Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Ich habe hier kein Urteil über Frau Puttrich gefällt. Ich habe gesagt, wir werden uns das im Fortgang genau ansehen. Ich habe nicht gesagt, sie sei als Ministerin nicht haltbar. Vielmehr habe ich gesagt, dass es einen Fehler gegeben hat, den man bewerten muss. Aber die entscheidende Frage wird sein – die wird natürlich kommen –, ob wir Schadenersatz leisten müssen. Das wird die Bewertung natürlich nachhaltig beeinflussen. Ich denke, das ist für jeden in diesem Haus so.

Sie versuchen hier, meiner Fraktion etwas zu unterstellen. Das hat nichts mit einem neuen Stil im Landtag zu tun, sondern das ist der alte Wagner, wie wir ihn hier kennen – nur in einem anderen Mantel. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Priska Hinz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe als jetzt zuständige Ministerin in den letzten Tagen versucht, größtmögliche Transparenz in Bezug auf den Verwaltungsvorgang zur vorläufigen Stilllegung von Biblis A und B herzustellen. Ich habe die Unterlagen zum Verwaltungsvorgang und auch die E-Mails, die nicht zu einem Verwaltungsvorgang gehören – um das hier deutlich zu sagen –, allen Fraktionen zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Es haben alle Fraktionen Einsicht genommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und René Rock (FDP))

Das, was Sie kennen, kenne ich also auch. Wenn Sie die Akten gelesen haben oder sich an die zweite Märzwoche im Jahr 2011 erinnern, wissen Sie – das haben Sie jetzt auch anhand der vorliegenden Akten verfolgen können –, unter welchem Zeitdruck die Entscheidung der Bundesregierung nach dem Super-GAU von Fukushima gefallen ist, ein solches Moratorium zu verhängen. Übrigens ist diese Entscheidung, an der auch der Wirtschaftsminister Brüderle beteiligt war – er hat an allen Besprechungen teilgenommen –, von einer schwarz-gelben Bundesregierung getroffen worden. Auch da war die FDP mit in der Verantwortung.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ein rechtsstaatliches Verfahren! Da gibt es keinen Zeitdruck!)

Dann wurden zwischen dem 16. und dem 18. März – unter Zeitdruck – in allen Ländern, in denen Atomkraftwerke in Betrieb waren, die Anordnungen umgesetzt. Wenn man sich die Akten angesehen hat oder wenn man an den Sitzungen des Umweltausschusses teilgenommen hat, in denen die Verfügungen vorgelesen wurden – das habe ich auch nachlesen können –, weiß man, dass der Bund diese Anordnung im Wortlaut vorgegeben und ein bundeseinheitliches Verfahren gefordert hat. Das ist wahr.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist nicht wahr, Frau Ministerin! Das ist nicht im Wortlaut vorgegeben worden, Frau Ministerin! Das ist eine falsche Darstellung!)

Doch, das ist so vorgegeben worden.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Aber nicht im Wortlaut! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich kann Ihnen vorlesen, was der damalige Bundesumweltminister Röttgen verkündet hat, auch in der Öffentlichkeit:

Die rechtliche Grundlage für die vorübergehende Abschaltung der älteren Kernkraftwerke liegt in § 19 Abs. 3 Ziffer 3 des Atomgesetzes, das den Atomaufsichtsbehörden der Länder und auch dem Bund diese Befugnis gibt. Wir stehen als Bund uneingeschränkt zu dieser Möglichkeit – das ist eine gemeinsame Position –, alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, zu überprüfen und auch eine vorübergehende Abschaltung anzuordnen.

Das hat Bundesumweltminister Röttgen am Dienstag, dem 15.03.2011, gesagt. So ist auch der Brief des Bundesumweltministeriums an alle Länder ergangen, mit der Aufforderung, ein bundeseinheitliches Verfahren anzuwenden und den Text als Grundlage für die Stilllegungsverfügung zu nehmen. Das haben auch alle Länder, in denen Atomkraftwerke in Betrieb waren, gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ti- mon Gremmels (SPD): Der Bund hat nicht gesagt, dass nicht angehört werden muss!)

Damit ist der Bund aus unserer Sicht mit in der Verantwortung. Was Hessen von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Anhörung, die nicht durchgeführt wurde, im Anordnungstext erwähnt wurde: Es wurde begründet, warum keine Anhörung stattgefunden hat.

Allerdings sollte man sich nicht allein auf diesen Aspekt konzentrieren – ich komme gleich noch einmal darauf zurück, keine Frage –; denn er wurde vom Bundesverwaltungsgericht als rechtswidrig eingestuft. Trotzdem ist es so, dass in keinem anderen Bundesland, weder in BadenWürttemberg noch in Niedersachsen, noch in Bayern, eine Anhörung stattgefunden hat. Sie alle haben auch, bis auf wenige Änderungen in der Vorbemerkung

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das stimmt auch nicht! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)

nein, hören Sie mir doch einmal zu – und im Zusammenhang mit Biblis A und Biblis B, den gleichen Text verschickt. Da Biblis B bereits stillgelegt war, konnte man den Text nicht genau so übernehmen, sondern musste ihn dahin gehend umschreiben, dass daraus hervorging, es darf nicht wieder angefahren werden. Die Anlage Biblis A dagegen sollte abgefahren werden. Das sind die Veränderungen. Ansonsten sind die materiellen Verfügungen überall identisch.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es nachgerade erstaunlich, wie die FDP heute hier agiert.

