Protokoll der Sitzung vom 26.11.2014

Die Ingenieurkammer sagt:

Generell steht die Förderung des Mittelstands mit der Neuregelung nicht mehr im Fokus … Es ist zu besorgen, dass sich noch weniger mittelständische Unternehmen um öffentliche Aufträge bemühen werden.

Die VhU sagt:

Die geplante Überfrachtung des Vergabeverfahrens mit sachfremden sozialen und ökologischen Anforderungen bringt das Kernziel des Vergaberechts in Gefahr.

Die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern Hessen sagt:

Insgesamt befürchten wir daher, dass sich viele dieser Unternehmen an Ausschreibungen erst gar nicht beteiligen werden.

(René Rock (FDP): Hört, hört! – Janine Wissler (DIE LINKE): Die Erfahrung gibt es in keinem anderen Bundesland!)

Die Auftragsberatungsstelle der IHK sagt:

Die Förderung des Mittelstands steht mit der Neuregelung des HVTG nicht mehr im Fokus.

Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen noch mehr Zitate nennen. All das bestätigt die FDP-Faktion in ihrer

Auffassung, dass das gültige Mittelstands- und Vergabegesetz die bessere Alternative ist.

Wenn es Ihnen nur darum gegangen wäre, den ÖPNV hineinzunehmen, hätten wir sicherlich mit uns reden lassen. Aber Sie haben im Hinblick auf den Koalitionspartner dieses Vergabegesetz bürokratisch so überfrachtet, dass es mittlerweile mittelstandsfeindlich wirkt. Dazu werden Sie niemals unsere Zustimmung erwarten dürfen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Als Nächster spricht Kollege Dr. Arnold von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Dr. Arnold, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose hat sehr ausführlich vorgetragen, welche Änderungen wir nach einer sehr guten Anhörung im September für notwendig erachtet haben, sodass ich mich mehr darauf konzentrieren möchte, hier zu der einen oder anderen Bemerkung der Vorredner Stellung zu nehmen.

Ich glaube, durch die verschiedenen Stellungnahmen ist klar geworden, wie viele unterschiedliche Betrachtungen bei einem solchen Vergabe- und Tariftreuegesetz zu berücksichtigen sind. Wir haben jetzt ein gutes Jahr harter Arbeit für diesen Fraktionsentwurf eines Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes hinter uns, und ich möchte einmal allen Kolleginnen und Kollegen beider Regierungsfraktionen, die den Mut nicht verloren haben, dafür danken, dass wir noch ein gutes Werk zustande bekommen haben: herzlichen Dank.

Wir können wirklich sagen: Wir haben ein schlankes, ein unbürokratisches – Herr Kollege Lenders –, ein wirtschaftsfreundliches und vor allem mittelstandsfreundliches Vergabegesetz zustande bekommen, das wir heute hier vorlegen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass nach den Koalitionsvereinbarungen zwischen den beiden Fraktionen der Union und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nach dieser sehr heftigen Diskussion, die Ende des Jahres 2012 bis Anfang 2013 auf der Grundlage von unterschiedlichen Vorlagen verschiedener Vergabegesetze stattgefunden hat, jedem klar war, dass wir uns dieser Gesetzeslage noch einmal zuwenden.

Ich möchte das unterstreichen und dem beipflichten, was Kollege Klose gesagt hat: Dieses Gesetz ist eine Balance zwischen verschiedenen wichtigen Auffassungen darüber, wie das Vergabegeschehen in Hessen zu betrachten ist. Wir, die Fraktion der CDU, haben uns davon überzeugen lassen, dass wir in diesem Gesetz mehr als bisher die Grundzüge der Nachhaltigkeit einbringen – aber so, dass jedem klar ist: Er kann sie umsetzen, aber er muss es nicht. Kollege Klose hat auch die entsprechenden europäischen Richtlinien zitiert. Dort heißt es, solche sozialen oder umweltbezogenen Forderungen können vorgesehen werden.

