Sie nutzen nun aber den Rückkehrwunsch der Schulen, der Eltern und der Schüler, um durch die Hintertür noch eine neue Schulform einzuführen. Neben dem Gymnasium, das künftig von der Mehrheit der Schülerinnen und Schüler besucht werden wird, schaffen Sie ein Gymnasium plus. Damit treiben Sie die Zersplitterung unseres Schulsystems weiter voran, von der Verschärfung sozialer Ungerechtigkeit ganz abgesehen, weil wir alle wissen, dass das Gymnasium plus vor allem die besuchen werden, die sich die nötige Nachhilfe auch leisten können.
Statt das längere gemeinsame Lernen zu fördern und ein echtes inklusives Schulsystem aufzubauen, wie es die Vereinten Nationen fordern, leisten Sie einen Beitrag zur weiteren Desintegration des Schulsystems.
Dieses Projekt, das unsere Schullandschaft nachhaltig verändern wird – es hat einen Grund, warum sich andere Bundesländer, die diese Debatte momentan auch führen, ausdrücklich gegen eine Wahlfreiheit entscheiden –, dann auch noch mit dem Begriff „Friedensangebot“ in Verbindung zu bringen, das entbehrt nun doch jedweder Glaubwürdigkeit.
Das betrifft uns hier im Hause, das betrifft genauso die Schulen, denen Sie den Schwarzen Peter am Ende zuschieben. Die Diskussionen darüber, wer am Ende möglicherweise die Rückkehr zu G 9 verhindert hat – und die wird es geben, Schuldzuweisungen inklusive –, werden doch vor allem zwischen den Eltern und den Schulgremien stattfinden. Der Unfrieden ist vorprogrammiert, und mit Ihrer anachronistischen Bemühung, jedem Talent eine eigene Schulform zu zimmern, anstatt die individuelle Förderung innerhalb der Schulen auszubauen, verzetteln Sie sich.
Selbst das „Handelsblatt“ schrieb am 24. Februar zum Doppelangebot von G 8 und G 9 – Sie hatten es im Pressespiegel –, der Preis dafür sei eine erneute Aufsplitterung der Schullandschaft, die wir eigentlich aus guten Gründen nicht mehr wollen.
Ich will Ihnen die Konsequenzen verdeutlichen. Ich sagte es schon einmal im Februar-Plenum. Wie steht es um die Schülerbeförderungskosten? Wer kommt dafür auf, wenn Eltern ihr Kind nicht auf das benachbarte G-9-Gymnasium schicken wollen, sondern auf das deutlich weiter entfernte G-8-Gymnasium? Wer zahlt das – der Schulträger oder das Land, meine Damen und Herren?
In Ihrem Koalitionsvertrag schreiben Sie „Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 garantieren – Elternwillen ernst nehmen“. Sie wecken falsche Hoffnungen und werden Ih
ren eigenen Ansprüchen damit nicht gerecht. Es bleiben zu viele Fragen, die noch geklärt werden müssen, um dieses Gesetz wirklich gutheißen zu können.
Was ist z. B., wenn sich Eltern in der anonymisierten Befragung gegen die Rückkehr zu G 9 aussprechen? Wenn es mehr als 16 sind, reißen Sie bestehende Klassen auseinander und bilden neben der G-9-Klasse mindestens eine G-8-Klasse. Was für Auswirkungen hat das auf die Profilbildung? Was ist mit der zweiten Fremdsprache? Was ist mit den Bläserklassen und allen anderen Profilbildungsmaßnahmen, die es an den Schulen gibt? Diese Angebote werden eingedampft.
Wie gehen Sie damit um, wenn sie in der anonymen Befragung auf 16 kommen – also eine eigene G-8-Klasse gebildet werden kann –, bei der tatsächlichen Anmeldung aber keine 16 mehr dabei sind, die sich outen? Was machen Sie dann? Haben Sie sich einmal überlegt, dass Eltern dies vielleicht auch strategisch nutzen könnten, indem sich Eltern, die sich jetzt unbedingt ein G-9-Angebot wünschen, zusammenschließen und sagen: „Wir 16, 17 machen das jetzt und stimmen für G 8, weil es anonym ist und nicht nachvollziehbar“? Und wenn es am Ende dazu kommt, war es keiner mehr. – Was machen Sie dann? Dieses ganze Konstrukt der Anonymität ist dubios und macht die Sache nicht einfacher.
Apropos: Was ist mit jenen Eltern, die getrennt leben und sich nicht einig sind, ob sie G 8 oder G 9 für ihr Kind wollen? Sie haben zusammen nur eine Stimme. Was passiert, wenn einige Eltern bei G 8 bleiben wollen, sie aber nicht auf 16 Schüler zur Bildung einer Turboklasse kommen? Das bedeutet dann richtig Ärger; denn dann wird niemand zu G 9 zurückkehren können. Und das nennen Sie dann Schulfrieden?
Schulleitungen jedenfalls werden in den nächsten Wochen wenig Spaß haben. Und überhaupt, wie sollen Schulen jetzt – das steht ja an – ihre Lehrerzuweisung für das kommende Schuljahr eigentlich planen können?
Noch ein Beispiel: Was passiert, wenn ein G-8-Schüler einer neu gebildeten Turboklasse sitzen bleibt, es aber kein G-8-Angebot im Jahrgang darunter gibt? Hat er dann auf einen Schlag zwei Jahre verloren?
