Wie kann man in einer solchen Situation die Genehmigung für Sonntagsarbeit erteilen? Was hier gerade passiert, ist doch wirklich ein vom Land unterstützter Streikbruch.
Das Regierungspräsidium wusste von den bereits stattgefundenen und geplanten Streikaktionen. Es wusste auch um die Brisanz, die sich daraus ergibt. Das belegt nämlich
das Anschreiben, mit dem die Genehmigung verschickt wurde. Ich will Ihnen wörtlich aus der E-Mail zitieren. Im E-Mail-Anschreiben des Regierungspräsidiums Kassel heißt es wörtlich:
Zum Thema Streik haben meine Vorgesetzten entschieden: die Anträge wurden am 03.12. und 04.12.2014 gestellt und so begründet, dass die Bewilligungsvoraussetzungen nach dem ArbZG erfüllt sind. Streik war zu diesem Zeitpunkt kein Thema. Somit sieht man auch die Neutralitätsverpflichtung des Staates nicht verletzt, wenn die Sonntagsarbeit wie beantragt bewilligt wird.
Das Regierungspräsidium wusste also nachweislich vor der Bewilligung von den Streikaktionen. Die Genehmigung wurde drei Tage nach dem ersten Streiktag erteilt. Es ist in der E-Mail aufgeführt, dass man offensichtlich um die Brisanz wusste. Trotzdem hat man den Streik genehmigt. Es kann nicht sein, dass das Land Hessen zum Streikbrecher wird, indem es während eines Arbeitskampfs bei Amazon Sonderschichten am Sonntag zulässt. Das darf es bei Amazon nicht geben und bei keinem anderen Unternehmen in Hessen.
Der Sonntag ist ein besonders geschützter Tag; es kann nicht sein, dass er dafür genutzt wird, um die Wirkungen von Streiks zu unterlaufen. Sie greifen damit direkt und einseitig in einen laufenden Arbeitskampf ein. Damit wird die Neutralitätsverpflichtung des Staates tatsächlich verletzt. Deshalb fordere ich die Landesregierung auf, heute zu diesem Vorgang Stellung zu beziehen. Auch fordere ich den Landtag auf, sich von diesem Vorgehen deutlich zu distanzieren.
(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Sie brauchen nicht so zu brüllen; wir haben gute Ohren!)
Meine Damen und Herren, eines haben die Streikenden bei Amazon bereits bewiesen, nämlich dass sich kämpfen lohnt. Kleine Verbesserungen wurden seit Beginn des Arbeitskampfs erreicht. Amazon gewährte eine kleine Lohnerhöhung und zahlte erstmals so etwas wie Weihnachtsgeld. Aber der Tariflohn steht noch immer aus. Amazon darf nicht länger der Lohndrücker der gesamten Branche sein.
Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen. Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten darf der Landtag nicht unkommentiert hinnehmen. Ich war am Montag bei der Streikversammlung in Bad Hersfeld. Herr Kollege Warnecke von der SPD war auch da. Eine ver.di-Kollegin fragte in ihrer Rede völlig zu Recht, warum CDU, GRÜNE und FDP dort nicht auftauchten, warum es sie offenbar nicht interessiere, wenn ein Unternehmen, dass in den letzten Jahren 14 Millionen € Fördergeld von Bund und Ländern bekommen habe, Leiharbeiter als Lohndrücker missbrauche und tarifliche Standards unterlaufe. Meine Damen und Herren, das ist doch staatlich subventionierte Lohndrückerei, was hier gemacht wird.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Der Umbau des Logistikzentrums in Bad Hersfeld wurde 2006 vom Land bezuschusst, und zwar fast mit einem Viertel der Investitionssumme. Auch das ist ein Grund, warum der Landtag hierzu Position beziehen muss. Lassen Sie uns heute von hier aus ein Signal an die Beschäftigten dieser Branche senden. Wir unterstützen sie im Kampf um tarifliche Mindeststandards. Lassen Sie uns auch ein Signal an Amazon senden, das heißt: so nicht. – Vielen Dank.
