Protokoll der Sitzung vom 04.02.2015

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich hat dieser Brief rechtliche Relevanz.

(Zurufe von der SPD: Politische auch!)

Politisch auch. – Die Frage ist, wie weit diese rechtliche Relevanz am Ende reicht. Genau diese Frage wird vor Gericht geklärt werden. Das wird eine entscheidende Rolle bei der Einschätzung spielen, wie das am Ende zu bewerten ist. Das kann ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen.

(Beifall bei der FDP)

Aber ich kann eine Prognose treffen. Sollte am Ende ein Schadenersatzbetrag in ungefähr der genannten Höhe von 235 Millionen € zur Tatsache werden, wird das die Regierung Bouffier erschüttern. Da bin ich mir sicher. Das wird an dieser Regierung nicht spurlos vorbeigehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der SPD)

Bis es so weit ist, werden wir uns aber noch ein wenig gedulden müssen. Darum kann sich die FDP-Fraktion hier heute sicherlich keine abschließende Meinung bilden.

Wenn ich hier schon die Möglichkeit habe, einiges zu diesem Untersuchungsausschuss zu sagen, möchte ich auf die Frage eingehen, wie es uns in diesem Ausschuss möglich ist, Zeugen anzuhören. Das ist für mich der erste Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag, dem ich beiwohnen darf. Ich muss schon feststellen: Dass man in Berlin so wenig Unterstützung findet, wenn staatliche Ebenen versuchen, Licht in solch schwierige, komplexe Zusammenhänge zu bringen, ist eine Erkenntnis, die ich nicht erwartet hätte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Das trifft schon in dem Zusammenhang, ladungsfähige Adressen ausfindig zu machen, für einfache Mitarbeiter eines Ministeriums zu. Mit meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit ist es für mich unvorstellbar, was dort passiert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Allerdings – Herr Bouffier, auch das kann ich hier noch hinterlegen, zumal ein Spielchen der Beschuldigung zwischen CDU und SPD eingesetzt hat, wer sich in Berlin woran beteiligte –: Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass ein ehemaliger Bundesminister durch das Bundeskabinett eine Beschränkung seiner Aussagemöglichkeiten auferlegt bekommt und wir Herrn Röttgen – ich will es einmal flapsig sagen – nur nach Dingen fragen dürfen, die wir schon wissen und die in der Zeitung standen. Das dient in keiner Weise der Aufklärung in diesem Bereich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Von daher glaube ich, dass wir noch das eine oder andere in diesem Ausschuss erleben werden. Es hat schon eine beeindruckende Zeugenaussage in diesem Ausschuss gegeben: Man bekam von einem Fachbeamten in solcher Deutlichkeit dargelegt, wie diese Vorgänge im Umweltministerium durchgeführt worden sind, und – das war für mich eine Botschaft, die eigentlich niemand beweisen kann, das müsste vor Gericht überprüft werden – der höchste Fachbeamte des betroffenen Bereichs des Umweltministeriums führte aus, dass man aus seiner Sicht eine rechtssichere

Stilllegungsverfügung hätte verfassen können. Das muss ich in meine Bewertung zumindest einfließen lassen. Auch das ist eine Botschaft, die ich in dieser Form nicht erwartet habe.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Darum glaube ich, dass der Ministerpräsident seine Chance heute hätte besser nutzen können, um mit Vermutungen, Behauptungen und – wie soll ich sagen? – Theorien aufzuräumen. Das hätte man hier heute deutlicher machen können. Ich habe aber ein gewisses Verständnis dafür: Wenn man noch eine Aussage im Untersuchungsausschuss zu machen hat, will man sich im Plenum vielleicht nicht so stark angreifbar machen. Aber am Ende muss erklärt werden, was dieser Brief sollte und mit welcher Intention er geschrieben worden ist. Das wird eine wichtige Frage sein.

Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit nutzen, um Herrn Abg. Heinz, dem Vorsitzenden dieses Ausschusses, ausdrücklich meinen Respekt zu zollen. Er leitet diesen Ausschuss überparteilich und ist unglaublich bemüht, eine Verhandlungsführung zutage zubringen, die der Wahrheitsfindung dient. Herr Heinz, meinen Respekt, machen Sie weiter so.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als wir – aber auch namhafte Juristen und Organisationen wie IPPNW – damals warnten, dass das Atommoratorium nicht rechtssicher ist und damit geradezu eine Einladung an die Atomkonzerne darstellt, dagegen zu klagen, wurde das noch als Verschwörungstheorie abgetan.

Ich stelle fest: Nach zwei Gerichtsurteilen und nach einem genaueren Einblick in die Vorgänge zeigt sich, dass die Realität oft noch viel schlimmer ist als die kühnste Theorie.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich will noch einmal den Ablauf der Ereignisse skizzieren, um einfach deutlich zu machen, mit welch haarsträubenden Vorgängen wir es zu tun haben und dass die Vermutung naheliegt, dass das nicht alles Fehler gewesen sein können, die sich aneinanderreihen.

Im Oktober 2010 kassierte die Koalition aus CDU, CSU und FDP den acht Jahre zuvor besiegelten Atomausstieg und beschloss die sogenannten „Laufzeitverlängerungen“. Ich will nur einmal daran erinnern, dass damals 100.000 Menschen gegen die Laufzeitverlängerungen auf die Straßen gegangen sind – nur weil heute immer gern von gesellschaftlicher Akzeptanz für die Energiewende die Rede ist. Als es um die Atomkraft ging, war den Regierungen die gesellschaftliche Meinung immer herzlich egal.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Die Laufzeitverlängerung war ein Geschenk von SchwarzGelb an die Atomkonzerne und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Unternehmen die öffentliche Hand jetzt überhaupt auf Steuergelder in Milliardenhöhe verklagen

können. Hätte es diesen falschen Beschluss nicht gegeben, dann wären wir jetzt in einer ganz anderen Situation.

(Beifall bei der LINKEN)

Schwarz-Gelb hat die Wünsche der Atomlobby erfüllt. Doch dann kam alles anders, nämlich wenige Monate später, am 11. März 2011, ereignete sich vor der japanischen Küste ein schweres Erdbeben und löste einen Tsunami aus. Es kam in japanischen Atomkraftwerken zu Unfällen, insbesondere am Standort Fukushima. Aber einen Tag nach Fukushima erklärte der damalige Bundesumweltminister Röttgen in einer ersten Reaktion die Diskussion über Sicherheit und Laufzeiten von deutschen Atomkraftwerken für völlig deplatziert. Doch die öffentliche Stimmung kippte bis weit in das bürgerliche Lager hinein, und – darauf ist richtigerweise hingewiesen worden – in Baden-Württemberg stand eine Landtagswahl an. Als die Kanzlerin den gesellschaftlichen Druck spürte, verkündete sie, dass die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke ausgesetzt werden solle.

Sie hat aber eine Rückkehr zum rot-grünen Atomausstieg ausgeschlossen. Man wollte nach den Ereignissen von Japan die schockierte Öffentlichkeit beruhigen und über die Landtagswahlen kommen, ohne die Grundsatzentscheidung für die Laufzeitverlängerungen wirklich anzufassen. So kam man auf die Idee des Atommoratoriums. Daran, den richtigen und rechtssicheren Weg zu gehen, nämlich ein Atomausstiegsgesetz zu verabschieden, wie es DIE LINKE und andere Oppositionsparteien damals vorgeschlagen haben, hatte die Bundesregierung überhaupt kein Interesse. Das wäre in der damaligen Situation möglich gewesen. Wenn es möglich ist, innerhalb von drei Tagen im Bundestag ein Bankenrettungsgesetz zu verabschieden, dann wäre es auch möglich gewesen, innerhalb von wenigen Tagen ein rechtssicheres Abschaltgesetz für die deutschen Atomkraftwerke auf den Weg zu bringen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber das wollten CDU und FDP nicht, weil sie über Jahre hinweg, jahrzehntelang, verkündet haben, dass die Atomkraft sicher, kostengünstig und zuverlässig sei. Sie hatten gerade die Laufzeiten verlängert; sie hatten vor allem ein Ziel, nämlich Zeit zu gewinnen, über die Landtagswahl in Baden-Württemberg zu kommen, ohne sich von ihrem atomfreundlichen Kurs verabschieden zu müssen. Nur deshalb hat man den Steuerzahler einem derartigen Risiko ausgesetzt. Das war der Grundfehler in dieser ganzen Reihe von Versäumnissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, am Dienstag, dem 15. März 2011, haben dann Merkel und Röttgen die Vertreter der Bundesländer mit Atomkraftwerken nach Berlin eingeladen, um über die Umsetzung des Moratoriums zu sprechen. Man hat mit den Ministerpräsidenten den politischen Rahmen abgesteckt. Ja, die sieben ältesten AKWs sollten drei Monate lang für eine Sicherheitsüberprüfung vom Netz; und, nein, dafür sollte es keine gesetzliche Grundlage geben, sondern das sollte im Rahmen eines atomrechtlichen Verwaltungsverfahrens geschehen. Mittags gab es dann die viel beachtete Pressekonferenz, an der auch der Ministerpräsident teilgenommen hat, und dann ging man wieder auseinander. Es deutet viel darauf hin, dass dieser Weg rechtlich niemandem wirklich geheuer gewesen ist. Das zeigt sich auch sehr deutlich, wenn man sich das

