Protokoll der Sitzung vom 11.03.2014

Danke schön.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Brennend würde mich interessieren, wie Sie gedenken, Eltern behinderter Kinder endlich eine echte Wahlfreiheit einzuräumen; denn das tun Sie nicht. Das haben Sie auch in den letzten Jahren nicht getan.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Denn auch das hat etwas mit Wahlfreiheit zu tun, ob man diesen Eltern sagt: Jawohl, ihr könnt euer Kind auf die Regelschule schicken, wenn ihr das wollt und die Vorkehrungen dort da sind, oder ihr könnt es auf die Förderschule schicken. – Das ist eine Wahlfreiheit, die es in den letzten Jahren nicht gab und die erst jetzt langsam kommt, weil es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Interessiert hätte mich auch, wie Sie überall in Hessen dem Elternwunsch gerecht werden wollen, ihr Kind auf eine echte Ganztagsschule zu schicken. Auch die Erfüllung die

ses Elternwunsches wird nicht überall wirklich gewährleistet.

(Beifall bei der SPD)

Herr Degen, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Boddenberg zu?

(Norbert Schmitt (SPD): Er wollte sich entschuldigen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Interessiert hätte mich, wie Sie angesichts zurückgehender Schülerzahlen im ländlichen Raum künftig überhaupt noch einen gymnasialen Bildungsgang in erreichbarer Distanz gewährleisten wollen. Wie Sie mit der geplanten Schulgesetzänderung Verantwortung von sich weisen, haben wir jetzt gemerkt. Statt zu regieren, beschränken Sie sich jetzt offenbar ganz aufs Moderieren. Der richtige Weg sei die dezentrale Entscheidung, sagte der Minister. Das heißt doch, Sie schieben die Verantwortung an die Schulen, an die Schulträger ab und nehmen hier möglichst wenig Verantwortung wahr.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn Schwarz-Grün so weitermacht, wird es bald einfacher sein, von Bundesland zu Bundesland umzuziehen als in Hessen von einem Kreis in einen anderen. So sieht es doch aus. Hier brauchen wir Antworten.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen auch darüber reden – auch das muss Teil des Bildungsgipfels sein –, wie viel Sinn die auch in der Regierungserklärung heute hochgehaltene Schulvielfalt dann noch macht, wenn sie nicht überall im Land gewährleistet werden kann – es wird nicht überall G-8- und G-9-Angebote geben –, und wie viel Sinn die Schulfreiheit noch macht, wenn inzwischen die Unübersichtlichkeit dermaßen hoch ist, dass nur noch wenige diese vielen Schulformen überhaupt überblicken können. Das ist zu thematisieren.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Einheitsschule!)

Herr Irmer, es muss nicht die Einheitsschule sein. Aber Sie müssen doch anerkennen, dass es Menschen gibt, die nicht das Bildungssystem in unserem Land besucht haben, die überhaupt keine Ahnung oder keinen Überblick haben, welche Angebote es hier gibt. Das muss man doch erst einmal überblicken.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Darauf einzugehen, das wäre eine Regierungserklärung der ausgestreckten Hand gewesen.

Herr Minister, seit Ihrem Amtsantritt betonen Sie immer wieder die Bedeutung guten Unterrichts. Auf den Lehrer kommt es an – das ist richtig. Aber es ist doch nicht so, dass man an Hessens Schulen nicht wüsste, wie guter Unterricht aussieht. Das Lehrerbashing der letzten Woche fand ich unerträglich. Das, was uns hier als Ziel eines Bildungsgipfels verkauft werden soll, nämlich Qualitätskriterien, guten Unterricht herauszuarbeiten, liegt doch längst vor. So untätig war Ihr Haus doch gar nicht.

(Minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz: Habe ich das gesagt?)

Mit dem Hessischen Referenzrahmen Schulqualität gibt es längst ein Instrument, das sehr strukturiert beschreibt, was guten Unterricht ausmacht. Der Referenzrahmen ist sogar Grundlage der Lehrerausbildung an den Studienseminaren. Nur müssen Sie die Lehrkräfte auch wirklich in die Lage versetzen, das Gelernte im alltäglichen Unterricht umzusetzen. Selbst der Deutsche Lehrerverband schrieb erst vor Kurzem in einer Pressemitteilung:

Wer motivierte und engagierte Lehrerinnen und Lehrer beschäftigen möchte, muss für attraktive Arbeitsbedingungen sorgen!

So sieht es aus, meine Damen und Herren. Dann bekommen Sie auch die Begeisterung, die Sie fordern.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Denn gerade wenn es so sehr auf die Persönlichkeit der Lehrkraft ankommt, macht es Sie dann nicht nachdenklich, wie die hessische CDU in den letzten Jahren mit den Lehrern umgegangen ist? War es nicht die CDU, die die Lehrerfortbildung eingedampft hat und den Schulen heute ganze 40 € pro Schuljahr und Lehrkraft zugesteht?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das gab es zu Ihrer Regierungszeit überhaupt nicht!)