Wir haben formuliert, den Vergabestellen sei es freigestellt. Aber wir haben es in gemeinsamer Überzeugung,

dass diese Dinge an der einen oder anderen Stelle richtig sind, hineingeschrieben. Wir haben auf der anderen Seite aber auch die hohen Vergabefreigrenzen, die wir seit einigen Jahren bei der freihändigen Vergabe und bei der beschränkten Ausschreibung erfolgreich umsetzen,

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

unverändert in das Gesetz aufgenommen. Das, Herr Kollege Lenders, ist mit Sicherheit – dafür gibt es zahlreiche Beispiele – wirtschaftsfreundlich und mittelstandsfreundlich.

Frau Kollegin Barth, Sie haben gesagt, diese Vergabegrenzen seien viel zu hoch, und Sie hätten die Sorge, dass Korruption auftritt. Ich darf daran erinnern, es gab in den Jahren 2009 und 2010 durch das hessische Konjunkturprogramm, durch das Konjunkturprogramm des Bundes und durch Eigenleistungen der Kommunen insgesamt über 3,3 Milliarden € an Investitionen in ganz unterschiedlichen Bereichen in Hessen: in Schulen, in Straßen und in Einrichtungen. Das Finanzministerium hat sehr genau und klar gesagt: Wir werden darauf schauen, ob es die Möglichkeit von Korruption oder von Missbrauch dieser hohen Freigrenzen gibt. Der Finanzminister hat hier mehrfach deutlich vorgetragen, dass es überhaupt keine Anzeichen dafür gibt.

(Zuruf der Abg. Elke Barth (SPD))

Ich bin froh darüber – meine Kollegen aus der CDU-Fraktion haben das intensiv unterstützt, und die Freunde von der Fraktion der GRÜNEN haben es mitgetragen –, dass wir mit diesen Freigrenzen auch eine Wirtschaftsförderung machen, bei der regionale und örtliche Firmen vergaberechtskonform zu Angeboten aufgefordert werden und bei der die zuständigen Vergabestellen dafür sorgen, dass diese Aufträge vor Ort vergeben werden können. Das ist elementare Wirtschaftsförderung, und auch das wollen wir mit diesem Vergabe- und Tariftreuegesetz gewährleisten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Bemerkung zu den ILO-Kernarbeitsnormen. Frau Kollegin Wissler, ich glaube, es steht fest, dass niemand hier möchte, dass Produkte eingesetzt werden, die durch Kinderarbeit entstehen oder bei denen es zu anderen Auswirkungen kommt, die wir alle nicht wollen: ungleiche Bezahlung, Zwangsarbeit, oder was auch immer Sie genannt haben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann sollten wir es festlegen!)

Wir sind froh darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland diesen Verträgen beigetreten ist. Es ist geltende Rechtsmeinung – ich kann Ihnen die Quellen gern geben –, dass damit diese ILO-Kernarbeitsnormen den Charakter eines einfachen Bundesgesetzes haben. Sie sind einzuhalten. Wir haben übereinstimmend gesagt, wir schreiben sie nicht in ein hessisches Vergabegesetz, weil die Überprüfung für den jeweiligen Anbieter einfach nicht möglich ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber andere Länder haben es reingeschrieben!)

Er ist überfordert, und das ist z. B. einer der Gründe, warum in Nordrhein-Westfalen kleine Firmen nicht mehr anbieten: weil sie die Fülle dieser Anforderungen einfach nicht tragen können. Deswegen haben wir es draußen ge

lassen. Aber das heißt nicht, dass wir sie nicht für richtig halten.

(Beifall der Abg. Judith Lannert (CDU))

Zu den Grundsätzen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf haben: gerade diese voluminöse Prüfbehörde, die sowohl im Gesetzentwurf der LINKEN als auch in dem der SPD vorgesehen ist. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir mit dem, was wir dort an möglichen Kontrollen von Aufträgen hineingeschrieben haben, mehr als genügend Grundlagen dafür haben, dass, wenn eine Vergabestelle zu Recht den Verdacht hat, dass die Vorgaben des Gesetzes nicht eingehalten werden, entsprechende Prüfungen gemacht werden können. Die Sanktionen hat Kollege Klose vorgetragen.

