Ich komme zum Schluss. Die rechtsstaatlich richtige Reaktion wäre, dass die Täter verfolgt und ermittelt werden und im Rahmen der bestehenden, ausreichenden Möglichkeiten des Strafrechts mit aller rechtsstaatlichen Härte ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Dafür sollte sich der Innenminister, dafür sollte sich die Justizministerin, dafür sollte sich die gesamte Regierung Bouffier einsetzen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist überhaupt keine Frage, dass Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte Respekt, Unterstützung und Schutz bei ihrer rechtmäßigen Aufgabenerfüllung verdienen.
Herr Bauer, ich habe noch nie etwas anderes gesagt. Sie scheinen mir wieder einmal nicht zugehört zu haben.
Diesen Schutz gewährt ihnen allerdings das geltende Recht schon jetzt, insbesondere bei beachtlichen Vergehen, bei denen ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe besteht. Ich gebe meinem Vorredner ausdrücklich recht: Es ist mehr als fraglich, ob eine Straferhöhung gerade bei Bagatelldelikten die Schutzwirkung erhöhen würde.
Meine Damen und Herren, bereits nach geltendem Recht kann eine einfache Körperverletzung nach § 223 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Höchststrafe von fünf Jahren gilt auch für den einfachen tätlichen Angriff nach Ihrem neuen Entwurf, dem sogenannten Schutzparagrafen. Die Höchststrafe gegenüber dem geltenden Recht ändert sich also nicht. Vielmehr geht es Ihnen darum, den Strafrahmen so zu ändern, dass nunmehr selbst in den geringfügigsten Fällen ausnahmslos mindestens sechs Monate Freiheitsstrafe verhängt werden müssen. Die Möglichkeit der Gerichte, den Strafrahmen zwischen einer Geldstrafe und fünf Jahren Gefängnis dem Einzelfall entsprechend auszuschöpfen und auf eine schuldangemessene Strafe zu erkennen, soll nach Ihrem Willen für Bagatellfälle aufgehoben werden.
Die Gerichte sollen also gezwungen werden, auch in Bagatellfällen ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls Freiheitsstrafen zu verhängen und damit durch drakonische Strafen Stärke und Härte zu zeigen. Offenbar sind hier die Gerichte der eigentliche Störfaktor, den Sie angreifen und der mit diesem Gesetz überwunden werden soll.
Meine Damen und Herren, nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BGH als auch des Bundesverfassungsgerichts darf das Strafmaß das Maß der Schuld nicht überschreiten. Dies zu bestimmen ist die Aufgabe des Richters, in dessen Bewertung Sie nun gesetzgeberisch durch eine Mindestfreiheitsstrafe im Sinne von „Das muss deutlich spürbar sein“ eingreifen.
Das ist zwar möglich, aber nur in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit, die verfassungsrechtlich geschützt ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Zwingend drakonische Strafen bei geringfügigsten Vergehen zu verhängen wird diesem Prinzip nicht gerecht. Es darf nicht sein, dass Sanktionen in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen.
Ein tätlicher Angriff ist nach der Rechtsprechung die in gegnerischer Absicht auf den Körper des anderen zielende Einwirkung, wobei, wie auch Sie in Ihrem Gesetzentwurf betonen, eine Körperverletzung weder eintreten noch überhaupt gewollt sein muss. Wer also einen Polizeibeamten, etwa nach einem Disput, mit der Hand zur Seite schiebt, würde in jedem Fall eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten erhalten. Eine solche Regelung ist völlig unangemessen und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen.
Meine Damen und Herren, Sie erreichen mit Ihrem Schutzparagrafen, dass das Verständnis der Polizei als Freund und Helfer in Richtung eines im wahrsten Sinne des Wortes unberührbaren Staatssymbols verschoben wird – ein Staatssymbol, dem der Bürger untertan zu sein hat. Das ist nicht gut, auch nicht für die Polizei.
(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist unglaublich! – Manfred Pentz (CDU): Das ist total bescheuert! – Weitere Zurufe von der CDU)
Geht man den von Ihnen jetzt begonnenen Weg weiter, kann es zu einer Kluft zwischen Bürgern und Polizei kommen, wie wir sie aus manch anderen Ländern in krasser Form kennen. Wenn wegen einer Polizistenberührung oder einer eher harmlosen Rangelei Menschen wirklich im Gefängnis sitzen,
(Holger Bellino (CDU): Da kennen Sie sich aus! Mit dem Eierwerfen auch! – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen der Präsidentin)
Herr Bellino, ich bitte Sie dringend, das zurückzunehmen und mir hier nicht zu unterstellen, ich würde Eier werfen. Das nehmen Sie bitte zurück.