War es nicht die CDU, die dafür gesorgt hat, dass in Hessen Lehrkräfte mit der höchsten Pflichtstundenzahl unterrichten? Ist es nicht die CDU, die dafür verantwortlich ist, dass die Zahl der befristeten Kettenarbeitsverträge für Lehrkräfte von Jahr zu Jahr steigt? Sind es nicht CDU und GRÜNE, die gerade erst den hessischen Beamtinnen und Beamten und damit insbesondere den Lehrkräften ihre „große“ Wertschätzung zum Ausdruck gebracht haben, indem sie angekündigt haben, die Beamtengehälter abgekoppelt von der Reallohnentwicklung per Diktat nur noch um 1 % im Jahr zu erhöhen?

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Holger Belli- no (CDU))

Meine Damen und Herren von Schwarz-Grün, wenn Sie Unterrichtsqualität steigern wollen, dann sorgen Sie endlich dafür, dass die Arbeitsbedingungen dies auch wieder zulassen. Darum muss es gehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, 105 % Lehrerversorgung ist schön und gut, aber damit ist es nicht getan. 105 % reichen nicht aus, um Krankheitsvertretungen zu organisieren, gleichzeitig die inklusive Beschulung angemessen umzusetzen, gleichzeitig die Schulsozialarbeit auszubauen,

(Holger Bellino (CDU): Bei Ihnen waren es 85 %!)

um ganztägigen Unterricht zu organisieren und auch noch Schulentwicklung währenddessen voranzutreiben. Wenn Sie gute neue Lehrkräfte gewinnen wollen, dann sorgen Sie dafür, dass auch die Ausbildungsbedingungen stimmen. Denn es war auch die CDU, die die Pflichtstunden für Lehramtsanwärterinnen und -anwärter erhöht hat und den Mentorinnen und Mentoren nach wie vor Entlastungsstunden dafür verweigert.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, ganz so einfach können Sie es sich nicht machen. Herr Minister, Sie verweisen

im Hinblick auf Ihr Ziel, mehr Konsens in der Schulpolitik, auf das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Ich darf Sie deshalb daran erinnern, dass es gerade dort von Beginn der Gespräche an immer um längeres gemeinsames Lernen als Voraussetzung für ein ebenso gerechtes wie förderndes Bildungssystem ging. Das war immer Grundlage der Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Dort hat man nicht gesagt, alles sei prima, man gebe den Schulen mehr Ruhe und mache so weiter wie bisher, sondern man hat gesagt: Wir wollen etwas bewegen, wir wollen etwas Neues anstoßen. Dafür suchen wir Partner und schauen, wie wir das gemeinsam organisieren können.

Ich sage gar nicht, dass am Ende eines Bildungsgipfels längeres gemeinsames Lernen oder gar die Schulstrukturfrage als Antwort stehen muss. Das sagen wir gar nicht. Aber den Fundamentalkonflikt, den Sie beschreiben, Herr Prof. Lorz, sehe ich nicht so. Denn das sind Erinnerungen an Schulstrukturdiskussionen vergangener Zeiten. Wir erwarten, dass im Rahmen des Gipfels darüber geredet wird, wie gleiche Bildungschancen für alle Kinder sichergestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass darüber geredet wird, wie durchlässig unser Schulsystem wirklich ist. Wir erwarten, dass darüber gesprochen wird, wie wir erreichen können, dass kein Kind zurückgelassen wird und möglichst alle einen Abschluss erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, Bildungsgerechtigkeit ist nicht verhandelbar. Das muss Thema des Bildungsgipfels sein.

Ich betone nochmals: Wie wir letzten Endes Ziele erreichen, die wir uns stecken, das ist der zweite Schritt. Vorher geht es darum, dass wir Probleme identifizieren, über die wir reden wollen. In Vorgesprächen zur Enquetekommission haben wir bereits einen entsprechenden Gegenstand definiert. Wir erwarten, dass Sie uns sagen, dass auch über die erzieherischen Herausforderungen geredet wird, die unsere heutige Zeit mit differenzierten Lebensentwürfen an die Schulen stellt. Wir erwarten, dass wir über Konzepte von Ganztagsbetreuung und Ganztagsbeschulung sprechen werden, sowohl vor dem Hintergrund der Anforderungen der Eltern als auch vor dem Hintergrund der Chancen, die ein ganztägig rhythmisierter Unterricht bietet.

Wir erwarten, dass darüber geredet wird, wie wir unsere Schülerinnen und Schüler noch besser auf berufliche Anforderungen einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt vorbereiten können. Wir erwarten, dass über Lernen an sich gesprochen wird und darüber, wie eine nachhaltige Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler sichergestellt werden kann, die sich eben nicht nur am Lernen für den nächsten Test orientiert.

Wir erwarten, dass über die Zusammenarbeit aller politischen Ebenen gesprochen wird, nicht nur über die angesprochene Verantwortung von Land und Schulträgern, sondern eben auch über Anforderungen an den Bund.

Wir erwarten, dass darüber gesprochen wird, wie der Lehrerberuf attraktiver gestaltet werden kann, wie wir unsere Lehrkräfte motivieren und unterstützen können. Wir erwarten, dass über individuelle Lernbiografien gesprochen wird, die der zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft gerecht werden, und darüber, in welchem Maße wir indivi

duelle Lernwege zulassen und organisieren können. Dazu zählt auch eine ernsthafte Überprüfung des Konzepts der modularisierten Oberstufe.