Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

Antrag der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und der FDP betreffend Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller auch nach 1949 – Drucks. 19/814 –

mit Tagesordnungspunkt 60:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller auch nach 1949 – Drucks. 19/1263 –

Zehn Minuten Redezeit je Fraktion. Es beginnt Frau Kollegin Hofmann, SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bis in die jüngste Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und zwar bis zum Jahr 1994, sind Homosexuelle in unserem Land strafrechtlich verfolgt und unterdrückt worden. Tausende Menschen wurden von der NS-Zeit bis zum Jahr 1994 nur deshalb verfolgt, stigmatisiert, unterdrückt und verurteilt, weil sie sich liebten. Zwischen 1945 und 1969 wurden 50.000 Menschen verurteilt, es gab 100.000 Ermittlungsverfahren. Diese Betroffenen wurden zutiefst in ihrer Menschenwürde verletzt, bangten um ihre bürgerliche Existenz oder verloren diese sogar und lebten in ständiger Angst vor Repressalien, Unterdrückung und Entdeckung.

Meine Damen und Herren, dieser Teil unserer Vergangenheit in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört wahrlich nicht zu den Ruhmesblättern unserer deutschen Nachkriegsgeschichte.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU)

Deshalb ist es sehr positiv, dass der Hessische Landtag in den Jahren 2012 und 2013 einstimmig sich bei den Opfern für dieses begangene Unrecht entschuldigt und eine Aufarbeitung der Schicksale dieser Opfer angekündigt hat.

Wir begrüßen als SPD-Fraktion, dass die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, eine entsprechende Stiftung, die Schicksale dieser Opfer aufarbeiten und dokumentieren will. Aber wir wissen auch alle, dass die wissenschaftliche Erfassung und Erarbeitung dieses schwierigen Themas noch absolut lückenhaft ist und dringend verbessert werden muss, zumindest solange noch Akten da sind und vor allem solange wir zu diesem Thema noch Zeitzeugen befragen können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP)

Bei diesem gesellschaftspolitisch für uns so wichtigen Thema ist es in der Tat gelungen, einen gemeinsamen Antrag der SPD, der LINKEN und der FDP, den gemeinsamen Oppositionsfraktionen, auf den Weg zu bringen. Dafür möchte ich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN und der FDP, recht herzlich danken, weil das ein starkes Signal für die Betroffenen ist.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, warum ist es aber bei einem so elementaren Thema nicht gelungen, dass alle Fraktionen

dieses Hauses einen gemeinsamen Antrag verabschieden konnten?

(Zuruf des Abg. Hartmut Honka (CDU))

Das kann ich Ihnen an der Stelle ganz klar sagen: Weil sich bei den Antragsberatungen Schwarz-Grün im Klein-Klein verhakt und verloren hat,

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte? – Holger Bellino (CDU): Also so was! – Judith Lannert (CDU): Unanständig!)

obwohl Sie, dass muss ich Ihnen zuerkennen, einen Großteil unseres Antrags 1 : 1 übernommen haben. Deshalb ist das umso unverständlicher.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei so einem Thema, mein Gott!)

Aber letztendlich konnte Schwarz-Grün nicht über seinen Schatten springen und die Parteiarithmetik an die Seite stellen. Das ist bei solch einem Thema jammerschade und unangemessen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP – Hartmut Honka (CDU): Sagen Sie doch, wie es wirklich war! – Holger Bellino (CDU): Geht es Ihnen um die Sache, oder wollen Sie die Keule auspacken?)

Es ist längst überfällig, dass die nach 1945 ergangenen Verurteilungen verfassungsrechtlich überprüft und aufgehoben werden. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der bei Ihnen fehlt, meine Damen und Herren.

(Holger Bellino (CDU): Da vorne fast herumheulen und dann austeilen, das ist doch unwürdig, was Sie machen!)

Denn nur auf diesem Wege – –

(Holger Bellino (CDU): Ganz kleines Karo, Millimeterpapier! – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Bellino, jetzt spreche ich.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, erstens der Rednerin zuzuhören und zweitens langsam in den weihnachtlichen Frieden einzustimmen. – Bitte sehr, Frau Kollegin Hofmann, Sie haben das Wort.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Bei so einem Thema so herumzupoltern, Herr Bellino! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Das überlassen Sie mal mir!)

