Protokoll der Sitzung vom 24.06.2015

Selbst der Gutachter der abundanten Gemeinden hat ausdrücklich gesagt: Jawohl, das ist so.

Wenn man davon spricht, dass das eine Versicherung ist, lege ich Wert darauf, dass dies für den Teil gilt, den der Staatsgerichtshof als Mindestausstattung definiert hat. Das sind die Pflichtaufgaben und der sich darauf beziehende Bedarf, der sich an wirtschaftlich handelnden Kommunen orientieren soll, sowie das Mindestmaß an freiwilligen Leistungen.

Allein aus diesen Bemerkungen ergibt sich, dass diese Versicherung nicht zu 100 % wirksam ist. Im Übrigen liegt die Deckung nicht bei 91 %, sondern mit dem neuen Gesetzentwurf wird sie bei 95 % liegen.

(Beifall bei der CDU)

Was die Bundesmittel betrifft, so ist von allen angekündigt worden, dass sie im weiteren Beratungsgang des Gesetzentwurfs eine Rolle spielen. Wir sollten uns wenigstens auf das verständigen, was auch die Kommunalen Spitzenverbände zugestanden haben: Mittel von Dritten – ich bleibe jetzt bei den Bundesmitteln – verringern den Bedarf bei der Mindestausstattung. Das erklären sogar die Kommunalen Spitzenverbände.

Sie sagen aber gleichzeitig: Wir gehen davon aus, und wir fordern, dass diese Mittel beim Stabilitätsansatz berücksichtigt werden und dort einfließen. – Jetzt streiten wir nicht über die Frage, ob beim Stabilitätsansatz alles freiwillig ist oder nicht; aber auf diesen Minimalkonsens sollten wir uns wenigstens verständigen: dass es eben keine Frage der Mindestausstattung ist, sondern dass es darum geht, wie weit das beim Stabilitätsansatz Berücksichtigung findet.

Dritte Bemerkung zu den Investitionen. Wir haben alle gemeinsam, Land und Bund – bis auf DIE LINKE vielleicht –, in den Krisenjahren ein Konjunkturprogramm mit insgesamt 2,7 Milliarden € aufgelegt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Zu den Konjunkturprogrammen ist gesagt worden, es werden Investitionen finanziert,

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

die schon geplant waren und nun aus den Investitionsvorhaben und den Investitionsplanungen der nächsten Jahre vorverlegt werden, die also schon in dem Investitionsplan enthalten waren und vorgezogen werden. Wenn ich diese Investitionen vorgezogen habe, ist es doch völlig logisch, dass sie in den Investitionsausgaben der Folgejahre nicht mehr enthalten sind – eben weil sie vorgezogen wurden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Damit im Übrigen auch diese Mär ein Ende hat: Wenn Sie sich einmal die Investitionsausgaben im Bundesvergleich anschauen, dann werden auch Sie feststellen, dass im Jahr 2013 die Investitionsausgaben der hessischen Kommunen im Bundesvergleich an dritter Stelle lagen. Also kann es um die Investitionstätigkeit und die Ausstattung mit finanziellen Mitteln für Investitionen nicht so schlecht bestellt sein. Ich lege Wert darauf, dass wir dies hier noch einmal festhalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Vielen Dank. – Herr Kollege Schäfer-Gümbel, eine Minute.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will etwas zu einem anderen Vorgang sagen, der mehr in dieser Debatte stattgefunden hat: Angesichts eines zugegebenermaßen politischen Beitrags der Kollegin Goldbach kam es eben vonseiten mancher Mitglieder meiner Fraktion zu einer unangemessenen Reaktion auf diesen Beitrag. Dafür will ich mich in aller Form entschuldigen. Das wird sich nicht wiederholen, unabhängig von der Frage der Polemik des Beitrags. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Schäfer-Gümbel. – Dann sind wir am Ende der Debatte.

