solche Politik machen, also den Ländern, die die Reformen dringend nötig haben, noch mehr Zeit einräumen. Dass notwendige Reformen in
anderen Mitgliedstaaten verschleppt werden, ist das Gegenteil von dem, was wir für einen stabilen Euro brauchen.
Deshalb frage ich: Welchem Deutschen soll dieses Angebot an die Kollegen in Frankreich etwas nützen? Das, was wir Deutsche machen müssen, ist, dass wir eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es um die Frage geht, dass endlich wieder konsequent gehandelt wird und dass das, was vertraglich vereinbart worden ist, auch gilt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist die Politik, die von Deutschland gemacht werden muss. Das Gegenteil ist hier der Fall.
Deshalb ist einer der Vorwürfe der Damen und Herren von der AfD durch das Verhalten von Herrn Gabriel genau bestätigt worden. Die AfD hat erklärt, dass die Kriterien des europäischen Stabilitätspakts und alle Rettungsmechanismen, die wir auf den Weg gebracht haben, massiv der politischen Einflussnahme unterliegen. Das ist es, was die Menschen beunruhigt: wenn man Regeln aufstellt und diese aufgrund von anderen Mehrheiten auf einmal wieder infrage gestellt werden.
Ich kann nur sagen: Wenn man dieser Partei, der AfD, noch mehr Wasser auf die Mühlen geben möchte, macht man genau das. Man stellt das, was man vereinbart hat, wieder infrage und billigt letztendlich politischen Mehrheiten zu, darüber zu entscheiden. Das kann nicht der Weg der Bundesrepublik Deutschland sein.
Ich sage auch: Sigmar Gabriel hat als Vizekanzler eine Verantwortung, der er gerecht werden muss. Wer das Amt von Ludwig Erhard innehat, sollte dessen Überzeugung nicht verraten. Er sollte in dieser Frage konsequent das weiterverfolgen, was wir vereinbart haben.
Deswegen will ich zum Abschluss sagen: Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank führt nicht nur dazu, dass wir in Deutschland bei der Eigentumsbildung, bei der Vermögensbildung und bei der Altersvorsorge erhebliche Probleme bekommen, sondern sie ist auch ein politischer Hebel, der betätigt wird, um notwendige Reformen in diesen Ländern nicht zu machen. Das kann nicht der Weg sein.
Herr Kollege Boddenberg, damit will ich Sie nicht verschonen: Das, was wir in Deutschland zurzeit machen, nämlich dass wir notwendige Reformen wie die Agenda 2010 zurücknehmen und sogar hinter den Status quo ante dieser Reform zurückgehen, ist genauso unverantwortlich wie die Reden von Sigmar Gabriel. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren! Herr Kollege Boddenberg, ich fühle mich übrigens auch mit den spanischen Arbeitslosen solidarisch.
Ich glaube, die Europapolitik ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass sich eine Veränderung andeutet. Das war sicherlich auch der Grund, warum Staatspräsident Hollande die sozialdemokratischen Parteipolitiker – ich halte sie nicht für Sozialisten – aus Europa zusammengerufen hat: um zu überlegen, ob es angesichts der politischen Situation Veränderungsmöglichkeiten gibt, die dabei helfen, dass Europa weiter zusammenwächst und nicht auseinanderbricht.
(Horst Klee (CDU): Der kriegt doch nichts auf die Reihe, der Hollande! Ein absoluter Flop, der Hollande!)
Wer eine andere Europapolitik will, muss sich mit der Eurokrisen-Kanzlerin Merkel anlegen. Europa braucht nicht allein eine Lockerung der Austeritätsschraube, sondern eine Gerechtigkeitswende, die auf drei Elementen fußt: Erstens muss der Spekulationssumpf auf den Finanzmärkten, der immer noch jederzeit ganze Staaten in den Abgrund reißen kann, auf Dauer durch Regulierungsmaßnahmen ausgetrocknet werden.
Zweitens brauchen wir ein europäisches Zukunftsprogramm, das den Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur auflöst und vor allen Dingen die Massenarbeitslosigkeit bekämpft.
Drittens. Europa muss endlich eine Sozialunion werden, eine Sozialunion, die die gemeinsamen Mindeststandards für Löhne, Renten, Sozialleistungen, die Besteuerung von Unternehmen und natürlich die Besteuerung von Reichen einführt. Das ist das Gegenprogramm zu Merkels Europa der kalten Schulter.
