Protokoll der Sitzung vom 14.10.2014

Sie haben aber nicht vorgetragen, wovon Sie ausgehen: wo Sie standen und wo Sie heute noch stehen.

(Manfred Pentz (CDU): Das hat er auch alles gesagt!)

Real ist es so: Beim Umfang der Mittel für die Studierenden haben Sie exakt den Bundesdurchschnitt; gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen Sie deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Das heißt, das, was Sie jetzt gerade zulegen, reicht maximal dafür aus, um den Zuwachs an Studierenden abzufedern. Mehr tun Sie nicht. Sie tun Ihre Pflicht. Dafür finden Sie tolle Worte. Sie tun das Gleiche wie alle anderen Länder auch, Sie haben nur die besseren Werbetexter, oder Sie sind der bessere Werbetexter.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Das stimmt überhaupt nicht! Sie können doch nicht lesen, es muss doch vorgetragen werden!)

Schon die Überschrift ist da ein Kapitel für sich.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Null Substanz!)

Sehr gut, perfekt, genau.

(Nancy Faeser (SPD): Genau, das passt!)

Die Überschrift spricht für sich: null Substanz.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich bedanke mich für diese freundliche Unterstützung, denn die Überschrift lautet: „Hessen schafft Wissen: Wir gestalten Zukunft!“

Hessen schafft also Wissen. Ich stelle mir vor: Im Vogelsberg fängt das Gehirn von Hessen an, die neue hessische

Relativitätstheorie unter wichtigen Dampfausscheidungen zu produzieren.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: He, he, he!)

„Neue hessische Relativitätstheorie” heißt: Alles, was in anderen Bundesländern Durchschnitt ist, ist schlecht – alles, was in Hessen Durchschnitt ist, ist spitze.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Der zweite Punkt ist aber noch viel lustiger, nämlich die schöne Formel: „Wir gestalten Zukunft!“ Seit 20 Jahren mache ich Wahlkampfplanung. Jedes Mal, wenn unserer Werbeagentur nichts eingefallen ist, sagt sie, wir müssen etwas positiv Besetztes nehmen, und darin müssen die Worte „Zukunft“ und „gestalten“ vorkommen.

(Manfred Pentz (CDU): Komisch, das hat euch aber nichts genutzt! Sie sollten einmal die Agentur wechseln! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Der spannende Punkt ist: Wir haben jetzt einen jungen Mitarbeiter in der Landesgeschäftsstelle, und immer dann, wenn dieser Satz fällt, sagt er: „Schwall im All“. Dann wissen wir: Es ist eine sinnentleerte Vokabel, in der es nicht um die Sache geht.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Ich sage das deswegen so aggressiv, weil ich es in den Hochschuldebatten doch erlebt habe, dass wir an den Schulen junge Leute gut ausbilden, die wissen, was Texte sind – und die kommen sich für dumm verkauft vor, wenn ihnen Leerformeln geliefert werden statt klarer, zielsicherer, präziser Überschriften.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Sie müssen einmal die Realität wahrnehmen! Sie nehmen doch die Realität überhaupt nicht wahr!)

Na ja, die Realität nicht wahrnehmen? Der Minister hat eben – –

(Manfred Pentz (CDU): Gehen Sie doch einmal raus an die Unis, und vergleichen Sie einmal mit vor 20 Jahren!)

Herr Kollege, lassen Sie ihn ausreden.

(Gernot Grumbach (SPD): Ach, ich finde das völlig unterhaltsam!)

Das ist mir klar.

Denn das sagt mehr über ihn als über mich.

