Protokoll der Sitzung vom 27.11.2014

(Manfred Pentz (CDU): Das wollt ihr doch nicht hören!)

Von mir wird niemand viel davon gehört haben, was die CDU in anderen Ländern tut. Das ist nicht mein Argumentationsstil. Das können Sie nachprüfen.

Herr Staatssekretär, wenn wir schon dabei sind: Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass in einer Reihe der Länder, von denen Sie gesprochen haben, die GRÜNEN mitregieren. Sie haben unter anderem Rheinland-Pfalz genannt. Wer ist Integrationsministerin in Rheinland-Pfalz? Das ist eine Kollegin von den GRÜNEN. So viel dazu. Wenn man mit dem Finger auf andere deutet, dann deuten, frei nach Gustav Heinemann, vier Finger auf einen selbst zurück. Also: Vorsicht an dieser Stelle. Wir sollten das in den Landtagen tunlichst lassen.

(Beifall bei der SPD)

Weil Sie gesagt haben, wir sollten zusammenarbeiten: Ich biete diese Zusammenarbeit ausdrücklich an; die hat auch der Kollege Di Benedetto angeboten.

Wir haben auch nicht behauptet, dass bei der Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Landes gar nichts geschehe. Wir haben nur gesagt, angesichts der allgegenwärtigen und massenhaften Diskriminierung von Menschen aus den unterschiedlichsten „Gründen“ – hier setze auch ich Anführungszeichen – sind drei Stellen auf der Landesebene kläglich unangemessen. Das ist der Punkt, Herr Minister.

Es ist meiner festen Überzeugung nach auch der falsche Ansatz. Frau Kollegin Arnoldt hat von „substanzloser Kritik“ geredet; Herr Kollege Klose hat nach unseren Vorschlägen gefragt. Frau Kollegin Arnoldt, es gab schon Antidiskriminierungsdebatten in diesem Landtag, als Sie ihm noch nicht angehört haben. Wir haben drei Jahre lang auch in der Enquetekommission Vorschläge entwickelt. Darauf ist schon hingewiesen worden.

Unser Vorschlag wäre substanziell ein anderer, nämlich bei den Kommunen anzusetzen. Der konzeptionelle Ansatzpunkt wäre das „WIR“-Programm, das wir begrüßen, das der einzige substanzielle integrationspolitische Punkt ist, der richtig mit Geld unterlegt ist. Dieses Programm durch ein auf die Kommunen gestütztes Programm von Antidiskriminierungsstellen zu arrondieren – dort hätte man die Verknüpfung mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die es in der Tat gibt, dank oder trotz der Landesregierungen der letzten Jahre –, das wäre ein Ansatz gewesen, wie man es hätte machen können. Darüber biete ich den Dialog sehr gerne an.

Das, was Sie jetzt machen, ist zwar nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein – lassen Sie es drei Tropfen sein –; aber was alles noch zu tun ist, das erfährt man, wenn man mit den Betroffenen spricht. Wir haben z. B. gestern – das ist eines von vielen Gesprächen gewesen – mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schwulen- und Lesbenbewegung gesprochen, die mit Ihrem Ansatz ebenfalls unzufrieden sind. Das, was noch zu tun ist, erfahren Sie z. B. auch, wenn Sie heute in der „Gießener Allgemeinen“ etwas über eine Untersuchung zur Diskriminierung im Wissenschaftsbereich lesen – eine wissenschaftliche Untersuchung, die die TH Mittelhessen durchgeführt hat, deren Kulminationspunkt ist, dass wir Anlauf- und Beratungsstellen auch im Wissenschaftsbereich brauchen.

Damit komme ich zum Schluss noch einmal zu unserer Forderung nach einer Änderung des Antidiskriminierungsgesetzes des Landes, weil in der Gesetzgebung noch empfindliche Lücken in den Bereichen Bildung und Hochschulen klaffen. Sie zeigen keine Bereitschaft, hierzu einen Vorschlag zu machen. Ich biete unsere Mitarbeit auch an diesem Punkt ausdrücklich an.

Damit haben Sie – in Ansätzen – das Konzept der Sozialdemokratischen Partei, wie in unseren Augen eine Antidiskriminierungspolitik aussähe.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Merz. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle, Drucks. 19/1119. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um ein Zeichen. – Das sind die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der übrigen Fraktionen ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes und treten in die vereinbarte Mittagspause von einer Stunde ein. Die Sitzung wird um 14:30 Uhr fortgesetzt.

