Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

Damit sind wir am Ende der Vormittagssitzung angelangt. Wir gehen nun in eine einstündige Mittagspause und treffen uns um 14:15 Uhr hier wieder.

(Unterbrechung von 13:15 bis 14:17 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, ich möchte mit der Sitzung fortfahren.

Ich möchte Sie darüber informieren, dass ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Anhörung zum Bau des Terminals 3 am Frankfurter Flughafen eingegangen ist, Drucks. 19/704. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 89. Die Redezeit beträgt fünf Minuten?

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten – Drucks. 19/630 –

Er wird aufgerufen mit Tagesordnungspunkt 84:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Abstimmung im Bundesrat über den Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten – Drucks. 19/698 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Ich rufe als erste Rednerin Frau Cárdenas von der Fraktion DIE LINKE auf. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

(Zuruf von der LINKEN)

Herr Kollege Schaus, zur Geschäftsordnung.

Frau Präsidentin, ich stelle fest, dass die Regierungsbank fast leer ist. Der zuständige Minister ist leider nicht anwesend – ist das richtig?

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Schaus, die Regierungsbank ist nicht vollkommen leer. Die Landesregierung ist vertreten. Ich denke, Frau Kollegin Cárdenas kann fortfahren. In dieser Sekunde wird die Ministerbank ergänzt. – Bitte schön, Frau Kollegin, jetzt haben Sie das Wort.

Jetzt sind schon 23 Sekunden um, ich bitte darum, das zu berücksichtigen. – Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Am 19. September wird der Bundesrat darüber befinden, ob er einem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zustimmt, wonach Bosnien und Herzegowina, Serbien und

Mazedonien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Das Gesetz wird, falls es zustande kommt, durch die massive Einschränkung des Rechtsschutzes erhebliche Auswirkungen auf die Gewährung von Asyl für Menschen haben, die aus ihren Ländern fliehen müssen und bei uns Schutz suchen.

Da die Große Koalition keine Mehrheit im Bundesrat hat, wird es entscheidend darauf ankommen, wie sich jene Länder zu diesem Gesetzesvorhaben positionieren, in denen die GRÜNEN mitregieren. Wir LINKEN appellieren daher an die Hessische Landesregierung: Verweigern Sie Ihre Zustimmung zu einer weiteren Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes. Verhindern Sie, dass effektiver Rechtsschutz jenen Menschen entzogen wird, die in existenzieller Weise darauf angewiesen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gesetzesinitiative folgt einem lang gehegten Wunsch aus den Reihen der CDU/CSU, die angebliche Armutsmigration nach Deutschland zu begrenzen, und zielt in erster Linie auf die Minderheit der Roma ab, die die größte ethnische Gruppe unter den Asylbewerberinnen und -bewerbern aus den drei Westbalkanländern stellen. Damit findet eine populistische Debatte, die seit Monaten die Schlagzeilen beherrscht und von fremdenfeindlichen und antiziganistischen Vorurteilen geprägt ist, einen vorläufigen Höhepunkt.

War der Weg der Gesetzesinitiative mit stereotypen Behauptungen, wonach Roma nur wegen der Sozialleistungen kämen und das Asylrecht missbräuchten, schon lange im Voraus geebnet worden, so entsteht dieses Gesetz ganz im Geiste der fremdenfeindlichen CSU-Kampagne „Wer betrügt, der fliegt!“

So widerlich es war und ist, dieser teils offen rassistisch geführten Hetze in den Kommentarspalten und Fernsehtalkshows über Monate hinweg folgen zu müssen, so erschreckend ist es nun, zu sehen, wie aus einer solchen Stimmung heraus ein Gesetz entsteht. Ich jedenfalls finde das unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Gesetzesinitiative folgt in Ihrer Entstehung einem Muster, das sich in ähnlicher Form Anfang der 1990er-Jahre abgespielt und 1993 zu der faktischen Abschaffung des Asylgrundrechts in Art. 16 des Grundgesetzes geführt hat. Damals wie heute reagierte die Bundesregierung auf steigende Flüchtlingszahlen mit populistischer Stimmungsmache und einer nicht nachvollziehbaren Logik: Statt Asylbewerbern und -bewerberinnen ein faires Hilfsangebot zu unterbreiten, erklärt die Bundesregierung die Herkunftsländer als sicher und unterstellt den Geflüchteten im Umkehrschluss, aus betrügerischen Motiven nach Deutschland zu kommen.

Meine Damen und Herren, Menschen, die auf Schutz angewiesen sind auf diese Weise den Rettungsring zu entziehen, ist unmoralisch und im Übrigen nur zu dem Preis erhältlich, dass wir rechtsstaatliche Grundsätze opfern. Wie ein Schandfleck mahnt uns der 1993 in das Grundgesetz eingefügte Art. 16a, der das frühere Grundrecht auf Asyl durch eine weitgehend symbolische Formulierung ersetzte, diesen Fehler, der damals gemacht wurde, heute nicht noch weiter zu vertiefen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Gesetzesvorhaben genügt weder unionsrechtlichen noch verfassungsrechtlichen Vorgaben. Eine Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Ausgrenzung und Verfolgungssituation von Roma in den Westbalkanstaaten findet dadurch nicht statt. Dabei muss der Bundestag, wenn er eine Liste von sicheren Herkunftsstaaten erstellt, die Lage in den Herkunftsstaaten umfassend beraten – so die Bedingung, die das Bundesverfassungsgericht 1996 formulierte. Stattdessen setzte die Regierungskoalition die Abstimmung für den 3. Juli, 17:15 Uhr, auf die Tagesordnung, um das Gesetz im Schatten des Viertelfinalspiels der Fußballweltmeisterschaft unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit durchpeitschen zu können.

