Protokoll der Sitzung vom 04.02.2014

Ich halte es schon für einen Skandal, dass das Land Hessen auch unter Schwarz-Grün nicht in die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zurückkehrt,

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Turgut Yük- sel (SPD))

und das, obwohl die GRÜNEN das im Wahlprogramm ausdrücklich gefordert haben. Das ist Politik nach Gutsherrenart. Statt weiterer Kürzungen im Bereich der Landesbeschäftigten fordern wir die Rückkehr des Landes in die TdL, und wir fordern die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte im öffentlichen Dienst. Die sind in den letzten Jahren immer weiter abgebaut worden, und dazu findet sich wirklich kein Wort in diesem ganzen Koalitionsvertrag.

Meine Damen und Herren, eine Haushaltssanierung auf Kosten der Beschäftigten lehnen wir ab. Die öffentlichen Haushalte sind durch die Steuersenkungen seit 1999, die vor allem den reichen Haushalten und den Unternehmen zugutegekommen sind, völlig unterfinanziert. Dabei gibt es genug Geld in diesem Land. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Erhöhung der Erbschaftsteuer zu Mehreinnahmen von 1,9 Milliarden € in Hessen führen würden. Auf dieses Geld verzichten wir, um die Reichen zu schützen. Das halte ich für ein riesiges Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei würde die Vermögensteuer überhaupt niemandem wehtun, auch das muss man ganz klar sagen. Die hohen Vermögen sind in den letzten Jahren um 8 bis 10 % gestiegen – jährlich, Herr Boddenberg.

(Michael Boddenberg (CDU): Meines nicht! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sie sind der Leidtragende, Herr Boddenberg!)

Damit würde die Wiedereinführung einer Vermögensteuer von 1 %, wie wir fordern, nicht zu einem Schrumpfen von Vermögen führen. Das würde nicht einmal dazu führen, dass Vermögen nicht weiter anwachsen würden. Es würde lediglich dazu führen, dass Vermögen langsamer wachsen würden. Deswegen sind wir der Meinung, wir müssen dringend etwas auf der Einnahmeseite machen; und da macht Schwarz-Grün fast nichts. Dabei waren es doch die GRÜNEN, die vor der Wahl erklärt haben, man könne die Schuldenbremse gar nicht einhalten, wenn es keine Einnahmeerhöhung gebe; 1 Milliarde € ließen sich nicht aus dem Haushalt wegkürzen. – Das ist vollkommen richtig.

Aber anstatt sich auf der Bundesebene für höhere Einnahmen einzusetzen, wurde eine gerechte Steuerpolitik verhindert. – Herr Wagner, natürlich war der Ministerpräsident maßgeblich daran beteiligt, dass es eben keine Umverteilung von Reichtum gibt, die wir so dringend bräuchten.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb heißt es jetzt: kürzen, kürzen, kürzen, vor allem auf Kosten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, durch Arbeitsplatzabbau, durch Arbeitsverdichtungen und Reallohnverluste. Genau davor haben der DGB, die Sozialverbände und DIE LINKE bei der Einführung der Schuldenbremse gewarnt.

Herr Ministerpräsident, Sie sprechen immer gern von Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen. Aber es ist doch nicht im Sinne von kommenden Generationen, dass wir ihnen eine völlig marode Infrastruktur hinterlassen. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Schulden und Reichtum zwei Seiten einer Medaille sind. Deswegen handelt es sich hier mitnichten um einen Generationenkonflikt, wie es gerne dargestellt wird, sondern es geht um einen Verteilungskonflikt. Die Grenze verläuft nicht zwischen Jung und Alt, dieser Generation und der nächsten, sondern zwischen oben und unten. Es gibt eine zutiefst ungerechte Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben die GRÜNEN erreicht – das will ich ausdrücklich zugestehen –, dass im Sozialbereich 18 Millionen € mehr zur Verfügung stehen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, ebenso die Verdoppelung der Mittel für die Soziokultur. Aber anstatt dass Sie sich dafür loben, dass jetzt Schuldnerberatungen, Frauenhäuser und andere soziale Einrichtungen stärker unterstützt werden, sollten Sie sich lieber dafür entschuldigen, dass Sie genau diese Einrichtungen mit den Kürzungen im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ in größte Existenznot gebracht haben, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)

Nicht alle Einrichtungen haben die Kürzungen überlebt.

