Ich muss zum wiederholten Male die Frage stellen, ob bei der zentralen Schwäche des Jugendarrestes, dieser riesigen Fluktuation, der nur kurzen Dauer des Arrestes – im Rahmen des Freizeitarrestes ist es gerade einmal ein Wochenende, beim Dauerarrest sind es maximal vier Wochen –, überhaupt eine sinnvolle und nachhaltige Einflussnahme auf das Verhalten der Jugendlichen möglich ist.
Dass dies klappt – das wurde schon angesprochen –, wird grundlegend infrage gestellt. Schon mehrfach forderte die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. zumindest die Abschaffung von Kurzund Freizeitarrest. Doch auch maximal vier Wochen dauernde Arrestaufenthalte können aus meiner Sicht kaum einen Erziehungserfolg zeigen.
Es wurde schon angesprochen: Wer einmal zunächst im Jugendarrest gelandet ist, wird häufig nicht abgeschreckt und kommt nicht zu der Einsicht, dass er oder sie ab jetzt ein straffreies Leben führen wird. Nur 34 % der Jugendlichen und Heranwachsenden aus dem Arrest bleiben ohne Rückfall. Der Rest wird wieder straffällig. Das stellt den Jugendarrest und seine Erfolgschancen grundsätzlich infrage und wirft auch die Frage auf, ob die im Arrest geknüpften Kontakte und der Schreck der Arrestierung nicht eine gegenteilige Wirkung erzeugen.
Ich will sicherlich im Vorgriff auf die Anhörung und die Beratungen im Ausschuss noch ein paar Aspekte nennen, die aus unserer Sicht bei den jetzt vorliegenden Gesetzentwürfen beachtet werden müssen. Es ist vollkommen klar, dass wir diesen gesetzesfreien Zustand, den wir im Moment haben, überwinden müssen. Wir warten bereits seit 2006 auf ein Tätigwerden der Regierung. Es wurde auch schon gesagt: Die SPD hat in der Zwischenzeit mehrfach darauf aufmerksam gemacht, auch mit eigenen Gesetzentwürfen.
Aus unserer Sicht sind bei der Beurteilung dieser Gesetzentwürfe in den weiteren Beratungen ein ganz wesentlicher Aspekt für das Gelingen des Jugendarrests das eingesetzte Personal und dessen Qualifikation.
Die Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats vom 5. November 2008 beinhalten, dass die fachliche Ausbildung und die Arbeitsbedingungen das Personal in die Lage versetzen sollen, bei der Betreuung angemessene Standards einzuhalten, die den spezifischen Bedürfnissen Jugendlicher gerecht werden und ihnen als positives Beispiel dienen.
Ich begrüße, dass Sie in den §§ 6 und 8 Ihres Gesetzentwurfs die Kontaktvermittlung zu außervollzuglichen Organisationen betonen, weil im Arrest Weichen für das weitere Leben des Jugendlichen gestellt werden können. Aber aus unserer Sicht sehen wir dort Optimierungsbedarf. Es wäre besser, wenn eine sozialpädagogische Leitung eingerichtet würde, die neben der Vollzugsleiterin oder dem Vollzugsleiter an der Ausgestaltung des Vollzugs und der Erstellung und Umsetzung der erzieherischen Förderprogramme beteiligt wird.
Zweite Facette. Auch Sie möchten laut Ihrem Entwurf die Personensorgeberechtigten einbeziehen. Aber auch dort gibt es Optimierungsmöglichkeiten. Eine Arrestvollzugskonferenz, an der die oder der Jugendliche, Vollzugsleiterin oder Vollzugsleiter, sozialpädagogische Leiterin oder Leiter, Vertreterin oder Vertreter der Jugendgerichtshilfe, aber auch Vertreterin oder Vertreter der Schule und die Personensorgeberechtigten teilnehmen sollen, könnte aus unserer Sicht ganz konkret sicherstellen, dass all jene für die Jugendlichen wichtigen Bezugspersonen im und vor allem nach dem Vollzug des Jugendarrests eine gemeinsame Strategie zur Umsetzung der Ziele des Vollzugs erarbeiten und begleiten. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Nachhaltigkeit des Arrests und damit auch zu den Arrestzielen.
