Protokoll der Sitzung vom 27.11.2014

Ich rufe Tagesordnungspunkt 84 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend sofortige Rücknahme der Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen (Bedarfsgewerbeverordnung) vom 12. Oktober 2011 (GVBl. I, Seite 664) – Drucks. 19/1171 –

(Fortgesetzte Unruhe)

Ich darf bitten, auch hinter den Sitzplätzen Ruhe zu halten. Ich mache erst weiter, wenn Ruhe ist.

Ich rufe dazu Tagesordnungspunkt 86 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Urteil des Bundesverwaltungsgerichts begrenzt Sonntagsarbeit – herbe Niederlage für die Landesregierung – Drucks. 19/1173 –

Es ist beschlossen, dass wir fünf Minuten Redezeit pro Fraktion haben. Es beginnt Herr Kollege Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, am gestrigen Nachmittag hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein weitreichendes Urteil zur Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung gefällt. Es ist sehr erfreulich, dass das Bundesverwaltungsgericht darin der seit Jahren betriebenen Ausweitung der Sonntagsarbeit in Hessen weitestgehend einen Riegel vorgeschoben hat. Das ist eine schwere Niederlage für Sozialminister Stefan Grüttner und für die CDU.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vizepräsi- dent Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Der Gewerkschaft ver.di und den Kirchen ist es zu verdanken, dass nun der ausufernden Sonntagsarbeit in Hessen sehr enge Grenzen gesetzt sind. Dieses Urteil ist von bundespolitischer Bedeutung; denn in anderen Bundesländern gibt es auch entsprechende Verordnungen, die allerdings in keinem einzigen Bundesland so weitreichend sind wie in Hessen.

Deshalb stimmt es auch nicht, wenn Herr Staatssekretär Dippel darauf verweist, dass Hessen sich bewusst an den in anderen Ländern geltenden Regelungen orientiert habe. Das klingt sehr nach Verharmlosung der eigenen Initiative und nach Herunterspielen der großen juristischen Niederlage.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Günter Ru- dolph (SPD): Ei, ei, ei! – Timon Gremmels (SPD): Er war damals noch nicht dabei!)

Genau, ich sage es ihm jetzt. – Herr Staatssekretär, wer die Diskussion von 2011 noch in Erinnerung hat, der weiß, dass schon seinerzeit von uns darauf hingewiesen wurde, dass die hessischen Regelungen weit über die anderer Bundesländer hinausgehen. Bibliotheken wurden z. B. in keinem anderen Bundesland einbezogen. Die Einbeziehung des gesamten Versandhandels konnte erst nach erheblichen Protesten, auch aus den eigenen Reihen der CDU, verhindert werden.

Schon vor Verabschiedung der Verordnung hatten wir, gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di, auf ihre Rechtswidrigkeit eindringlich hingewiesen. Die von der Landesregierung 2011 erlassene Bedarfsgewerbeverordnung war von Anbeginn an juristisch mit heißer Nadel gestrickt. Das hat nun gestern auch das Bundesverwaltungsgericht so gesehen.

Ich will daran erinnern, dass der seinerzeitige CDU-Abgeordnete Burkhardt die pauschalen Genehmigungen der Sonntagsarbeit – in der Debatte am 25.08.2011 habe ich ihn schon einmal zitiert – wie folgt begründete:

Wir müssen aufpassen, dass wir in Hessen keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Bundesländern bekommen. Daher ist die neue Bedarfsgewerbeverordnung zwingend notwendig, um hier Rechtsklarheit zu schaffen.

Es ging der ehemaligen CDU/FDP-Koalition seinerzeit also um Wettbewerb und nicht um den in der Verfassung verankerten Sonntagsschutz. Dabei ignorierten Sie sogar ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2009, worin klar festgestellt wurde, Sonn- und Feiertage seien als Tage der Arbeitsruhe aus religiösen Gründen, aber auch zur persönlichen Erholung der Arbeitnehmerin

nen und Arbeitnehmer und ihrer Teilhabe am sozialen Leben geschützt.

Selbst in Ihren eigenen Reihen stießen seinerzeit die Pläne auf Kritik. So erinnere ich mich noch gut daran, wie der seinerzeitige Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse in Hessen, Herr Zimmer, mahnte, Sonn- und Feiertage dienten der seelischen Erhebung des Menschen, nicht dem Handel oder dem Kommerz. Man müsse die Zahl der Ausnahmen eher reduzieren als ausweiten. – Da hat er in der Tat recht.

Mit Ihrem ungestümen, beratungsresistenten Vorpreschen 2011 haben Sie sich aber einen Bärendienst erwiesen; denn die klaren Grenzen, die das Bundesverwaltungsgericht gestern gezogen hat, müssen Sie zukünftig bei jeder einzelnen Genehmigung von Sonntagsarbeit zwingend beachten.

