Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend befristetes Aufenthaltsrecht für Asylsuchende in Ausbildung – humane Lebensperspektive ermöglichen – Fachkräftemangel begegnen – Drucks. 19/1629 –
Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bleiberecht für Flüchtlinge in Ausbildung – Drucks. 19/1670 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Als Erster spricht Herr Kollege Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In diesem Jahr jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir leben in unserem Land seit 70 Jahren in Frieden und Freiheit. Wir haben ein Grundgesetz, das die individuelle Entwicklung und Entfaltung jedes einzelnen Menschen in unserem Land garantiert. Trotz aller sozialer Probleme, die wir haben, leben wir in unserem Land, verglichen mit anderen Ländern, in relativem Wohlstand.
Leider ist das nicht die Entwicklung in allen Ländern dieses Planeten. Leider müssen wir feststellen, dass unsere Welt gerade in den letzten Jahren nicht friedlicher geworden ist. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass über 50 Millionen Menschen auf diesem Planeten auf der Flucht sind. Über 30 Millionen davon sind Flüchtlinge im eigenen Land. Über 15 Millionen sind vor Krieg, vor Menschenrechtsverletzungen, vor Gewalt und vor Terror in andere Länder geflohen. Über eine Million Menschen suchen Asyl. Niemand dieser 50 Millionen Menschen, dieser 50 Millionen Schicksale, hat sein Land und seine Heimat ohne Grund verlassen.
Wenn wir abends in der „Tagesschau“ die Bilder aus den Krisengebieten dieser Welt sehen, bekommen wir einen Eindruck, worunter diese Menschen leiden und wovor diese Menschen fliehen. Wir bekommen auch einen Eindruck davon, welche erheblichen Leistungen andere Staaten zur Aufnahme dieser Flüchtlinge erbringen. Im Vergleich zu anderen Staaten ist unser Beitrag relativ bescheiden. Das soll zu Beginn dieser Debatte auch gesagt sein.
Was abends in der „Tagesschau“ doch etwas abstrakt und fern – im wahrsten Sinne des Wortes „Fernsehen“ – ist, das wird jeden Tag in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen in Gießen ganz nah und ganz konkret. Denn dort kommen die Menschen in unserem Bundesland an, die vor Vertreibung, Gewalt und Terror fliehen. Da geht es dann um ganz konkrete Hilfe für diese Menschen, um neue Lebensperspektiven.
Deswegen möchte ich in meiner Rede ein ganz herzliches Dankeschön an all die Menschen richten, die sich um diese Flüchtlinge und Asylsuchenden kümmern.
Ich möchte den vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Erstaufnahmestelle, aber auch in den Kommunen danken. Ich möchte den beiden Regierungspräsidenten namentlich und explizit danken, die vor allem
mit dieser Aufgabe betraut sind. Das ist Frau Lindscheid für das Regierungspräsidium Darmstadt, vor allem aber auch Herr Kollege Witteck als Regierungspräsident in Gießen, der wirklich tagtäglich einen Superjob macht.
Ich möchte Herrn Minister Grüttner und Herrn Staatssekretär Dippel danken, die diese Arbeit im Sozialministerium koordinieren, den vielen Kommunalpolitikern, ob hauptoder ehrenamtlich, die sich in vorbildlicher Weise darum kümmern, den Kirchen, den vielen ehrenamtlichen Initiativen, aber auch ein ganz herzliches Dankeschön an die breite Solidarität der Zivilgesellschaft zu flüchtlingspolitischen Fragen. Das war in unserem Land schon einmal anders. Ich bin gottfroh, dass wir diese Situation nicht mehr haben, sondern eine breite Solidarität.
Dieses Engagement, diese Solidarität der Zivilgesellschaft muss für uns als Politik ein Ansporn sein, alles zu tun, um Flüchtlinge und Asylbewerber in unserem Land willkommen zu heißen, um diese positive Grundstimmung aufzugreifen und in konkrete Hilfe umzumünzen.
Meine Damen und Herren, das tun wir in Hessen. Im Landeshaushalt 2015 haben wir die Mittel im Bereich der Flüchtlingsunterbringung mehr als verdoppelt. Wir haben gesagt, in Anerkennung der Leistungen, die unsere Kommunen in diesem Bereich erbringen, erhöhen wir die Pauschalen, die die Kommunen für die Flüchtlingsbetreuung erstattet bekommen, um 15 %. Und wir sagen, wir schaffen zwei neue Erstaufnahmeeinrichtungen, neben der in Gießen, um auch bei der Erstaufnahme bessere Bedingungen, bessere Fördermöglichkeiten und bessere Unterstützungsmöglichkeiten zu haben.
Wir kümmern uns aber auch um Bildung für die Menschen, die in unser Land kommen. Wir haben die Lehrerstellen für Flüchtlinge und Asylsuchende – natürlich kommen die auch in unsere Schulen und werden dort unterrichtet – aufgestockt, um ihnen das entsprechende Rüstzeug mitzugeben und sich in unserem Bildungssystem, mit unserer Sprache zurechtzufinden.