(Zurufe von der FDP)

Herr Abg. Rock, da im Ministerium nichts kopiert werden konnte – auch nicht handschriftlich –, frage ich mich erstens, aus welchem Schriftwechsel Sie wörtlich zitieren können und woher Sie den haben.

(René Rock (FDP): Ich habe mitgeschrieben, Frau Ministerin! Ihr Mitarbeiter saß daneben und hat zugeguckt! Das ist eine Frechheit!)

Ich muss sagen, ich finde es ziemlich interessant, dass Sie das hier als Kopie – –

(René Rock (FDP): Was soll denn das jetzt? Ihr Mitarbeiter saß daneben und hat zugeguckt! – Weitere Zurufe von der FDP – Unruhe)

Herr Kollege Rock, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie herzlich bitten, wieder etwas lieb zu sein und zuzuhören. – Die Frau Ministerin hat das Wort.

Der zweite Punkt ist aber viel gewichtiger, nämlich die Frage, was es mit dem Vermerk des Justizministeriums auf sich hat.

(Timon Gremmels (SPD): Gute Frage!)

In einer Passage dieses Vermerks des Justizministeriums hat man sich mit der Anhörung beschäftigt.

(René Rock (FDP): Ein Unding ist das!)

Man hat sich dort in einem viel größeren Maße mit der materiellen Grundlage, nämlich § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes – also das, was der Bund vorgegeben hat –,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ah! – Weitere Zurufe von der SPD)

und außerdem mit dem Sofortvollzug beschäftigt: Warum gibt es keinen Sofortvollzug des Moratoriums? Man hat nicht festgestellt, dass die Anordnung rechtswidrig war. Sonst hätte das Justizministerium sie nämlich stoppen müssen.

Deswegen finde ich die Reaktion der FDP heute doch einigermaßen erstaunlich. Im Übrigen sind auch in allen anderen Ländern damals schwarz-gelbe Landesregierungen im Amt gewesen, die diese Anordnungen verschickt haben. Nirgendwo gab es in irgendeiner Form seitens der FDP irgendwelche Probleme oder Sorgen damit, dass diese Anordnungen in irgendeiner Form rechtswidrig sein könnten.

Aber das Problem ist, dass tatsächlich die materielle Grundlage das Entscheidende ist; die wurde nämlich vom Verwaltungsgerichtshof als rechtswidrig angesehen: dass eine Gefahr oder ein gefahrauslösender Zustand nicht nachgewiesen werden konnte, die notwendigen Ermessenserwägungen nicht angestellt wurden und die Rechtsfolge der einstweiligen Betriebseinstellung nicht verhältnismäßig war. Diese Grundlage war vorgegeben. Selbst wenn in der Kürze der Zeit eine Anhörung gemacht worden wäre – was auch bei der Opposition, also der gesamten, inklusive der GRÜNEN, damals sowieso schon zur Debatte geführt hat, warum Hessen eigentlich nicht genauso stilllegt wie Baden-Württemberg, die es übrigens noch am selben Tag gemacht haben –, wäre der Anordnungstext doch ganz genauso verschickt worden, weil er vom Bund vorgegeben war. Dann hätte sich die materielle Rechtswidrigkeit beim Verwaltungsgericht genauso durchgesetzt, und dann stünden wir heute vor genau demselben Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Dazu hat das Justizministerium auch etwas gesagt!)

Ich habe nur noch ganz kurz Zeit, deswegen: Ob RWE Schadenersatz einklagt, bei wem und in welcher Höhe,

müssen wir abwarten; wir wissen es nicht. Allerdings muss sich RWE tatsächlich überlegen, ob sie es tun; denn Biblis B lag still, Biblis A stand zur Revision an. Ihre Klage hatte aufschiebende Wirkung. Sie hätten auch den Block A wieder anfahren können. All dies sollte RWE bedenken, inklusive der Tatsache, dass alle froh sind, auch alle in diesem Parlament, weil die alten Meiler endlich stillliegen. Es gibt keine Akzeptanz für die Atomenergie. Insofern sollten wir gemeinsam dafür sorgen, keinen Schadenersatz herbeizureden und möglichst – –

(Lachen bei der SPD)

Wir alle gemeinsam sollten dies versuchen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Da gibt es auch einen Hinweis aus dem Ministerium!)

Wir sollten auch ansonsten den Bund nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch dies sollte eine gemeinsame Anstrengung wert sein. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD))

Frau Staatsministerin, der Kollege Rock hätte noch eine Abschlussfrage an Sie. – Kollege Rock.

Frau Ministerin, Sie haben jetzt ausführlich erklärt, dass Hessen alles genauso gemacht hat wie alle anderen Bundesländer. Haben Sie denn irgendeine Erklärung, warum nur wir hier verklagt sind, oder haben Sie eine Vermutung, dass das mit dem formellen Fehler in der Umsetzung zu tun hat?

Frau Ministerin.

Herr Abgeordneter, ich konnte noch nie in die Köpfe von Energieversorgern hineinschauen, die Atomenergie betrieben haben. Ich kann es heute nicht, und ich werde es auch in Zukunft nicht tun können. Ich weiß es schlicht und einfach nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)