Dieses Urteil ist ein Meilenstein für den Sonntagsschutz. Wir danken der Gewerkschaft ver.di, wir danken den Kirchen, und wir danken der Allianz für einen freien Sonntag für diesen großartigen Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Das Wort hat Herr Abg. Decker, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Geraume Zeit stand die Landesregierung mit ihrer neuen Bedarfsgewerbeordnung schon am Abgrund, und seit gestern Abend ist sie einen Schritt weiter. Das können wir heute feststellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LIN- KEN)

Man könnte sagen: Hätte sie auf uns gehört, wäre ihr das nicht passiert.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Man könnte auch sagen: Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern so viel Gerechtigkeit widerfährt, dann ist das heute schon eine dringliche Debatte wert. – Auf jeden Fall muss man aber sagen: Gestern war ein guter Tag für den Arbeitnehmerschutz.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, bereits seit 2011 haben wir im Schulterschluss mit den Gewerkschaften und den Kirchen die Landesregierung vor dem allzu laxen Umgang mit der Bedarfsgewerbeverordnung eindringlich gewarnt. Wir haben sie davor gewarnt, die Sonntagsarbeit mit allzu vielen Ausnahmen ohne Not so erheblich auszuweiten. Aber Sie wollten nicht auf uns hören, und dafür haben Sie gestern in Leipzig die Quittung erhalten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Egal, was jetzt die nachfolgenden Redner der Koalitionsfraktionen sagen mögen oder vielleicht auch beschönigen wollen: Beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel haben Sie schon erhebliche Schrammen abbekommen, und gestern in Leipzig war es ohne Zweifel eine herbe Niederlage für Sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, „schallende Ohrfeige“ durfte ich jetzt nicht sagen. Das hat mir mein Arbeitskreisvorsitzender verboten. Er meint, davon hätte es in der letzten Zeit schon genug für die Landesregierung gegeben. Deshalb reden wir heute von einer herben Niederlage.

(Manfred Pentz (CDU): Ei, ei, ei!)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen die gestrige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts außerordentlich; denn sie schiebt der immer mehr ausufernden Sonntagsarbeit endlich einen Riegel vor. Mit der Bestätigung zentraler Teile des VGH-Urteils werden der Sonntagsarbeit seit gestern endlich Grenzen gesetzt, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung wollte mit ihrer Bedarfsgewerbeverordnung von 2011 offensichtlich genau das Gegenteil erreichen und ist damit erheblich über das Ziel hinausgeschossen. Das funktioniert jetzt nicht mehr. Die Verordnung ist in wesentlichen Teilen nunmehr nichtig. Auch das ist gut so.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Man kann dem Bundesverwaltungsgericht nur beipflichten, wenn es in seiner Begründung unter anderem feststellt, dass DVDs, Computerspiele oder Bücher für die Sonn- und Feiertage vorausschauend auch schon an Werktagen ausgeliehen oder bestellt werden können.

Genau so ist es. So, wie für Kirche und Gewerkschaft, hat der Sonntag auch für die SPD große Bedeutung als Zeit des physischen und mentalen Kräftesammelns. Und er dient der Familie und der Pflege sozialer Beziehungen. All dem sind wir gestern Abend wieder ein gutes Stück näher gekommen. Meine Damen und Herren, deswegen sagen wir an der Stelle: Gott sei Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir erwarten jetzt von der Landesregierung, dass ihrer Ankündigung auch wirklich Taten folgen und schnellstmöglich die Entscheidung umgesetzt wird. Wir haben dazu schon einige ausführende Worte von Herrn Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel, der wirklich nichts dafür kann, was damals vorgelegt worden ist, in der Presse wahrgenommen.

(Marius Weiß (SPD): Mitgefangen! – Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zum Schluss. Denken Sie daran, am Sonntag ist erster Advent, und in neun Tagen ist Nikolaus. Wenn Sie noch etwas brauchen, haben Sie noch zwei Arbeitstage respektive acht Arbeitstage Zeit, etwas auszuleihen oder zu bestellen. Das Schönste dabei ist, wenn Sie bestellen und geliefert bekommen möchten: Ab 01.01.2015 wird es Ihnen sogar in jedem Fall für 8,50 € geliefert. Auch das ist ein Fortschritt aus unserer Sicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Noch besser wäre es aber – meine Damen und Herren, das sage ich einmal in Ihre Richtung –, einfach runter vom Sofa und vielleicht einmal zum Buchhändler oder Musikalienhändler um die Ecke gehen; der würde sich freuen.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Sinn wünscht Ihnen die SPD-Fraktion einen schönen ersten Advent und einen geruhsamen Sonntag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vielen Dank, Kollege Decker. – Das Wort hat der Abg. Boddenberg, Fraktionsvorsitzender der CDU.