Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Der Koalitionsvertrag schweigt sich in dem Bereich auch aus, offensichtlich geht das nicht mehr.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Umso mehr freue ich mich über die Einigung der Großen Koalition in Berlin gegen die alte Große Koalition in der Innenministerkonferenz, die das immer anders gesehen hat. Ich kann dazu nur sagen: Liberale Politik setzt sich auf Dauer eben doch durch. Vernunft siegt.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Greilich. – Das Wort hat Frau Abg. Wallmann, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP heute hier zu einem fraktionsübergreifenden Antrag gekommen sind und eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag auf Bundesebene von CDU und SPD aufgreifen.

(Beifall bei der CDU)

Es geht konkret um eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für junge heranwachsende Migrantinnen und Migranten sowie Erwachsene. Wir ermöglichen somit einem Personenkreis, der möglicherweise bei entsprechender Gesetzgebung dann auch vor möglichen Rückführungsmaßnahmen geschützt werden soll, davon zusätzlich zu profitieren. Ich sage ausdrücklich: zusätzlich.

Zum einen existieren hier in Hessen ein Petitionsrecht und eine Härtefallkommission und damit weitreichende Regelungen, um gegebenenfalls die eigene Rechtsposition durchzusetzen, aber auch um humanitäre, moralische oder auch persönliche Härten anerkennen zu lassen. Im Übrigen: Mit sofortiger Einlegung einer Petition oder eines Anliegens an die Härtefallkommission setzt eine aufschiebende Wirkung ein, und eine Rückführung wird auch nicht mehr vorgenommen.

(Beifall bei der CDU)

Zum anderen – ich denke, das sollte man heute noch einmal erwähnen – setzen wir einen Weg fort, den wir bereits in der Vergangenheit mehrfach gegangen sind. Ich erinnere an das Jahr 2000, als wir bosnische Staatsangehörige aufgrund der aktuellen Situation in ihrem Heimatland im Vorgriff auf eine Gesetzesregelung von jeglichen Rückführungsmaßnahmen ausgenommen haben. Wir haben auch bei jungen Heranwachsenden, die unter den § 25a – ein damals noch nicht in Kraft getretener Paragraf – fallen sollten, jegliche Rückführungsmaßnahmen nicht durchgeführt, sondern abgewartet, ob das Gesetz kommt, was auch passiert ist. Das Innenministerium hat alle Ausländerbehörden angewiesen, entsprechend zu verfahren.

Ein solches Vorhaben, wie wir es heute beschließen wollen, macht immer Sinn, wenn ein Regelungsbedarf eindeutig absehbar ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass es zu einer solchen Regelung kommen wird. Das ist aufgrund der Bundesratsinitiative, der auch andere Län

der beigetreten sind, sowie natürlich auch der Vereinbarung im Koalitionsvertrag im Bund eindeutig gegeben.

Ich möchte aber auch sagen, dass sich in den vergangenen Jahren im Aufenthaltsrecht grundsätzlich viel bewegt und getan hat, um Menschen in der Integration zu unterstützen. Ich erinnere an die Altfallregelung von 2009 und das vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängige Bleiberecht für geduldete Minderjährige, das 2011 Gesetz geworden ist, und auch an das, was wir im Dezember-Plenum im Hessischen Landtag beschlossen haben: die Erleichterung des Familiennachzugs syrischer Flüchtlinge.

Wenn man sich das anschaut, was ich ausgeführt habe, zeigt sich, dass unter der Regierungsverantwortung der CDU viel geleistet worden ist, um Menschen, die Unterstützung brauchen, zu helfen und Integrationsleistungen anzuerkennen.

(Beifall bei der CDU)

Dem heutigen Antrag liegt – das muss man der Vollständigkeit halber auch erwähnen – eine Bundesangelegenheit zugrunde. Wir kennen aktuell den Gesetzeswortlauf der Bundesratsinitiative von Hamburg, und wir kennen die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag. Wir wissen aber nicht, worauf sich die beiden Partner im Bund am Schluss einigen werden.

Insofern möchte ich auf der Grundlage der Bundesratsdrucksache zumindest drei Punkte kurz erwähnen, die wichtig sind und die man berücksichtigen muss. Die Formulierung in der Bundesratsinitiative: „seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern“, muss im Hinblick auf die Leistungsträger, nämlich die Kommunen und Landkreise, dringend präzisiert werden.

Zweitens muss man ebenso über die Formulierung: „Ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen soll [unter bestimmten Voraussetzungen] unschädlich sein“, diskutieren. Es muss zum Schluss gesagt und in den Blick genommen werden, wie lange denn „vorübergehend“ sein soll.