Wir werden in der Anhörung mit Sicherheit noch einmal sehr kritisch nachfragen, ob der von Ihnen vorgesehene Arrestraum, diese sterile Zelle, wirklich ein Erziehungsmittel, insbesondere bei Jugendlichen, sein kann. Aber heute, am späten Nachmittag, erlauben Sie mir zum Abschluss einfach folgenden Hinweis:
Selbst wenn wir ein perfektes Jugendarrestvollzugsgesetz hätten, löst dies das Problem der straffälligen Jugendlichen nicht und auch nicht das Problem der Jugendkriminalität. In vielen Fällen lässt die soziale und wirtschaftliche Lage Jugendliche überhaupt keinen anderen Ausweg mehr erkennen, als sich in ihrem Umfeld kriminell zu behaupten. Dieses Problem müssen wir lösen. Das ist entscheidender, als Gesetzeslücken zu schließen. – Ich bedanke mich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, dass die Hessische Landesregierung erst nach langem
Zögern und Zaudern nun einen Gesetzentwurf für die Regelung des Jugendarrestvollzugs vorgelegt hat. Das ist längst überfällig; denn bereits seit dem Jahr 2006, der Föderalismusreform, haben wir als Land Hessen dafür die Gesetzgebungskompetenz. Bereits im Jahr 2006 hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung ganz deutlich gemacht, dass eine freiheitsentziehende Maßnahme – das ist der Arrest – selbstverständlich einer gesetzlichen Grundlage bedarf – also längst überfällig.
Frau Müller, ich muss mit einer Mär aufräumen. In der Tat geht es nicht nach dem Motto, wer schneller, weiter, größer, besser ist. – Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Aber unseren Gesetzentwurf haben wir in der Tat sehr lange intensiv beraten. Wir haben ihn an NordrheinWestfalen angelehnt, aber da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. Wir haben ihn mit Vollzugspraktikern, Wissenschaftlern und Fachleuten diskutiert. Er ist Gegenstand einer Anhörung gewesen. In der Tat sollten wir uns jetzt nicht darüber streiten, wer hier schneller war, sondern wir sollten fragen: Wer hat die beste Regelung für die Jugendlichen?
Aber eines muss ich doch noch zum Verfahren sagen. Es ist sehr bedauerlich, dass mit Ihnen ein abgestimmtes Verfahren eben nicht möglich gewesen ist. Wir haben unseren Gesetzentwurf zurückgestellt, um aus Effizienzgründen eine gemeinsame Anhörung, ein gemeinsames Gesetzgebungsverfahren durchzuführen. Eine Abstimmung in der Sache war mit Ihnen leider nicht möglich. Aber wir waren nicht so: Wir wollen effizient arbeiten, und deshalb haben wir die Einbringung Ihres Gesetzentwurfs abgewartet.
Meine Damen und Herren, um was geht es hier eigentlich? Wer ist denn Arrestant? – Um diese Frage zu beantworten, werde ich Ihnen kurz die Geschichte von Mirko erzählen. Der Name ist frei erfunden, aber in der Tat gibt es den Arrestanten Mirko. Mirko ist 17 Jahre alt, und in seinem kurzen Leben hat er schon einiges hinter sich gebracht. Mirkos Eltern sind mit dem Jungen schon sehr früh völlig überfordert gewesen. Mirko fängt an, die Schule zu schwänzen, tut dies immer öfter, klaut mit seinen Kumpels zuerst Sachen aus dem Lebensmittelladen. Aber um den Kick zu kriegen, folgen Pkw-Aufbrüche und schließlich ein handfester Raub. Mirko fliegt von der Schule, wird später verwarnt, fängt an zu kiffen und Alkohol zu trinken, und zwar regelmäßig, leistet dann gemeinnützige Arbeit ab. Zahlreiche Jugendhilfemaßnahmen folgen, und dann der Arrest nach dem Motto: „Einsitzen“.
Mirko ist nach außen hin ein cooler Typ, obwohl sein Selbstbewusstsein im Innern ganz schön tief sitzt. Im Arrest aber lernt er den Sozialpädagogen B. kennen. Mirko findet, das ist ein dufter Typ. Im Arrest lernt Mirko deshalb auch mithilfe von B. und anderen Bediensteten des Arrests, dass es besser ist, wenn man sich auch einmal um sich selbst kümmert, und zwar nicht kifft und Alkohol trinkt, sondern morgens rechtzeitig aufsteht, vernünftige Klamotten anzieht, etwas Vernünftiges isst und vor allem auch einer sinnvollen Tagesbeschäftigung nachgeht. Vor allem: Mirko ist in der Schreinerei der Beste. In den vier Wochen Arrest hat Mirko vieles dazugelernt, und nachdem diese Zeit abgelaufen ist, hat er eigentlich Angst, nach
Mirko hat aber über den Sozialpädagogen B. über die Diakonie einen betreuten Wohnplatz bekommen. Auch über das örtliche Jugendamt wird er betreut, und es gibt Frau Schulz, die ehrenamtliche Mitarbeiterin, die Mirko nun als Mentorin an die Hand nimmt.