(Unterbrechung von 13:27 bis 14:32 Uhr)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Ich möchte mit der Sitzung fortfahren.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 47 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Anhörung zum Thema Chancen und Risiken einer Entkriminalisierung in der Drogenpolitik – Drucks. 19/1086 –

Er wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 82:

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Anhörung zur zukünftigen Ausrichtung der Drogenpolitik – Drucks. 19/1166 –

und mit Tagesordnungspunkt 88 aufgerufen:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Alkoholund Suchtprävention stärken – Drucks.

19/1177 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Ich rufe als Erste Frau Kollegin Schott von der Fraktion DIE LINKE auf. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! DIE LINKE fordert den Landtag auf, im kommenden Frühjahr eine An

hörung zum Thema „Chancen und Risiken einer Entkriminalisierung von Drogen“ durchzuführen. Wir wollen dieses aktuelle Thema mit Experten sachlich diskutieren und schlauer werden. Das wäre dringend notwendig – nicht nur, weil das Thema im Landtag seit vielen Jahren nicht behandelt wurde, sondern auch deshalb, weil es nach Ansicht vieler Experten ganz dringenden Handlungsbedarf gibt. Die Drogenpolitik steckt in einer Sackgasse – zumal in Deutschland. Das ist fatal. Es schadet Hunderttausenden Menschen, und zwar nicht nur Konsumierenden.

Wir müssen dringend über notwendige Reformen diskutieren, mit denen viele andere Länder längst Erfahrung machen. Auch Frankfurt möchte nun einen Modellversuch starten. Angesichts dessen müsste sich auch der Landtag endlich damit befassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, auch Frau Heilig sollte zu uns kommen. Sie sollte ihre Absichten schildern, und wir sollten sie diskutieren. Ein Schwerpunkt muss dabei sein, was auf Landesebene getan werden kann. Es ist nämlich nicht so, dass alles im BtMG abschließend geregelt ist. Selbstverständlich würden wir den gesellschaftlichen Diskurs mit einer solchen Anhörung beeinflussen.

In Frankfurt wird sachlich diskutiert. Genauso sachlich sagen wir: Wir beantragen im Landtag nicht, schnellstmöglich und unkontrolliert Drogen freizugeben. Das geht gar nicht und ist dumme Stimmungsmache. Vielmehr müssen wir Bedenken und Risiken ernst nehmen. Deshalb soll es in der Anhörung auch um die Risiken einer Entkriminalisierung gehen. Natürlich gibt es die, und natürlich müssen wir uns damit befassen.

Besonders für Eltern ist das ein emotionales Thema. Das wissen viele von uns aus eigener Erfahrung. Das Problem ist aber: Die jetzige Drogenpolitik ist irrational und versagt weitgehend.

(Beifall bei der LINKEN)

In Ländern, die entkriminalisiert haben, gibt es ähnliche Nutzerzahlen wie bei uns. Prohibition hat keinen nachweislichen Effekt auf die Menge der Konsumenten. Länder ohne Prohibition haben aber Einfluss auf die Produkte. Sie haben Einfluss auf die Konsumierenden und bieten bessere Aufklärung, Prävention und Hilfe. Sie trocknen den Schwarzmarkt aus und lassen die medizinische Nutzung für Kranke dort zu, wo sie Kranken hilft, statt diese Menschen zu kriminalisieren.

Weltweit setzen immer mehr Länder auf diesen Ansatz. Sie setzen auf Marktkontrolle dieses milliardenschweren Marktes, den es de facto gibt. Sie setzen auf Aufklärung und Angebote für Konsumierende, die es de facto hunderttausendfach gibt. Weil die Entkriminalisierung in immer mehr Ländern und Organisationen – bis hinauf in die UNO – inzwischen als besserer Ansatz diskutiert oder sogar längst umgesetzt wird, sollten auch wir uns fragen: Erreichen vielleicht nicht auch wir durch Entkriminalisierung einen besseren Jugendschutz, bessere Prävention und einen besseren Umgang mit Drogen?

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Experten, viele Verantwortliche und viele Länder sagen eindeutig: Ja. – Wir haben in unserem Antrag einige der Befürworter einer anderen Drogenpolitik genannt. Darunter ist z. B. der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi An

nan, der gemeinsam mit Vertretern der EU, der USA, Brasiliens, Griechenlands, Mexikos usw. eindringlich ein Ende der Kriminalisierung einfordert. Sie fordern, dass „im Sinne der Menschlichkeit im Kampf gegen Rauschgift die Gesundheit statt der Strafverfolgung im Mittelpunkt steht“.