(Holger Bellino (CDU): Dieses Geschrei, kopflos! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Geht es noch? – Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie sollten sich mal hören!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich verrate Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn ich feststelle, dass die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für die SPD-Fraktion allerhöchste Priorität haben. Ich verrate Ihnen auch nichts Neues, wenn ich feststelle, dass dies allemal gilt, wenn es um bessere Arbeits- und Lohnbedingungen für die Beschäftigten geht.
Meine Damen und Herren, das machen wir seit 1863 oder, anders gesagt, seit über 150 Jahren. Wir sind seit jeher, erst recht im politischen Kampf für die Durchsetzung des Tarifrechts, eng verbunden mit den Arbeitnehmerinnen, den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften, weil, wie allseits bekannt ist, Tarifverträge den Beschäftigten den notwendigen Schutz verleihen, Sicherheit und Stabilität geben und vertraglich geschützte Einkommens- und Arbeitsbedingungen garantieren.
Tarifverträge drücken die Wertschätzung der Arbeit der Beschäftigten aus. Auch das ist uns ein wichtiger Punkt.
Amazon nimmt bei seinem Entlohnungssystem die Lohnvereinbarung der Logistikbranche als Maßstab. Es gibt meines Wissens keinen Logistiktarifvertrag. Die Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen wollen einen Tarifvertrag, der im Einzelhandel und im Versandhandel gilt.
Nun will ich grundsätzlich dazu anmerken: Meine Fraktion und ich sind der Meinung, dass sich ein Unternehmen, das in Deutschland 10.000 Beschäftigte hat – im Weihnachtsgeschäft kommen noch einmal 10.000 Aushilfskräfte hinzu –, einen ordentlichen und tatsächlichen, der Geschäftsidee entsprechenden Tarifvertrag zulegen sollte.
Es ist keine kleine Klitsche, von der wir reden, sondern es handelt sich um einen weltweit tätigen Konzern. Das gilt allemal auch für einen solchen Konzern.
Ich habe mir die Frage gestellt, ob Logistikbranche oder Versandhandel. Ich habe einmal hin und her überlegt, was
sie in Bad Hersfeld, in Koblenz oder anderer Stelle tatsächlich so genau machen. Ein direktes Transportunternehmen oder ein Paketdienst ist das nicht. Das können wir gemeinsam feststellen. Die Leute melden sich in aller Regel online und bestellen etwas bei Amazon. Amazon versendet anschließend die bestellte Ware dorthin, wo sie bestellt wurde. So weit, so gut.
Das Wort Versand kommt eigentlich von versenden. Statt Versandhandel könnte man auch Versendehandel sagen. Das hört sich allerdings blöd an. Meine Damen und Herren, merken Sie etwas? Ich glaube, Amazon war schon die ganze Zeit im falschen Tarifgewässer unterwegs. Nun ist das ein amerikanisches Unternehmen, okay. Amazon kennt es vielleicht noch nicht so genau, wie das bei uns zugeht. Aber es wird Zeit, dass sich das Unternehmen allmählich an unsere üblichen Tarifregeln gewöhnt.
By the way, fragen Sie doch einmal den Otto-Versand, oder einen anderen Versandhändler, was sie davon halten, dass Amazon nach Logistiktarif zahlt. Sie würden ihnen sofort Bescheid darüber sagen, was sie dazu denken.
In diesem Sinne hoffen wir eindringlich und solidarisch, dass das zähe Tarifringen bald zu einem friedlichen Ende, vor allen Dingen zu einem Ergebnis kommt, das Arbeit und Leistung würdigt und der tatsächlichen Beschäftigung entspricht.
Zu all dem hätte es dem Entschließungsantrag der LINKEN nicht so wirklich bedurft, weil es wir es erstens schon wissen und zweitens allgemein bekannt ist, dass der Landtag das Wort „Tarifautonomie“ bisher immer geheiligt hat.