Außerdem wird in der Drucksache darauf hingewiesen, dass z. B. bei der „Täuschung über die Identität“ und der mangelnden Mitwirkung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll. Wenn das nachher so Gesetz wird, ist das etwas, worauf ich immer wieder gern im Petitionsausschuss – da haben wir nämlich eine aufschiebende Wirkung – hinweisen werde.

Zum Schluss möchte ich noch einen ganz grundsätzlichen Gedanken äußern. Ich glaube – da sind wir uns in diesem Haus einig –, wir müssen das Problem der Kettenduldung lösen. Das ist dringend notwendig. Im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission werden wir permanent mit solchen Problemen konfrontiert. Das sind im Übrigen auch die zuständigen Gremien. Ich finde, das muss im Gesamtzusammenhang auch erwähnt werden: Wir sehen aber auch, dass mitunter Kettenduldungen selbst herbeigeführt werden, und zwar vorsätzlich und bewusst.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Gerade angesichts der weitreichenden Regelungen, die wir in Hessen haben, muss aber auch eines gelten: Die in § 60a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz festgeschriebene Duldungsfrist von sechs Monaten, auf die auch im Petitionserlass des hessischen Innenministeriums ausdrücklich hingewiesen wird, muss Maßstab sein und wieder Anwendung finden. Ich sage ausdrücklich: Abgesehen von Ausnahmen, die es immer geben darf, müssen wir das Recht, so wie wir es uns selbst

gesetzt haben und wie es vom Bund und auch durch das Land vorgegeben ist, entsprechend anwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Liebe Frau Kollegin Wallmann, sei so lieb.

Wir greifen heute einer bundesgesetzlichen Regelung voraus; die Mitglieder der CDU – ich glaube, ich darf das auch im Namen der Mitglieder der GRÜNEN und der FDP sagen – tun das ausdrücklich und sehr gern. Aber es sollte nicht unbedingt die Regel werden. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Kollege Frömmrich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wallmann und auch Herr Kollege Greilich haben schon gesagt, dass es eigentlich dringend notwendig ist, dass wir eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung bekommen. Ich glaube, die Debatte verfolgt uns in diesem Hause Jahrzehnte. Von daher kann man durchaus begrüßen, dass sich die beiden Koalitionsfraktionen auf Bundesebene dieses Themas angenommen und eine Vereinbarung getroffen haben, mit der ganz deutlich festgeschrieben wird, dass die beiden demnächst eine stichtagsunabhängige Regelung für die Bundesrepublik Deutschland schaffen werden. Ich finde, das ist gut so.

Es wäre schön gewesen, wenn wir es in diesem Hause hinbekommen hätten, den einen oder anderen Graben zuzuschütten und das mehrheitlich, vielleicht sogar einstimmig, zu beschließen. Denn ich glaube, das wäre das richtige Zeichen nach außen gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Ich meine, der Ministerpräsident hat gestern in der Regierungserklärung umfangreich zu dem Stellung genommen, was wir uns als Koalitionsfraktionen hinsichtlich der Migration und der Immigration vorgenommen haben. Ich glaube, hinsichtlich der Integrations- und Ausländerpolitik haben wir uns ein großes Programm vorgenommen. Ich verstehe den Herrn Kollegen Greilich mit seinem Hinweis nicht, dass da nichts drinstehen würde. Ich appelliere an alle, dass man mit sinnerfassendem Lesen das eine oder andere Problem aufklären könnte.

Wir haben uns mit dem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass die Ergebnisse der Enquetekommission „Integration und Migration“ die Grundlage der Politik der nächsten Jahre in diesem Land sein werden. Ich finde, das ist eine gute und tragfähige Vereinbarung. Es zollt dem Respekt, was die Kolleginnen und Kollegen in dieser Enquetekommissi

on für Arbeit in der letzten Legislaturperiode geleistet haben.

Wir haben vereinbart, dass wir eine Willkommenskultur und eine Anerkennungskultur für Menschen aus unterschiedlichen Ländern haben wollen, die bei uns leben. Wir wollen diese Anerkennungskultur und Willkommenskultur begründen. Da passt es eben nicht, dass wir möglicherweise gut integrierte, schon lange hier lebende Ausländer vor Inkrafttreten einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung des Bundes abschieben. Das passt eben nicht zusammen.