Ich glaube, niemand wird riskieren, dass er von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird. Wir denken, diese Dinge werden laufen; und da wir im Gesetz vorgesehen haben, das Ganze nach drei Jahren zu überprüfen, werden wir uns davon ein Bild machen.

Ich möchte, um das deutlich zu machen, die vier wichtigsten Punkte dieses Gesetzentwurfs und natürlich auch die kleine Änderung, die wir heute eingebracht haben, noch einmal zusammenfassen. Dort wird, wie in dem Gesetzentwurf, neben dem Begriff „Gewerk“ auch noch der Begriff „Fachlos“ hinzugefügt. Ich habe eigentlich geglaubt, dass es genügen würde, das heute mündlich vorzutragen. Aber wir können in der dritten Lesung gern noch einmal darüber reden.

Jetzt zu den grundsätzlichen, wichtigen Punkten in diesem Entwurf für ein Vergabegesetz: Wir haben die Forderung nach Tariftreue und Mindestlohn jetzt in allen Beschaffungsbereichen, auch im ÖPNV, umgesetzt. Ich denke, dass diese Regelung klar ist und dass sie auch dafür sorgen wird, dass das entsprechend umgesetzt wird. Wir haben die grundsätzliche Forderung nach einer nachhaltigen Beschaffung – die Art und Weise, wie die Beschaffungsstellen bei der Auftragsvergabe vorgehen sollen: Forderungen in sozialer, ökologischer, umweltbezogener und innovativer Hinsicht zu stellen – im Gesetzentwurf verankert, und den Vergabestellen steht es frei, davon Gebrauch zu machen.

Die zentrale Forderung dieses Gesetzentwurfs ist aber in § 17 Abs. 1 festgeschrieben. Ich möchte wörtlich daraus zitieren. Frau Wissler, ich bitte Sie, genau zuzuhören; denn Sie haben immer gesagt, das billigste Angebot sei das entscheidende.

(René Rock (FDP): Nein, das günstigste Angebot!)

Das ist gerade nicht so. In § 17 steht:

Der Zuschlag darf nur auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Der niedrigste Preis allein ist nicht entscheidend.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Umstände! Das ist das Entscheidende!)

Das ist die klare Forderung in dem Gesetzentwurf. Diese Beurteilung der Wirtschaftlichkeit, also die Berücksichtigung von Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, Lebenszyklus, Rentabilität, Qualität und Nutzeranforderungen, ist das, was wir bei den Angeboten haben wollen.

Meine Damen und Herren, es ist in Hessen hoffentlich der Startschuss für einen gewollten Paradigmenwechsel bei der Beschaffung in allen Bereichen, sowohl bei den Kommu

nen als auch im Land. Die Vergabestellen haben jetzt die gesetzliche Grundlage, ihre Beschaffung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmen.

Vierter Punkt. Die in § 15 festgelegten Vergabefreigrenzen für beschränkte Ausschreibungen – 1 Million € – und für die freihändige Vergabe – 100.000 € – sind ein Instrument einer erfolgreichen Wirtschaftsförderung. Die entsprechenden Stellen – Bürgermeister und Landräte – können dann dafür sorgen, dass sie ihre fünf Angebote von Firmen in örtlicher oder auch regionaler Nähe bekommen, und damit diejenigen unterstützen, die Steuern zahlen, Arbeitsplätze bereitstellen und so die Wirtschaft immer wieder ankurbeln.

Ich möchte zum Abschluss sagen, dass es nicht einfach war. Wir hatten in der Anhörung viele gute Beiträge. Von verschiedenen Seiten wurde uns gut zugearbeitet. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Wir können das eine oder andere noch in der nächsten Ausschusssitzung besprechen.

Aber ich sage hier für meine Fraktion schon einmal sehr deutlich: Wir haben damit ein Vergabe- und Tariftreuegesetz, das gut ist und die Wirtschaft unterstützt, das aber auch dafür sorgt, dass Transparenz sowie eine faire und gesetzestreue Vergabe ermöglicht werden. Ich bin sehr froh darüber, dass dies gelungen ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)