Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

(Heiterkeit)

Deswegen ist es notwendig, dass wir genau abgrenzen: Welche Gebiete können dazugehören und welche nicht? Es geht hier nämlich auch um Eingriffe in das Eigentum. Natürlich verpflichtet Eigentum, aber der Staat kann auch nicht willkürlich in Eigentum eingreifen. Deswegen brauchen wir hier rechtssichere Lösungen. Ich meine, wir haben hier eine gute, rechtssichere Lösung gefunden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zurzeit läuft im Bund das Gesetzgebungsverfahren für ein Gesetz, die sogenannte Mietpreisbremse betreffend. Ich hoffe sehr, dass sie bald kommt, damit wir hier eine entsprechende Verordnung erarbeiten können.

Wir haben auch die Kündigungssperrfristverordnung in Kraft gesetzt, die dazu dient, bei der Umwandlung von Eigentumswohnungen in Mietwohnungen bezahlbaren Wohnraum zu erhalten. Das bedeutet eine verlängerte Kündigungsfrist von fünf Jahren zum Schutz der Mieter. Auch das dient einer guten Mietpreispolitik, die wir in Hessen in diesem Jahr angegangen sind und die wir fortführen wollen.

Frau Ministerin, ich darf Sie auf die Fraktionsredezeit hinweisen.

Ein Punkt, der mir noch wichtig ist, ist die Fehlbelegungsabgabe. Die Fehlbelegungsabgabe muss in Hessen eine

neue gesetzliche Grundlage bekommen. Wir können nichts mit dem Entwurf der LINKEN anfangen, der auf falschen Grundlagen beruht, der teilweise falsch aus dem alten Bundesgesetz abgeschrieben worden ist. Wir erarbeiten eine neue, saubere Grundlage.

Ich gehe davon aus, dass wir den Entwurf im ersten Quartal des nächsten Jahres in den Landtag einbringen können – wir sind schon im Gespräch mit den Kommunen darüber –, sodass wir den Kommunen möglichst rasch die Möglichkeit eröffnen können, eine Fehlbelegungsabgabe zu erheben und diese Mittel wiederum zugunsten der Förderung sozialen Wohnraums einzusetzen.

Unsere unterschiedlichen Programme – all die Themen rund um die Stadtentwicklung – sind ein Beitrag dazu, nicht nur Wohnungen zu schaffen und gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, sondern auch die Städte insgesamt attraktiv zu halten. Auch das ist ein wesentlicher Baustein für eine attraktive Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik.

Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren hier auch die weiteren Instrumente beschließen und damit dafür sorgen können, dass es in Hessen gerade im Ballungsraum guten, bezahlbaren Wohnraum gibt. Wir jedenfalls werden daran arbeiten, und ich freue mich über jegliche Unterstützung, auch vonseiten der Opposition. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Stunde ist abgehalten.

Wir haben über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Wohnungspolitik in Hessen gerecht und sozial gestalten, Drucks. 19/864, zu entscheiden. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Das sind die Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die weiteren Fraktionen des Hauses. Damit ist dieser Antrag beschlossen.

Eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Landesregierung darf nicht am Streikbruch mitwirken, Drucks. 19/1264. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 61 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit den Tagesordnungspunkten 47 und 59 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Weiterhin ist eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen in Hessen, Drucks. 19/ 1265. Wird hier die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 62 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 46 zu diesem Thema aufgerufen werden.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 47:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Tarifbindung im Versandhandel: Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten – Drucks. 19/1240 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 59:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Tarifautonomie achten, Verhandlungen führen – Drucks. 19/1262 –

und Tagesordnungspunkt 61:

Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Landesregierung darf nicht an Streikbruch mitwirken – Drucks. 19/1264 –

Frau Kollegin Wissler, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir ein Zeichen der Solidarität mit den 2.500 Beschäftigten bei Amazon, die in dieser Woche streiken, setzen wollen. Wir haben diese Aktuelle Stunde auch beantragt, weil es nicht hinnehmbar ist, dass sich ein Unternehmen wie Amazon weigert, auch nur Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft ver.di aufzunehmen und den korrekten Tarifvertrag anzuwenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Mittlerweile beteiligen sich die Mitarbeiter an sechs Standorten an den Streikaktionen, und wir wünschen den Beschäftigten alles Gute und vor allem Ausdauer beim Kampf um den Tarifvertrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Versandhandel erlebt derzeit einen Boom. Der Anteil des Onlinehandels am Handelsvolumen in Deutschland beträgt mittlerweile rund ein Zehntel, Tendenz stark steigend. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, auf die Innenstädte, auf unsere Verkehrsströme, auf die Marktstrukturen des Einzelhandels und natürlich auf die dortigen Arbeitsbedingungen.

