Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

Der Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit liegt ein Leitgedanke zugrunde, der in der „Rahmenvereinbarung zur Förderung der Interkommunalen Zusammenarbeit“ formuliert ist und der lautet:

Die neuen Herausforderungen werden für die hessischen Kommunen nur durch die Zusammenführung von beträchtlichen Teilen ihrer Verwaltungen in gemeinsame Dienstleistungszentren zu bewältigen sein. Das Land Hessen fördert deshalb die interkommunale Zusammenarbeit mit Zuweisungen aus dem Landesausgleichsstock.

Ich glaube, zu diesem Grundsatz haben wir in diesem Hause einen Konsens, da sind wir uns in allen Fraktionen einig. Wir sind uns aber, glaube ich, nicht ganz einig darüber, warum interkommunale Zusammenarbeit sein muss und warum es eventuell auch Zusammenschlüsse von Gemeinden geben könnte.

Herr Eckert hat eben gesagt und in seiner Pressemitteilung gerade eben veröffentlicht: Es darf keine Zusammenschlüsse aufgrund finanzieller Not geben. – Dazu muss man sagen: Betrachten wir einmal, warum so etwas überhaupt stattfindet. Wir haben gesellschaftliche Realitäten, z. B. dass aus dem ländlichen Raum, leider auch in meinem Kreis, dem Vogelsbergkreis, Menschen wegziehen. Wir werden da immer weniger. Wir haben in manchen Ortsteilen dramatisch wenige Menschen. Auch unsere Gemeinden schrumpfen, nicht alle, aber ein Teil der Gemeinden schrumpft. Das sind Realitäten, mit denen wir umgehen müssen.

Auf der anderen Seite haben wir gewaltige Herausforderungen an die Kommunalverwaltung. Überlegen Sie einmal, was es bedeutet, nach europarechtlichen Vorschriften eine Ausschreibung zu machen, ein Ausschreibungsverfahren. Eine kleine Gemeinde kann das kaum noch leisten. Das sind die Gründe, warum wir verstärkt interkommunale Zusammenarbeit brauchen und vielleicht auch Verlagerungen von verschiedenen Aufgaben oder die Einrichtung von Servicestellen auf Kreisebene für kreisangehörige Gemeinden. Das sind die richtigen Gründe dafür.

Auch nicht ganz richtig finde ich die Begründung von Herrn Hahn, die er vorhin genannt hat, das Land könne dabei Geld sparen. Das mag ein Effekt sein, wenn sich Kreise zusammenschließen würden. Aber das darf nicht unsere Motivation sein. Dann würden wir sehr in das Selbstverwaltungsrecht der Kreise eingreifen.

(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Wir können doch nicht sagen, wir machen eine Gebietskörperschaftsreform, um dem Land Hessen Geld zu sparen. Nein, ganz klar, die Initiative geht von den Kommunen aus. Sie muss von den Kommunen ausgehen, aber wir werden sie in jedem Fall unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich möchte auf Ihre konkrete Anregung eingehen, Kreise zusammenzuschließen. Das hätte Vorteile und Nachteile. Vorteile wären sicherlich die Abfederung des demografischen Wandels, was ich eben schon beschrieben habe, die Sicherung der Daseinsvorsorge. Man könnte vorhandene

Strukturen an diese Bevölkerungsentwicklung anpassen. Die Aufgabenbewältigung könnte schneller, besser, effizienter erfolgen, und wir haben bei den Landkreisen im Gegensatz zu den Gemeinden eine nicht so starke Identifikation der Bevölkerung mit dieser kommunalen Einheit, mit dem Kreis.

Die Nachteile wären allerdings: Es könnte ein Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie sein, und eigentlich wollen wir bürgernahe Administrativstrukturen. Das heißt, wir wollen bürgernahe Verwaltungen, also auch räumlich nahe Verwaltungen. Je größer die Kreise werden, desto schwieriger wird das. Wir wollen auch eine Verbundenheit der Bevölkerung mit den Kreisen, auch wenn sie nicht so eng ist wie die mit den Gemeinden, wie eben beschrieben.

Die Demokratiefunktion, sich also ehrenamtlich in den Kreisen zu engagieren, hängt auch ein bisschen mit Räumlichkeit zusammen; denn es ist schwierig – wieder am Beispiel Vogelsberg –, wenn man 40 km von einem Ende des Kreises bis zur Kreistagssitzung fahren muss. Wenn die Kreise noch viel größer werden, dann ist das im Ehrenamt abends fast nicht mehr zu schaffen. Dann wird es schwierig.