Wir brauchen eine bessere Ausstattung der Kommunen. Leere Kassen und der sogenannte Kommunale Schutzschirm gefährden die kommunale Selbstverwaltung und demokratische Entscheidungsprozesse. Der Privatisierungsdruck ist enorm, gerade im Bereich der kommunalen Krankenhäuser. Wir wollen die kommunale Infrastruktur in der öffentlichen Hand halten. Wenn wir die kommunale Infrastruktur stärken und erhalten wollen, brauchen die Kommunen eine vernünftige Finanzausstattung und keine Gängelung der Landesregierung, so wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Bildungsbereich haben die GRÜNEN an einer Stelle etwas wirklich Sinnvolles durchgesetzt: Das völlig unnütze Landesschulamt, das Schwarz-Gelb geschaffen hatte, wird wieder abgewickelt. Das begrüßen wir. Zudem hat Schwarz-Grün jetzt angekündigt, dass es keinen Personalabbau bei den Lehrerinnen und Lehrern geben wird. – Herr Ministerpräsident, an dieser Ankündigung werden wir Ihre Regierung messen, und wir werden Sie notfalls auch daran erinnern. Dessen können Sie gewiss sein.

Ansonsten sind die Vereinbarungen der Koalition im Bereich der Bildung doch ziemlich erbärmlich. Anstatt die gescheiterte G-8-Reform vollständig zurückzunehmen, doktern Sie halbherzig daran herum. Erhöhter Lerndruck, übermäßiger Stress, mangelnde Freizeit – das waren für viele Jugendliche die Folgen von G 8. Die Einzigen, die von der Reform profitiert haben, waren die Anbieter von privatem Nachhilfeunterricht, meine Damen und Herren. Die haben durch die Einführung der völlig vermurksten Reform wirklich ein gutes Geschäft gemacht.

Wir sind froh, dass vielen zukünftigen Schülerinnen und Schülern G 8 erspart bleibt. Aber auch hier wäre es Zeit, dass sich die CDU endlich bei einer ganzen Generation von Schülern entschuldigt, die G 8 durchmachen mussten und erlitten haben. Auch dafür müssten Sie sich entschuldigen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Ulrike Alex (SPD) – Hermann Schaus (DIE LINKE): Und bei den Eltern!)

Wenn ich die ganze Liste der letzten 15 Jahre aufzählen sollte, für die sich die CDU entschuldigen müsste, dann bräuchte ich fast noch länger, als ich Redezeit habe. Deswegen beschränke ich mich auf eine Auswahl.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Auf nach Canossa!)

Herr Ministerpräsident, Sie sprechen davon, dass die Schulkämpfe ad acta gelegt werden sollen; dabei haben Sie selbst einer Regierung angehört, die mit der Durchsetzung von G 8 gegen alle Warnungen und Widerstände den größten Schulkampf überhaupt ausgelöst hat. Auch mit der Wahlfreiheit sind die Probleme nicht gelöst, sondern Sie schieben die Verantwortung erst einmal schön an die Schulen ab. Die sollen sich damit herumärgern. Vielerorts gibt es auch überhaupt keine Wahlfreiheit. Deshalb sind wir nach wie vor der Meinung, dass die beste Konsequenz wäre, den ganzen G-8-Murks vollständig zurückzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Ulrike Alex (SPD))

Der Ausbau der Ganztagsschulen ist sicher eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre. Gerade im Grundschulbereich gibt es viel zu wenige Angebote. Aber die sogenannte Bildungs- und Betreuungsgarantie von SchwarzGrün ist eine Mogelpackung. Bis 14:30 Uhr will das Land für Betreuung sorgen, der Rest soll maßgeblich von Eltern und den ohnehin unterfinanzierten Kommunen bezahlt werden. Meine Damen und Herren, wenn für Ganztagsschulen am Ende Schulgeld fällig wird, was die Hessische Verfassung übrigens ausschließt, dann wird das die soziale Ungleichheit im Bildungssystem noch verschärfen. Wir befürchten zudem, dass das Ganztagsschulprogramm im Grundschulbereich, so wie es jetzt angelegt ist, zulasten der Ganztagsangebote bei den weiterführenden Schulen geht. Ein Ausbau von gebunden Ganztagsschulen, der eigentlich notwendig wäre, ist laut Koalitionsvertrag überhaupt nicht erst geplant.

Wir sind der Meinung: Zur Umsetzung der Inklusion muss es endlich einen konkreten Fahrplan geben. Auch das fehlt bisher.