Wir werden ein eigenes Programm für diejenigen erarbeiten, die schon über 16 Jahre sind und deshalb formal nicht der Schulpflicht unterliegen. Auch diesen Flüchtlingen, auch diesen Asylsuchenden wollen wir ein Angebot machen, damit sie sich hier besser zurechtfinden können.
Wir haben die Hürden in der Härtefallkommission gesenkt, um bei besonderen humanitären Schicksalen leichter Hilfe leisten zu können. Wir haben in Hessen eine Asylkonferenz einberufen, und es waren die Hessische Landesregierung und Sozialminister Grüttner, die die Initiative zu einer bundesweiten Asylkonferenz ergriffen haben.
Es ist nicht nur die Vereinbarung, dass den Ländern zusätzliche Mittel für die Betreuung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zur Verfügung gestellt werden, sondern es gibt aufgrund der bundesweiten Asylkonferenz erstmals eine Öffnung und eine Bereitschaft des Bundes, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge eine Gesundheitskarte geschaffen wird, sodass wir diesen Menschen bei der Gesundheitsversorgung ein besseres Angebot machen können.
Diese Landesregierung ist auch im Bundesrat für Flüchtlinge und für Asylsuchende aktiv. Im Zuge der Verhandlungen im Bundesrat ist es nicht zuletzt auf der Grundlage des Engagements von Ministerpräsident Bouffier und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir gelungen, bundesweit die Residenzpflicht aufzuheben und bundesweit eine Erleichterung beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zu schaffen. Das sind ganz wesentliche Bausteine, um eine bessere Lebenssituation zu schaffen.
Zu dieser Reihe der Maßnahmen kommt nun noch ein neuer Vorschlag hinzu, den die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und die Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg und Hessen ergriffen haben. Herr Kretschmann, Frau Dreyer und Herr Bouffier haben die Initiative ergriffen, eine weitere Verbesserung beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zu erreichen, eine weitere Verbesserung bei der Ausbildung der Flüchtlinge, indem sie den eigentlich ganz einfachen, aber unheimlich wirkungsvollen Vorschlag gemacht haben, dass Flüchtlinge und Asylsuchende, die in unserem Land eine Ausbildung begonnen haben, diese Ausbildung auf jeden Fall abschließen können, unabhängig davon, wie ihr Asylverfahren aussieht. Das ist wieder ein ganz praktischer Schritt, um Menschen, die viel Leid, viel Grausamkeit erfahren haben, neue Perspektiven zu eröffnen.
Wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen: Wenn diese Menschen hier eine Ausbildung erfahren haben und wenn sie im Anschluss in ein Beschäftigungsverhältnis eintreten, auch dann sollen sie einen Aufenthaltstitel bekommen.
Meine Damen und Herren, das alles, was ich Ihnen dargestellt habe, sind konkrete Maßnahmen für eine an Humanität orientierte Flüchtlingspolitik, eine Flüchtlings- und Asylpolitik, die auf konkrete Verbesserungen setzt und nicht die Augen vor den Problemen verschließt, die wir in diesem Bereich haben, sondern die den vielen Menschen, denen es nicht so gut geht wie uns oder den meisten in unserem Land, die fliehen mussten, die viel Schreckliches in ihrem Leben erfahren haben, hilft und ihnen eine neue Perspektive gibt. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, über lange Strecken Ihrer Rede habe ich mich gefragt, zu welchem Antrag, zu welchem Tagesordnungspunkt Sie eigentlich sprechen. Aber Sie haben dann immerhin noch drei oder vier Sätze zu dem konkreten Antrag, den Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes, gesagt. Immerhin.
Ich möchte meine Zeit darauf verwenden, sehr konkret über diesen Antrag zu sprechen, und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil ich mich seit 25 Jahren in den unterschiedlichsten beruflichen und auch persönlichen Rollen mit der Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschäftige, auch mit vielen Einzelfällen zu beschäftigen hatte. Dabei habe ich aus leidvoller Erfahrung gelernt, dass man über jeden Fortschritt froh sein muss, und sei er noch so klein.
Solch ein kleiner – für die Betroffenen freilich durchaus großer und bedeutsamer – Fortschritt ist die Initiative der drei Ministerpräsidenten respektive der Ministerpräsidentin von Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Genauer gesagt: Es wäre ein Fortschritt, wenn es denn so käme, aber nur ein kleiner.
Damit ist auch schon etwas über den Anlass für diese Debatte heute gesagt. Es gibt die Ankündigung einer Initiative, die einen kleinen Fortschritt in unserem insgesamt unübersichtlichen, bürokratischen, gegenüber menschlichen Schicksalen oft gleichgültigen Gestrüpp von Regelungen über Zuwanderung, Aufenthalt, Bleiberecht, Ausbildungsund Aufenthaltsgenehmigung bis hin zu Aufenthaltsbeendigung und Einbürgerung darstellt. Dies ist ein Gestrüpp, in dem leider allzu viele Menschen hängen oder stecken bleiben, darunter eben auch viele aus der zunehmenden Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, deren Schicksal vielen von uns besonders am Herzen liegt.
