Ich komme aus dem Mittelstand, aus der Wirtschaft, übrigens aus dem Handwerk, das hier dauernd wiederholt als Kronzeuge aufgerufen wird. Die Handwerker waren sehr einverstanden mit dem, was wir zu dieser Frage im Koalitionsvertrag aufgeschrieben haben. Nehmen wir noch einmal die Breitbandversorgung. Dort kann es nicht sein, dass sich Private am Ende einige wenige Kommunen aus einem gesamten Kreis herauspicken und sagen: Den Rest macht die öffentliche Hand. – Das kann so nicht funktionieren.
Deswegen halte ich es für geboten, dass man zumindest darüber nachdenkt, künftig zu Ausschreibungen zu kommen, indem wir größere Pakete schnüren. Das machen wir übrigens an anderen Stellen im öffentlichen Personennahverkehr auch. Da gibt es nicht nur die positiven, die guten Risiken, sondern auch die sogenannten schlechten Risiken. Nichts anderes machen wir. Wenn es dann immer noch ein Privater ist, der sagt: „Ich mache das besser als die kommunale Seite oder der kommunale Träger“, dann soll es so sein. Dann haben wir aus meiner Sicht einen vernünftigen und fairen Wettbewerb in dieser Frage.
Herr Schäfer-Gümbel, es wird Sie nicht wundern, dass ich natürlich einige Bemerkungen zum Thema Flughafenausbau, dem von Ihnen völlig zu Recht genannten wichtigsten Infrastrukturprojekt dieses Landes, vielleicht dem wich
tigsten Infrastrukturprojekt der Bundesrepublik Deutschland der letzten Jahrzehnte, sagen will. Sie werden mir gleich wieder vorwerfen, ich würde Krümel zählen. Aber ich werde hier es wiederholen; das können Sie gar nicht verhindern, weil ich einen Wahlkampf hinter mir habe.
Herr Schäfer-Gümbel, der war nicht nur schön. Seit 1999, seitdem ich diesem Hause angehöre, werden Sie eines nicht feststellen, nämlich dass ich mich jemals an irgendeiner Stelle aus opportunistischen oder gar populistischen Gründen weggeduckt habe. Ich habe einmal gesagt, ich gehe nur dann in die Politik und bleibe nur dann in der Politik, wenn ich den Rücken einigermaßen gerade halten kann.
Das hat 1999 zum ersten Mal zu einer Begegnung im Frankfurter Stadtwald mit 1.500 Flughafenausbaugegnern geführt. Die war für mich als Neuling etwas befremdlich. Aber man lernt auch dort hinzu. Ich sage ausdrücklich, dass dieser Protest zu unserer Demokratie gehört, solange er friedlich bleibt. Das ist eine Voraussetzung, über die wir hoffentlich in diesem Hause zu 100 % nicht streiten müssen.
Ich habe aber auch im letzten Wahlkampf wieder Neues gelernt. Frau Wissler, Sie sind sehr stark bei denen, die sich die Welt sehr einfach machen. Ich habe eben dazwischengerufen: „Sie leben in einer anderen Welt.“ – Es ist jedenfalls eine andere als meine und wahrscheinlich die der meisten hier im Haus.
Sie haben sich auf die Seite derjenigen geschlagen, die sagen: Wisst ihr was, wir machen das Ding wieder zu, wir gehen zurück auf Los, es gibt 380.000 Flugbewegungen pro Jahr, und dann ist es schön. – Frau Wissler, ich habe eine Frage an Mitglieder einer Bürgerinitiative gestellt, die das genauso wie Sie fordern. Ich fragte: Sagen Sie einmal, wie kommen Sie eigentlich auf dieses Ziel? – Da sagte mir die Vorsitzende einer Frankfurter Bürgerinitiative: Das ist doch ganz einfach, wir haben alle Bewegungen unter 600 km herausgerechnet. – Daraufhin habe ich gesagt: Das ist ja toll.