Und ich will noch eines erwähnen: Wir wollen nicht, dass man die Schulen in vielen Städten daran erkennt, dass sie die heruntergekommensten Gebäude der Stadt sind. Wir leben in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Da

muss es möglich sein, dass sich Kinder an dem Ort, an dem sie sich tagtäglich aufhalten, auch wohlfühlen. Da darf es nicht sein, dass die Toiletten verrotten und der Putz von der Decke bröckelt. Die Finanzsituation der Kommunen ist mehr als angespannt. Auch wenn die Kommunen Schulträger sind, darf sich das Land nicht aus der Verantwortung stehlen. Natürlich ist es möglich – das gab es in der Vergangenheit –, dafür Sonderinvestitionsprogramme aufzulegen. Wir brauchen gut ausgestattete Schulen. Auch hier hat das Land eine Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Als LINKE kritisieren wir das mehrgliedrige Schulsystem grundsätzlich, weil es sozial ungerecht ist. Kinder aus armen Familien und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund werden durch die frühe Auslese nach der 4. Klasse systematisch benachteiligt. An dieser sozialen Ungerechtigkeit im Bildungssystem ändert der Koalitionsvertrag leider gar nichts. Auch Showveranstaltungen wie ein Bildungsgipfel werden nicht helfen, wenn die Landesregierung nicht bereit ist, ein Schulsystem, das aus der Kaiserzeit stammt, grundsätzlich infrage zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die GRÜNEN sprechen von Schulfrieden. Ich sage für uns: Wir werden keinen Frieden mit einem Schulsystem machen, das auf sozialer Auslese beruht und in dem der Bildungserfolg so stark von der Herkunft abhängig ist wie in keinem anderen Industrieland, meine Damen und Herren.

(Michael Boddenberg (CDU): Du liebe Zeit!)

Wir wollen eine Bildungspolitik, die Bildung als ein Menschenrecht begreift, nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern, und wir wollen eine demokratische Schule. Wir lehnen die zunehmende Ökonomisierung von Schule und Bildung ab.

(Michael Boddenberg (CDU): Ach du liebe Zeit!)

Bildungseinrichtungen müssen dem Frieden dienen. Auch dazu habe ich im Koalitionsvertrag leider nichts gefunden. Wir sind der Meinung, dass die Bundeswehr an Schulen nichts zu suchen hat und die Kooperationsvereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr aufgelöst werden muss. Wir freuen uns sehr, dass es immer mehr Schulen gibt, die sich zur bundeswehrfreien Zone erklären.

Wir sind der Meinung, dass auch die Hochschulen dem Frieden verpflichtet sind. Deswegen wollen wir ein Verbot von Rüstungsforschung an den Hochschulen und die Verankerung von Zivilklauseln – leider auch dazu nichts im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Sie haben so Ihre ganz eigene Welt! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nein, Frankfurt und Kassel sind so weit!)

Herr Boddenberg, ich glaube, bei mir ist es nicht so lange her, dass ich an der Hochschule war, wie bei Ihnen. Aber darüber wollen wir jetzt nicht diskutieren.

(Michael Boddenberg (CDU): Sie waren ja lange genug da!)

In ihrem Wahlprogramm hatten die GRÜNEN angekündigt, 10.000 zusätzliche Studienplätze für Studienanfänger schaffen zu wollen. Davon ist im Koalitionsvertrag nicht

mehr die Rede. Dabei sind die Hochschulen chronisch unterfinanziert und angesichts der Rekordzahl von Studienanfängern vielerorts jenseits der Grenzen ihrer Belastbarkeit. Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die schwarz-grüne Landesregierung die Absolventenquote steigern will, aber darin steht nicht, wie sie das machen will.

Meine Damen und Herren, wer die Hochschulen finanziell nicht gut ausstattet und nicht dafür sorgt, dass sie ausreichend Studienplätze schaffen können, der raubt Tausenden jungen Menschen das Recht auf ein Studium. Das trifft wieder vor allem diejenigen, die es im deutschen Bildungssystem ohnehin schwer genug haben. Das verschärft die soziale Auslese noch.

Auch das geforderte Sofortprogramm für mehr studentischen Wohnraum aus dem grünen Wahlprogramm wird es nicht geben. Es ist im Koalitionsvertrag nicht zu finden.

Die Eindämmung der zunehmenden Zahl von prekären Beschäftigungsverhältnissen an den Hochschulen soll jetzt den Hochschulen selbst überlassen werden.

Zum eingestürzten Leuchtturm des privatisierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg haben Sie heute leider gar nichts gesagt, Herr Ministerpräsident. Ich glaube, nicht nur die Menschen in der Region, sondern auch die Beschäftigten würde sehr interessieren, was ihre Landesregierung hier zu tun gedenkt.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das Beste, was er tun konnte, war, zu schweigen!)

Der neue Wissenschaftsminister dürfte bei den Studierenden und Lehrenden wenig Begeisterung auslösen. Ich habe gelesen, bei seinem Antrittsbesuch an der Frankfurter Universität wurde er schon entsprechend begrüßt – keine fünf Tage im Amt und schon die erste Protestaktion gegen sich.

(Michael Boddenberg (CDU): Da waren Sie wahrscheinlich dabei!)