Ich will noch einmal daran erinnern, mit wem wir es zu tun haben. Wir haben es oft mit Menschen zu tun, die einen langen, verfestigten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wir haben da oft die Problemstellung, dass die Kinder hier geboren und aufgewachsen sind. Sie betrachten Deutschland als ihr Heimatland. Sie sind in diesem Verfahren mit integriert. Sie werden in diesem Verfahren mit behandelt. Unter Umständen müssen sie die Bundesrepublik verlassen, obwohl sie Deutschland als ihre Heimat betrachten. Von daher ist es richtig, aus humanitären Gründen eine solche Bleiberechtsregelung zu beschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist es auch sinnvoll, eine Regelung zu finden, die das im Vorgriff auf die des Bundes tut. Denn es ist in der Tat nicht sinnvoll, dass das Innenministerium jetzt unter Umständen Maßnahmen durchführt, der Bund dann aber in zwei oder drei Monaten eine fertige Bleiberechtsregelung vorlegt. Wir würden damit vollendete Tatsachen schaffen.

Man darf nicht verschweigen, dass es immerhin zwischen 30.000 und 35.000 Personen betrifft. Frau Kollegin Wallmann hat die Probleme angesprochen, mit denen wir es unter Umständen zu tun haben werden. Unter Umständen werden wir es damit zu tun haben, dass es da natürlich auch Menschen gibt, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht vollumfänglich sichern können. Das ist dann auch eine Frage, die unter Umständen dazu führt, dass die Kommunen sagen: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. – Sie könnten dann in Richtung des Landes oder des Bundes sagen: Uns sind Kosten entstanden, ihr müsst das regeln.

Ich glaube, dass wir dann auch eine Regelung finden werden. Denn es ist ein Akt der Humanität, für diesen Personenkreis eine vernünftige Bleiberechtsregelung zu finden. Wir sollten jetzt im Hessischen Landtag diese Regelung im Vorgriff auf die des Bundes beschließen. Ich glaube, da sollten wir uns alle einig sein. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Herr Kollege Frömmrich, vielen Dank. – Das Wort erhält Frau Kollegin Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! 85.000 Menschen sind in Deutschland nur geduldet. Unter ihnen

befinden sich über 20.000 Kinder und Jugendliche. Diese hohen Zahlen belegen, dass es an der Zeit ist, endlich eine wirksame und humanitäre Bleiberechtsregelung einzuführen. Für die Betroffenen bedeutet die zum Teil jahrelang andauernde Duldung eine enorme psychische Belastung. Zudem erfahren sie Ausgrenzung in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Genannt werden da der Zugang zum Arbeitsmarkt, die Gesundheitsversorgung und anderes.

Die Beschränkungen des lediglich geduldeten Aufenthalts führen zu einer systematischen Desintegration mit schwerwiegenden negativen Folgen für das Leben und die Zukunft der Betroffenen. Das gilt aber auch für die aufnehmende Gesellschaft. Meines Erachtens dürfen wir dem nicht länger zuschauen.

Ein zentraler Grund für die große Zahl langjährig geduldeter Menschen ist, dass die Bleiberechtsregelungen viel zu restriktiv gefasst sind. Durch Stichtagsregelungen, strenge Ausschlussgründe und das zentrale Erfordernis eines eigenständigen Einkommens zur Absicherung des Lebensunterhalts werden viele Geduldete von vornherein ausgeschlossen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aber entschieden, dass die Abschiebung faktisch integrierter Menschen eine Menschenrechtsverletzung darstellen kann, auch wenn diese kein Aufenthaltsrecht haben. Diese menschenrechtliche Vorgabe wird jedoch in der Praxis nicht ausreichend beachtet.

DIE LINKE fordert genauso wie Flüchtlingsinitiativen, Verbände, Kirchen und engagierte Menschen vor Ort seit Langem eine humanitäre und wirksame Bleiberechtsregelung. Wer hier aufwächst oder schon länger hier lebt, soll hier bleiben dürfen. Er soll sein Leben hier planen können.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Betroffenen sind doch trotz aller gesetzlichen Widerstände längst Teil unserer Gesellschaft geworden. Sie dürfen nicht mit Zwangsmitteln in eine ungewisse Zukunft geschickt werden. Im Hinblick auf die geplanten, schon von meinen Vorrednern dargestellten Änderungen ist es konsequent und richtig, die Menschen, die von der Änderung des Aufenthaltsgesetzes profitieren könnten, schon jetzt von einer Rückführung zu verschonen und bei einer Ermessensentscheidung nach § 60a Aufenthaltsgesetz den Inhalt der Bundesratsdrucksache 505/12 zugrunde zu legen. Das wurde bereits unter anderem in Niedersachsen und SchleswigHolstein so umgesetzt.