Wie wir erfuhren, geschah dies wohl, um RWE kein Material für Schadenersatzklagen zu liefern. Das heißt also: Der Gefahr war man sich zu diesem Zeitpunkt sehr wohl bewusst.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist ein unglaublicher Vorgang!)
Man war sich der Gefahr bewusst, und man hat ganz bewusst Dinge vertuscht. Der Gipfel des Ganzen ist, dass es eine schriftliche Warnung aus dem Justizministerium gibt, dass man so nicht vorgehen könne, dass es formal rechtswidrig sei, und der zuständige Abteilungsleiter sagt nach eigenen Worten: Diese Warnung hat er weggeworfen, sie wurde ignoriert. Sie wurde nicht einmal zu den Akten gegeben. – Es ist doch unglaublich, welche Zustände sich hier offenbaren.
Am 18. März 2011 wurde die Abschaltverfügung zugestellt. Zwei Wochen später reicht RWE eine Klage auf Schadenersatz ein. Das kann den Steuerzahler noch viel Geld kosten, denn die Gerichte haben festgestellt: Die Abschaltverfügung war rechtsfehlerhaft. Das heißt also, die Landesregierung hat formale Fehler gemacht. Dabei hätte man Biblis rechtssicher stilllegen können, und ich sage: Man hätte den Schrottmeiler in Biblis aufgrund der Sicherheitsmängel viel früher stilllegen müssen.
Ich finde, man muss sich diese Vorgeschichte in Erinnerung rufen, wenn man über die Umstände spricht, unter denen der Brief entstand, über den wir heute sprechen. Im Juni 2011 schreibt der RWE-Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann einen Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Hessen – wohlgemerkt, seinem Klagegegner in einem laufenden Rechtsstreit – und bittet ihn darum, ihm einen Brief zu schreiben, dass das Land ein Wiederanfahren von Biblis verhindern werde. Unterschrieben ist es mit den Worten: „Grüße in die USA“. Man kennt sich offenbar, und offenbar kennt man auch die Reisetätigkeiten des anderen.
Was macht Bouffier? Er liefert. Einige Tage später antwortet der Ministerpräsident wunschgemäß: „Ja, wir werden gegen ein Wiederanfahren vorgehen“, bittet aber darum, davon Abstand zu nehmen, um die vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Wohlgemerkt, schreibt er dies dem Vorstandsvorsitzenden eines Konzerns, der das Land Hessen gerade verklagt.
Herr Bouffier, Sie sind Rechtsanwalt. Trotzdem schreiben Sie RWE, das das Land gerade auf Schadenersatz verklagt, einen Brief, der genau so vom RWE-Chef bestellt worden ist und auf den sich RWE bei seiner Klage beziehen kann. Sie liefern RWE also noch das Futter, das es für die Klage braucht.
Und jetzt erklären Sie, dieser Brief sei nur ein „politischer Brief“ gewesen. Was soll das denn sein? Wir reden hier doch nicht über eine Weihnachtskarte an RWE, sondern über ein Schreiben eines Regierungschefs auf dem Briefkopf des Ministerpräsidenten, einen Brief, in dem ein Verwaltungshandeln angekündigt wird und den Sie noch eigenhändig geändert haben. So irrelevant kann das ja nun nicht gewesen sein.
Und dann stellen Sie sich hierhin und sind beleidigt, dass Ihre jahrzehntelange Arbeit für das Land nicht gewürdigt würde.
Ein bisschen mehr Selbstkritik wäre vonnöten. Ein Großteil der Skandale in diesem Land ist mit Ihrem Namen verbunden: Rechtswidrige Einstellungen bei der Polizei, Behinderung der Mordermittlungen beim NSU, aktive Mitwirkung beim rechtswidrigen Atommoratorium – ein bisschen weniger Selbstgefälligkeit und ein bisschen mehr Selbstreflexion wären vonnöten.
Das wäre schon angebracht, wenn einem die Gerichte in diesem Land regelmäßig erklären, dass man gegen Recht und Verfassung verstößt. Schaden wird dem Land durch die zugefügt, die den Mist bauen, und nicht durch die, die auf den Misthaufen hinweisen und versuchen, einen Durchblick zu bekommen.
Da finde ich es schon verwunderlich, dass die GRÜNEN keine klaren Worte finden. Gerade die Atomkraft war jahrzehntelang Ihr Herzensthema.
Was hätten denn die GRÜNEN vor eineinhalb Jahren gesagt? – Da hätte Tarek Al-Wazir doch vor lauter Entrüstung unter der Decke gehangen.