Ich habe das nicht so arrogant gemeint, wie es vielleicht herüberkam. Meine erste Gegenfrage war: Sagen Sie, haben Sie schon mit Herrn Grube gesprochen? – Herr Grube ist der Chef der Deutschen Bahn AG. Wenn ich mit ihm rede oder wenn Sie mit ihm reden, sagt Herr Grube: Ich habe da ein ziemlich großes Problem. Mir fehlen ein paar Gleise. Mittlerweile fehlen mir sogar die Züge, die von Siemens zugeliefert werden. – Auf meine Frage: „Wie lange dauert das denn?“, sagt er: Das mit den Zügen kriegt man vielleicht in drei, vier oder fünf Jahren hin, aber mit dem neuen Gleis von Frankfurt nach Fulda, also die Mottgers-Spange oder die Alternative, ist das anders.
Übrigens möchte ich das jetzt sagen, damit Sie es einmal gehört haben. Denn bei Verkehrsprojekten diskutieren wir nicht nur über Lärm. Vielmehr diskutieren wir auch über Flächenverbrauch.
Ich habe dann, an diese Bürgerinitiative gerichtet, gesagt: Ich fände es in Ordnung, wenn Sie diese Forderung stellen,
Herr Schäfer-Gümbel, da kommt gerade einmal gar nichts. Wissen Sie, dass ich das anspreche, hat damit zu tun, dass ich glaube, dass das schon einen Unterschied macht. Ich meine das jetzt nicht despektierlich. Man hat sich da im Wahlkampf vor Ort mit Menschen beschäftigt, die Kommunalpolitik machen und sich mit dieser Frage befassen. Oder es waren Menschen, die in diesen Landtag wollten, die zu Ihrer Fraktion dazugehören wollten, die im Frankfurter Süden genau die gleiche Forderung erhoben haben.
Gott sei Dank haben dort die Wählerinnen und Wähler erkannt, dass das wohl nicht ganz klug, nicht umsetzbar und nicht realistisch ist. Ich hätte es gut gefunden, wenn sich zwischenzeitlich, auch einmal im Wahlkampf, der Landesvorsitzende der SPD dazu geäußert hätte. Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie genau mit derselben Verve, mit der Sie es heute hier getan haben, schon damals den Ausbau verteidigt hätten.
Aber jetzt sage ich Ihnen zu diesem Flughafen noch etwas Zweites. Dann will ich es damit bewenden lassen, jedenfalls für heute. Jeder, der diesen Ausbau befürwortet, muss auch ein paar weitere Fragen beantworten, nämlich auch die, wie mit den Belastungen umgegangen werden soll. Da werden wir, so glaube ich, gemeinsam noch viele Fragen zu diskutieren und zu beantworten haben. Eine davon ist: Wie kriegen wir alle ins Boot, und zwar nicht nur die Fraport, sondern auch andere Einrichtungen?
Wenn Sie den Koalitionsvertrag gelesen haben, sehen Sie, dass es zwei Kernthemen gibt. Nur die will ich jetzt herausgreifen. Wenn ich mehrere Punkte nennen würde, würde ich die Redezeit überbeanspruchen. Sie wurden heute schon vom Ministerpräsidenten angesprochen. Ich muss das nicht wiederholen. Zwei Kernpunkte will ich herausgreifen.
Sieben Stunden Lärmpause ist eines der Ziele. Erst einmal will ich sagen, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Wir haben festgestellt – das war für mich und für uns keine neue Erkenntnis –, dass es einen Planfeststellungsbeschluss und höchstrichterliche Entscheidungen aus Leipzig zu diesem Planfeststellungsbeschluss gibt. Der hat Bestand. Ich glaube, das zweifelt in diesem Hause vielleicht bis auf die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE niemand an.