Wir kämen zur Abstimmung über die Anträge. Zunächst zu Tagesordnungspunkt 47, Antrag der Fraktion der SPD betreffend kommunale Finanzausstattung endlich verbessern anstatt durch neuen KFA verschlechtern, Drucks. 19/2073. Wer ihm seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD und DIE LINKE. Wer ist dagegen? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich? – Die FDP. Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Dann kommen wir zum Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Tagesordnungspunkt 78, Drucks. 19/2106. Wer stimmt zu? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – SPD, DIE LINKE. Wer enthält sich? – FDP. Damit ist dieser Dringliche Entschließungsantrag mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 49:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Sanktionsmoratorium für SGB-II-Bezieherinnen und -Bezieher – Drucks. 19/2075 –

mit dem Tagesordnungspunkt 79 auf:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Sanktionen im Leistungsbezug SGB II – Drucks. 19/2107 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Frau Kollegin Schott beginnt, Fraktion DIE LINKE. Bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 2014 wurden bundesweit 1 Million Sanktionen von Jobcentern ausgesprochen. In Hessen waren es über 52.000 Sanktionen gegen mehr als 26.000 Personen. Zwei Drittel der Sanktionen wurden wegen Meldeversäumnissen ausgesprochen. Lediglich 10 % erfolgten nach einer Weigerung, eine Arbeit oder Maßnahme fortzuführen oder anzunehmen.

Es werden auch Menschen sanktioniert, die gar nicht arbeitslos sind. In der Öffentlichkeit wird diese entwürdigen

de Praxis aber immer mit der Notwendigkeit begründet, dass sich die Arbeitslosen keinen schönen Lenz auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler machen sollen. Aber es geht durchaus auch um Menschen, die bereits einen oder gar mehrere Jobs haben und von dem Geld nicht leben können, weil der Lohn zu niedrig oder die Miete zu hoch ist. Trotzdem werden ihre Leistungen gekürzt, wenn sie sich beispielsweise nicht rechtzeitig bei einem Jobcenter gemeldet haben oder die Mitarbeiterin in der Hotline die telefonische Entschuldigung nicht weitergegeben hat. Denn man kann den Sachbearbeiter nicht mehr persönlich mit dem Telefon erreichen. Das ist in der Zwischenzeit tabu.

Bei den Jugendlichen sind es bereits über 10 % der Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher, die mit einer Sanktion kämpfen mussten. Hier geht es ganz schnell, dass die Leistungen völlig versagt werden und der oder die Betroffene ohne jegliches Geld oder ohne Wohnung auskommen muss oder dass die Eltern den Anteil an den Wohnkosten nicht mehr erhalten und so in die Schuldenspirale fallen.

Regional gibt es große Unterschiede. Es gibt Jobcenter, die bei der Erteilung von Sanktionen besonders engagiert sind – um ein paar hessische zu nennen: Limburg-Weilburg, der Landkreis Offenbach und Waldeck-Frankenberg. Aber es gibt auch Jobcenter, wie die im Odenwaldkreis, Hochtaunuskreis und an der Bergstraße, die in einem wesentlich selteneren Maße von Sanktionen Gebrauch machen, übrigens ohne deshalb ihre Arbeit schlechter zu machen.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Die Sanktionsquote reicht von 4,5 % bis 15,7 %. Von gleichen Lebensverhältnissen kann also nicht die Rede sein. Da weder die Menschen in den Regionen in ihrer Fähigkeit so unterschiedlich sind, sich den Vorschriften des Jobcenters zu unterwerfen, noch die Maßnahmen sich so stark unterscheiden, ist es doch sehr merkwürdig, dass ein eigentlich gleichlautendes Gesetz derart unterschiedlich ausgelegt wird. Das ist zumindest merkwürdig.

Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN wurden im Jahr 2013 über 36 % der Widersprüche gegen Sanktionen bei Hartz IV vollständig oder teilweise zugunsten der Betroffenen entscheiden. Bei Klagen gegen die Sanktionen beträgt die Quote sogar 42,5 %. Das zeigt, dass die Sanktionen bei Hartz IV nicht nur grundgesetzwidrig sind, sondern auch zu massenhaften Rechtsverletzungen durch rechtswidrige Kürzungen der Sozialleistungen führen. Was das in der Folge an Arbeitsbelastung für unsere Gerichte bedeutet, das will ich hier gar nicht vertiefen. Das ist ein unhaltbarer Zustand, den man beenden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können den Menschen daher im Prinzip nur empfehlen, Widersprüche und Überprüfungsanträge einzureichen, damit das einbehaltene Geld nach einer eventuell positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an sie ausgezahlt werden kann.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Was bedeutet es für Menschen, wenn sie – oft über mehrere Monate – von den sowieso schon knappen Mitteln durchschnittlich 100 € im Monat entbehren müssen? Dies führt dazu, dass sie ihre Rechnungen, z. B. für Telefon, Strom, Heizung oder Versicherung, nicht bezahlen können.

