Deswegen werden wir am 12. April 2015 in Buchenwald anlässlich des 70. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald an den Schwur von Buchenwald erinnern. Ich darf ihn zitieren:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Diesem Schwur fühlen wir uns als LINKE verpflichtet. Wir wollen der Menschen gedenken und die Erinnerung an sie wachhalten, die selbst unter den barbarischen Bedingungen der Folter und des Mordes nicht aufgegeben haben, für Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit zu kämpfen.
Ich komme zum Ende meiner Rede. – Wir wissen: Der Faschismus ist nichts historisch Vergangenes, sondern auch in unserem Land immer noch lebendig. Oder, um es mit Bert Brecht zu sagen:
Herr Kollege van Ooyen, vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Frau Beer für die Fraktion der FDP. Frau Beer, bitte schön.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als am 3. Januar 1996 der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, zum nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert wurde, formulierte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog die Notwendigkeit des Erinnerns und des Gedenkens wie folgt:
Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.
Meines Erachtens gilt es, diesem Anspruch auch in Zukunft gerecht zu werden. Das ist weit mehr als die bloße Aufforderung zu einem ritualisierten Gedenken. Das ist eine Aufgabe, die sich an die gesamte Gesellschaft, an uns
hier im Saal und darüber hinaus richtet, ein würdiges Gedenken und Erinnern fernab der Ideologie und der Befindlichkeiten zu ermöglichen und uns aktiv dafür einzusetzen, dass eine derart menschenverachtende Politik und die Vernichtung der Menschen, ungleich aus welchen Motiven auch, nicht noch einmal stattfinden dürfen.
Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, …
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, es geht um weit mehr als nur darum, diese Zielsetzung in Anträgen zu bekunden und nach gemeinsamen Formulierungen des Erinnerns zu suchen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Genau deshalb stimmt es mich auch traurig, dass offensichtlich noch nicht einmal dies in unserem Haus gelingt.
(Holger Bellino (CDU): Sie hätten sich einmal besser kümmern sollen! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Das ist eine Frechheit!)
sehr geehrter Herr Kollege Bellino, und zwar ausdrücklich: Auch wenn wir die eine oder andere Formulierung in den Anträgen anders gewählt hätten, so werden wir heute ganz bewusst beiden Anträgen zustimmen. Vielleicht versteht es der eine oder andere auch als Appell an sich selbst.
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns muss aber vor allem daran gelegen sein, diese Erinnerungen und die Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind, auch zu leben und nach außen glaubhaft zu vermitteln – anstatt nur auf die moralische Verantwortung zu verweisen. Mich persönlich treibt es um, dass heute wieder – wie z. B. aktuell in Frankreich – jüdische Bürgerinnen und Bürger verstärkt darüber nachdenken, ihre Heimat – dort ist Frankreich ihre Heimat, so wie Deutschland die Heimat derjenigen jüdischen Glaubens ist, die bei uns leben – zu verlassen und nach Israel auszuwandern.
Genau deswegen muss es uns meines Erachtens auch nachdenklich stimmen, wenn 77 % der Befragten in der Studie „Deutschland und Israel heute“ der Bertelsmannstiftung der Aussage zustimmen, man solle die Geschichte ruhen lassen, um sich gegenwärtigen und zukünftigen Problemen zu widmen; oder wenn 55 % unserer Bevölkerung der Aussage zustimmen, heute, beinahe 70 Jahre nach Kriegsende, sollten wir nicht mehr so viel über die Judenverfolgung reden, sondern endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.
Das muss uns umtreiben. Denn es geht dabei nicht nur um unser kollektives Gedächtnis, sondern um die Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit der Geschichte und auch um das Handeln heute, morgen und übermorgen.
Der zeitliche Abstand, die Veränderung der Sehgewohnheiten, die Veränderung der familiären Hintergründe – das sind nur einige wenige Faktoren, die die Geschichtsvermittlung, die Erzählform und die Formen des Gedenkens verändern und auch weiter verändern werden. Aus diesem Grund haben Gedenkstätten, aber auch Bildungsstätten, die
sich mit dieser Thematik beschäftigen, neue Konzepte der Erinnerungskultur und der Vermittlung entwickelt, um sich diesem veränderten Zugang zu stellen.