Das ist deswegen besonders tragisch, weil diese jungen Menschen – Herr Kollege Wagner, darüber haben Sie gesprochen – ihr ganzes Leben noch vor sich haben; denn die weit überwiegende Zahl dieser Jugendlichen kommt hoch motiviert und lernbegierig in unser Land. Sie könnten deshalb eine besondere Bereicherung für unser Land darstellen, weil sie diesem Land, von dem sie sich aufgenommen und beschützt fühlen, auch etwas zurückgeben wollen.
Es wäre also aus diesen Gründen, vor allen Dingen aber schlicht aus Gründen der Menschlichkeit – man muss das immer wieder sagen – mehr als angebracht, diesen jungen Menschen den Weg zu ebnen, statt ihnen Steine in den Weg zu legen, wie das aktuell nach wie vor viel zu häufig geschieht, indem es ihnen schwer gemacht wird, eine schulische oder berufliche Ausbildung aufzunehmen und vor allem auch zu beenden. Jede Initiative, die hier Änderungen zum Guten bringt, ist also zu befürworten.
Leider gibt es aber auch bei dem Entschließungsantrag, der uns vorliegt, ein paar Haare in der Suppe. Es beginnt damit, dass den Worten der Ministerpräsidenten nun auch Taten folgen müssen. Deshalb verlangen wir in unserem Antrag, dass Hessen gemeinsam mit den beiden anderen Ländern eine entsprechende gesetzliche Initiative in den Bundesrat einbringt. Von einer solchen gemeinsamen Initiative haben wir bisher nichts gehört. Vielleicht werden wir im Laufe der Debatte noch etwas dazu hören.
Bis dato gibt es nur einen Antrag des Landes RheinlandPfalz im Bundesrat, der von Hessen aber nicht mitgezeichnet worden ist. Ich höre, der Herr Innenminister wird heute hier sprechen; vielleicht kann er dazu etwas sagen.
Erwartet hätten wir in diesem Zusammenhang auch ein klares Wort zu der raschen und sehr brüsken Ablehnung der Initiative durch den Bundesinnenminister, die übrigens ein Licht darauf wirft, was wir von der CDU-Debatte über Verbesserungen bei den Regeln über Zuwanderung, Aufenthalt, Bleiberecht usw. unterhalb der Ebene eines neuen und umfassenden Zuwanderungsgesetzes zu erwarten haben, nämlich nicht viel. Die CDU glaubt mehrheitlich immer noch – das ist in der Debatte der letzten Tage deutlich geworden –, an diesem Punkt in der besten aller Welten zu leben. Ich komme am Ende der Rede darauf zurück.
Bei uns rennen Sie jedenfalls mit dieser Initiative offene Türen ein. In dem Papier zu einer grundlegenden Reform des Zuwanderungsrechtes, das die SPD-Bundestagsfraktion vorgestern vorgelegt hat, heißt es:
Auf den dringenden Wunsch der Handwerkskammer, der Kirchen, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Bundes der Arbeitgeber wollen wir jugendlichen Geduldeten und Asylsuchenden, die eine Ausbildung beginnen oder ein Ausbildungsangebot haben, unabhängig vom Ausgang des asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahrens den Aufenthalt bis zum Abschluss der Ausbildung gewähren. Das sollte auch eine Frist für die anschließende Arbeitssuche beinhalten.
So weit sind wir uns alle einig. Wir sind uns nicht einig – das gilt jedenfalls in Teilen – in den Schwerpunkten, die in dieser Debatte gesetzt werden. Damit bin ich wieder bei dem konkreten Antrag, der uns vorliegt. Sie von CDU und GRÜNEN setzen die Schwerpunkte sehr, sehr stark im Bereich der ökonomischen Nützlichkeit. Während wir die erforderlichen Maßnahmen in allererster Linie unter humanitären Aspekten sehen, heben Sie Aspekte der ökonomischen Nützlichkeit und der Deckung des Fachkräftebedarfs heraus. Das kommt ja auch im Titel des Entschließungsantrags zum Ausdruck. Da wird die Begegnung des Fachkräftemangels als allererstes Ziel der Initiative genannt, und dem wird auch ein ganzer Punkt gewidmet. Ich glaube nicht, lieber Herr Kollege Wagner, dass das ein Zufall ist; denn offensichtlich ist einem Teil der Koalition selbst eine solche, in ihrer Reichweite doch äußerst begrenzte Initiative nur dann schmackhaft zu machen, wenn man eben nicht humanitär argumentiert, wie es doch angemessen wäre.
Die Enquetekommission „Migration und Integration in Hessen“ hat im Teil „Zuwanderung und Asyl“ als erste Handlungsempfehlung übereinstimmend Folgendes festgehalten:
Deutschland gewährt Verfolgten durch das Asylverfahren Schutz. Auch Hessen kommt hier seiner humanitären Verpflichtung nach. Eine Aufnahme von Flüchtlingen darf aber zunächst nicht im Zusammenhang von Zuwanderung diskutiert werden.