Die Erkenntnis von Gabriel ist ein kleiner Fortschritt gegenüber der bedingungslosen Zustimmung der SPD im Bundestag zu bisher allen selbstmörderischen Austeritätsprogrammen für die europäischen Krisenstaaten. Das Beharren auf den Agendareformen zeigt leider auch, dass der Wirtschaftsminister noch nicht begriffen hat, wie zerstörerisch das deutsche Lohndumping für die Integration des europäischen Wachstumsraums war und ist. Wo Löhne, Renten und Sozialleistungen sinken und die öffentlichen Dienste auf Sparflamme gefahren werden, schwächelt die Binnennachfrage. Nur auf Exportüberschüsse lässt sich keine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung begründen.
Die europäische Linke und wir in Deutschland fordern in Übereinstimmung mit den deutschen und vor allen Dingen mit der großen Mehrheit der europäischen Gewerkschafter seit längerem einen entschiedenen Politikwechsel. Die Bevölkerungsmehrheit in Europa hat nichts von einer Lockerung des unsinnigen Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes bzw. des Fiskalpaktes, wenn man gleichzeitig Löhne drückt und den Sozialstaat zerstört, wie es Gabriel auch fordert.
Eine Agenda 2010 für Europa verschärft die Depression. Defizitregeln werden nur dann noch gebraucht, um Steuerausfälle durch die Absenkung der Binnennachfrage zu kompensieren. Die Staatsverschuldung ist in jenen EUStaaten am stärksten gestiegen, die am meisten gekürzt haben. Wer die Eurokrise lösen und die Staatsverschuldung
bekämpfen will, braucht – ich zähle auf –: einen New Deal mit einer strikten Regulierung und Schrumpfung des Finanzsektors, die Trennung von Investmentbanking und klassischem Bankgeschäft, die massive Ausweitung öffentlicher Investitionen sowie eine EU-weite Vermögensabgabe für Millionäre, aber auch zinsgünstige Kredite der EZB an betroffene Krisenstaaten.
Wir werden die wirtschaftspolitische Geisterfahrt der Kürzungsdiktate und der arbeitnehmerfeindlichen Politik sowohl im Parlament als auch außerparlamentarisch bekämpfen, wie etwa das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA oder dasjenige mit Kanada.
Diese Freihandelsabkommen treiben die weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums voran und werden von uns natürlich abgelehnt. Der Widerspruch von Kapital und Arbeit wird mit dem brutalen Versuch, jetzt in Europa noch auf die Schnelle neoliberale Positionen gegen Krisenstaaten durchzupeitschen, nicht außer Kraft gesetzt werden können. Man wird um einen drastischen Schuldenschnitt – Herr Boddenberg – nicht umhinkommen, denn ich weiß, der Widerstand gegen diese Politik von Merkel und Co. wird wachsen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde der Union, die in der vergangenen Woche vorbereitet und am Montag beantragt wurde, hätte sicherlich heute einen anderen Titel, wenn sie nach der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel am gestrigen Tage eingebracht worden wäre. Die Standardsituation für diese Aktuelle Stunde ist leicht berechenbar – zu meiner Rechten die Konservativen, die für das Sparen stehen, und dort der sozialistische Block, der für die Schulden steht.
Herr Boddenberg, Sie wissen, wie das häufig mit Standardsituationen im Fußball ist; ganz häufig landet der Ball anschließend im Aus.
Deswegen will ich Ihrer letzten Bitte, die Sie nach Ablauf Ihrer Redezeit formuliert haben, gern nachkommen. Ich habe den Bemerkungen meines Fraktionsvorsitzenden Kollegen Thomas Oppermann, vielleicht nicht bei jeder Wortwahl, in Bezug auf die Erklärung aus der Partei DIE LINKE im Zusammenhang mit dem Bundespräsidenten nichts, aber auch überhaupt nichts hinzuzufügen.
Ich habe nicht gesagt: „der Linkspartei“, sondern „aus der Linkspartei“, das ist schon etwas anderes. Ich spare mir jetzt jede Bemerkung zu Distanzierungen Ihrerseits zu Koalitionen von CDU und Linkspartei in Brandenburg, zu Frau Steinbach, Herrn Irmer, Herrn Willsch, der Jungen Union Rheingau-Taunus und zu allen anderen. Ich will zum eigentlichen Thema etwas sagen.
Herr Boddenberg, das ist „sehr gut“. – Das eigentliche Thema, um das es geht und das Sigmar Gabriel und die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteivorsitzenden in Frankreich zum Thema gemacht haben, ist, wie wir mit dem Umstand umgehen, dass beispielsweise in den Ländern Südeuropas inzwischen bis zu 60 % der unter 25-Jährigen ohne Arbeit und Ausbildung sind, dass viele darüber hinaus ohne Arbeit und Ausbildung sind, und wie wir angesichts dieser sozialen Krise, die zunehmend zu einer politischen Krise wird, zu einer Kurskorrektur kommen, zu einem Politikwechsel in Europa.