Zu nennen sind außerdem die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren in Deutschland, die sich an den Bundestag gewandt haben, um etwas an der widersinnigen Rechtslage zu ändern, die horrenden Kosten bei der Strafverfolgung in Mittel für Präventions- und Suchtberatungsprogramme umzuwidmen und die Kriminalisierung weiter Teile der Bevölkerung zu beenden.

Zu benennen wären auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, und der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt. Er stellt die naheliegende Frage, warum Tausende Polizisten für eine völlig sinnlose Strafverfolgung eingesetzt werden – bei der nahezu alle Verfahren ohnehin eingestellt werden –, statt das Geld für Prävention zu nutzen, wo es dringend gebraucht würde. Man muss sich erst recht vorstellen, was ca. 150.000 Cannabisverfahren in Deutschland pro Jahr für die Konsumenten bedeuten. Herr Böllinger als Initiator der Resolution der Strafrechtsprofessoren sagt: Diese Menschen haben niemandem geschadet, außer vielleicht sich selbst.

Dabei ist das Schädlichste am Joint nicht einmal das „Gras“, sondern der Tabak. Tabak ist aber für Menschen ab 16 Jahren legal. An Cannabis stirbt niemand; es ist nämlich nicht giftig. Aber wegen Cannabis wird im ganzen Land ein irrsinniger Verbotsaufwand betrieben. Damit Sie mir das nicht vorwerfen: Auch Cannabis kann Menschen erheblich schaden, kann zu Missbrauch und Absturz führen.

(Zurufe von der CDU: Aha! – Allgemeine Unruhe)

Herr Böllinger und andere weisen aber völlig zu Recht auf den rational nicht erklärbaren Umgang mit Alkohol und Tabak einerseits und Cannabis andererseits hin. – Ihr „Aha“ war eindeutig: Es ist völlig legal, wenn sich Menschen mit Alkohol sukzessive umbringen. Da haben wir Hilfsprogramme, ansonsten halten wir es aber für eine freie Willensentscheidung. Der Cannabiskonsum hingegen ist strafbar. – Das ist angesichts der Anzahl der Toten aufgrund der Folgen des Alkoholmissbrauchs, aufgrund der Auswirkungen des Tabakrauchens und angesichts des Schadens, den Alkohol und Tabak insgesamt anrichten, nicht zu begründen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Joachim Veyhelmann (CDU))

Meistens werden die Verfahren gegen die Cannabis-User eingestellt. Das frustriert Polizei und Justiz und kostet Unmengen an Zeit und Geld. Aber noch schlimmer ist es, wenn Cannabis-User an den falschen Richter geraten und das Verfahren nicht eingestellt wird. Für einen Joint können sie den Führerschein verlieren, ohne überhaupt gefahren zu sein.

Um es hier noch einmal deutlich zu sagen: Fahren unter Drogeneinfluss, egal um welche Droge es sich handelt, geht nicht. Aber nur weil ich einen Kasten Bier im Keller stehen habe, bin ich noch lange keine Gefahr für den Straßenverkehr. Solange ich nicht trinke, während ich fahre oder bevor ich gefahren bin, bin ich keine Gefahr. Ich glaube, diesen Unterschied begreifen Sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sind diese Willkür und diese Irrationalität, die dafür sorgen, dass Cannabis trotz seiner wichtigen Bedeutung in der Medizin bis heute nicht angemessen für die Behandlung von Kranken genutzt wird. Sprechen Sie einmal mit Menschen, die eine Chemotherapie machen müssen und sich unentwegt erbrechen: Die leiden tagelang. Diese Menschen können völlig von ihrem Leiden befreit werden – das ist medizinisch nachgewiesen –, wenn sie Cannabisprodukte zu sich nehmen. Aber Sie stellen sich stur und verhindern, dass diesem Leiden ein Ende gesetzt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dort, wo man es nicht verbietet, kann man die medizinische Wirkung nutzen. Man kann den Markt kontrollieren. Man kann Verbraucher beraten, Jugendliche erreichen und, wie es der Staat bei Wein und Tabak zur Genüge macht, sogar Steuern erheben, statt sinnlos Steuergelder zu verpulvern.

Immer mehr Staaten gehen deshalb den Weg staatlicher Kontrolle statt staatlicher Verbote. Die Liste dieser Länder ist inzwischen lang, und sie wächst stetig. Zu nennen sind die Niederlande, Portugal, Tschechien, Belgien, Spanien, Schweiz, Uruguay, Chile, Israel, Bolivien und über 20 Bundesstaaten in den USA, in denen Cannabis oder Opiate zum medizinischen, kommerziellen oder privaten Gebrauch angekauft, besessen oder konsumiert werden dürfen.