Genau deswegen brauchen wir neue didaktische Ansätze, wie sie von Wissenschaftlern und Pädagogen entwickelt werden, um die Geschichtsbilder junger Menschen – gerade in unserer jetzt so heterogenen Gesellschaft, mit all der Zuwanderung, die wir in den letzten 70 Jahren erfahren haben – und ihr Verständnis von Deutschland, ihr Verhältnis zur Thematik Nationalsozialismus und Schoah zu berücksichtigen und einzubinden.
Deshalb ist es notwendig, dass wir verstärkt zielgruppenspezifische Ansätze in der Aufklärung und Information praktizieren, sodass eine gegenwartsorientierte, erfahrungsorientierte und auch auf forschendes Lernen gerichtete Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus möglich wird. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Forderung, dass jede Schülerin oder jeder Schüler in seiner Schullaufbahn eine Gedenkstätte besucht haben soll, greift da meines Erachtens zu kurz, wenn wir nur darauf setzen, dass allein ein Rundgang oder der authentische Ort ausreicht, um Lernprozesse in Gang zu setzen oder Empathie zu entwickeln. Auch dieser Landtag ist manchmal geneigt, sich auf diese vermeintlich einfache Lösung zurückzuziehen und zu vergessen, dass es spezifischer Konzepte und Angebote bedarf, um es den Jugendlichen zu ermöglichen, einen Bezug zur deutschen Geschichte des Nationalsozialismus und zu seiner Bedeutung für die Gegenwart herzustellen.
Daher bin ich unter anderem dem Kultusminister – auch wenn er gerade nicht anwesend sein kann – sehr dankbar, dass er z. B. das Wirken der David Ben-Gurion Stiftung unterstützt, die es sich zum Auftrag gemacht hat, Schulklassen miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie bringt z. B. Schulklassen aus Berlin-Kreuzberg oder FrankfurtGallus mit ihrer ganzen Heterogenität auch der Herkunftsländer ihrer Eltern und Großeltern nach Israel und zu israelischen Jugendlichen, um sich dort nicht nur Gedenkstätten anzuschauen, sondern auch den heutigen Alltag zu erleben – bei all den Spannungen, die sie dann aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina vor Ort im Alltag der Jugendlichen erleben.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ebenso gilt es, Strategien fortzuführen und Projekte zu unterstützen, die Überlebenden des Holocaust auch zukünftig eine Stimme geben, ihre Erinnerungen für folgende Generationen zu bewahren.
Ich komme zum Ende der Rede, möchte aber ganz gerne noch einen Gedanken anschließen; denn ich glaube, zur Bewahrung der Erinnerung gehört es auch, dass wir die Linie in die Zukunft weiterziehen, dass wir sehen, dass aus diesen Erinnerungen auch heute eine Verpflichtung entsteht, nicht wegzuschauen, wo Unrecht geschieht, sondern Verantwortung zu übernehmen, und dies immer, wenn Menschenfeindlichkeit zutage tritt –
ich versuche gerade, diesen Satz zu beenden – oder die Freiheit des Einzelnen in Gefahr ist, unabhängig davon, wessen Freiheit es ist und ob ich die Meinung, Religion oder Lebensart desjenigen teile, dessen Freiheit eingeschränkt werden könnte. – Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Feldmayer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Soldaten der Roten Armee in Auschwitz am 27. Januar 1945 vorfanden, war so grauenhaft, dass es mit Worten kaum zu beschreiben ist. Es ist für uns unvorstellbar, welche barbarischen Verbrechen dort verübt wurden und was die Menschen ertragen, man muss sagen: erlitten haben. Etwa 7.000 Menschen waren noch im Lager, als Auschwitz befreit wurde. 10.000 Menschen wurden noch kurz vorher von den Nazis umgebracht. Viele der verbliebenen Häftlinge waren so geschwächt, dass sie ihre Rettung kaum überlebt haben.