Es gibt also Vorteile, es gibt Nachteile. Herr Hahn ist vorhin schon auf die gesetzliche Lage eingegangen. Ich fand richtig, was Sie gesagt haben: dass wir in § 16 der HGO die Möglichkeit haben, dass auf Initiative der Gemeinden die Gemeindegrenzen geändert, Gemeinden aufgelöst oder neu gebildet werden können, und dass wir in der HKO für die hessischen Landkreise diese Möglichkeit nicht haben, sondern dass darin steht: Für die Neubildung oder Auflösung eines Landkreises bedarf es eines Gesetzes. – Wenn wirklich einmal zwei Landkreise kommen – es gehören zwei dazu, nicht nur einer –, die sagen, sie wollen sich zusammentun,

(Timon Gremmels (SPD): Es könnten auch eine Stadt und ein Kreis sein!)

dann wären die Hessische Landesregierung und die Koalitionsfraktionen bestimmt die Letzten, die das nicht unterstützten. Aber dann kann man für diesen Fall auch eine gesetzliche Regelung schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben als Grundsatz: Wir wollen den Kommunen Zusammenschlüsse ermöglichen, wir wollen sie aber keinesfalls von oben verordnen. Wir wollen weiterhin die interkommunale Zusammenarbeit und Veränderungen bei den Gebietskörperschaften, die sich aus dem Willen der Gebietskörperschaften heraus entwickeln, nicht aufhalten, sondern unterstützen. Wir können die Kreise nicht suchen – das wurde heute auch schon gesagt –, und Kostenersparnis darf auch nicht das Argument sein.

Ich denke, wir werden im Innenausschuss noch einmal darüber reden. Ich glaube, dass wir bei diesem Thema eine fraktionsübergreifende, konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle unserer hessischen Kommunen hinbekommen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Goldbach. – Als nächster Redner spricht Kollege Schaus von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Interkommunale Zusammenarbeit nimmt in Zeiten leerer kommunaler Kassen einen immer größeren Stellenwert ein und wird von einigen als Alternative im Umgang mit der Finanznot angesehen. Gerade für kleine und strukturschwache Gemeinden kann eine solche Zusammenarbeit mit benachbarten Kommunen ein wichtiger Beitrag sein, um Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit zu erhalten. Eine solche Zusammenarbeit darf allerdings nicht als bloßes Instrument von Rationalisierung und Einsparung angesehen werden; denn grundsätzlich erreicht man dann keine Verbesserung der öffentlichen Leistungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegenteil, sähe man die interkommunale Zusammenarbeit ausschließlich unter dem Gesichtspunkt von Einsparmöglichkeiten, wie das leider oft passiert, werden die Wege der Menschen vor Ort zu den Einrichtungen ihrer Kommune immer länger und umständlicher. Positive Effekte für die Menschen vor Ort würden dann ausbleiben.

Sinnvolle interkommunale Zusammenarbeit hingegen sollte sich meines Erachtens vor allem dadurch auszeichnen, dass Kommunen in die Lage versetzt werden, durch diese Zusammenarbeit mit anderen Kommunen die Synergieeffekte dann auch für eine Verbesserung und Erhöhung des Services für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen und zu verwenden.

(Beifall bei der LINKEN)

So kann kommunale Zusammenarbeit absolut sinnvoll sein. Aber davon sind wir leider weit entfernt. In welchen Arbeitsfeldern kommunal zusammengearbeitet wird, ist deshalb genauestens zu diskutieren, am besten frühzeitig mit den Bürgerinnen und Bürgern in den betroffenen Gemeinden.

So kann ich mir die gemeinsame Unterhaltung eines kostenintensiven Fuhrparks in den Bau- und Betriebshöfen gut vorstellen. Das ist sicher ebenso sinnvoll wie die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung zur kommunalen Müllentsorgung. Denn warum soll man die Gewinne, die in diesem Bereich nach wie vor gemacht werden können, den Bürgern nicht wieder zugutekommen lassen?

Es gibt aber auch Bereiche, in denen eine interkommunale Zusammenarbeit sehr schwierig ist. Dies ist dann der Fall, wenn Kommunen miteinander im Wettbewerb stehen, wie z. B. bei der Gewerbeansiedlung. Diese Konkurrenz um die Gewerbesteuereinnahmen könnte jedoch mit einer Reform der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, wie von uns seit Langem vorgeschlagenen, entschärft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dadurch könnte ein weiteres Hindernis der interkommunalen Zusammenarbeit beseitigt werden. Hier ist allerdings der Bundesgesetzgeber gefordert. Wir sind durchaus der Meinung, dass es richtig ist, eine solche Debatte zur interkommunalen Zusammenarbeit, wie sie von der FDP nun

angestoßen wurde, intensiv auf allen politischen Ebenen zu führen – wie gesagt: wenn sie unter dem Gesichtspunkt einer Qualitätsverbesserung und nicht bloß von Einsparmöglichkeiten geführt wird. Das ist durchaus in Ordnung.