Mirko hat mittlerweile seinen Hauptschulabschluss gemacht. Er ist in einer Tischlerei beschäftigt, und er ist sogar Vater eines Sohnes, von dem er sagt: Dem soll es besser gehen als mir.
Nun will ich die Geschichte von Mirko auf unser Arrestgesetz übertragen. Was bedeutet das für einen guten Arrest? – Aus unserer Sicht ein ganzheitliches Konzept, das den jugendlichen Arrestanten in den Blick nimmt, ihn pädagogisch fordert und fördert, ihn erzieht, an einen geordneten Tagesablauf heranführt, aber auch Bildungsinhalte vermittelt, also ein ganzheitliches Konzept, das leider in Ihrem Gesetzentwurf so nicht angelegt ist.
Auch der zweite Aspekt – Frau Ministerin, Sie haben es selbst angesprochen –, enge Zusammenarbeit mit Dritten, ist zu wenig. Wir brauchen ein ausdifferenziertes Nachsorgenetzwerk, so wie ich es an dem Fall von Mirko beschrieben habe, das Hand in Hand geht und dem jugendlichen Arrestanten, wenn er wieder in Freiheit ist, wirklich zur Hand geht. Das ist in unserem Gesetzentwurf angelegt mit einer Kontaktstelle zur Jugendhilfe, zu außervollzuglichen Organisationen und Bildungsstätten, Personen und Vereinen, die persönliche und soziale Hilfe leisten. Es ist doch wichtig, dass Jugendliche wie Mirko nach dem Arrest nicht in ein schwarzes Loch fallen
oder gar in alte Verhaltensmuster und Strukturen zurückfallen, die wieder zu Straffälligkeit führen.
Deshalb ist es uns wichtig, dass wir im Ausschuss und in der Anhörung miteinander darum ringen, wie die besten Lösungen für einen guten Arrest sind, den wir regeln müssen. Herr Dr. Wilken, es geht nicht um die Frage des Ob, sondern es geht um die Frage des Wie, weil es eine bundesgesetzliche Vorgabe ist.
Deshalb lassen Sie uns wirklich im Ausschuss und auch in der Anhörung darum ringen: Wie sind die besten Regelungen, damit Menschen wie Mirko eine gute Zukunft haben? – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Hofmann. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Honka für die CDU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz einen Satz voranstellen zu dem, was Herr Dr. Wilken am Ende seiner Rede gesagt hat. Ich muss sagen, es war ein erschreckendes Menschen-, Weltund Gesellschaftsbild, das er hier gezeichnet hat, das man definitiv nur ablehnen kann.
Frau Kollegin Hofmann, jetzt bin ich fast schon perplex über die Erzählkunst, die Sie uns hier dargelegt haben. Ich habe bloß das Gefühl, dass die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, nicht so ganz zu dem Gesetzentwurf passen, den die Hessische Landesregierung hier heute eingebracht hat und den wir gerade in erster Lesung behandeln dürfen. Denn die verpflichtende Einbindung der Jugendbewährungshilfe ist explizit in unserem Gesetzentwurf geregelt. Das steht definitiv in diesem Gesetzentwurf drin, und das ist auch gut und richtig so. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war das vielleicht ein verstecktes Lob, das aber so versteckt war, dass Sie es selbst nicht so ganz bemerkt haben.
Was den Gesetzentwurf der Landesregierung von Ihrem unterscheidet, ist, dass wir das Thema Warnschussarrest definitiv regeln und auch differenziert regeln. Wir können nicht so tun, als gäbe es ihn nicht, auch wenn man ihn nicht haben möchte. Deswegen haben wir eine gesetzliche Regelung, weil wir sie haben müssen, weil wir sie brauchen und weil er eine sinnvolle Maßnahme von vielen ist. Das lehren uns die Gespräche mit den Jugendrichterinnen und Jugendrichtern, aber auch mit dem Personal in der Jugendarrestanstalt in Gelnhausen. Deswegen haben wir dafür eine explizite Regelung aufgenommen.