Schwarzer-Peter-Spiel anschaut, das danach stattgefunden hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man die Akten des Untersuchungsausschusses liest, stellt man fest: Der Bund hat von Anfang an versucht, die Verantwortung auf die Länder zu schieben, und die Länder haben versucht, die Verantwortung auf den Bund zu schieben. Dass es am Ende immer die Steuerzahler sind, die haften, egal, ob es der Bund oder die Länder zu verantworten haben, war den Beteiligten offenbar egal. Die genaue Ausgestaltung des Moratoriums sollte nachmittags gemeinsam mit allen Landesministern und dem Bundesumweltminister diskutiert werden, allerdings nicht mit allen. Frau Puttrich, damalige hessische Umweltministerin, ist zwar nach Berlin geflogen, ist aber noch vor Beginn des Treffens zurückgeflogen, weil Ministerpräsident Bouffier sie bei einem Pressetermin in Wiesbaden dabei haben wollte.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Oh!)

Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie, Frau Ministerin, statt in einer derart heiklen Angelegenheit Ihren Verpflichtungen nachzukommen, statt zu diesem Treffen zu gehen und vielleicht Bedenken vorzutragen oder Fragen zu stellen, lieber in Wiesbaden einen öffentlichkeitswirksamen Termin mit dem Ministerpräsidenten wahrgenommen haben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Propaganda!)

Das ist vollkommen verantwortungslos. Als ich das gehört habe – ich wusste das nicht –, habe ich wirklich gedacht: Das disqualifiziert sie für die Rolle als Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wer sich in einer solchen Situation lieber vor die Kameras stellt, statt sich darum zu kümmern, seine Arbeit zu machen, ist auf der Regierungsbank wirklich fehl am Platz.

(Manfred Pentz (CDU): Hör doch auf!)

Hessen war also als einziges betroffenes Land nicht mit der Ministerin, nicht mit dem Staatssekretär, sondern mit einem hohen Beamten vertreten, nämlich mit dem für die Atomaufsicht zuständigen Abteilungsleiter.

(Norbert Schmitt (SPD): Deswegen ist er kaltgestellt worden!)

Richtig, er hat interveniert.

Am nächsten Tag geht im hessischen Umweltministerium das Schreiben des Bundesumweltministeriums zur Abschaltung von Atomkraftwerken ein. Dieses Schreiben löste bei der Fachabteilung größte Bedenken aus, und der damaligen Ministerin Puttrich, die bei dem Treffen ja nicht dabei war, werden die Bedenken vorgetragen. Daraufhin nimmt diese das Verfahren an sich. Die zuständige Abteilung wird von ihren Aufgaben entbunden und soll nur noch Schreibarbeiten ausführen. Dieser beachtliche Vorgang wird genauso wenig wie die Bedenken selbst in einer einzigen Akte vermerkt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, und deswegen war es Vorsatz!)