Dort steht, dass nachts sechs Stunden lang nicht geflogen werden soll. Das ist die eine Seite. Dort steht aber noch etwas Weiteres, das häufig unterschlagen wird. Das zu nennen, will ich gerne nachholen. Dort steht – auch das haben die Richter in Leipzig salopp gesagt, so mit einem, Haken versehen –, dass in den Randstunden nur die Hälfte der Kapazität, nur die Hälfte an Slots zugelassen ist. Genau genommen sind es, über das Jahr gerechnet, 52 %. Mit anderen Worten bedeutet das wiederum, dass wir in den Randstunden eine Situation haben, die es zulässt, dass man damit flexibel spielen kann. Auch das meine ich etwas anders, als es sich jetzt vielleicht anhört.
Dazu will ich eines sagen. Da sind wir mit den GRÜNEN zu 100 % beieinander. Für immerhin 16 Stunden am Tag hat man eine Kapazitätserweiterung um 50 %. Für zwei Stunden am Tag – das sind die Randstunden – hat man zu
mindest einmal die Kapazität von vorher. Und hinsichtlich sechs Stunden sagt man: Nachts muss Ruhe sein. – Ich finde, das ist für die Fluggesellschaften und für die Fraport in Summe erst einmal ein guter Deal. Sie wissen, dass wir das seit vielen Jahren den Airlines, und allen voran der Lufthansa, sagen.
Sie heißen Lufthansa, Fraport und Turkish Airlines. Wir haben eine andere Situation als in Dubai oder sonst irgendwo im Mittleren Osten, wo halt ziemlich viel Sand drum herum ist und wo relativ wenige Menschen leben. Wenn Sie sich Dubai ansehen, erkennen Sie, dass das nicht ganz stimmt. Da fliegt man quer über die Stadt.
Wir leben in einem Ballungsraum. Wenn man beides will, muss man am Ende allen Beteiligten sagen: Du kannst nicht nur einfach darauf loswachsen, du musst auch mithelfen, dass das raumverträglich ist, du musst auch helfen, dass das weitestgehend Akzeptanz findet. – Wir werden nie alle erreichen. Das ist aber eine lohnende Aufgabe.
Ich sage eines sehr deutlich: Ich glaube, dieser Flughafen ist mehr als nur ein Flughafen. Er ist ein Symbol hinsichtlich der Frage: Kriegen wir in unserer Gesellschaft, kriegen wir in unserem Land noch einmal so ein großes Infrastrukturprojekt gestemmt, das am Ende nicht schon nach der ersten Bürgerinitiative oder nach einem Volksentscheid scheitert? Schöne Grüße nach München. Ich habe nichts gegen Volksentscheide. Wenn die Lufthansa und die Cargos jetzt dauernd drohen, sie würden nach München gehen, sage ich denen: Gehen wir doch einmal gemeinsam da herunter, und schauen wir einmal, wie es mit dem Ausbau des Münchener Flughafens weitergeht.
Ich bin stolz darauf, dass wir es bis heute geschafft haben, einerseits dieses Projekt zu stemmen, dass wir uns aber andererseits jetzt noch einmal gemeinsam mit den GRÜNEN einiges an Aufgaben ins Arbeitsheft hinsichtlich der Frage geschrieben haben, wie wir es hinbekommen, dass die Akzeptanz weiter steigt. Dazu gehören die sieben Stunden Lärmpause.
Ich sage hier ausdrücklich: Vor allen Dingen ist hier die Deutsche Flugsicherung gefordert. Ich lasse mir von niemandem, auch nicht vom Vorstandsvorsitzenden eines solchen Unternehmens, sagen, dass er andere Aufgaben hat, als sich um Fluglärm zu kümmern. Wenn man vorher nicht versucht, das so zu machen, dass es alle weitgehend akzeptieren, hat man irgendwann nämlich gar keine Aufgaben mehr.