Ich hatte Sie doch gebeten. Entweder folgt mir jetzt jemand, oder ich gehe fort, hätte ich fast gesagt. – Also.

Ich fange noch einmal mit diesem Punkt an.

(Holger Bellino (CDU): Achten Sie auf Ihre Redezeit!)

Es ist ganz wichtig, dass die Urteile nach 1945, die aufgrund dieser Straftatbestände ergangen sind, verfassungsgemäß überprüft werden, dass überprüft wird, ob die Rehabilitation der Verurteilten erfolgen kann, weil das für die

Betroffenen ein ganz, ganz wesentlicher Punkt ist. Das ist ein Aspekt, der leider auch bei Ihrem Antrag fehlt.

Wir wissen, dass die Gleichstellung von Lesben und Schwulen nicht gerade eine Herzensangelegenheit der CDU in diesem Lande ist. Die hessische CDU und der Ministerpräsident Volker Bouffier torpedieren bis zum heutigen Tage eine echte Gleichstellung von Lesben und Schwulen, etwa im Steuerrecht oder Adoptionsrecht in unserem Land, und das ist falsch.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das ist nicht nur ein Problem der CDU in Hessen, sondern auch des Koalitionspartners, der GRÜNEN – und das wissen Sie ganz genau.

(Hartmut Honka (CDU): Unglaublich!)

Es ist auch überhaupt nicht nachvollziehbar, dass dieser wichtige Punkt in Ihrem Antrag nicht mehr vorgesehen ist, weil sie als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihn selbst 2008 und 2010 zu Recht gefordert haben. Ich darf Sie, Herr Klose, mit Genehmigung des Präsidenten aus der Plenardebatte vom 26. September 2012 in diesem Hause zitieren, wonach die Rehabilitierung nicht nur juristisch möglich, sondern auch politisch geboten sei. – Richtig so. Aber was davon ist übrig geblieben? Nichts, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Es ist leider so, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch bei diesem Thema nur eine willige Braut der CDU ist.

Ein weiterer, ganz, ganz wichtiger Punkt: Homosexualität wird zwar in unserem Land seit 1994 Gott sei Dank nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Aber auch heute noch werden Homosexuelle in Deutschland diskriminiert, gemobbt, angefeindet. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir diese Aufarbeitung und Rehabilitation betreiben. Deshalb ist es auch ein so wichtiges Thema für die SPD, es hier zu benennen; denn wir stehen für eine tolerante Gesellschaft und eine Aufarbeitung dieses ergangenen Unrechts.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ein letzter Aspekt, den wir ebenfalls wichtig finden, der aber leider auch bei Ihnen fehlt: Die GRÜNEN haben in der Vergangenheit stets die Aufarbeitung dieses Themas gefordert. Hier fehlen wichtige Ansätze wie eine begleitende Ausstellung, eine Dokumentation für die Öffentlichkeit, eine Begleitung dieses Themas, z. B. auch für Schulen über die Landeszentrale für politische Bildung. Davon abzurücken ist mutig, ich finde: töricht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP)

Bei diesem doch zentralen Thema sollten wir mutig vorangehen und hier endlich eine Aufarbeitung und Rehabilitation anstoßen. Das sind wir den Opfern dieses geschehenen Unrechts schuldig, meine Damen und Herren. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP – Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hofmann. – Das Wort hat der Abg. Kai Klose, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Hofmann, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, sehr eng am Thema zu sprechen. Aber was Sie hier gerade in den Raum gestellt haben, bedarf zunächst einmal des Widerspruchs, das kann so nicht stehen bleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Sie wissen ganz genau, wie der Verfahrensablauf war. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat bei einer Debatte, die wir hier im Mai anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie geführt haben, bereits in den Raum gestellt, dass wir uns noch einmal um das Thema Aufarbeitung kümmern wollen. Dann kam Ihr Antrag und wir haben mehrfach signalisiert, dass wir gern einen gemeinsamen Antrag machen wollen, wurden dann aber vor vollendete Tatsachen, nämlich den gemeinsamen Antrag von SPD, LINKEN und FDP gestellt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Na ja!)