Das Kabinett hat beschlossen, für jeden Euro, den der Bund in den Hessischen Hochschulpakt investiert, einen weiteren Euro des Landes zur Verfügung zu stellen. Das ist die große, wichtige Errungenschaft. Der Minister hat darum herumgeredet, dass es so viele verschiedene Finanzierungsmodelle gibt. Ich rate Ihnen einmal: Werfen Sie einen Blick in die Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Bundesländern. Das Land Hessen erhält keinen Cent, wenn es nicht zur Hälfte gegenfinanziert. Das Land Hessen tut da nichts anderes als seine Pflicht – nämlich dafür zu sorgen, dass das Bundesgeld, das wir für die zusätz

lichen Studierenden benötigen, mit Landesmitteln gegenfinanziert wird. Das ist keine große Leistung des Kabinetts, sondern das ist das, was alle Kabinette in den Ländern beschlossen haben, die Geld vom Bund brauchen, wie auch die Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Schon der alte Augustinus hat gesagt: Wir schulden keine Laudatio dem, der nur seine Pflicht tut.

Sie haben einige Entscheidungen getroffen, über die man nachdenken muss. Nachdenken heißt nicht nur kritisieren, sondern wirklich nachdenken.

Sie haben, mit Sachsen zusammen und anders als alle anderen Bundesländer, die Entscheidung getroffen – da sind wir bei der Debatte, die wir mit der FDP aufzumachen versucht haben –, das Geld vollständig in die Hochschulen zu stecken. Als Hochschulpolitiker habe ich angesichts der Notlage der Hochschulen keinen Einwand dagegen. Allerdings hatten wir das Glück, nacheinander die Regierungserklärungen des Kultusministers in der letzten Plenarwoche und die Regierungserklärung des Wissenschaftsministers heute zu hören. Da stellen wir fest: Sie haben in Hessen im Kern allein in die investiert, die es schon geschafft haben. Für die, die an den Bildungshürden scheitern, die Förderung brauchen, Inklusion, Ganztagsschulen – ich erinnere an die Regierungserklärung des Kultusministers –, wollen Sie sehr viel weniger Geld ausgeben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch!)

Der spannende Punkt ist: Wenn Sie das richtig machen und das Geld voll für die Hochschulen ausgeben, dann müssen Sie auf der anderen Seite auch dafür sorgen, dass alle die Chance haben, auch an den Hochschulen von dem Geld zu profitieren. Aber genau da bricht die Politik dieser Landesregierung auseinander: Auf der einen Seite macht sie das Richtige, und auf der anderen Seite sorgt sie dafür, dass das Geld nicht bei denen ankommt, für die es gedacht ist.

(Beifall bei der SPD – Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man kann das Geld doch nur einmal ausgeben!)

Genau. – Damit komme ich zur zweiten Entscheidung, die unter anderem Ihr Ministerpräsident mit getroffen hat. Eigentlich, und das wissen wir alle, brauchen die Hochschulen mehr Geld als derzeit. Wenn wir nur den Stand und die Qualität an den Hochschulen der Jahre 2005, 2006, 2007 – Sie können sich eines aussuchen – wiederherstellen wollten, dann bräuchten wir dafür 200 Millionen € pro Jahr. Dann aber kommt der berühmte Satz, man könne das Geld nur einmal ausgeben. In der Tat.

Wir leiden darunter, dass in der Auseinandersetzung darüber, wie in Deutschland Steuern erhoben werden, ein Teil der Großen Koalition in Berlin entschieden hat, die Vermögen nicht anzutasten, sondern sich stattdessen bei der Steigerung der Bildungsausgaben zu begrenzen. Diese Auseinandersetzung kann man hier deutlich thematisieren, denn sie wird noch einmal gesellschaftlich auszutragen sein. Wir brauchen nämlich das Geld, wenn wir die Zukunft gestalten wollen, und wir dürfen dann das Geld nicht aus anderen wichtigen Bereichen herausziehen, sondern müssen dort zusätzliches Geld einsetzen.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Das ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die nicht nur in Hessen, sondern in der gesamten Bundesrepublik geführt werden muss.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben sich in der Regierung nicht durchsetzen können!)