Für uns ist es unvorstellbar, was sich dort abgespielt hat. Mit dem Wort „unvorstellbar“ beschreiben Schülerinnen und Schüler, die Auschwitz besuchen, immer wieder das, was dort passiert ist. Mit dem Wort „unvorstellbar“ ist man immer wieder konfrontiert, wenn es um Auschwitz geht.
Meine Damen und Herren, aber es ist passiert. Wenn wir uns bei der Vorstellung von Auschwitz an der Grenze dessen befinden, was wir ertragen können, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass dieses für uns Unvorstellbare Menschen in den Konzentrationslagern am eigenen Leibe erfahren haben. Das Vernichtungslager Auschwitz steht symbolisch für die barbarischen Verbrechen und Morde der nationalsozialistischen Herrschaft. In den Konzentrationslagern, den Arbeitslagern, bei den Todesmärschen sind Millionen von Menschen ermordet worden. Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kranke, Behinderte, Andersdenkende, Widerstandskämpfer wurden ermordet – einfach nur, weil sie nicht in die Ideologie der Nazis passten.
Wir Deutsche tragen hier eine ganz besondere Verantwortung. Wir müssen dafür sorgen, dass niemals vergessen wird, wofür Auschwitz steht.
Wir müssen dafür sorgen, dass der Holocaust-Gedenktag nicht pflichtschuldig und ritualisiert begangen wird, sondern dass wir eine lebendige Erinnerung bewahren. Immer wieder müssen wir uns fragen: Haben wir genug getan, damit das Gedenken, das Erinnern an die Opfer der Verbre
Meine Damen und Herren, das Vergangene erlegt uns Verantwortung für die Zukunft auf. Erinnern und Gedenken darf nicht zu einem Ritual erstarren – sonst schaffen wir es einfach nicht, das weiterzugeben, was wir jetzt wissen, was wir noch über die Zeit des Nationalsozialismus erfahren durften, beispielsweise auch von Gesprächen mit Zeitzeugen.
Noch haben wir Zeitzeugen, die erzählen können und die vor allen Dingen erzählen wollen, die den Kindern und Jugendlichen, aber auch uns berichten können, was sie als Kinder Schreckliches erlebt haben. Diese Erinnerungen sind ein wertvoller Schatz.
Die Erfahrungen mit Schulklassen, die mit Zeitzeugen geredet haben, zeigen, dass die Kinder und Jugendlichen nach diesen Begegnungen sensibilisiert sind. Sie sind sensibilisiert dafür, was Recht und was Unrecht ist. Vor allen Dingen sind sie sensibilisiert für die Gefahren, die unserer Demokratie drohen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht wäre es auch sinnvoll, an einem der nächsten wichtigen Gedenktage hier im Landtag lieber einen Zeitzeugen oder eine Zeitzeugin zu uns sprechen zu lassen, als über Formulierungen in Anträgen zu streiten. Ich finde, dieser Streit unter den Parteien sollte nicht stattfinden.
Meine Damen und Herren, lebendiges Erinnern bedeutet auch, dass wir die authentischen Orte erhalten müssen, denn auch sie sind Zeugen der Zeit. Viele authentische Orte sind vom Verfall bedroht. In Auschwitz-Birkenau, der Mordfabrik der Nazis, sind nur wenige der Baracken für Besucher zugänglich. In allen anderen droht Einsturzgefahr. Die Nationalsozialisten haben vor ihrer Flucht die Krematorien und Gaskammern gesprengt, weil sie sich ihrer Taten bewusst waren und nicht für sie einstehen wollten. Diese Ruinen sind komplett vom Verfall bedroht. Es ist schlimm, dass für den Erhalt der Gedenkstätten die finanzielle Unterstützung lange fehlte. Die Stiftung Auschwitz-Birkenau, die 2009 gegründet wurde, ist immer noch nicht mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet, um den Erhalt dieses Ortes dauerhaft zu sichern. Auschwitz verfällt jedes Jahr, jeden Tag ein bisschen mehr. Das ist eine Schande. Hier braucht es größere Anstrengungen, meine Damen und Herren.