Hier kommt es zu Mahnungen, Vollstreckungsbescheiden – was wiederum die Schuldenspirale antreibt – und oft zu Leistungseinstellungen. Oftmals sind auch die Kosten der Unterkunft von Sanktionen betroffen. Dann kommt es zu Kürzungen und Räumungsklagen, schließlich zu Obdachlosigkeit.

Gerade bei Jugendlichen passiert das oft genug. Besonders Kinder leiden unter solchen Situationen extrem. Selbst mit der Hilfe von Tafeln ist es nicht möglich, mit einer unter das Existenzminimum reduzierten Grundsicherung auszukommen. Nicht nur in Griechenland, auch im angeblich reichen Deutschland ist ein enger Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Suiziden festgestellt worden. Meine Damen und Herren, fragen Sie sich einmal, warum das so ist.

Was ist eigentlich eine Sanktion? Wenn wir den Duden bemühen, sehen wir, es sind eher die pädagogischen und rechtlichen Bedeutungen, die eine Rolle spielen. Hier spricht der Duden von einer „gegen jemanden gerichtete[n] Maßnahme zur Erzwingung eines bestimmten Verhaltens oder zur Bestrafung“.

Sie brauchen sich nicht zu wundern, dass viele Menschen nicht mehr wählen gehen und keine Hoffnung in die Gesellschaft setzen, wenn sie den Eindruck haben, dass in diesem Land nicht die Armut sondern die Armen bekämpft werden. Damit wollen sie nichts zu tun haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das ist überhaupt kein Quatsch. – Sie können das statistisch ganz leicht nachweisen. Den Rückgang der Wahlbeteiligung in Bremen kann man erkennen. Schauen Sie sich die Statistik an, und dann reden Sie noch einmal von „Quatsch“. Da gibt es eine Spanne: zwischen einer 73-prozentigen Wahlbeteiligung in einem Stadtteil mit einer Hartz-IV-Quote von 2 % und einer Wahlbeteiligung von kaum mehr als 30 % in einem anderen Stadtteil mit einer Hartz-IV-Quote von 37 %. Sagen Sie jetzt noch einmal, dass das Quatsch ist. Das ist Statistik. Die kann man lesen, und dann kann man seine Schlüsse daraus ziehen. Noch einmal für Ihr Verständnis: In Stadtteilen, in denen es einen hohen Anteil an Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern gibt, ist die Wahlbeteiligung niedriger. Das hat etwas mit der Frustration zu tun, die entsteht. An dieser Frustration sind wir mit einer solchen Politik beteiligt. Wenn Sie sich nur noch von Ober- und Mittelschichten wählen lassen wollen, dann ist das Ihre Entscheidung. Es sieht jedenfalls sehr so aus.

(Manfred Pentz (CDU): Von wem lassen Sie sich denn wählen? – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Für uns LINKE sind die unter Hartz IV bekannt gewordenen Reformen eine Zumutung. Wir wollen eine grundlegend andere Politik in diesem Land. Dazu gehört eine politische Strategie, mit der Erwerbslosigkeit, Dumping und Niedriglöhnen sowie der Ausweitung von prekärer Beschäftigung entgegengetreten wird und existenzsichernde und sozial abgesicherte gute Arbeit gefördert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu muss der gesetzliche steuerfreie Mindestlohn auf 10 € pro Stunde für alle angehoben werden.

(Michael Boddenberg (CDU): Es geht schon los!)

Der Zugang zum Arbeitslosengeld I muss erweitert und der Bezugszeitraum verlängert werden. Alle Erwerbslosen bzw. Arbeitsuchenden brauchen Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Integrationsleistungen, wobei die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruht. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit sozialversicherungspflichtigen, tariflich bezahlten Arbeitsverhältnissen. Statt Hartz IV soll eine bedarfsdeckende sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt werden. Unter 1.050 € netto im Monat ist Armut. Mit der Mindestsicherung müssen in der Bundesrepublik die Verarmung und Entwürdigung von allen Erwerbslosen und Menschen mit geringem Einkommen beendet werden. Gleichzeitig muss das diskriminierende Sondersystem Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums ist grundsätzlich auszuschließen. Dies darf weder durch Sanktionen noch durch Aufrechnung geschehen. Das Arbeitslosengeld II ist kurzfristig für alle Erwachsenen im Leistungsbezug auf mindestens 500 € im Monat festzulegen. Das sind unsere Alternativen, für die DIE LINKE im Bündnis mit vielen Kräften in den Parlamenten und außerhalb weiterhin streitet.