Kritisch, aber dennoch diskussionswürdig sehen wir hingegen die Zusammenlegung von Kreisen und Gemeinden. Auch wenn im Antrag von freiwilligen Zusammenlegungen die Rede ist, muss man doch ehrlicherweise feststellen, dass solche Zusammenlegungen letztendlich nicht ganz freiwillig – und damit meine ich: frei von Sachzwängen – durchgeführt werden. Der große Finanzdruck, der auf allen Landkreisen Hessens lastet, ist ein solcher Sachzwang.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sich die Landkreise an jeden Strohhalm klammern, der die Sicherstellung ihrer Aufgaben scheinbar langfristig ermöglicht. Es ist natürlich schon etwas merkwürdig, wenn sich die FDP in der letzten Legislaturperiode aktiv daran beteiligt, erst den Kommunalen Finanzausgleich um jährlich 350 Millionen € zu kürzen – wie sagte doch der legendäre Abg. Noll in diesem Zusammenhang: „Das Geheimnis des Sparens ist der Verzicht“ –, und Sie jetzt so tun, meine Damen und Herren von der FDP, als ob man den Landkreisen durch freiwillige Zusammenlegungen einen Gefallen tun würde. Das finde ich an dieser Stelle etwas unredlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle Überlegungen zur Zusammenlegung, sei es auf der Ebene von Gemeinden oder Kreisen, entstehen letztendlich durch die katastrophale Finanzlage, in die CDU und FDP die Kommunen hineinmanövriert haben.

Trotzdem enthält Ihr Antrag auch bei der Zusammenlegung von Kommunen durchaus vernünftige Ansätze. Wir begrüßen es, dass im vorliegenden Antrag das Letztentscheidungsrecht der Menschen vor Ort angesprochen wird. Was passiert, wenn zwei Kommunen gegen den Willen und den Protest der Bevölkerung zwangsweise zusammengeschlossen werden, lehrt uns der gescheiterte Versuch in den Siebzigerjahren, Gießen, Wetzlar und 17 Gemeinden zur Stadt Lahn zusammenzuschließen.

Die Letztentscheidung über den Zusammenschluss muss immer von den Menschen der betroffenen Kommunen selbst gefällt werden. Insofern ist das Vorgehen in der neu geplanten Stadt Oberzent im Odenwald zu begrüßen, wenn dort parallel zur Kommunalwahl 2016 ein Bürgerentscheid zum Zusammenschluss der vier Gemeinden angestrebt wird.

Ebenfalls richtig ist der Hinweis in Ziffer 5 des Antrags, dass eine Zusammenlegung niemals negative Folgen für die Bürgerfreundlichkeit öffentlicher Verwaltungen haben darf. Hier lehren uns jedoch auch die Erfahrungen wie zuletzt bei den Gerichtsschließungen zur Einhaltung der Schuldenbremse – gell, Herr Hahn –, dass Zentralisierung von öffentlichen Leistungen eben genau nicht dazu führt. Im Gegenteil wird die Erreichbarkeit extrem eingeschränkt. Und diese Gefahr besteht natürlich auch hier.

Sie weisen in Ihrem Antrag auf eine Anbindung an den ÖPNV hin. Dann frage ich einmal: Meinen Sie den ÖPNV, der über Jahre hinweg aus Einspargründen gerade im Land nach und nach weiter reduziert wurde? Wir haben in Hessen Landkreise, in denen die Menschen nur noch in zweistündigen Reisen mit dem ÖPNV die Kreisstadt erreichen können. Ich denke, das ist jetzt schon nicht zumutbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, auch E-Government wird das Problem nicht lösen. Zugegeben, E-Government kann für internetaffine Menschen ein gutes Mittel sein, um auf schnellem Wege Behördenangelegenheiten zu klären. Aber allen voran älteren Menschen hilft dies noch nicht weiter, zumal – auch das wird oft vergessen – sich nicht jede Behördenangelegenheit einmal eben vom heimischen PC aus erledigen lässt.

Ich glaube, es ist sinnvoll, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit der Zusammenlegung von Kreisen in der Hessischen Landkreisordnung bisher abgesehen hat. Es ist schon etwas anderes, ob sich Gemeinden auf freiwilliger Basis zusammenschließen oder ob ganze Landkreise zu noch größeren Landkreisen verschmelzen. Wenn dieses Thema überhaupt weiterverfolgt werden sollte, dann nur auf freiwilliger Basis, und ohne finanziellen Druck auszuüben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Ohne finanziellen Druck, damit meine ich auch, dass es, wie so beliebt und im Antrag der FDP auch angesprochen, eben keine finanziellen Anreize für diese Zusammenlegung gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Beuth. Bitte schön, Sie haben das Wort, Herr Minister.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir, eine kurze Vorbemerkung zu machen. Ich bin schon einigermaßen über die Umgangsformen hier im Hessischen Landtag bestürzt.

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt reicht es aber! – Demonstrativer Beifall bei der CDU)

Ich bin wirklich einigermaßen bestürzt. Ich bin sehr froh, Herr Kollege Rudolph, dass Sie, nachdem Sie um 15:08 Uhr den Saal verlassen haben, zum Ende der Debatte um 15:51 Uhr nach 43 Minuten wieder den Saal betreten haben. Dann können Sie sich einmal anhören, was ich Ihnen zu sagen habe.

Ich bin vorhin, als Sie in diesem Hause darüber gesprochen haben, dass der Innenminister an der Debatte nicht teilnimmt, im Innenausschuss auf Antrag einer Fraktion dem Informationsbedürfnis der Kolleginnen und Kollegen über die Einsätze von Blockupy in der vergangenen Woche gerecht geworden.