Gerade die Firmen Zalando und Amazon haben mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen immer wieder Schlagzeilen gemacht. Bei Zalando recherchierte das ZDF 2012 undercover und fand haarsträubende Arbeitsbedingungen vor, beispielsweise ein Verbot, sich hinzusetzen, zu wenige und völlig verschmutzte Toilettencontainer, eine kategorische Überwachung und das alles für einen Stundenlohn von 7 € als Zeitarbeiter oder auch nur für einen feuchten Händedruck, wenn man dorthin nämlich im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme als unbezahlter Praktikant abgeordnet wurde.

Auch bei Amazon in Bad Hersfeld gab es nach Recherchen des Hessischen Rundfunks im letzten Jahr starke Kritik an den dortigen Zuständen, insbesondere an den Arbeitsbedingungen und Unterkünften für Saisonarbeitskräfte. Ich will nur darauf hinweisen, dass dieser Umgang mit Leiharbeitern natürlich auch eine Ursache in der Deregulierung der Leiharbeit auf Bundesebene hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun streiken die Beschäftigten bei Amazon schon seit längerer Zeit für die Anwendung des geltenden Tarifvertrags für den Einzel- und Versandhandel. Amazon verdient sein Geld durch den Verkauf an Endkunden. Er ist damit ein Einzelhändler. Nur Amazon sieht das anders und behaup

tet, es sei ein Logistikunternehmen. Aber natürlich verkauft der Konzern die Waren, die er einlagert und verpackt.

Meine Damen und Herren, mit der gleichen Logik könnte ein Gemüsehändler behaupten, er sei in der Reinigungsbranche tätig, nur weil er täglich seinen Laden durchwischt. Andere Versandhändler, die nämlich nach Tarif bezahlen, sehen sich einem Wettbewerbsnachteil ausgesetzt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e. V. von Amazon und seinen Arbeitsbedingungen immer wieder distanziert.

Amazon droht mit seiner Marktmacht zum Lohndrücker der Branche zu werden. Der Konzern nimmt Subventionen mit, wo es geht, vermeidet hierzulande aber weitgehend Steuerzahlungen. Gerade wurde bekannt, dass das Amazon-Firmengeflecht mit Zentrum in Luxemburg mit dem dortigen Finanzminister individuell über seinen Steuersatz verhandelte, und zwar, das sei angefügt, unter freundlicher Mitarbeit des Beratungsunternehmens PwC, dem die Landesregierung auch gern große Aufträge erteilt. Auch die Mehrwertsteuer auf alle Verkäufe von Amazon wird in Luxemburg fällig. All das ist, soweit wir bisher wissen, legal, aber es ist nicht legitim, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Forderungen der streikenden Amazon-Beschäftigten sind wahrlich nicht überzogen. Sie fordern den Lohn, den die anderen, nach Tarif bezahlende Versandhändler, auch bezahlen. Sie streiken eben nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern auch für die Kolleginnen und Kollegen bei den tariftreuen Unternehmen, die dem Lohndruck durch Amazon irgendwann nicht mehr standhalten können und dann eben ihre Löhne oder Arbeitsstandards absenken könnten.

Ich will noch einmal bewusst machen, dass die Päckchen, die vielleicht in wenigen Tagen unter vielen Weihnachtsbäumen liegen werden, bei Amazon von Menschen zusammengestellt, verpackt und verschickt werden, die hart arbeiten, die im Schichtdienst arbeiten, am Tag oftmals viele Kilometer zurücklegen und tagtäglich unter dem Druck stehen, schneller arbeiten zu müssen als der Durchschnitt der Belegschaft, was im Übrigen schon rein mathematisch gar nicht bei allen funktionieren kann.