Für uns ist klar, wenn der Brief des Ministerpräsidenten an RWE dazu beiträgt, dass RWE der Atomausstieg jetzt auch noch versilbert wird, nachdem sie sich jahrzehntelang auf Kosten der Allgemeinheit bereichert haben, dann muss der Ministerpräsident daraus persönliche Konsequenzen ziehen. Der Briefwechsel offenbart eine bedenkliche Nähe zwischen Politik und Atomlobby.
Auch beim Untersuchungsausschuss zeigt sich: Wir haben es mit einem großen, jahrzehntelang gewachsenen Sumpf zu tun, dessen Ausmaß wir nur erahnen können. Die hessischen GRÜNEN müssen sich entscheiden, ob sie diesen Sumpf trockenlegen oder ob sie mit versumpfen wollen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wenn man sich die Juristendichte in den Ministerien auf Bundes- und Landesebene anschaut und sich diese haarsträubende Fehlerkette vor Augen hält, dann fällt es wirklich schwer, an Fehler zu glauben. Alles zusammen war nicht nur die freundliche Einladung an die Konzerne, zu klagen, sondern es war geradezu die Zusammenstellung der Klageschrift seitens der Ministerien.
Freundlich ausgedrückt, ist das verantwortungslos. Aber den Verdacht, dass das mutwillig passiert ist, dass es sich um Kumpaneien mit der Atomlobby handelt,
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal mit aller Deutlichkeit den Vorwurf meiner Vorrednerin zurückweisen, der Ministerpräsident und damalige Innenminister hätte bewusst die Ermittlungen im NSU-Untersuchungsausschuss behindert. Das ist eine Unverschämtheit. Jeder, der sich ernsthaft mit dieser Thematik auseinandersetzt, weiß das.
Der heutige Setzpunkt der SPD ist in vielerlei Hinsicht unangemessen. Er hätte spätestens nach der Wortmeldung des Ministerpräsidenten zurückgezogen werden sollen.
Es ist der verzweifelte Versuch der SPD, mit übereilten Schlussfolgerungen und Halbwahrheiten einen vermeintlichen Skandal herbeizureden, einen Skandal, den es gar nicht gibt. Ich will Ihnen das begründen.
Erstens. Der hier in Rede stehende Vorgang ist, anders als die SPD behauptet, keinesfalls neu. Der Briefwechsel zwischen Dr. Großmann, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von RWE, und dem Ministerpräsidenten gehört bereits seit mehr als einem halben Jahr zu den Akten des BiblisUntersuchungsausschusses. Er ist allen Mitgliedern des Ausschusses seit Monaten bekannt, vorausgesetzt, man hat die Akten gelesen.
Die SPD wurde durch den Bericht eines Fernsehmagazins aufgeschreckt und meint nun, daraus politisches Kapital schlagen zu können. Das ist aus parteipolitischer Sicht vielleicht verständlich, hat aber nichts mit einer sachlichen Parlamentsarbeit zu tun.
Zweitens. Der Antrag der SPD stellt in unzulässiger Weise ein angebliches Ergebnis des Untersuchungsausschusses bereits zum heutigen Zeitpunkt fest. Sie schreiben unter Punkt 2 – da bin ich der FDP dankbar, dass sie auch darauf hingewiesen hat –, Ministerpräsident Bouffier habe mit seinem Brief zum Nachteil des Landes gehandelt. Ich frage Sie: Über welchen Schadenseintritt sprechen Sie? Woran machen Sie das fest? Wer hat das irgendwo dargelegt? Wer außer Ihnen glaubt das? Oder dürfen wir Ihren Antrag so verstehen, dass Sie den Untersuchungsausschuss beenden wollen?
Sie haben offensichtlich schon heute Ihre Schlussfolgerungen gezogen. Das zu einem Zeitpunkt, da noch keiner der politischen Entscheidungsträger die Möglichkeit hatte, als Zeuge im Ausschuss Stellung zu beziehen, Fragen zu beantworten, Fakten aufzuklären. Das ist eine eklatante Missachtung parlamentarischer Verfahren.
Sie führen damit Ihren eigenen Untersuchungsausschuss ad absurdum. Ihr Antrag widerspricht aber vor allem elementaren Grundsätzen unseres Rechtsstaats. Sie betreiben damit eine Vorverurteilung von Zeugen, die bisher keine Gelegenheit hatten, sich im Untersuchungsausschuss zu äußern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist weder dem Bund noch dem Land Hessen ein Schaden entstanden.