Das ist eine Aufgabe der Deutschen Flugsicherung, der Airlines und der Fraport sowieso. Ich will mich bei der Fraport ausdrücklich bedanken. Sie ist da sehr kooperativ und konstruktiv. Lieber Herr Schäfer-Gümbel, es wäre aber schön, wenn das auch eine Aufgabe des gesamten Hauses wäre. Denn Sie haben wahrscheinlich auch noch ein paar gute Ideen. Wenn wir die alle zusammenbringen, wird es am Ende gelingen.
Ich will das letzte Thema ansprechen. Ich habe noch ein paar Seiten. Aber das lasse ich dann weg. Das brennt mir wirklich auf den Nägeln. Das hat auch etwas mit Frau Wisslers Dauerrhetorik zu tun.
Da geht es um die Bildungsgerechtigkeit. Frau Wissler, wer sagt denn eigentlich, was da gerecht ist? Ist das die Akademikerquote? Das scheint mir bei Ihnen das Einzige zu sein, das überhaupt Relevanz hat.
Übrigens, Sie haben eben merkwürdige Sachen gesagt. Einerseits sagen Sie, es sei ganz schlimm, in Deutschland zu studieren. Im nächsten Satz erklären Sie, die Universitäten seien voller Studenten, und wir müssten jetzt mehr Geld in die Hand nehmen. Ich freue mich, dass Boris Rhein da eine tolle Aufgabe hat.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Er freut sich auch total! – Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))
Es gibt eine verlässliche Finanzierung über die nächsten fünf Jahre. Boris Rhein und ich freuen uns sogar gemeinsam darüber. Frau Wissler, Sie werden das kaum glauben. Denn wir wissen, dass es eine zentrale Aufgabe ist, dass wir uns um die Exzellenzen, um die Qualität an den Hochschulen, um die außeruniversitären Forschungsstätten und all das kümmern.
Wir werden übrigens noch einen ziemlichen Streit mit dem Bund haben. Ich will das nur schon einmal hinterlegt haben. Wir haben deswegen letzte Woche telefoniert. Wenn es um die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung geht, glaube ich nach wie vor, dass wir gut darüber nachdenken müssen, ob wir alles aufweichen wollen und demnächst dann Mischverwaltungen und Mischzuständigkeiten haben würden. Aber das gehört hier nicht hin.
Frau Wissler, ich will Sie etwas anderes fragen. Bei Ihnen mache ich fest, es ist die Akademikerquote, jeder, der studiert hat, hat es gut gehabt, und die anderen nicht. Sagen Sie einmal, was eigentlich mit den 70 % in Hessen ist, die kein Abitur haben. Ich behaupte jetzt einmal – Sie werden das kaum glauben –: Ich kenne Menschen, die kein Abitur haben und total glücklich sind.
Ich kenne Menschen, die haben kein Abitur, die haben früher einmal die Volksschule besucht. Das heißt heute natürlich anders. Sie sind selbstständige Unternehmer geworden. Sie sind stolz darauf, dass sie Menschen Arbeit geben. Frau Wissler, in aller Regel zahlen sie deutlich über dem Mindestlohn. Sie kommen nachts vielleicht einmal eine Stunde verspätet ins Bett, weil sie sich Sorgen darüber machen, ob es morgen auch noch so sein wird. Risikobereitschaft sollten wir vielleicht auch einmal als einen Wert an und für sich in dieser Gesellschaft begreifen.
Aber vor allen Dingen sollten diese Menschen uns eines wert sein: Wir sollten nicht so tun, als seien sie irgendwie die zweite Kategorie. – Dazu sage ich Ihnen eines: Ich freue mich, das in den nächsten fünf Jahren Ihnen gegenüber streitig zu stellen.
Jetzt will ich mich nicht an Ihnen allein abarbeiten. Herr Schäfer-Gümbel und die Sozialdemokraten haben auch immer so ein bisschen den Hautgout: Na ja, so richtig los geht es eigentlich erst beim Abitur.