Es ist dann etwas anderes, wenn wir im Landtag für das VW-Gesetz kämpfen oder gegen die Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste oder wenn wir uns gemeinsam im Sinne einer Bundesratsinitiative für den gesetzlichen Mindestlohn einsetzen, oder, oder, oder.
Ich könnte jetzt auch sagen: Jährlich grüßt das Murmeltier. Ich habe es einmal recherchiert. Mein Kollege Michael Siebel hat Ihnen am 8. Oktober 2009 schon erklärt, wie das ist. Mein Kollege Günter Rudolph hat es Ihnen am 3. März 2011 erklärt, am 9. Juli 2011 noch einmal, Herr Kollege Spies am 22. November 2012, ich habe es am 27. Juni 2013 auch versucht, und heute schon wieder.
Meine Damen und Herren, es ist leider so: Der Landtag mischt sich nicht in Tarifauseinandersetzungen ein. Auch hier ist die Tarifautonomie das Stichwort. Das ist leider so, so sehr wir im Herzen manchmal dabei sind. Vermutlich wird es nichts nutzen, lieber Hermann, aber ich lege mir den Vorgang für 2015 auf Wiedervorlage. Dann werden wir an anderer Stelle auch noch einmal darüber reden. Aber das ist nicht schlimm.
Trotz aller Solidarität werden wir uns bei der Abstimmung aus den bekannten Gründen heute enthalten. Meine Damen und Herren, Sie haben es in der Antragsbegründung ein bisschen verschwinden lassen: Da gibt es noch einen ganz anderen Skandal, nämlich wie Amazon mit Steuern umgeht. Darin sind wir uns vollkommen einig.
Das gilt übrigens auch für eine ganze Reihe von anderen Betrieben. Das gilt für Google, das gilt für Apple und einige andere. Um nur einmal eine Zahl in den Raum zu werfen: Amazon hat im Jahr 2012 in Deutschland einen Gewinn von 118 Millionen € erzielt. Das Finanzamt hat davon so gut wie nichts gesehen. Das kann es nicht sein.
Das Geheimnis ist ein ganz einfaches. Amazon hat den größten Teil seines Umsatzes ganz clever über Luxemburger Gesellschaften abgewickelt und deshalb in Deutschland kaum Steuern gezahlt. Das ist insofern ein Skandal, weil Amazon in Deutschland den größten Markt außerhalb der USA hat. Ein Drittel seiner Erlöse erzielt der weltgrößte Internethandel zwischen Rhein und Oder, das ist so. Wir reden europaweit von 8 Milliarden $ Umsatz, der in Luxemburg abgewickelt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann nicht sein. Unser Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat in diesem Zusammenhang kürzlich von Silicon-Valley-Kapitalismus gesprochen. Das hat mir außerordentlich gut gefallen, weil er nämlich recht hat. Diese Steuermeidungsstrategien solcher Konzerne sind alles andere als sozial. Deshalb sagt die SPD klar und deutlich: Dieses Steuerdumping muss unterbunden werden. Wer in Deutschland Gewinne erzielt, hat sie hier zu versteuern.
Vernünftigerweise hat die EU-Kommission schon einiges in die Wege geleitet. Es wird derzeit überprüft, ob diese Praxis illegal ist. Vor allen Dingen hat sie sich jetzt dazu durchgerungen, dass die Kapitalerträge über die Grenzen Europas hinweg transparent dargestellt werden müssen. Ich hoffe, dass sie bei ihren Ermittlungen zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
Über diesen Fall entscheidet übrigens die neue EU-Kommission mit ihrem Chef Jean-Claude Juncker an der Spitze, ehemals Premier- und Finanzminister in Luxemburg. Das ist aber eine ganze andere Geschichte, die wir jetzt nicht erörtern wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage wird sein, ob diese Deals am Ende als unerlaubte Beihilfen eingestuft werden können. Für die Beihilfen gibt es ganz klare Zulässigkeitsregeln. Zum Schluss gilt für uns Sozialdemokraten ganz klar die Devise: Steuerschlupflöcher dicht machen, fertig und aus.