(Zuruf von der Regierungsbank: Ist ja klug!)

Da sagt einer von der Regierungsbank: „Ist ja klug“. – Meine Damen und Herren, dies ist und darf kein legitimes Vorgehen sein, wenn es darum geht, über höchste Rechtsgüter zu befinden. Es ist im Übrigen entgegen dem Inhalt des Dringlichen Entschließungsantrags von Schwarz-Grün nicht verständlich, warum der Bundesrat in seiner Anhörung im Juli keine Stellungnahme zum Gesetzentwurf abgegeben hat. Wir sehen es genauso wie die grüne rheinland-pfälzische Staatsministerin Irene Alt, dass der Bundesrat hier hätte Einwendungen erheben müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

35 Bundestagsabgeordnete der SPD haben während der Abstimmung im Bundestag in persönlichen Erklärungen zu Protokoll gegeben, dass sie dem Gesetzentwurf zur Einstufung der drei Westbalkanländer nur aus Gründen der Koalitionsräson zustimmen. Wörtlich heißt es in der gemeinsamen Erklärung von 27 SPD-Abgeordneten – die anderen haben eigene persönliche Erklärungen abgegeben –:

Zum einen halten wir es angesichts der Erfahrungen besonders der Gruppe der Roma in diesen Ländern für nicht gesichert, dass sie dort nicht weiter Diskriminierung, sogar Verfolgung und Gewalt ausgesetzt sind. … Wir haben außerdem aus grundsätzlichen Gründen Probleme mit der Ausweitung des Systems sicherer Herkunftsstaaten. … Dem Gesetz werden wir aufgrund der Koalitionsvereinbarung und wegen seiner Regelungen zum Arbeitsmarkt zustimmen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie Gewissensbisse haben, dass ein Gesetz den Flüchtlingsschutz dort beseitigt, wo er notwendig wäre, wenn Sie befürchten, dass Grundrechte weiter ausgehöhlt werden – ich sage, diese Bedenken haben Sie völlig zu Recht –, dann frage ich mich: Warum können Sie so einem Gesetz zustimmen?

Bleiben Sie standhaft. Menschenrechte und Flüchtlingsschutz dürfen niemals wichtiger sein als ein Koalitionsvertrag. Sie sind nicht verhandelbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese drei Staaten des westlichen Balkans als sicher einzustufen steht auch im Gegensatz zu dem Bemühen, im Rahmen der EU-Beitrittsprozesse rechtsstaatliche Mindeststandards in diesen Ländern einzuführen. Mit großem Aufwand führt etwa die Bundesregierung in diesen Ländern Projekte der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Justiz durch. „Serbien kämpft noch immer … gegen Korruption, ein schwaches Rechtssys

tem“, ist etwa auf den Internetseiten der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu lesen.

Doch die Sichtweise der Bundesregierung ändert sich schlagartig, wenn es um Geflüchtete geht. In der Entwurfsbegründung zum Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten kommt die Bundesregierung zu der überraschenden Erkenntnis, das Verwaltungshandeln in Serbien basiere auf Recht und Gesetz. Dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie eine politische Lagebewertung je nach Auftragslage chamäleonartig ein anderes Gesicht annehmen kann.

Meine Damen und Herren, ich halte es für erforderlich, immer wieder auf einen historischen Umstand hinzuweisen: Die Aufnahme des ehemaligen Asylrechts als Grundrecht in das Grundgesetz war eine der zentralen Lehren aus dem Dritten Reich, als Menschen wegen ihres Glaubens oder politischer Gesinnung verfolgt und Menschheitsverbrechen in bislang unbekanntem Maßstab verübt wurden. Deutschland trägt historische Verantwortung für den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma.

Dass nun eine weitere Einschränkung des Asylrechts erfolgen soll, eines Grundrechts, das unter anderem wegen der erfolgten Ermordung der Roma ins Grundgesetz aufgenommen wurde, um heute Angehörige eben dieser Volksgruppe von einer Einreise nach Deutschland abzuhalten, halte ich für einen unglaublichen Vorgang.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Gesetz zu den sicheren Herkunftsländern geht einher mit einer Lockerung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und -bewerberinnen, die bereits nach drei statt bisher nach neun Monaten arbeiten dürfen sollen. Beide Regelungen stehen in keinem inhaltlichen Zusammenhang. Gleichwohl ist klar, welches Kalkül mit dieser Verbindung verfolgt wird. Es geht um eine günstige Verhandlungsposition, ganz nach der Logik: Willst du einen schnelleren Arbeitsmarktzugang für Asylbewerberinnen und -bewerber, dann musst du die Kröte mit den sicheren Herkunftsländern schlucken.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Ich hoffe sehr, dass auch die GRÜNEN in den Landesregierungen dies so sehen und sich auf keinen Kuhhandel einlassen, dass sie ihren Einfluss im Bundesrat nutzen, um dieses Gesetz zu verhindern. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Wallmann von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Cárdenas, Sie haben eben in Ihrer Rede die Worte „unerträglich“, „unverständlich“, „Verhaltensmuster“ verwandt. Ich möchte vorweg heute für die CDUFraktion feststellen, was wir unerträglich finden, was wir unverständlich finden und was wir bei Ihnen als Verhaltensmuster sehen, nämlich dass Sie wieder einmal in Ihrem Antrag von einer weiteren „Aushöhlung des Asylgrundrechts und des Rechtsstaates“ sprechen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

Ich frage mich ganz ehrlich, in welchem Licht und mit welchem Bild Sie unser Land zeichnen.