Die Streikenden fordern weniger befristete Verträge. Befristete Verträge sollten eine Ausnahme in Stoßzeiten und eben nicht die Regel sein. Derzeit sind in Bad Hersfeld aber nicht einmal ein Drittel der Beschäftigten unbefristet beschäftigt. Die Beschäftigten fordern Anerkennung, sie fordern weniger Leistungsdruck, weniger Überwachung und angemessene Urlaubstage und Zuschläge. Sie fordern all das, was ihnen zustehen würde, wenn der korrekte Tarifvertrag angewendet würde.

Der Streik zeigt erste Auswirkungen. Ich finde, dass man deutlich machen muss: Die Forderungen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen, sind von einem Unternehmen, das dreistellige Millionengewinne einfährt, wirklich nicht zu viel verlangt. Es ist das Mindeste, dass solch ein Unternehmen keine Tarifflucht begeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Streik zeigt erste Auswirkungen, auch wenn Amazon das bestreitet. Für den letzten und den kommenden Sonntag hat Amazon die Genehmigung von Sonntagsarbeit be

antragt. Das ist aus Sicht von Amazon logisch. Ich halte es aber für einen Skandal, dass das Regierungspräsidium Kassel die Sondergenehmigung für Sonntagsarbeit tatsächlich während eines Streiks erteilt hat. Ich habe die Bewilligung des Regierungspräsidiums Kassel vorliegen und mir durchgelesen, was hierfür die Argumente sind.

Ich will deutlich machen: Damit fällt die Landesregierung den Streikenden in den Rücken und greift auf unzulässige Weise in einen Arbeitskampf ein. In Ihrem Antrag, den Sie heute eingebracht haben, betonen Sie die Tarifautonomie und wenden sich gegen politische Einflussnahme. Aber genau das ist passiert. Die Genehmigung wurde der Geschäftsführung am 11.12. übermittelt. Als die Streikaktionen bekannt waren, nämlich drei Tage nach dem ersten Streiktag im Dezember, wurde während eines laufenden Streiks Sonntagsarbeit genehmigt.

Diese Genehmigung ist mehr als fragwürdig. Dass der Versandhandel per se nicht von gesamtgesellschaftlichem Interesse ist und keine generelle Ausnahme vom Verbot der Sonntagsarbeit rechtfertigt, hat das Bundesverwaltungsgericht erst kürzlich festgestellt.

Das Regierungspräsidium selbst schreibt in seinem Bescheid an Amazon – ich zitiere –:

Das Tatbestandsmerkmal ‚besondere Verhältnisse‘ [ArbZG] … kann aus der von der Antragstellerin gegebenen Antragsbegründung nicht vollumfänglich mit Klarheit bejaht werden. Es erscheint nicht nachgewiesen, dass die von der Firma Amazon beschriebene Situation vom üblichen Betriebsablauf oder Arbeitsablauf so erheblich abweicht und so gewichtig ist, dass sie … eine Ausnahme von der Sonntagsruhe rechtfertigt. Der geltend gemachte saisonale Spitzenbedarf beruht zumindest zum Teil auf eigenen Werbeversprechen und vermag solche Verhältnisse allein nicht zu begründen.

Und weiter:

Hinzu kommt, dass durch eine Bewilligung auf dieser Grundlage Wettbewerbsvorteile gegenüber dem stationären Einzelhandel entstünden. Weihnachten allein kann keine besonderen Verhältnisse begründen, die zu einem unverhältnismäßigen Schaden führen. Hinzu kommt, dass vom Unternehmen selbst gegebene Lieferzusagen allein kein Grund für eine entsprechende Ausnahmebewilligung darstellt.

Ich frage: Warum wurde Amazon trotzdem die Ausnahmegenehmigung erteilt? Warum erteilt das Regierungspräsidium Kassel, also eine der Landesregierung direkt untergeordnete Behörde, warum erteilt Regierungspräsident Dr. Lübcke einem Unternehmen, bei dem sich die Beschäftigten gerade im Arbeitskampf befinden, eine Sondergenehmigung für Sonntagsarbeit, obwohl in dem Schreiben ausgeführt wird, dass auch aus Sicht der Behörde vieles dagegen spricht?

Wie kann man in einer solchen Situation die Genehmigung für Sonntagsarbeit erteilen? Was hier gerade passiert, ist doch wirklich ein vom Land unterstützter Streikbruch.