(Manfred Pentz (CDU): Das stimmt ja nicht! Er hat gesagt, Sie kennen sich aus mit dem Eierwerfen! – Holger Bellino (CDU): Er soll zuhören! – Weitere Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren, wenn wir eine Demonstration durch die Straßen führen – z. B. durch die Straßen Frankfurts –, ist es leider immer häufiger so, dass Angehörige der Riot Police, die Demonstration eng einschließend, vorbeilaufen. Wir betrachten das bereits als ein Einschränken des Demonstrationsrechts; denn ein Hinzustoßen zu der Demonstration oder auch ein Verlassen sind nicht mehr möglich. Diese Begleitung hat also einen abschreckenden Charakter.
Aber sie bringt darüber hinaus noch ein ganz anderes Problem mit sich. Wenn sich z. B. die Straße verengt, drängen diese Polizeikräfte in den Demonstrationszug hinein. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, jetzt müssen Sie ganz tapfer sein: Dabei passiert es durchaus, dass Polizisten, die die Demonstration begleiten und sehr wohl wissen, wohin sie treten, dies auch bewusst tun. Auch das ist Ihnen vielleicht aus der Vergangenheit noch bekannt.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was machen die? – Manfred Pentz (CDU): Das ist unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren von der CDU, jetzt müssen Sie ganz tapfer sein: Es gibt auch Polizisten, die genau die – –
Herr Dr. Wilken, einen Moment. – Wir sind im Hessischen Landtag. Herr Irmer, ich bitte Sie genauso wie die anderen, etwas aufmerksamer zuzuhören.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich höre aufmerksam zu! – Holger Bellino (CDU): Das ist unerträglich, was er da redet!)
Es gibt auch Polizisten, die das öffentlich zugeben. Sie sprechen z. B. in „Zeit“- oder „Spiegel“-Interviews offen darüber, wie sie sich auf Demonstrationen verhalten und wie sie sich laut Anweisung verhalten sollen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie wird sich denn verhalten? Machen Sie das einmal deutlich! – Holger Bellino (CDU): Das ist unerträglich, was Sie da sagen! – Gegenruf des Abg. Marius Weiß (SPD): Unerträglich sind Ihre Zwischenrufe! – Weitere Zurufe von der CDU, der SPD und der LINKEN)
Kolleginnen und Kollegen, unerträglich ist im Moment die Lautstärke. Ich bitte Sie jetzt um Ruhe, damit der Redner seine Rede zu Ende bringen kann.
Meine Damen und Herren, eine Fortsetzung der Austeritätspolitik in der Europäischen Union wird die sozialen Spannungen in Europa verschärfen. Sie werden zunehmend auch Deutschland erreichen. Wir können nur davor warnen, die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Probleme durch drakonische Strafverschärfungen, verstärkte Repressionen und den Abbau demokratischer Rechte lösen zu wollen. Wir warnen vor Eskalationen mit verhängnisvollen Folgen, zu denen genau dies führen kann.
Der schwarz-grüne Gesetzentwurf ist ein Schritt in die falsche Richtung. Der Schutzparagraf bietet nicht mehr Schutz, sondern führt zu unangemessenen Entscheidungen in vielen Einzelfällen und damit zu einem Verlust an Vertrauen in die rechtsstaatliche Ordnung. Deswegen lehnen wir dieses Vorgehen ab. – Ich bedanke mich.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass sich ausgerechnet der Kollege Wilken als Lehrmeister in Sachen staatliches Verhalten und Rechtsstaatlichkeit aufspielt, finde ich ziemlich unglaublich.
Kollege Wilken, es ist schade, dass Sie schon wieder eine Chance vertan haben, sich zu Ihrer Verantwortung bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt zu bekennen. Diese Chance haben Sie erneut vertan.
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Einsatzkräfte der Rettungsdienste, der Feuerwehren und des Katastrophenschutzes leisten für unsere Gesellschaft einen wichtigen und herausragenden Dienst. Dass diese Menschen, die sich beruflich, aber auch ehrenamtlich für unsere Gesellschaft einsetzen, bei ihrer Arbeit angegriffen, verletzt und beleidigt werden, ist schändlich. Das müssen wir hier gemeinsam feststellen.
Wir verurteilen derartige Übergriffe entschieden. Wer Rettungskräfte und Polizeibeamte angreift, muss wissen, dass der demokratische Rechtsstaat ein derartiges Verhalten nicht hinnimmt. Diese Einsatzkräfte sind zum Schutz unseres Gemeinwesens tätig. Daher haben sie auch ein Recht darauf, von uns als Gesellschaft besonders geschützt zu werden.