Aber auch im Bereich des Kurzzeitarrests oder des Wochenendarrests wollen wir verpflichtende Angebote einführen. Ich möchte darstellen, dass auch in dieser kurzen Zeit von zwei oder drei Tagen die Zeit dort sinnvoll verbracht wird. Es geht nicht darum, dass die Jugendlichen einfach nur im Jugendarrest sitzen, sondern dass in dieser Zeit sinnvoll mit ihnen gearbeitet wird, damit der Jugendarrest eine positive Wirkung für sie hat. Dazu gehört für uns auch, dass wir die Teilnahme an Lern- und Bildungsangeboten verpflichtend machen. Es ist nicht so, dass man dann einfach einmal dorthin kommen kann oder auch nicht, oder denkt, das seien zwei Wochen Feriencamp. Nein, es ist eine Sanktion, die ein Richter ausgesprochen hat. Diese Zeit wollen wir sinnvoll mit den Jugendlichen nutzen. Deswegen gibt es dort Teilnahmeverpflichtungen. Auch das halte ich für richtig; denn der bloße Angebotscharakter reicht an dieser Stelle definitiv nicht aus.
Es gibt noch zwei Punkte, in denen sich der Gesetzentwurf der Landesregierung und Ihrer ausdrücklich unterscheiden. Der eine ist die Möglichkeit des freien Einkaufs. Wir wollen nicht, dass quasi dieselbe Atmosphäre herrscht wie draußen, nach dem Motto: „Dann gehe ich mal in den Einkaufsladen und besorge mir das, was ich brauche.“ Nein, es ist eine andere Atmosphäre im Jugendarrest, und die spiegelt sich auch darin wider, dass wir keine Einkaufsmöglichkeit vorsehen.
Und das ist auch gut so. Damit holt man die Jugendlichen vielleicht ein paar Tage, ein paar Wochen aus der Konsumatmosphäre, aus dem Konsumdruck heraus.
Was in meinen Augen aber wesentlich wichtiger und einschneidender ist, das ist die Frage der Absonderung. Ich nehme an, das ist das, was Herr Dr. Wilken mit seinen „weißen Gummizellen“ gemeint hat, oder wie auch immer er sie beschreibt. Wenn wir richtig lesen, was Sie schon vor einigen Monaten hier eingebracht haben, dann ist es nach Ihren Vorstellungen möglich, meine Damen und Herren von der SPD, die Arrestierten bis zu 72 Stunden von anderen Jugendlichen abzusondern. Bis zu 72 Stunden – das muss man sich vorstellen, das sind umgerechnet drei Tage, drei volle Tage. Wenn man jetzt den Gesetzentwurf danebenlegt, den die Landesregierung hier vorgelegt hat, dann sieht man, dass wir dort eine viel abgestimmtere Lösung haben, weil dort nur 24 Stunden bzw. maximal zwei mal 24 Stunden im Angebot sind. Wenn Sie berücksichtigen, Sie würden mit Ihren 72 Stunden einen Arrestierten härter behandeln wollen als einen im Jugendstrafvollzug, dann geht das an der Stelle exorbitant genau in die falsche Richtung. Das geht weit über das Ziel hinaus, das man erreichen möchte.
Wenn ich in Ihrer Pressemitteilung, die Sie eben noch vor der Rede abgesetzt haben, lese, was alles fehlen würde – vom individuellen Förderplan bis zu Lern-, Bildungsangeboten –, dann empfehle ich Ihnen, § 4 unseres Gesetzentwurfs zu lesen. Lesen Sie doch einfach noch einmal unseren Gesetzentwurf, dann sehen Sie, dass der Gesetzentwurf so, wie er dem Symposium vorgelegt worden ist, gut war.
Einen Punkt – deswegen habe ich das Stichwort Symposium genannt – haben wir aus diesem Symposium in den Gesetzentwurf aufgenommen, und zwar eine stellvertretende Leitung, eine Fachleitung für die erzieherische Ausgestaltung, sodass wir dort nicht nur den Vollzug haben, sondern auch in der Leitung eine zweite Person für den Bereich der Erziehung und Bildung. Ich glaube, das ist das Richtige, was wir dort machen müssen. Wir müssen den Jugendlichen konsequent begegnen, weil wir dann eine Chance haben, in der Zeit dort intensiv mit ihnen zu arbeiten.
Von daher freue ich mich ganz entspannt auf die Beratungen im Ausschuss und auf die Anhörung, weil sie zeigen werden, dass der vorgelegte Gesetzentwurf ein guter Kompromiss für alle ist und die Welt in Schwarz-Grün schön aussehen kann. – Vielen Dank.