Dankbar bin ich dem Herrn Minister dafür, dass er an einem Punkt die Koalitionsvereinbarung relativiert hat, nämlich durch die Erwähnung der dualen Bildung. Wenn ich den Abschnitt zur Hochschule in der Koalitionsvereinbarung lese, dann steht da in der Tat: Wir wollen die Zahl der Absolventen an den Hochschulen deutlich steigern. – Aber zur dualen Bildung steht da nur: Sie hat sich gut bewährt.

Ich glaube, dass wir in dieser Gesellschaft einmal bis zum Ende über die Frage diskutieren müssen, ob die Idee, alles an die Hochschulen zu schaffen, richtig ist. Ich sage dazu, dass sinnvollerweise bestimmte Berufe, die z. B. im Bereich Kinderpädagogik angesiedelt sind, diagnostisch an den Hochschulen aufgerüstet werden müssten. Der andere Aspekt ist, ob wir uns in eine Debatte über den „Bachelor für Haararchitektur“ führen lassen – diesen Titel habe ich nicht erfunden, den verleihen amerikanische Universitäten. Das ist ein spannender Punkt.

Ich glaube, wir haben als Bildungspolitiker eine Abwägung zu treffen. Wir müssen einmal gemeinsam darüber debattieren, ob bestimmte Dinge unter dem Blickwinkel, wie man vielleicht mehr Geld verdienen kann, aus dem Gleichgewicht geraten sind. Grundlage des Erfolgs unserer Wirtschaft sind nämlich zum einen die gut Ausgebildeten aus dem akademischen Bereich und zum anderen die gut ausgebildeten Menschen aus der dualen Berufsausbildung. Ich glaube, wir sind da schon aus dem Gleichgewicht geraten. Wir haben uns hier im Parlament sehr bewusst und sehr intensiv um die akademische Ausbildung gekümmert, weil das nötig war, aber zur gleichen Zeit haben sich viele Unternehmen aus der dualen Berufsausbildung zurückgezogen, obwohl ohne die Unternehmen die duale Berufsausbildung ihren Namen nicht mehr verdient. Da ist eine zusätzliche Aufgabe, von der ich glaube, dass wir sie gemeinsam lösen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu der spannenden Frage nach dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Frage, wie gut die Wissenschaft ist, hat natürlich auch etwas damit zu tun, was da für Leute arbeiten. Herr Minister, der Tenure-Track, die Idee, für die, die gut sind, eine schnelle Spur zu legen, ist eine Variante. Sie reicht aber nicht. Wir müssen heute in der Realität damit leben, dass von den Menschen, die als wissenschaftliche Mitarbeiter an den Hochschulen arbeiten, nur einer – oder eine – von 25 einen unbefristeten Vertrag hat und dass diese jungen Menschen mehr damit beschäftigt sind, sich zu überlegen, wie sie den nächsten Anschlussvertrag an eine befristete Stelle organisieren, statt sich um ihr Studium, ihre Promotion, ihre Forschung zu kümmern. Das ist ein Zustand, den man beenden muss und den man auch beenden kann.

Ich war 25 Jahre lang mit der Leiterin einer sozialen Einrichtung verheiratet. Sie hatte in ihrem Laden 120 Beschäftigten, finanziert aus 26 Programmen. Alle diese Programme waren befristet, aber 90 % der Beschäftigten waren unbefristet eingestellt, weil es im Sozialbereich zur administrativen Kunst gehört – jeder, der solche sozialen Einrich

tungen kennt, weiß das –, die Programme, die kurzfristig angelegt sind, so zusammenzustellen, dass man grundsätzlich, in einer Größenordnung von 90 %, unbefristete und sichere Arbeitsplätze schafft. Das gilt natürlich auch für die Forschung und für das Studium. Dass das Hochschulangehörige nicht hinbekommen, finde ich eigentlich beschämend. Das bekommen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ohne weiter gehende Ausbildung locker hin, und zwar seit Jahrzehnten. Ich glaube, da müssen wir etwas grundsätzlich ändern.

(Beifall bei der SPD)