Fragen über Fragen. Die letzte kommt dann, wenn es um die Oberstufe geht, wenn Sie eine G-8-Klasse haben, die das gewählt hat: Es sind 16 zusammengekommen, es ist in dieser Zeit auch keiner umgezogen, alles läuft, und dann kommt diese eine Klasse in die Oberstufe. Wie wollen Sie denn da Wahlfreiheit sicherstellen, was die Kursangebote angeht? Auch das müssen Sie mit bedenken.
Herr Kollege Wagner, ich erlaube mir, Sie zu zitieren: Wahlfreiheit darf man nicht nur wollen, Wahlfreiheit muss man auch können.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP – Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Solange sich die Gesamtkonferenzen und Schulkonferenzen der Schulen nicht bewegen, wird es nicht einmal eine Elternbefragung geben.
Meine Damen und Herren, die Rückkehrwelle belegt es: G 8 ist gescheitert. Akzeptieren Sie das. Sichern Sie des Vertrauensschutzes wegen ein Parallelangebot, okay. Aber gehen Sie endlich an, dass die Verkürzung mit der Mittelstufe danach endgültig zurückgenommen wird.
Ich komme zurück zum Bildungsgipfel. Herr Minister, ich habe Ihrer Friedensbotschaft sehr aufmerksam gelauscht. Ich habe mich gefragt, wie die Regierung der Opposition die Hand reichen wird, wie sie uns zeigen wird, dass sie es mit der ausgestreckten Hand ernst meint. Welche unserer Themen wird sie aufgreifen, an welchen Stellen wird sie über den schwarz-grünen Koalitionsvertrag hinausgehen? Denn so ein Angebot muss ja auch Bewegung bedeuten, indem es über das, was bisher festgeschrieben ist, hinausgeht. – Nicht, dass ich viel erwartet hätte, aber enttäuscht bin ich doch: Keine einzige Randbemerkung, man könne vielleicht die modularisierte Oberstufe als Alternative zur Verkürzung der Mittelstufe prüfen. Man muss sie ja nicht einführen, man kann es ja einfach mal prüfen.
Kein Hinweis auf die nach wie vor bestehende Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft und dem Einkommen der Eltern, außer irgendeiner Studie unter zehn, die etwas anderes sagt, als dass der Bildungserfolg unheimlich stark vom Einkommen der Eltern und der Herkunft abhänge.
Was Sie gesagt haben, Herr Prof. Dr. Lorz, heißt doch am Ende: Wir haben in den letzten 15 Jahren alles gut gemacht, vor allem die CDU hat hier einen tollen Samen gesät,
und jetzt muss man die Schulen nur in Ruhe lassen, damit der Samen aufgeht. – So stellen Sie es sich offenbar vor, Sie bestätigen es ja. Das ist aber keine ausgestreckte Hand, meine Damen und Herren.
Wenn Bildungsgipfel heißt: „Wir lassen den Deckel drauf und ändern nichts“, dann kann ich Ihnen schon jetzt sagen, so werden Sie da keinen Erfolg haben. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Meine Damen und Herren, Sie werden sicher noch Gelegenheit haben, uns in den nächsten Monaten mit hoffentlich konkreteren Aussagen zu belehren. Wir wüssten gern, was genau auf diesem Bildungsgipfel passieren soll. Unsere Vorschläge haben wir bereits mit der beantragten Enquetekommission ausführlich dargelegt.
Herr Staatsminister, ich habe mich gefreut, dass Sie auch die Inklusion genannt haben, von der in der Vorabversion nichts stand, genauso, wie Sie auch die individuelle Förderung genannt haben. Aber all das sind Begriffe, bei denen man sich noch einmal Gedanken machen muss, was darunter zu verstehen ist.
Wir wissen – das wäre nicht das erste Mal –, dass es in diesem Haus unterschiedliche Auffassungen gibt, was mit individueller Förderung gemeint ist. Heißt das, Sie wollen weiterhin jedem Kind eine eigene Schule bauen? Oder weichen Sie endlich von diesem Weg ab und ziehen zumindest in Erwägung, beim Bildungsgipfel auch nur darüber zu reden – denn das ist mir nach wie vor nicht klar –, ob die individuelle Förderung auch innerhalb der Schule gestärkt werden und dort stattfinden kann? Ansonsten wirkt der angekündigte Bildungsgipfel bisher wie eine verkappte Legitimation, um die Kritik an dem Stillhalteabkommen, das Sie Koalitionsvertrag nennen, möglichst klein zu halten.
Herr Minister, Sie prognostizieren ein goldenes Zeitalter, eine neue Kultur des Zuhörens und Verstehens solle begonnen werden. – Bitte sehen Sie uns unsere Skepsis noch nach. Es ist ja nicht so, als hätte es an uns gelegen, dass in den letzten 15 Jahren unter CDU-geführten Landesregierungen das Gegenteil der Fall gewesen ist.
Wo war das Zuhören und Verstehen bei der Verordnung der „Operation düstere Zukunft“? Wo war das Zuhören und Verstehen bei der Einführung von Studiengebühren? Wo war es bei der Unterrichtsgarantie plus? Das alles sind Errungenschaften früherer CDU-Politik.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die gibt es noch! – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)
Wo war bei allen Warnungen vor Ihrer überhasteten Verordnung des flächendeckenden Schulversuchs G 8 das Verstehen und Zuhören? Haben Sie in all diesen Jahren Elternwünsche wirklich ernst genommen? Nehmen Sie jetzt Elternwünsche wirklich ernst?